TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/25 W136 2199228-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2019
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Entscheidungsdatum

25.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2199228-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, Zl. 1101162704-160028541, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.10.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 07.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab er zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er nicht mit den Taliban arbeiten bzw. kämpfen habe wollen und deswegen mit dem Umbringen bedroht worden sei. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen teilte er mit, dass er vor den Taliban Angst habe. Konkrete Hinweise auf eine ihm in der Heimat drohende unmenschliche Behandlung oder Strafe bzw. die Todesstrafe verneinte er.

Am 15.02.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Dabei bestätigte er zunächst, dass er im Zuge der Erstbefragung, der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht, dass es aber keine Rückübersetzung gegeben habe. Nach seinem damals vorgebrachten Fluchtgrund befragt, teilte er mit, dass er von den Taliban bedroht worden und deshalb geflüchtet sei. Nach einer nochmaligen Rückübersetzung des Fluchtgrunds und der Rückkehrgefährdung, bestätigte er, dass er vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes seine gesamten Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes angegeben habe. Weiters bestätigte er, dass er die Dolmetscherin einwandfrei verstehen würde. Ferner brachte er vor, dass er für die Regierung gearbeitet habe und zwei Jahre Zivilpolizist gewesen sei. In der Folge hätten die Taliban ihnen ihr Haus weggenommen. Den Entschluss zur Ausreise habe er gefasst, wie er als Polizist von den Taliban bedroht worden sei. Er sei nicht vorbestraft, aber inhaftiert gewesen, da er Probleme mit den Behörden gehabt habe. Es würde aktuell staatliche Fahndungsmaßnahmen gegen ihn geben und er hätte an bewaffneten bzw. gewalttätigen Auseinandersetzungen in der Heimat teilgenommen. Zu seinen Fluchtgründen führte er im Wesentlichen aus, dass die Taliban ihn bedroht und seinen Bruder entführt hätten. Nach ein oder zwei Monaten sei er von der Regierung bzw. vom Kommandanten ihres Dorfes für vier oder fünf Tage inhaftiert worden. Dieser hätte ihm gesagt, dass sein Bruder entführt und der Kommandant selbst informiert worden sei, dass er mit ihnen (den Taliban) zusammenarbeitet. Daraufhin seien die Ältesten und Mullahs des Dorfes zum Kommandanten gegangen und hätten diesen gebeten, den Beschwerdeführer freizulassen, weil er mit der Sache nichts zu tun hätte. Er habe für die Regierung gearbeitet und sei danach von den Taliban bedroht worden. Die Regierung habe ihn inhaftiert und die ganze Zeit verprügelt, sodass er sehr schwere Verletzungen erlitten habe. Bei einer Rückkehr hätte er sowohl vor der afghanischen Regierung Angst, da diese ihm eine Zusammenarbeit mit den Taliban vorwerfen könnte, als auch vor den Taliban. Sie würden ihn finden, egal wo er sich in Afghanistan aufhalten würde. Dies bestätigte er auch auf Nachfrage nach seinen Rückkehrbefürchtungen nochmals. Nach einer persönlichen Bedrohung oder Verfolgung gefragt, berichtete er, dass er nur von den Taliban mit dem Tod bedroht worden sei, falls er nicht mit ihnen zusammenarbeiten sollte. Zur näheren Schilderung aufgefordert, gab er an, dass er angerufen und am Telefon bedroht worden sei. Als Zivilpolizist hätte er Behördeninformationen weitergeben und sich ihnen anschließen sollen. Wie er dies verneint habe, hätten sie ihn mit dem Tod bedroht. Zu den Drohungen seitens der Taliban sei es Ende des Sommers XXXX gekommen. Danach sei er festgenommen worden. Rund zwei oder drei Monate nach den Drohungen hätten die Taliban seinen Bruder mitgenommen. Daraufhin habe die Regierung ihn verdächtigt, mit den Extremisten zusammenzuarbeiten und er sei vier bis fünf Tage inhaftiert gewesen. Insgesamt sei er drei- oder viermal von den Taliban bedroht worden. Da er auch von der Regierung verdächtigt worden sei, habe er dort nicht mehr leben können. Jeder, den er getroffen hat, habe ihn gefragt, warum er noch lebt. Befragt, wann die anderen Bedrohungen der Taliban gewesen seien, teilte er mit, dass sie ihn angerufen und gedroht hätten, dass er keine andere Wahl hätte. Da er für die Regierung arbeiten würde, müsste er mit ihnen zusammenarbeiten. Die Taliban könnten eine Person überall finden. Zu den telefonischen Drohungen sei es alle ein bis zwei Wochen gekommen. Zur ersten Bedrohung sei es zehn Tage nach der Entführung seines Bruders gekommen. Verhaftet sei er dann zwei bis drei Monate später worden. Auf die Frage, wann er nach seiner Freilassung ausgereist sei, erklärte er, dass er noch zehn bis fünfzehn Tage im Dorf geblieben sei, um sich behandeln zu lassen. Seine Hand sei gebrochen gewesen. Anschließend habe er das Dorf verlassen. Nach dem Vorfall mit der Regierung hätten ihn die Taliban nicht mehr bedroht; auch in den zehn bis fünfzehn Tagen nicht. Einen persönlichen Kontakt zu den Extremisten habe er nicht gehabt. Nach dem Grund für staatliche Fahndungsmaßnahmen ihm gegenüber gefragt, antwortete er, dass sein Bruder entführt und dass er der Zusammenarbeit mit den Taliban verdächtigt worden sei. Bezüglich seiner Freilassung erklärte er, dass die Polizei ihn nicht freigelassen hätte, wenn nicht die Ältesten und Mullahs gekommen wären. Sein Bruder sei immer noch nicht bei der Familie. Über dessen Verbleib könne er keine Auskunft geben. Er habe dem Kommandanten davon berichtet, der ihm jedoch nicht geglaubt habe. Stattdessen habe dieser ihn verdächtigt, damit etwas zu tun zu haben. Befragt, verneinte er, dass die Taliban Lösegeld gefordert hätten. Sie hätten nur seine Zusammenarbeit gewollt. Dass diese seinen Bruder dann freilassen würden, hätten sie ihm nicht gesagt.

Anlässlich der Einvernahme wurde vom Beschwerdeführer ein Schreiben ohne Datum an die Sicherheitsdirektion des Distrikts Pashtunkot, in welchem seine Schwierigkeiten als Soldat mit den bewaffneten Antiregierungskräften beschrieben und um Bestätigung dieses Sachverhalts für die österreichischen Behörden ersucht wird, ein Schreiben bzw. E-Mail des zuständigen Distrikthauptmanns an die Dorfältesten, Dorfvertreter bzw. den Imam, worin diese ersucht werden, die Drohungen der Taliban gegen XXXX zu bestätigen, und schließlich ein Antwortschreiben an den Distrikthauptmann, in welchem die näher genannten Personen diese Bedrohung ("[...] dass er wegen seiner Tätigkeit von den Antiregierungskräften so oft mit dem Tod bedroht wurde, dass er schließlich seine Tätigkeit verlassen und ins Land Österreich floh. [...]") bestätigen.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.05.2018, persönlich zugestellt am 25.05.2018, wurde der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, stellte die Identität des Beschwerdeführers nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass durch die Vorlage von zwei afghanischen Dokumenten nachvollzogen werden könnte, dass er in XXXX als "Nationalsoldat" (Zivilpolizist) gedient und dass eine Bedrohung durch Antiregierungskräfte bestanden habe. Durch das Schreiben der afghanischen Sicherheitsbehörde sei zudem erkenntlich, dass er keiner Verfolgung oder Bedrohung durch die Regierung ausgesetzt (gewesen) sei. Er sei weder vorbestraft, noch würde gegen ihn ein Festnahme- oder Fahndungsauftrag in Afghanistan bestehen. Die Behörde würde daher zum Schluss kommen, dass er keiner Bedrohung oder Verfolgung durch staatliche Institutionen in seiner Heimat ausgesetzt sei. Obwohl die Behörde zur Folgerung gelangen würde, dass sein widerspruchsfreies Vorbringen so stattgefunden haben könnte, könnte eine Verfolgung oder Bedrohung durch die Regierung nicht nachvollzogen werden. Immerhin sei er als Hilfspolizist tätig gewesen und aufgrund seiner Unschuld wieder freigelassen worden. Weiters sei nicht nachvollziehbar, dass er sich aufgrund der Bedrohung durch die Taliban nicht in einer anderen Provinz niedergelassen und eine neue Lebensexistenz errichtet habe. Schließlich habe er politische Aktivitäten, die Mitgliedschaft bei einer politischen Partei und Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit verneint und seien aus seinen übrigen Ausführungen etwaige Verfolgungsszenarien auch nicht ansatzweise erkennbar gewesen. Davon abgesehen sei davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten würde, zumal es sich bei ihm um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung handeln würde und familiäre Anknüpfungspunkte vorhanden seien bzw. eine Grundversorgung in Kabul gewährleistet sei.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 18.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnen Betreuung als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht eine Beschwerde erhoben, welche am 18.06.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde im Zuge einer Wiederholung des Sachverhalts bzw. seines bisherigen Fluchtvorbringens im Wesentlichen ausgeführt, dass er zwei Jahre Zivilpolizist gewesen und Ende Sommer XXXX von den Taliban aufgefordert worden sei, Behördeninformationen weiterzugeben und sich den Extremisten anzuschließen. Da er deren Forderungen nicht nachgekommen sei, sei er mit dem Tod bedroht worden und zwei bis drei Monate nach den Drohungen sei sein Bruder von den Taliban mitgenommen worden. Nachdem er von der Regierung einer Zusammenarbeit mit den Taliban verdächtigt, inhaftiert und dabei verprügelt worden sei, sei er nach seiner Freilassung noch rund zehn bis fünfzehn Tage in seinem Dorf geblieben, um sich behandeln zu lassen. Die Behörde habe seine Fluchtgründe als nachvollziehbar und glaubwürdig angesehen und auch die Verfolgung durch die Taliban nicht in Abrede gestellt. Insoweit sie nicht feststellen habe können, dass er nach wie vor von der Regierung verfolgt würde, habe sie missachtet, dass die gegen ihn gerichtete Bedrohung an dem in der GFK enthaltenen Grund der politischen Gesinnung anknüpfen würde. Er habe nämlich einerseits für die Regierung gearbeitet, was an sich schon den Verhaltensvorstellungen der Taliban widersprechen würde, andererseits habe er die Zusammenarbeit mit den Taliban ausdrücklich abgelehnt. Es sei daher nicht auszuschließen, dass die Taliban darin eine religiöse oppositionelle Gesinnung erblicken und ihn aus diesem Grund verfolgen bzw. als Feind betrachten. Insofern habe er mit erheblicher Wahrscheinlichkeit mit Bedrohung und Verfolgung von Seiten der Taliban und anderen regierungsfeindlichen Kräften zu rechnen. Da sich die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte nicht ausschließlich auf seine Heimatprovinz beschränken würden, würde eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht bestehen. Obwohl er durch die Intervention des Mullahs und der Dorfältesten freigelassen worden sei, sei die Gefahr einer neuerlichen Festnahme nicht gebannt. Schließlich würde ihn die Rückkehrentscheidung in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzen.

Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 26.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit Schreiben vom 11.09.2019 wurden der Beschwerdeführer und das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019 geladen.

Am 14.10.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari mit der beschwerdeführenden Partei und deren Vertretung eine mündliche Verhandlung durch, bei der die beschwerdeführende Partei im Detail zu ihren Fluchtgründen befragt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz vom 07.01.2016, der Einvernahmen des Beschwerdeführers durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 14.10.2019, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens und gehört der Volksgruppe der Usbeken an. Seine Identität steht nicht fest; er trägt den im Spruch genannten Namen. Er stammt aus XXXX . Seine Muttersprache ist Dari und er spricht noch Usbekisch sowie ein wenig Farsi und Türkisch.

Er ist ledig, kinderlos sowie arbeitsfähig und leidet an keinen schweren bzw. lebensbedrohlichen Erkrankungen. In seiner Heimat leben zumindest noch seine Eltern sowie ein Bruder und eine verheiratete Schwester. Weiters leben zwei Brüder im Iran und ein Bruder in der Türkei. Auch wenn aktuell kein regelmäßiger Kontakt besteht, ist es nicht völlig auszuschließen, dass er im Rahmen seiner Rückkehr zu seinen Verwandten wieder Kontakt erhalten und schließlich Unterstützung finden wird. Ebenso ist es nicht völlig undenkbar, dass er auch von seinen Angehörigen im Iran bzw. in der Türkei unterstützt werden könnte.

Es ist - aufgrund der Erfahrungen aus zahlreichen Einvernahmen von afghanischen Staatsbürgern - eine gerichtsnotorische Tatsache, dass afghanische Familien wegen der schwachen staatlichen Sozialstrukturen in der Regel mehrere Kinder haben und enge Beziehungen zu ihrer erweiterten Großfamilie pflegen auf deren Netzwerk sie auch angewiesen sind.

Der Beschwerdeführer kann auf das soziale Netzwerk seiner Familie vor Ort und auf die Unterstützung der Großfamilie (Onkel/Tanten und deren Nachkommen in der Heimatprovinz) bzw. seiner Freunde zurückgreifen, die ihn aufgrund der modernen Kommunikationsmittel und des Bankwesens finanziell und mit ihren Kontakten auch aus der Ferne unterstützen können.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine verwandtschaftlichen oder sozialen Anknüpfungspunkte. Er ist nicht berufstätig, lebt von der Grundversorgung und verfügt lediglich über einfache Deutschkenntnisse. Sein Freundeskreis besteht hauptsächlich aus Personen mit Migrationshintergrund bzw. erst kurzzeitigen Freundschaften.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan Verfolgung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf Grund seiner ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bzw. wegen seiner politischen Gesinnung durch den afghanischen Staat bzw. durch den jeweiligen Machthaber (insbesondere durch die Taliban) im Herkunftsgebiet droht.

Im Falle einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht in eine existenzbedrohende Notlage geraten.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29. Juni 2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wird auszugsweise wie folgt angeführt:

Allgemeine Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil. Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen.

Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen.

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF; diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu.

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen. Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder.

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten.

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant.

Balkh

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf

1.382.155 geschätzt. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana (Provinzhauptstadt Faryab) und Pul-e-Khumri (Provinzhauptstadt Baghlan); sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur. Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren.

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans, sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan. Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte.

Im Zeitraum 11. Jänner 2017 bis 30. April 2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016.

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen. Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen. Im Zeitraum 1. Jänner 2017 bis 15. Juli 2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16. Juli 2017 bis 31. Jänner 2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert.

Faryab

Die Provinz Faryab grenzt im Westen und Norden an Turkmenistan, im Osten an Jawzjan und Sar-e Pul, im Süden an Ghor und im Südwesten an Badghis und liegt im Nordwesten Afghanistans (UNOCHA 4.2014). Die Provinzhauptstadt ist Maimana. Die Provinz umfasst die folgenden Distrikte: Almar, Andkhoy, Bilchiragh, Dawlat Abad, Gurziwan, Khani Charbagh, Khwaja Sabz Posh-i Wali, Kohistan, Maimana, Pashtun Kot, Qaram Qul, Qaisar, Qurghan, Shirin Tagab (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die Zugehörigkeit des Distrikts Ghormach ist umstritten: Während UNODC den Distrikt seit 2017 als Teil von Faryab führt (UNODC/MCN 11.2018), wurde im August 2018 berichtet, dass die Verwaltungsangelegenheiten von Ghormach aus Sicherheitsgründen zurück nach Badghis transferiert würden (FRP 28.8.2018). Auch für die Bevölkerungsschätzungen der CSO und die Parlamentswahlen wurde Ghormach Badghis zugeschrieben (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die CSO schätzt die Bevölkerung von Faryab für den Zeitraum 2019-20 auf 1.089.228 Personen (CSO 2019). Zusammen mit Sar-e Pul ist Faryab eine der beiden Provinzen mit usbekischer Mehrheit in Afghanistan. Darüber hinaus leben in der Provinz Tadschiken/Aimaqs, Paschtunen, Hazara, Moghol und andere kleinere Ethnien (AAN 17.3.2017; vgl. PAJ o. D.).

Ein Teil der Ring Road führt durch Faryab und verbindet die Provinz mit der Nachbarprovinz Jawzjan und schließlich Mazar-e Sharif in Balkh (TD 5.12.2017). Trotz erheblicher Finanzierung seit 2005 waren im September 2017 nur rund 15% eines geplanten 233 Kilometer langen Abschnitts der Ring Road zwischen dem Distrikt Qaisar in Faryab und dem Ort Laman in Badghis fertiggestellt. SIGAR führte das Projektversagen hauptsächlich auf Sicherheitsprobleme zurück und schätzte die Aussichten auf eine zeitnahe Fertigstellung aufgrund zunehmender Unsicherheit in der Region als düster ein (SIGAR 6.2018).

Gemäß dem UNODC Opium Survey 2018 gehörte Faryab 2018 zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans - allerdings befand es sich im untersten Drittel dieser zehn größten Anbauprovinzen. Im Vergleich zu 2017 sank die Größe der Mohnanbaufläche in Faryab 2018 um 64%, obwohl UNODC Ghormach - einen Distrikt mit großen Anbauflächen - 2018 erstmals als Teil von Faryab zählte. UNODC führt den Rückgang hauptsächlich auf die Wetterbedingungen des Jahres zurück, da Faryab von einer Dürre betroffen war (UNODC/MCN 11.2018).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Im Januar 2019 wurde berichtet, dass Faryab zu den relativ volatilen Provinzen im Norden Afghanistans gehört, in denen Taliban-Kämpfer in einigen Distrikten aktiv sind und oft versuchen, Angriffe auf Regierungsinstitutionen und Sicherheitseinrichtungen durchzuführen (KP 14.1.2019). Die Gewalt nahm in der vormals friedlichen nördlichen Region in den vergangenen Jahren zu, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte gegen die Aufständischen im Süden und Osten des Landes vorgingen (XI 21.7.2019). Faryab hat strategische Bedeutung, da es die westlichen Teile Afghanistans mit dem Norden verbindet (AAN 17.3.2017).

Einem Bericht zufolge wurden die Taliban in der Provinz zunehmend erfolgreicher, nachdem sie begannen auf lokale Kämpfer zurückzugreifen. Dies ist eine Strategieänderung gegenüber ihrer Vorgehensweise vor 2001 (AAN 3.7.2015; vgl. AAN 17.3.2017). Neben lokalen Taliban-Aufständischen gibt es angeblich Kämpfer des zentralasiatischen Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) in Faryab und Jawzjan. Die UN schätzt die Truppenstärke der IMU in ganz Afghanistan auf höchstens 100 Personen, wobei die Hälfte davon Familienmitglieder der Kämpfer sein sollen (UNSC 13.6.2019).

Einem UN-Bericht zufolge gibt es eine Gruppe von rund 170 Kämpfern in der Provinz Faryab, die mit dem IS sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Im August 2018 wurde von Kämpfen zwischen Taliban und IS-Sympathisanten in den Provinzen Jawzjan und Faryab berichtet (JF 10.8.2018).

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Faryab im Verantwortungsbereich des 209. ANA Shaheen Corps (USDOD 6.2019; vgl. NYT 14.8.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Neben den regulären Regierungstruppen gibt es in Faryab eine Miliz oder "popular uprising group", welche Abdul Rashid Dostum nahe steht (NYT 4.7.2018; vgl. TN 2.7.2018).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Faryab gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA in der Provinz Faryab 646 zivile Opfer (230 Tote und 416 Verletzte). Dies entspricht einer Steigerung von 1% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Luftangriffen und nicht explodierter Munition (unexploded ordnance, UXO)/Landminen. Hinsichtlich der Anzahl an zivilen Opfern befand sich Faryab damit unter allen afghanischen Provinzen an fünfter Stelle (UNAMA 24.2.2019). Auch im ersten Halbjahr 2019 zählte UNAMA Faryab zu den Provinzen, deren zivile Bewohner vom bewaffneten Konflikt am meisten betroffen waren (UNAMA 30.7.2019).

Faryab befand sich im Jahr 2018 unter den acht Provinzen mit der höchsten Anzahl an Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte (SIGAR 30.4.2019). Auch zu Beginn des Jahres 2019 zählte Faryab zu den Provinzen mit der höchsten Konzentration an Kämpfen (BAAG 2.2019; vgl. ACLED 29.1.2019). Im April 2019 fanden dort nach Nangarhar und Ghazni die meisten Angriffe in ganz Afghanistan statt (PAJ 2.5.2019).

Berichten zufolge, standen im Herbst 2018 die meisten Distrikte von Faryab unter Taliban-Kontrolle (PAJ 28.11.2018). Die RS-Mission verzeichnete im Oktober 2018 in sieben der 14 Distrikte von Faryab Aktivitäten von Aufständischen, in einem Distrikt - Bilchiragh - wurden die Aktivitäten als "hoch" eingeschätzt. Fünf Distrikte standen unter Regierungseinfluss, zwei Distrikte - Dawlat Abad und Khwaja Sabz Posh i Wali - galten als umkämpft (SIGAR 30.1.2019). Im Juni 2019 konnten die Regierungstruppen den Distrikt Bilcheragh wieder von den Taliban zurückerobern (TN 25.6.2019). Zehn Distrikte in Faryab werden von der Provinzhauptstadt aus regiert, wobei ein Distriktgouverneur die unsichere Lage als Grund für seine Abwesenheit im Distrikt nannte (SW 24.6.2019).

Die Regierungskräfte haben ihre Luftangriffe zumindest seit Jänner 2018 intensiviert (AAN 12.3.2018). Luftangriffe der Afghan Air Force (AAF) sowie Zusammenstöße zwischen Taliban und Regierungstruppen setzten sich auch 2019 fort. Einem UN-Bericht von Februar 2019 zufolge, gehörte Faryab im Zeitraum 7.12.2018 bis 28.2.2019 zu den sechs Provinzen mit der größten Anzahl an Luftangriffen in Afghanistan. Die Winteroffensive der ANDSF fokussierte unter anderem auf Faryab (UNGASC 28.2.2019).

IDPs - Binnenvertriebene

UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 68.267 konfliktbedingt aus der Provinz Faryab vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz selbst, aber auch in den Provinzen Jawzjan, Balkh, Herat, Ghor und Kandahar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 33.789 aus der Provinz Faryab vertriebene Personen, die hauptsächlich in der Provinz blieben oder nach Balkh, Jawzjan, Kabul oder Sar-e-Pul gingen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 51.126 Vertriebene in die Provinz Faryab, die alle aus der Provinz selbst stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 22.561 Vertriebene in die Provinz Faryab, die alle aus der Provinz selbst, sowie in geringerem Ausmaß aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban, die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO Mission Resolute Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF- Operationen zurückgeführt, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurde. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht - es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US- amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld - insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friedens- Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren - dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

Kabul

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan. im Nordosten an Kapisa. im Osten an Laghman. an Nangarhar im Südosten. an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar. Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Provinz Kabul besteht aus folgenden Einheiten (Pajhwok o.D.z): Bagrami. Chaharasyab/Char Asiab. Dehsabz/Deh sabz. Estalef/Istalif. Farza. Guldara. Kabul Stadt. Kalakan. Khak-e Jabbar/Khak-i-Jabar. Mirbachakot/Mir Bacha Kot. Musayi/Mussahi. Paghman. Qarabagh. Shakardara. Surobi/Sorubi (UN OCHA 4-2014; vgl. Pajhwok o.D.z).

Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.679.648 geschätzt (CSO 4.2017).

In der Hauptstadt Kabul leben unterschiedliche Ethnien: Paschtunen. Tadschiken. Hazara. Usbeken. Turkmenen. Belutschen. Sikhs und Hindus. Ein Großteil der Bevölkerung gehört dem sunnitischen Glauben an. dennoch lebt eine Anzahl von Schiiten. Sikhs und Hindus nebeneinander in Kabul Stadt (Pajhwok o.D.z). Menschen aus unsicheren Provinzen, auf der Suche nach Sicherheit und Jobs, kommen nach Kabul - beispielsweise in die Region Shuhada-e Saliheen (LAT 26.3.2018). In der Hauptstadt Kabul existieren etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und IDPs wohnen (TG 15.3.2018).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen: den Hamid Karzai International Airport (HKIR) (Tolonews 25.2.2018; vgl. Flughafenkarte der Staatendokumentation; Kapitel 3.35). Auch soll die vierspurige "Ring Road", die Kabul mit angrenzenden Provinzen verbindet, verlängert werden (Tolonews 10.9.2017; vgl. Kapitel 3.35.).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage

Einst als relativ sicher erachtet, ist die Hauptstadt Kabul von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen (Reuters 14.3.2018), die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben (Reuters 14.3.2018; vgl. UNGASC 27.2.2018). Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen inklusive des IS versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen (Khaama Press 26.3.2018; vgl. FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018). Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte (DW 27.3.2018; vgl. VoA 19.3.2018 SCR 3.2018, FAZ 22.4.2018, AJ 30.4.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017- 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

Im gesamten Jahr 2017 wurden 1.831 zivile Opfer (479 getötete Zivilisten und 1.352 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Selbstmordanschläge, gefolgt von IEDs und gezielte Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 4% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Für Kabul-Stadt wurden insgesamt 1.612 zivile Opfer registriert; dies bedeutet eine Steigerung von 17% im Gegensatz zum Vorjahr 2016 (440 getötete Zivilisten und 1.172 Verletzte) (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan sind in Kabul zu verzeichnen.

Selbstmordangriffe und komplexe Attacken, aber auch andere Vorfallsarten, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen und Maßnahmen der afghanischen Regierung in der Provinz Kabul

Regelmäßig werden in der Hauptstadt Sicherheitsoperationen durch die Regierung in unterschiedlichen Gebieten ausgeführt (Tolonews 31.1.2018; vgl. AT 18.3.2018, RS 28.2.2018; vgl. MF 18.3.2018). Im Rahmen des neuen Sicherheitsplanes sollen außerdem Hausdurchsuchungen ausgeführt werden (MF 18.3.2018). Um die Sicherheitslage in Kabul-Stadt zu verbessern, wurden im Rahmen eines neuen Sicherheitsplanes mit dem Namen "Zarghun Belt" (der grüne Gürtel), der Mitte August 2017 bekannt gegeben wurde, mindestens 90 Kontrollpunkte in den zentralen Teilen der Stadt Kabul errichtet. Die afghanische Regierung deklarierte einen Schlüsselbereich der afghanischen Hauptstadt zur "Green Zone" - dies ist die Region, in der wichtige Regierungsinstitutionen, ausländische Vertretungen und einige Betriebe verortet sind (Tolonews 7.2.2018). Kabul hatte zwar niemals eine formelle "Green Zone"; dennoch hat sich das Zentrum der afghanischen Hauptstadt, gekennzeichnet von bewaffneten Kontrollpunkten und Sicherheitswänden, immer mehr in eine militärische Zone verwandelt (Reuters 6.8.2017). Die neue Strategie beinhaltet auch die Schließung der Seitenstraßen, welche die Hauptstadt Kabul mit den angrenzenden Vorstädten verbinden; des Weiteren, werden die Sicherheitskräfte ihre Präsenz, Personenkontrollen und geheimdienstlichen Aktivitäten erhöhen (Tolonews 7.2.2018). Damit soll innerhalb der Sicherheitszone der Personenverkehr kontrolliert werden. Die engmaschigen Sicherheitsmaßnahmen beinhalten auch eine erhöhte Anzahl an Sicherheitskräften und eine Verbesserung der Infrastruktur rund um Schlüsselbereiche der Stadt (Tolonews 1.3.2018). Insgesamt beinhaltet dieser neue Sicherheitsplan 52 Maßnahmen, von denen die meisten nicht veröffentlicht werden (RFE/RL 7.2.2018). Auch übernimmt die ANA einige der porösen Kontrollpunkte innerhalb der Stadt und bildet spezialisierte Soldaten aus, um Wache zu stehen. Des Weiteren soll ein kreisförmiger innerer Sicherheitsmantel entstehen, der an einen äußeren Sicherheitsring nahtlos anschließt - alles dazwischen muss geräumt werden (Reuters 14.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in der Provinz Kabul

Sowohl die Taliban als auch der IS verüben öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffe in der Stadt Kabul (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 17.3.2018, Dawn 31.1.2018), auch dem Haqqani- Netzwerk wird nachgesagt, Angriffe in der Stadt Kabul zu verüben (RFE/RL 30.1.2018; vgl. NYT 9.3.2018, VoA 1.6.2017). So existieren in der Hauptstadt Kabul scheinbar eine Infrastruktur, Logistik und möglicherweise auch Personal ("terrorists to hire"), die vom Haqqani-Netzwerk oder anderen Taliban-Gruppierungen, Splittergruppen, die unter der Flagge des IS stehen, und gewaltbereiten pakistanischen sektiererischen (anti-schiitischen) Gruppierungen verwendet werden (AAN 5.2.2018).

Zum Beispiel wurden zwischen 27.12.2017 und 29.1.2018 acht Angriffe in drei Städten ausgeführt, zu denen neben Jalalabad und Kandahar auch Kabul zählte - fünf dieser Angriffe fanden dort statt. Nichtsdestotrotz deuten die verstärkten Angriffe - noch - auf keine größere Veränderung hinsichtlich des "Modus Operandi" der Taliban an (AAN 5.2.2018).

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (Gewalt gegenüber Zivilist/innen und Gefechte) (ACLED 23.2.2018).

Usbeken

Die usbekische Minderheit ist die viertgrößte Minderheit Afghanistans und umfasst etwa 9% der Gesamtbevölkerung (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012). Usbeken sind Sunniten und leben vorwiegend im Norden des Landes, wo sie gemeinsam mit den Turkmenen den größten Teil des landwirtschaftlich genutzten Bodens kontrollieren (MRG o.D.d). Sie siedeln sowohl im ländlichen Raum, wie auch in urbanen Zentren (Mazar-e Sharif, Kabul, Kandahar, Lashkargah u.a.), wo ihre Wirtschafts- und Lebensformen kaum Unterschiede zu Dari-sprachigen Gruppen aufweisen. In den Städten und in vielen ländlichen Gegenden beherrschen Usbeken neben dem Usbekischen in der Regel auch Dari auf nahezu muttersprachlichem Niveau. Heiratsbeziehungen zwischen Usbeken und Tadschiken sind keine Seltenheit (BFA 7.2016).

Abdul Rashid Dostum ist der Anführer der usbekischen Minderheit in Afghanistan. Der ehemalige Warlord und einer der Anführer der Nordallianz (MRG o.D.d; vgl. FAZ 19.11.2001) ist inzwischen Erster Vizepräsident Afghanistans und befand sich von Mai 2017 bis Juli 2018 im Exil in der Türkei (SP 22.7.2018).

Die usbekische Minderheit ist im nationalen Durchschnitt mit etwa 8% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (BI 29.9.2017).

Rückkehr

Als Rückkehrer werden jene afghanischen Staatsbürger bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghanen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012 bis 2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt.

Die Anzahl der Rückkehrer hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24% erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52% zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21. März 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück. Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück.

Unterstützung durch verschiedene Organisationen Vorort

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen.

Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGO). Nichtsdestotrotz scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. So kehrt der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung. Hierfür stand bislang das Jangalak-Aufnahmezentrum zur Verfügung, das sich direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand und wo Rückkehrende für die Dauer von bis zu zwei Wochen untergebracht werden konnten. Seit September 2017 nutzt IOM nicht mehr das Jangalak-Aufnahmezentrum, sondern das Spinzar Hotel in Kabul als temporäre Unterbringungsmöglichkeit. Auch hier können Rückkehrer für maximal zwei Wochen untergebracht werden.

Unterstützung durch die afghanische Regierung

Hilfeleistungen für Rückkehrer durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (wenngleich sich das Jangalak- Aufnahmezentrum bis September 2017 direkt in der Anlage des Ministeriums für Flüchtlinge und Repatriierung in Kabul befand, wurde dieses dennoch von IOM betrieben und finanziert). Seit 2016 erhalten die Rückkehr nur Hilfeleistungen in Form einer zweiwöchigen Unterkunft. Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs wurden von unterschiedlichen afghanischen Behörden, dem Ministerium für Flüchtlinge und Repatriierung (MoRR) und internationalen Organisationen geschaffen und sind im Dezember 2016 in Kraft getreten. Diese Rahmenbedingungen gelten sowohl für Rückkehrer aus der Region (Iran und Pakistan), als auch für jene, die aus Europa zurückkommen oder IDPs sind.

Soweit dies möglich ist, sieht dieser mehrdimensionale Ansatz der Integration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der "whole of community" vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen die Grundstücksvergabe als entscheidend für den Erfolg anhaltender Lösungen. Hinsichtlich der Grundstücksvergabe wird es als besonders wichtig erachtet, das derzeitige Gesetz zu ändern, da es als anfällig für Korruption und Missmanagement gilt. Auch wenn nicht bekannt ist, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben - und zu welchen Bedingungen - sehen Experten dies als möglichen Anreiz für jene Menschen, die Afghanistan schon vor langer Zeit verlassen haben und deren Zukunftsplanung von der Entscheidung europäischer Staaten über ihre Abschiebungen abhängig ist.

Die Rolle unterschiedlicher Netzwerke für Rückkehrer

Die Großfamilie ist die zentrale soziale Institution in Afghanistan und bildet das wichtigste soziale Sicherheitsnetz der Afghanen. Alle Familienmitglieder sind Teil des familiären Netzes. Die Großfamilie trägt zu Schutz, Betreuung und Versorgung ihrer Mitglieder bei. Sie bildet auch eine wirtschaftliche Einheit; die Männer der Familie sind verpflichtet, die Mitglieder der Großfamilie zu unterstützen und die Familie in der Öffentlichkeit zu repräsentieren. Auslandsafghanen pflegen zumeist enge Kontakte mit ihren Verwandten in Afghanistan. Quellen zufolge verlieren nur sehr wenige Afghanen in Europa den Kontakt zu ihrer Familie. Die Qualität des Kontakts mit der Familie hängt möglicherweise auch davon ab, wie lange die betreffende Person im Ausland war bzw. wie lange sie tatsächlich in Afghanistan lebte, bevor sie nach Europa migrierte. Der Faktor geographische Nähe verliert durch technologische Entwicklungen sogar an Wichtigkeit. Der Besitz von Mobiltelefonen ist mittlerweile "universell" geworden und digitale Kommunikation wird eine zunehmende Selbstverständlichkeit, vor allem in den Städten.

Quellen zufolge halten Familien in Afghanistan in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren.

Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten.

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte.

Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat, welche den Parteien im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgehalten und denen im Zuge dessen nicht substantiiert entgegengetreten wurde, stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Herkunft, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers. Seine Identität konnte mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden; der im Spruch angeführte Name dient lediglich zur Identifizierung des Beschwerdeführers als Verfahrenspartei.

Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers.

Das Datum der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bzw. im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entspre-chende Bescheinigungsmittel, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen (VwGH 25.3.1999, 98/20/0559). Dabei bedarf es zunächst einer persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers, die insbesondere dann getrübt sein wird, wenn sein Vorbringen auf ge- oder verfälschte Beweismittel gestützt ist oder er wichtige Tatsachen verheimlicht respektive be-wusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegrün-det und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Weiters muss das Vorbringen des Asylwerbers - unter Berück-sichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; die-ses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer nach seiner Erstbefragung in einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Gelegenheit gehabt, seine Fluchtgründe umfassend darzulegen. Der aufgrund dieser Befragungen festgestellte Sachverhalt und die Beweiswürdigung finden ihren Niederschlag im angefochtenen Bescheid. In Anbetracht des von der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens sowie angesichts der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem ergänzenden Vorbringen des Beschwerdeführers, hat dieses auch keine Bedenken gegen die (in der Bescheidbegründung zum Ausdruck kommende) Annahme der belangten Behörde, dass dem Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat keine gezielte konkrete Verfolgung droht:

Die vom Beschwerdeführer behauptete Bedrohung bzw. Verfolgungsgefährdung durch Angehörige der Taliban bzw. eine ihm (neuerlich) drohende Verhaftung durch die lokalen Polizeibehörden in der Heimat, konnte letztlich nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat im gesamten Verfahren nämlich keine nachvollziehbaren Gründe für seine Befürchtungen vorgebracht oder eigene Erlebnisse bzw. Erfahrungen geschildert, welche seine Ängste überzeugend untermauern. Vielmehr hätten sich die Verfolgungshandlungen auf wiederholte Drohanrufe der Taliban beschränkt (drei- bis vier Mal), welche letztlich offenkundig ohne Folgen für ihn geblieben sind, obwohl sein Heimatdorf und die nähere Umgebung unter der Kontrolle der Taliban stehen würde, bzw. auf eine Verhaftung durch seinen Vorgesetzten, welche schließlich durch Intervention der Dorfältesten und des Mullahs mit seiner Freilassung geendet habe. Auch die angebliche En

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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