Entscheidungsdatum
22.11.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W228 2205727-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald WÖGERBAUER als Einzelrichter in der Beschwerdesache des XXXX , geboren am XXXX 1996, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.07.2019 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stattgegeben und wird XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 22.11.2020 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, hat sein Heimatland verlassen, ist illegal in das Bundesgebiet eingereist und hat am 25.07.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Bei der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 27.05.2015 gab der Beschwerdeführer an, dass er Afghanistan als Kleinkind gemeinsam mit seiner Familie verlassen habe und im Iran aufgewachsen sei. Den Iran habe er schließlich aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan verlassen.
Der Beschwerdeführer wurde am 02.12.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er an, dass er in Mazar-e Sharif geboren, jedoch im Iran aufgewachsen sei. Seine Eltern und seine Geschwister seien nach wie vor im Iran aufhältig. Er habe keine Angehörigen in Afghanistan. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer aus, dass er als Afghane von den Iranern schlecht behandelt worden sei. Er sei beschimpft und geschlagen worden. Er habe ständig Angst gehabt, von der Polizei nach Afghanistan abgeschoben zu werden. Er kenne Afghanistan nur aus den Medien, er habe niemanden dort und es herrsche Krieg. Hazara und Schiiten würden getötet werden. Der Beschwerdeführer führte weiters aus, dass er den Islam und die islamischen Gesetze nicht möge.
Der Beschwerdeführer wurde am 14.03.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari/Farsi erneut niederschriftlich einvernommen. Dabei wurde er aufgefordert, seine Angabe, wonach er den Islam nicht möge, zu konkretisieren. Dazu führte er aus, dass er keine religiöse Person sei. Er möge den Islam nicht, weil er im Iran von der Polizei festgenommen und geschlagen worden sei. Der Beschwerdeführer habe gesagt, sie sollen in Gottes Namen aufhören, ihn zu schlagen und die Polizisten hätten geantwortet, dass Gott für ihn nicht erreichbar sei. Er sei einen halben Tag lang festgehalten worden und erst freigelassen worden, als sein Vater Geld bezahlt habe. Abschließend führte er aus, dass er Moslem sei, an Gott glaube, aber den Islam nicht viel praktiziere.
Mit nunmehr angefochtenem Bescheid vom 03.09.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs.1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Weiters wurde ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seinem Fluchtgrund, zur Situation im Falle seiner Rückkehr und zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Es habe keine glaubhafte Gefährdungslage festgestellt werden können. Der Beschwerdeführer habe keine Verfolgung glaubhaft machen können. Dem Beschwerdeführer könne eine Rückkehr nach Afghanistan zugemutet werden.
Gegen verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid wurde mit Schreiben der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers vom 12.09.2018 Beschwerde erhoben. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung aus politischen/religiösen Gründen bzw. wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe drohe. Der Beschwerdeführer befürchte Verfolgung einerseits aus den Gründen, die einst seine Familie zur Flucht gezwungen hätten und andererseits aufgrund seiner verwestlichten Lebenseinstellung sowie seiner Angehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Jedenfalls wäre dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zuzuerkennen, da er über kein familiäres Netzwerk in Afghanistan verfüge.
Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 14.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 11.10.2018 der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers sowie dem BFA aktuelle Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.
Am 16.10.2018 langte eine Stellungnahme des BFA zu den Länderinformationen beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 18.10.2018 langte eine Stellungnahme der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers zu den Länderinformationen beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 29.10.2018 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers Unterlagen zur Integration des Beschwerdeführers an das Bundesverwaltungsgericht.
Am 12.12.2018 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers eine mit 19.11.2018 datierte Bestätigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich an das Bundesverwaltungsgericht, aus welcher hervorgeht, dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der islamischen Glaubensgemeinschaft sei.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde in der gegenständlichen Rechtssache am 02.07.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beisein des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari durchgeführt. Die belangte Behörde ist unentschuldigt nicht erschienen.
Am 08.07.2019 übermittelte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers einen ärztlichen Befundbericht vom 13.06.2019 sowie einen Bescheid des AMS Wien an das Bundesverwaltungsgericht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat am 12.07.2019 eine Anfrage an die Staatendokumentation gestellt.
Am 18.09.2019 langte eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 26.09.2019 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine Nachfrage zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation gestellt.
Am 12.11.2019 langte eine Antwort der Staatendokumentation beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsbürger, geboren XXXX 1996. Er wurde in Mazar-e Sharif geboren, verließ Afghanistan gemeinsam mit seiner Familie im Kleinkindalter, hat fortan mit seiner Familie im Iran gelebt und sich seitdem nicht mehr in Afghanistan aufgehalten.
Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers leben nach wie vor im Iran. Der Beschwerdeführer hat keine Angehörigen in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist volljährig und ledig. Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an und spricht Dari. Er hat im Iran neun Jahre lang die Schule besucht. Er hat keine Berufsausbildung abgeschlossen, sondern als Obstverkäufer sowie als Hilfsarbeiter bzw. Tagelöhner gearbeitet.
Der Beschwerdeführer ist illegal spätestens am 25.07.2015 in das Bundesgebiet eingereist. Es halten sich keine Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich auf. Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer ist Schiit, bezeichnet sich selbst jedoch als nicht gläubig. Im Iran hat er die religiösen Zwänge aber aus gesellschaftlichen Gründen akzeptiert.
Der Beschwerdeführer fühlt sich im Islam nicht frei und möchte sich religiösen Zwängen generell nicht mehr unterordnen. Er möchte ohne schlechtes Gewissen in die Disco gehen und Alkohol trinken. In Österreich nimmt er keine religiösen Praktiken i.S.d. Islam vor, insbesondere betet oder fastet er nicht.
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich hat am 19.11.2018 bestätigt, dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist und dass ihm auf seine Anfrage hin diese Bestätigung ausgestellt wurde.
Eine atheistische bzw. apostatische Überzeugung ist nicht (wesentlicher) Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden. Ein innerer Entschluss des Beschwerdeführers, nach Rückkehr nach Afghanistan auch nach außen wahrnehmbar konkret kundzutun, er sei nicht mehr gläubig, ist nicht festzustellen. Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer atheistischen Überzeugung bzw. eines Abfalls vom islamischen Glauben einer Verfolgung nicht ausgesetzt wäre.
Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer als Rückkehrer mit westlicher Orientierung in Afghanistan einer Verfolgung nicht ausgesetzt wäre.
Weiters wird festgestellt, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara keine Verfolgung in Afghanistan droht.
Der Beschwerdeführer leidet an Epididiymitis sin, Urethritis, LUTS (Lower urinary tract symptoms), sowie an einem Harnwegsinfekt. Regelmäßige urologische Kontrollen sind durchzuführen.
Die Fortführung der derzeitigen medikamentösen Behandlung (Ciprostad Filmtabletten 250 mg Wirkstoff Ciprofloxacin 1-0-1-0; Diclovit Kapseln Wirkstoff Diclofenac 50mg Wirkstoff Heparin pro Einheit à 25.000 IU 1-0-1-0; Hirudoid Salbe 40 G lokal) ist weiterhin medizinisch indiziert.
Das Medikament mit dem Wirkstoff Ciproxin (Wirkstoff des Medikaments Ciprofloxacin) ist in Mazar-e Sharif erhältlich. 10 Tabletten à 250 mg kosten 180 AFN.
Das Medikament Voren (Wirkstoff des Medikaments Diclofenac) ist in Mazar-e Sharif erhältlich. Eine Injektion à 75mg/3ml kostet 40 AFN.
Der Wirkstoff Heparin ist in Mazar-e Sharif erhältlich. Der Preis für eine Einheit à 25.000 IU beträgt 280 AFN.
Eine ambulante Behandlung durch einen Urologen ist in Mazar-e Sharif nur in einer privaten Einrichtung verfügbar und kostet 500 AFN.
Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Mazar-e Sharif würden sohin monatliche Kosten für Medikamente in Höhe von 3.281,33 AFN anfallen. Die Kosten für den Wohnraum in Mazar-e Sharif belaufen sich auf 1.292 AFN monatlich. Die sonstigen Lebenserhaltungskosten belaufen sich in Mazar-e Sharif auf 4.445 AFN monatlich.
Insgesamt hätte der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif monatliche Ausgaben in Höhe von 9.018,33 AFN.
Der Beschwerdeführer ist als Hilfsarbeiter einzustufen und würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan AFN 5.500 monatlich verdienen. Die Differenz zwischen seinen Ausgaben und Einnahmen beliefe sich auf minus -3.518,33 AFN.
Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan könnte der Beschwerdeführer aufgrund des Umstandes, dass er aufgrund der hohen Kosten für notwendige Medikamente sowie für die extramurale Behandlung bzw. Folgeuntersuchung fast doppelt so hohe Ausgaben wie Einnahmen hätte, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Im Falle einer Verbringung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat droht diesem ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958 (in der Folge EMRK).
Zur Situation im Herkunftsland Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
Mazar-e Sharif:
Mazar-e Sharif ist die Hauptstadt der Provinz Balkh. Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst.
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen, durch den die Stadt sicher zu erreichen ist.
Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften.
Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt.
Als "verwestlicht" wahrgenommene Personen:
Berichten zufolge werden Personen von regierungsfeindlichen Kräften angegriffen, die vermeintlich Werte und/oder ein Erscheinungsbild angenommen haben, die mit westlichen Ländern in Verbindung gebracht werden, und denen deshalb unterstellt wird, die Regierung und die internationale Gemeinschaft zu unterstützen. UNHCR ist der Ansicht, dass - je nach den Umständen des Einzelfalls - für solche Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind, oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund ihrer (zugeschriebenen) politischen Überzeugung oder aufgrund anderer relevanter Gründe bestehen kann.
Dokumentierte Fälle eines gezielten Vorgehens gegen zurückkehrende Afghanen auf Grundlage einer "Verwestlichung", weil diese in Europa gereist wären oder dort gelebt hätten, westliche Ausweisdokumente in ihrem Besitz oder Ideen angenommen hätten, welche als "unafghanisch", "westlich" oder "europäisch" angesehen werden, sind spärlich. Uneinheitliche Beschreibungen aus Quellen nennen vereinzelte Berichte vermeintlicher Entführungen oder sonstige, auf Einzelne abzielende Verfolgungshandlungen, oder, dass nicht für jede Person ein Risiko besteht, aber, dass solche Handlungen vorkommen, wobei allerdings der Grad und die Verbreitung schwierig zu quantifizieren sind, oder aber, dass Verfolgung nicht spezifisch vorkomme wegen des Asylwerbens oder des Bereisens westlicher Länder.
Hazara:
Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden; andererseits gehören ethnische Hazara hauptsächlich dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten.
Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert; vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet. Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht. Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert.
So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im Allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft.
Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf; soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen.
Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer brachte zudem glaubhaft vor, als Kleinkind mit seiner Familie in den Iran gegangen zu sein und dort sein gesamtes Leben bis zu seiner Ausreise nach Europa verbracht zu haben, wohingegen er sich nicht mehr in seinem Herkunftsstaat Afghanistan aufgehalten hätte, in welchem er auch über keine verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte verfüge.
Die Feststellungen betreffend die Erkrankung sowie die Medikation des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem ärztlichen Befundbericht von Dr. med. XXXX , Facharzt für Urologie und Andrologie, vom 13.06.2019.
Die Feststellungen betreffend die Kosten für die vom Beschwerdeführer benötigten Medikamente in Afghanistan ergeben sich aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 18.09.2019.
Die Feststellungen betreffend die Kosten für Wohnraum und sonstige Lebenserhaltungskosten in Mazar-e Sharif ergeben sich aus dem Gutachten von Mag. XXXX .
Die Feststellung betreffend den Verdienst des Beschwerdeführers in Höhe von 5.500 AFN monatlich im Falle seiner Rückkehr ergeben sich daraus, dass er aufgrund seines Vorbringens, er habe keine Berufsausbildung absolviert und im Iran als Tagelöhner gearbeitet, als Hilfsarbeiter einzustufen ist. Aus dem Fact Finding Mission Report Afghanistan von April 2018 geht hervor, dass der Tageslohn für Hilfsarbeiter ca. 300 AFN beträgt, sohin 5.500 AFN monatlich (300x220/12). Die Berechnung basiert auf der Annahme des Monats Februar bzw. von 220 Arbeitstagen im Jahr. Hinsichtlich der Medikamentenkosten wurde bei den Medikamentenpreisen von Ciproxin und Voren der Einzeltablettenpreis errechnet, der Stückpreis mit der Häufigkeit der Einnahme multipliziert. Dabei wurde beim Wirkstoff Diclofenac die unterschiedliche Dosierung berücksichtigt, indem bei der Häufigkeit vier Drittel angenommen wurden. Beim Ankauf von Heparin und bei der ambulanten urologischen Untersuchung wurde von einer Häufigkeit von einem Mal im Monat ausgegangen.
Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan grundlegende Lebensbedürfnisse nicht befriedigen könnte, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der hohen Kosten für notwendige Medikamente sowie für die extramurale Behandlung und Folgeuntersuchung fast doppelt so hohe Ausgaben wie Einnahmen hätte.
Zum behaupteten Nachfluchtgrund der Apostasie/Atheismus:
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren vor der belangten Behörde vor, dass er kein Interesse mehr am Islam habe und nicht mehr gläubig sei. Zu diesem Vorbringen wurde der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausführlich einvernommen. Sein diesbezügliches Vorbringen blieb jedoch vage und allgemein gehalten und zog sich der Beschwerdeführer insgesamt auf knappe Floskeln zurück, ohne überzeugend darzulegen, tatsächlich seine Religionszugehörigkeit aus ideellen Gründen und einer starken inneren Überzeugung aufgegeben und abgelegt zu haben. Der Beschwerdeführer konnte insbesondere nicht überzeugend und substantiiert dartun, aus welchen Gründen er den Islam überhaupt ablehnt und konnte er keinen konkreten Anlass für den vorgebrachten Abfall vom Islam nennen. Er führte lediglich unsubstantiiert aus, dass er viele Fehler im Islam bemerkt habe. Ebenso wenig konnte der Beschwerdeführer überzeugend darlegen, dass sein Austritt aus der IGGÖ eine Folge seiner intensiven und kritischen Auseinandersetzung mit dem Islam ist, infolge derer er dem Islam aus innerer Überzeugung derart kritisch gegenübersteht, dass ein Austritt unvermeidbar gewesen wäre. Vielmehr brachte der Beschwerdeführer vor, dass er zufällig einen Freund getroffen habe, welcher ihm gesagt habe, "dass es ein Amt gibt, wo man hingehen kann und sich abmelden kann." Sein besonderes Interesse an diesem formalen Schritt konnte der Beschwerdeführer nicht näher dartun.
Dass bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan eine islamkritische innere Einstellung nach außen in Erscheinung treten würden, hat sich auf Basis der Aussagen des Beschwerdeführers im Verfahren nicht ergeben. Befragt, ob bzw. wem der Beschwerdeführer von seinem Glaubensabfall berichtet habe, gab er an, dass er seinen Geschwistern, nicht jedoch seinen Eltern davon erzählt habe, da seine Geschwister dies besser verstehen würden. Auch habe er es Freunden in Österreich erzählt, welche selbst nicht gläubig seien.
Die Aussage, er habe den Glaubensabfall seinen Geschwistern erzählt, ist nicht glaubwürdig, da der Beschwerdeführer aufgrund seiner eigenen Angaben verhindern möchte, dass seine Eltern vom Glaubensabfall erfahren, um nicht verstoßen zu werden. Will er dies wirklich verhindern, so kann er vom Glaubensabfall auch nicht seinen Geschwistern erzählen, da diese mit den Eltern unter einem Dach leben und vom Glaubensabfall früher oder später erfahren würden. Die Verwendung eines arabischen Wortes zur Beschreibung der Ungläubigkeit wird daher ebenso als Grund gesehen, dass der Beschwerdeführer sich nicht einmal in der eigenen Sprache mit dem Glaubensabfall identifiziert. Somit hat er den Geschwistern aus Sicht des erkennenden Richters auch nicht vom Glaubensabfall erzählt, da es bei ihm zu keinem Glaubensabfall gekommen ist.
Es fällt sohin auf, dass der Beschwerdeführer sohin nur einem eingeschränkten Personenkreis, nämlich Personen in Österreich, davon erzählt haben will. Mangels entsprechender Zeugenanträge wurde dies nicht unter Beweis gestellt, und war ebenso nicht glaubhaft. Aber selbst wenn er von einem Glaubensabfall berichtet haben sollte - was für den erkennenden Richter nicht glaubhaft ist -, war aufgrund des Hintergrundwissens des Beschwerdeführers, dass diese auch nicht religiös sind, kein Grund gegeben zurückhaltend zu sein. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sein diesbezügliches Verhalten in Afghanistan ändern würde und dort beginnen würde, gläubigen und praktizierenden Muslimen gegenüber von einem vermeintlichen Glaubensabfall zu berichten, geschweige denn diese von seiner Ansicht der Vorteile eines Glaubensabfalls zu überzeugen. Es ist deshalb auch nicht davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan in das Blickfeld der Behörden oder radikaler Muslime geraten würde.
Wenn der Beschwerdeführer die Zwänge des Islam ablehnt und ohne schlechtes Gewissen Alkohol trinken und in die Disco gehen möchte, ist dem zu entgegnen, dass nicht jede Änderung der Lebensführung während des Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrechterhalten werden könnte, dazu führt, dass deshalb internationaler Schutz gewährt werden muss.
Davon, dass der Beschwerdeführer aus besonderen Gründen ideeller Überzeugung seine Religionszugehörigkeit gezielt aufgegeben und abgelegt hätte und eine atheistische Überzeugung verinnerlicht hat, ist in einer Gesamtschau nicht auszugehen. Beim Beschwerdeführer handelt es sich vielmehr um eine Person, die ihre Religion derzeit nicht praktiziert und Religion gegenüber allgemein desinteressiert eingestellt ist, wenngleich das für den Beschwerdeführer - abseits des Beschwerdeverfahrens - keine übermäßige Bedeutung hat. Soweit Atheismus in der Beschwerde synonym für Apostasie verwendet wird, wird ausgeführt, dass sein Atheismus keineswegs bereits tief im Beschwerdeführer verwurzelt und Bestandteil seiner Identität geworden ist. Zudem ist er definitionsgemäß kein Atheist, da er sich selbst noch als Schiit bezeichnet und somit Religionen oder Gott nicht schlichtweg ablehnt. Im Falle einer Rückkehr in die Großstadt Mazar-e Sharif in Afghanistan wäre der Beschwerdeführer zu einer Änderung seines Sozialverhaltens nicht gezwungen.
Es war daher bereits auf Basis der Angaben des Beschwerdeführers nicht davon auszugehen, dass eine apostatische Überzeugung (wesentlicher) Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Am 19.11.2018 ließ sich der Beschwerdeführer seitens der IGGÖ bestätigen, dass er kein Mitglied ist und brachte die Bestätigung in Vorlage. Bei dieser Bestätigung in deutscher Sprache handelt es sich nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts aber nicht um ein - gerade auch in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan - öffentliches Bekenntnis, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr zum Islam bekennt, sondern sagt das Schreiben lediglich aus, dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der IGGÖ ist. Dass die IGGÖ derartige Informationen an Personen oder den Herkunftsstaat weitergegeben hätte bzw. weitergibt, wurde weder vorgebracht noch ist dies im Verfahren sonst hervorgekommen. Im Übrigen ist notorisch, dass jede Person, die nicht beim IGGÖ registriert war, ein solches Schreiben erhält und der IGGÖ solche Schreiben ausstellt, aber vertraulich behandelt (vgl. dazu aus ausführlich bereits BVwG 11.05.2018, W253 2194379-1). In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass es sich hier um sensible Daten handelt.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara keiner Gefahr einer Verfolgung im Herkunftsstaat unterliegt, beruht einerseits darauf, dass der Beschwerdeführer eine solche Bedrohung im Verfahren nicht substantiiert behauptet hat, sowie andererseits auf den Feststellungen über die Situation der Volksgruppe der Hazara im Herkunftsstaat. Dazu ist auch auf das aktuelle Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 05.07.2016, 29.094/09) zu verweisen, das insbesondere feststellt, dass auch die Angehörigkeit zur Minderheit der Hazara nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (in diesem Sinne auch die Revisionszurückweisungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 10.08.2017, Ra 2017/20/0041, vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0377-6, sowie vom 30.01.2018, Ra 2017/20/0406).
Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seines Aufenthaltes in Europa und der darauffolgenden Rückkehr nach Afghanistan keine konkret gegen ihn gerichtete physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht, ergibt sich aus dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgericht zu Afghanistan, den in das Verfahren eingebrachten Länderfeststellungen und dem diesbezüglichen äußerst vage gehaltenen Vorbringen des Beschwerdeführers, mit dem er keine hinreichend substantiierte dahingehende Bedrohung seiner Person im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgezeigt hat. Allein aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in Österreich Alkohol trinkt und mit Frauen tanzen geht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgungsgefahr drohen würde.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat ergeben sich aufgrund des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Gesamtaktualisierung am 29.06.2018) dem EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 und der UNHCR-RL vom 30.08.2018.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides
Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht gemäß § 3 AsylG 1991 setzt positiv getroffene Feststellungen von Seiten der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 11.06.1997, Zl. 95/01/0627). Im Asylverfahren stellt das Vorbringen des Asylwerbers die zentrale Entscheidungsgrundlage dar. Dabei genügen aber nicht bloße Behauptungen, sondern bedarf es, um eine Anerkennung als Flüchtling zu erwirken, hierfür einer entsprechenden Glaubhaftmachung durch den Asylwerber (vgl. VwGH 04.11.1992, Zl. 92/01/0560). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.03.1999, 98/20/0559).
So erscheint es im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht unschlüssig, wenn den ersten Angaben, die ein Asylwerber nach seiner Ankunft in Österreich macht, gegenüber späteren Steigerungen erhöhte Bedeutung beigemessen wird (vgl. VwGH 08.07.1993, Zl. 92/01/1000; VwGH 30.11.1992, Zl. 92/01/0832; VwGH 20.05.1992, Zl. 92/01/0407; VwGH 19.09.1990, Zl. 90/01/0133). Der Umstand, dass ein Asylwerber bei der Erstbefragung gravierende Angriffe gegen seine Person unerwähnt gelassen hat (hier Schläge, Ziehen an den Haaren, Begießen mit kaltem Wasser) spricht gegen seine Glaubwürdigkeit (VwGH 16.09.1992, Zl. 92/01/0181). Die gilt umso mehr für Widersprüche (vgl. zur Erstbefragung nach § 19 Abs. 1 AsylG 2005 auch VwGH 02.01.2017, Zl. Ra 2016/18/0323, Rz 8). Auch unbestrittene Divergenzen zwischen den Angaben eines Asylwerbers bei seiner niederschriftlichen Vernehmung und dem Inhalt seines schriftlichen Asylantrages sind bei schlüssigen Argumenten der Behörde, gegen die in der Beschwerde nichts Entscheidendes vorgebracht wird, geeignet, dem Vorbringen des Asylwerbers die Glaubwürdigkeit zu versagen (Vgl. VwGH 21.06.1994, Zl. 94/20/0140). Eine Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema (vgl. VwGH 30.09.2004, Zl. 2001/20/0006, zum Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs) bzw. Widersprüche in nicht maßgeblichen Detailaspekten (vgl. VwGH vom 23.01.1997, Zl. 95/20/0303 zu Widersprüchen bei einer mehr als vier Jahre nach der Flucht erfolgten Einvernahme hinsichtlich der Aufenthaltsdauer des BFs in seinem Heimatdorf nach seiner Haftentlassung) können für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten (vgl. dazu auch VwGH 26.11.2003, Zl. 2001/20/0457). Auch oberflächlich und allgemein gehaltene Angaben, welche jeden konkreten, (insbesondere zeitlich) nachprüfbaren Anhaltspunkt vermeiden, und die trotz mehrfacher Aufforderungen, Details zu schildern, erfolgen, sind grundsätzlich geeignet, in einer schlüssigen Begründung zur Verneinung der Glaubwürdigkeit dieser Angaben betreffend eine drohende individuelle Verfolgung herangezogen zu werden (vgl. etwa VwGH 26.06.1996, Zl. 95/20/0205).
Die amtswegigen Ermittlungspflichten im Asylverfahren sind im § 18 Abs. 1 AsylG 2005 geregelt, der inhaltlich nahezu wortgleich der Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997 entspricht. Der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 Abs. AsylG 1997 folgend stellt diese Gesetzesstelle eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht (vgl. VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). Grundsätzlich obliegt es dem Asylwerber, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2001/20/0041; VwGH 23.07.1999, Zl. 98/20/0464). Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 28 AsylG 1997 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (Vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222). Die Ermittlungspflicht der Behörde geht auch nicht soweit, den Asylwerber zu erfolgversprechenden Argumenten und Vorbringen anzuleiten (vgl. VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599)
Im gegenständlichen Fall sind nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes die dargestellten Voraussetzungen, nämlich eine "begründete Furcht vor Verfolgung" im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK, nicht gegeben.
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt, kommt dem Vorbringen des Beschwerdeführers, er wäre im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Abfalls vom Islam bzw. einer atheistischen Einstellung asylrelevanter Verfolgungsgefahr ausgesetzt, keine Glaubhaftigkeit zu. Dem Beschwerdeführer ist es deshalb insoweit insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen. Im Sinne der EGMR Judikatur vom 05.11.2019, A.A. gegen Schweiz, ist der Beschwerdeführer zu einer Änderung seines Sozialverhaltens auch nicht gezwungen, wie in der Beweiswürdigung bereits ausgeführt wurde. Zudem handelt es sich hier um eine andere Sachlage als in der EGMR Entscheidung, da es hier nicht um eine Konversion geht.
Wie in der Beweiswürdigung dargelegt, bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich ca. vier Jahre in Österreich aufgehalten hat, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wegen der von ihm angegebenen "Verwestlichung" seines Lebensstils psychischer und/oder physischer Gewalt oder anderen erheblichen Eingriffen ausgesetzt wäre. Das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers blieb völlig vage.
Es ist nicht anzunehmen, dass bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan vermutet werden könnte, er hätte aufgrund seines Aufenthalts im Ausland, insbesondere in Europa, gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte verstoßen. Anhand dieser Ausführungen kann nicht erkannt werden, dass ihm aufgrund einer "Verwestlichung" eine konkrete Verfolgungsgefahr in Afghanistan drohen würde.
Aus den vorhandenen Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen ist nicht ableitbar, dass alleine eine westliche Geisteshaltung bei Männern bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslösen würde; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN).
Dass der in Beschwerdeführer den Traditionen und Sitten in einem muslimisch geprägten Land aufgrund seines vierjährigen Aufenthalts in Österreich entfremdet wäre oder im Falle seiner Rückkehr als "verwestlicht" erkannt werden würde, konnte somit nicht plausibel dargetan werden.
Im Ergebnis lässt das individuelle Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ansatzweise erkennen, welche - als "westlich" erachteten - Verhaltensweisen er sich angeeignet hätte, die für ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein solch wesentlicher Bestandteil seiner Identität geworden wären, dass es für ihn eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken. Der gegenständliche Sachverhalt ist daher nicht mit den in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum "selbstbestimmten westlichen Lebensstil" von Frauen behandelten Fällen vergleichbar (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018; 15.12.2015, Ra 2014/18/0118 und 0119; 15.12.2016, Ra 2016/18/0329).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im vorliegenden Fall Eingriffe von asylrelevanter Intensität wegen des behaupteten "westlichen Lebensstils" des Beschwerdeführers bei einer hypothetischen Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wären.
Dass ein Angehöriger der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazara im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, alleine wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffs von erheblicher Intensität ausgesetzt zu sein, kann das Bundesverwaltungsgericht nicht finden:
Den oben zitierten Länderberichten ist u.a. zwar zu entnehmen, dass Schiiten - speziell jene, die der Volksgruppe der Hazara angehören - Diskriminierungen durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt sind und sich Diskriminierungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara in Zwangsrekrutierungen, Zwangsarbeit, Festnahmen, physischem Missbrauch oder illegaler Besteuerung äußern würden. In einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials erreicht diese Gefährdung nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedoch gegenwärtig nicht ein Ausmaß, das die Annahme rechtfertigen würde, dass in Afghanistan lebende schiitische Hazara wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen und religiösen Minderheit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine asylrelevante Verfolgung zu befürchten hätten, zumal die Gefährdung dieser Minderheit angesichts der in den Länderberichten dokumentierten allgemeinen Gefährdungslage in Afghanistan, die in vielen Regionen für alle Bevölkerungsgruppen ein erhebliches Gefahrenpotential mit sich bringt, (derzeit) nicht jenes zusätzliche Ausmaß erreicht, welches notwendig wäre, um eine spezifische Gruppenverfolgung der Hazara anzunehmen. Eine Gruppenverfolgung ist auch nicht daraus ableitbar, dass Hazara allenfalls Opfer krimineller Aktivitäten werden oder schwierigen Lebensbedingungen ausgesetzt sind.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass die Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara - unbeschadet der schlechten Situation für diese Minderheit - nicht dazu führt, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde (EGMR 05.07.2016, 29.094/09, A.M./Niederlande; vgl. zuletzt auch VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0377-6).
Da eine Gruppenverfolgung - in Hinblick auf die Volksgruppenzugehörigkeit - von Hazara in Afghanistan nicht gegeben ist und der Beschwerdeführer diesbezüglich auch keine individuelle Bedrohung dargetan hat, lässt sich aus diesem Vorbringen eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ableiten.
Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides
Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 AsylG 2005) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Antrag auf interanationalen Schutz auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.
Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage scheint eine Rückkehr nach Afghanistan im Hinblick auf die regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Was die Sicherheitslage betrifft, wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Länderfeststellungen zwar nicht verkannt, dass die Situation (auch) in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über die Hauptstadt Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktszentren hat. Darüber hinaus ist Mazar-e Sharif über den Luftweg aufgrund des vorhandenen Flughafens eine sicher erreichbare Stadt.
Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Anschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist auszuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass die Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat automatisch gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die verzeichneten Anschläge ereignen sich hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Die genannten Gefährdungsquellen sind in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend sicher zu bewerten ist.
Auch wenn die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, so ist die Versorgung der afghanischen Bevölkerung in diesen Städten dennoch zumindest grundlegend gesichert.
Laut den Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).
Hierzu ist auszuführen, dass es sich beim Beschwerdeführer zwar um einen alleinstehenden, jungen Mann handelt, der grundsätzlich in einem erwerbsfähigen Alter ist. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren ergab jedoch, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Mazar-e Sharif aufgrund der hohen Kosten für notwendige Medikamente sowie für die extramurale Behandlung bzw. Folgeuntersuchung fast doppelt so hohe Ausgaben wie Einnahmen hätte und er dadurch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen könnte, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Aufgrund der das Einkommen übersteigenden Kosten ist von einer individuellen Unzumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Es kann bei ihm daher vernünftigerweise nicht erwartet werden, dass er sich dort niederlassen kann.
Unter Berücksichtigung der dargelegten allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und der - insbesondere unter dem Aspekt seiner Erkrankung sowie eines mangelnden familiären bzw. sozialen Netzwerks in Afghanistan - aufgezeigten persönlichen Umstände des Einzelfalls des Beschwerdeführers erscheint es insgesamt nicht möglich, dass der Beschwerdeführer in Mazar-e Sharif Fuß fasst und dort ein Leben ohne unbillige Härten führen kann, wie es auch andere Landsleute führen (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001). Auch eine drohende Verletzung seiner Rechte unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Überlegungen ist zu bejahen, da der Beschwerdeführer aufgrund einer Zurückführung in eine ausweglose Situation geraten würde.
Dem Beschwerdeführer würde daher vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der ihn betreffenden individuellen, exzeptionellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht zumutbar ist. Es ist damit dargetan, dass seine Abschiebung eine Verletzung in seinen Rechten nach Art 3 EMRK darstellen würde.
Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG) und der Beschwerdeführer andererseits unbescholten ist (Z 3).
Daher war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
Zu Spruchpunkt A)
III. - Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung
Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.
Im gegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
Daher ist dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 4 AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer eines Jahres zu erteilen.
Zu Spruchpunkt A)
IV. - Ersatzlose Behebung der Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides:
Im gegenständlichen Fall ist dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise somit nicht mehr vorliegen, sind die Spruchpunkte III und IV. des angefochtenen Bescheides ersatzlos zu beheben (vgl. dazu auch VfGH 13.9.2013, U 370/2012; VwGH 4.8.2016, Ra 2016/21/0162).
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
alleinstehend, Apostasie, befristete Aufenthaltsberechtigung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W228.2205727.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.03.2020