TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/28 W142 2194829-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.11.2019
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Entscheidungsdatum

28.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W142 2194829-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.04.2018, Zl. 1104844806-160201049, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2019 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG

2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin (BF) reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.02.2016 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

2. Am 09.02.2016 erfolgte die Erstbefragung der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab diese an, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören, ledig zu sein und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam zu bekennen. Vor ca. 3 Monaten hätten die Taliban Kunduz angegriffen und sei es ihnen gelungen nach Kabul zu fliehen. Ihr Leben sei in Gefahr gewesen, weil sie drei Frauen alleine gewesen wären und keinen Mann dabeigehabt hätten.

3. Am 14.03.2018 wurde die BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Kurzbezeichnung BFA; in der Folge belangte Behörde genannt) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Befragt zu ihren Fluchtgründen erklärte sie mit ihren drei Schwestern in Kunduz gelebt zu haben. Ihre Eltern seien bereits verstorben. Sie habe mit ihren beiden Schwestern Afghanistan verlassen, wobei eine Schwester auf dem Fluchtweg gestorben sei. Die BF und ihre Schwester hätten zu ihrem Bruder nach Österreich gewollt, zumal sie alleine waren. Nach einem vierzehnjährigen Aufenthalt im Iran sei sie mit ihren Schwestern nach Afghansitan abgeschoben worden. Sie seien in das von ihren Großeltern geerbete Haus nach Kunduz gegangen. In diesem Haus habe ein Mieter, der bewaffnet gewesen sei, gelebt, der jedoch seit Jahren keine Miete bezahlt habe. Sein Ziel sei es gewesen, die BF zu zwingen ihn zu heiraten, damit er so das Haus bekomme. Die BF und ihre Schwestern wollten ihn anzeigen, jedoch sagte ihr Bekannter, dass sie Frauen seien und gegen den Mieter nichts unternehmen könnten. Die Frage, ob sie noch in Kunduz leben würde, wenn der Mieter nicht im Haus gewesen wäre, verneinte sie. Erklärend dazu gab sie an, dass das Leben für eine Frau in Kunduz sehr schwer sei, wie für Gefangene. Sie hätten das Haus nicht verlassen können. Als Frau könne sie nicht alleine in Afghanistan leben, weil Frauen in Afghanistan keine Sicherheit hätten. Wenn man irgendwo arbeiten oder wohin gehen wolle, werde man gefragt, wo der Ehemann sei. In Österreich gehe sie alleine einkaufen, gehe zu einem Deutschkurs, wo Männer und Frauen gemischt seien. Sie halte sich an die österreichischen Gesetze, würde gerne als Schneiderin arbeiten. Ansonsten würde sie auch andere Arbeiten annehmen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihr Leben zu leben. In ihr Heimatland würde sie dann zurückkehren, wenn Freiheit und Sicherheit für die Frauen vorhanden sei. Weiters wurde ein Kovolut an Integrationspapieren vorgelegt.

4. Mit Bescheid vom 23.04.2018 wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) ab und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der Beschwerdeführerin eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Mit Verfahrensanordnung der belangten Behörde vom 25.04.2018 wurde der Beschwerdeführerinn gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine Rechtsberatung zur Seite gestellt.

6. Gegen den im Spruch genannten Bescheid (Spruchpunkt I.) wurde von der Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde erhoben.

7. Am 20.11.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an der das Bundesamt als weitere Partei nicht teilnahm. Entscheidungswesentlich wurde von der BF wie folgt vorgebracht:

"R: Stimmt Ihr Geburtsdatum XXXX ?

BF: Das ist falsch. Ich bin am XXXX .

[...]

R: Können Sie sich erinnern, wann Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

BF: Ich habe Afghanistan am XXXX verlassen ( XXXX ).

R: Wie sind Sie nach Österreich gelangt? Können Sie mir Ihre Reiseroute näher beschreiben?

BF: Ich bin von Afghanistan, Nimruz aus, mit dem Schlepper in den Iran geflüchtet. Dort war ich an der Grenze zur Türkei ungefähr eine Woche. Dann bin ich in die Türkei gelangt, von dort aus nach Griechenland und schließlich nach Österreich.

R: Sind Sie alleine gereist, oder sind Verwandte mit Ihnen gereist?

BF: Wir sind zu viert gereist. Neben mir zwei meiner Schwestern und meine Schwägerin.

R: War Ihr Reiseziel von Beginn an Österreich?

BF: Ja.

R: Wieso?

BF: Da sich mein Bruder in Österreich befand und wir Schwestern dort alleine waren, wollten wir zu meinem Bruder nach Österreich kommen.

R: Was war der Grund, warum Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

BF: Nachdem wir vom Iran nach Afghanistan, Kunduz, abgeschoben wurden, haben wir bei jemandem Unterkunft gefunden. Der Bewohner bzw. Eigentümer dieses Hauses wollte mich zur Frau haben. Ich weigerte mich ihn zu heiraten, woraufhin er mich mit dem Leben bedrohte. Das war der Auslöser für unsere Flucht. [...]

R: Von wann bis wann haben Sie im Iran gelebt?

BF: 1380 bis 1394 waren wir im Iran, als wir in diesem Jahr abgeschoben wurden (D: 2001 - 2015). Ungefähr 14 Jahre.

R: Mit wem haben Sie im Iran zusammengelebt?

BF: Mit meinen Eltern und zwei Schwestern.

R: Wie alt waren Sie, als Sie vom Iran nach Afghanistan abgeschoben wurden?

BF: Ich bin momentan XXXX alt, ich weiß nicht, wie alt ich damals war.

R: Was haben Sie im Iran gemacht? Haben Sie gearbeitet?

BF: Ich habe viele Jahre in einer Firma gearbeitet, wo wir gestrickt und gewebt haben.

R: Wieso sind Sie mit Ihren Eltern und Geschwistern in den Iran gereist? Was war der Grund?

BF: Damals wurde mein Bruder XXXX von den Taliban entführt. Bis heute wissen wir nichts von ihm. Daraufhin hat mein Vater beschlossen, das Land zu verlassen, weil die Sicherheitslage sehr schlecht war. [...]

BF: Ja, als mein Vater in den Iran kam, ist er verstorben. Beide meiner Elternteile sind im Iran gestorben. [...]

BF: Ich habe drei Brüder gehabt, wovon einer - wie eingangs erwähnt - von den Taliban entführt wurde. Ein Bruder von mir namens XXXX und seine Familie wohnt in Salzburg und ein anderer mit dem Namen XXXX wohnt in XXXX . Ich hatte zwei Schwestern, XXXX ist mit mir in Salzburg wohnhaft und meine andere Schwester namens XXXX ist an der Grenze zwischen dem Iran und der Türkei gestorben. Wir waren dann zu lange im Wasser. Sie ist durch die Kälte erfroren. Meine andere Schwester hat es überlebt und war lange Zeit im Spital. [...]

R: Seit wann wohnt Ihr Bruder mit seiner Familie in Salzburg?

BF: Es ist nun ungefähr sieben Jahre her.

R: Wie viele Jahre vor Ihnen ist Ihr Bruder nach Europa gereist?

BF: Wir sind seit 2016 hier und mein Bruder ist ungefähr drei Jahre vor unserer Reise nach Europa gekommen.

R: Wieso ist Ihr Bruder drei Jahre vor Ihnen aus Afghanistan ausgereist und nach Österreich gekommen? Was war der Grund?

BF: Seine Frau war schon in Österreich wohnhaft mit einem Asylstatus. Sie hat meinen Bruder nachgeholt.[...]

R: Was machen Sie hier in Österreich? Arbeiten Sie?

BF: Nein, ich arbeite nicht. Ich besuche einen Deutschkurs. Ich war zwar beim AMS und habe um einen Job gebeten, Bestätigungen habe ich mit.

RV legt vor: Unterlagen betreffend den Deutschkurs A1-kompakt des ÖIF vom 23.10.2019. Eine Kopie wird als Beilage ./A zum Akt genommen. Weiters wird eine Deutschkursbestätigung vom 27.08.2019 in Kopie als Beilage ./B zum Akt genommen. Des Weiteren wird eine Terminkarte des ÖIF vorgelegt. Diese wird als Beilage ./C in Kopie zum Akt genommen. Ferner werden weitere AMS-Unterlagen vorgelegt, die in Kopie als Beilage ./D zum Akt genommen werden. [...]

R: Wie stellen Sie sich das Leben hier in Österreich vor? Was wollen Sie arbeiten?

BF: Ich bin zu jeder Arbeit bereit, würde aber gerne als Köchin oder Schneiderin arbeiten.

R: Was würde Ihnen passieren, wenn Sie in Ihr Heimatland zurückkehren müssten?

BF: Ich würde dort umgebracht werden. Mein Leben ist in Gefahr. Ich bin dort nicht sicher.

R: Wer würde Sie umbringen?

BF: In Kunduz würde mich dieser Mann umbringen und Rache üben. Außerdem ist es sehr schwer für eine alleinstehende Frau in Afghanistan. Sie kann dort alleine nicht überleben.

R: Wieso sollte dieser Mann Sie umbringen und Rache üben?

BF: Weil ich ihn nicht geheiratet habe und ihm nicht gleich das Haus gegeben habe. Er war bewaffnet. [...]

BF: Wenn wir weiterhin im Iran gelebt hätten, wäre es für uns kein Problem gewesen. Wir haben alle drei gearbeitet und sind finanziell für uns gut aufgekommen. In Afghanistan jedoch war das sehr schwer. Für alleinstehende Frauen gibt es dort keine Chancen auf irgendetwas.

R: Wieso sind Sie dann vom Iran nach Afghanistan zurückgekehrt?

BF: Wir sind vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden, weil wir dort illegal gelebt haben. Wenn wir wieder in den Iran gezogen wären, wäre uns das Gleiche wieder passiert. Deswegen haben wir beschlossen, nach Europa zu gehen.[...]

RV: Was unternehmen Sie in Ihrer Freizeit?

BF: Wir gehen viel spazieren und Fahrradfahren. Bei uns gibt es einen berühmten Park, Hellbrunn, den ich sehr gerne besuche. Wir gehen shoppen.

RV: Wie unterscheidet sich Ihr Leben in Österreich von Ihrem Leben in Afghanistan?

BF: In Afghanistan habe ich niemals ohne Vollverschleierung (Burka) aus dem Haus gehen können. Ich habe hier volle Freiheit, ich bin ohne Kopftuch unterwegs, kann Fahrradfahren, was in Afghanistan nie möglich gewesen wäre. Alleine aus dem Haus zu gehen ist eine Sache, die in Afghanistan auch unmöglich ist. Wenn man von den Taliban alleine und unverschleiert gesehen wird, passiert einem sicher etwas Schlimmes. In Afghanistan könnte ich nie arbeiten. Hier kann ich arbeiten was ich will. [...]

R: Denken Sie, dass Sie in Afghanistan leben könnten, wenn Sie keine Schwierigkeiten mit XXXX hätten?

BF: Nein, es ist für eine alleinstehende Frau, ohne Mann, ob Bruder oder Vater, sehr schwer.

R: Hat Ihre Mutter Geschwister?

BF: Ja, sie hatte drei Schwestern und zwei Brüder, die alle in Afghanistan gestorben sind.

R: Hat Ihr Vater Geschwister?

BF: Nein, er war ein Einzelkind.

Erörtert werden folgende Berichte:

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Stand 13.11.2019

UNHCR-Richtlinien Afghanistan, 30.08.2018

EASO-Bericht Afghanistan, Juni 2019

Dazu gibt der RV keine Stellungnahme ab.

RV: Ich möchte auf das bisherige Vorbringen verweisen. Weiters möchte ich auf das Gesagte der BF hinweisen, was auf eine westliche Orientierung schließen lässt."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin, afghanische Staatsangehörige, ist Schiitin und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Die BF 1 stammt aus der Provinz Kunduz, XXXX . Ab 2001 lebte sie mit ihren Eltern und Schwestern im Iran. Die Eltern verstarben jedoch im Jahr 2007. 2015 wurde sie schließlich mit ihren Schwestern nach Afghanistan abgeschoben. In Afghansitan wollte ein Mann die Beschwerdeführerin zwingen ihn zu heiraten, weshalb sie Ende Dezember mit ihren Schwestern aus Afghanistan flüchtete und illegal in Österreich am 08.02.2016 einreiste. Sie ist ledig und hat keine Verwandten, die in Afghanistan leben. Ein Bruder lebt in XXXX , eine Schwester und ein Bruder leben in Salzburg. In Österreich nützt die Beschwerdeführerin die Gelegenheit, ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu gestalten. In Afghanistan empfand sie das strenge Bekleidungsgebot und die dort befehligenden Einschränkungen als sehr belastend. Sie absolvierte bereits Deutschkurse und besucht auch derzeit einen, um die deutsche Sprache besser zu erlernen. Sie ist auch sehr bestrebt eine Arbeitststelle zu finden und würde gerne als Köchin oder Schneiderin arbeiten. Zudem betreibt sie sportliche Aktivitäten wie das Fahrradfahren. Sie ist auch in der Lage Arztbesuche eigenständig wahrzunehmen. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich um eine Frau, die mit ihrer Flucht nach Österreich zudem ihre Vorstellungen über die einer Frau zustehenden Rechte verwirklichen und nach diesen Maßstäben ihr weiteres Leben gestalten will. Die alleinstehende Beschwerdeführerin würde im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan auf Grund ihrer nach außen hin erkennbaren persönlichen Wertehaltung, die sich vorrangig in ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit geäußert hatte, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ausgesetzt sein.

Die Beschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Situation der Frauen in Afghanistan:

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte von Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 2.9.2019). Nach wie vor gilt Afghanistan als eines der weltweit gefährlichsten Länder für Frauen (REU 26.6.2018; vgl. AF 13.12.2017).

Während sich die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft insgesamt ein wenig verbessert hat (BFA 4.2018; vgl. AA 2.9.2019), können sie ihre gesetzlichen Rechte innerhalb der konservativ-islamischen, durch Stammestraditionen geprägten afghanischen Gesellschaft oft nur eingeschränkt verwirklichen. Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebenen Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder aufgrund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Bewegungsfreiheit (AA 2.9.2019).

Seit dem Fall der Taliban wurden jedoch langsam Fortschritte in dieser Hinsicht erreicht, welche hauptsächlich in urbanen Zentren wie z.B. Herat-Stadt zu sehen sind. Das Stadt-Land-Gefälle und die Sicherheitslage sind zwei Faktoren, welche u.a. in Bezug auf Frauenrechte eine wichtige Rolle spielen. Einem leitenden Mitarbeiter einer in Herat tätigen Frauenrechtsorganisation zufolge kann die Lage der Frau innerhalb der Stadt nicht mit den Lebensbedingungen der Bewohnerinnen ländlicher Teile der Provinz verglichen werden. Daher muss die Lage von Frauen in Bezug auf das jeweilige Gebiet betrachtet werden. Die Lage der Frau stellt sich in ländlichen Gegenden, wo regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv sind und die Sicherheitslage volatil ist, anders dar als z.B. in Herat-Stadt (BFA 13.6.2019).

Die afghanische Regierung wird von den Vereinten Nationen (UN) als ehrlicher und engagierter Partner im Kampf gegen Gewalt an Frauen beschrieben (EASO 12.2017; vgl. BFA 4.2018, UNAMA/OHCHR 5.2018), der sich bemüht Gewalt gegen Frauen - beispielsweise Ermordung, Prügel, Verstümmelung, Kinderheirat und weitere schädliche Praktiken - zu kriminalisieren und Maßnahmen zur Rechenschaftspflicht festzulegen (UNAMA/OHCHR 5.2018). Wenngleich die afghanische Regierung Schritte unternommen hat, um das Wohl der Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Gewalt zu eliminieren, bleibt die Situation für viele Frauen unverändert, speziell in jenen Regionen wo nach wie vor für Frauen nachteilige Traditionen fortbestehen (BFA 4.2018; vgl. UNAMA 24.12.2017).

Seit dem Fall der Taliban wurden mehrere legislative und institutionelle Fortschritte beim Schutz der Frauenrechte erzielt; als Beispiele wurden der bereits erwähnte Artikel 22 in der afghanischen Verfassung (2004) genannt, sowie auch Artikel 83 und 84, die Maßnahmen für die Teilnahme von Frauen im Ober- und Unterhaus des Parlamentes vorsehen (WILFPFA 7.2019). Die afghanische Regierung hat die erste Phase des nationalen Aktionsplans (NAP) zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 (aus dem Jahr 2000) des UN-Sicherheitsrates implementiert; dies führte zu einer stärkeren Vertretung von Frauen in öffentlichen Einrichtungen, wie z.B. dem Hohen Friedensrat. Unter anderem hat die afghanische Regierung das nationale Schwerpunktprogramm Women's Economic Empowerment gestartet. Um Gewalt und Diskriminierung gegen Frauen zu bekämpfen, hat die Regierung in Afghanistan die Position eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts geschaffen, der für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und Kinder zuständig ist. Es wurden Kommissionen gegen Belästigung in allen Ministerien eingerichtet. Des Weiteren hat der Oberste Gerichtshof eine spezielle Abteilung geschaffen, um Fälle von Gewalt gegen Frauen zu überprüfen. Darüber hinaus waren in mehr als 20 Provinzen Sondergerichte zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen tätig (UNGA 3.4.2019). So hat die afghanische Regierung unter anderem, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft verschiedene Projekte zur Reduzierung der Geschlechterungleichheit gestartet. Das "Gender Equality Project" der Vereinten Nationen soll die afghanische Regierung bei der Förderung von Geschlechtergleichheit und Selbstermächtigung von Frauen unterstützen (Najimi 2018).

Im Zuge der Friedensverhandlungen (siehe Abschnitt 2) bekannten sich die Taliban zu jenen Frauenrechten (TN 31.5.2019; vgl. Taz 6.2.2019), die im Islam vorgesehen sind, wie zu Lernen, zu Studieren und sich den Ehemann selbst auszuwählen. Zugleich kritisierten sie, dass "im Namen der Frauenrechte" Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden (Taz 6.2.2019). Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben (USAT 3.9.2019). Restriktive Einstellung und Gewalt gegenüber Frauen betreffen jedoch nicht nur Gegenden, welche unter Taliban-Herrschaft stehen, sondern hängen grundsätzlich mit der Tatsache zusammen, dass die afghanische Gesellschaft zum Großteil sehr konservativ ist. Gewalt gegenüber Frauen ist sehr oft auch innerhalb der Familien gebräuchlich. So kann bezüglich der Behandlung von Frauen insbesondere in ländlichen Gebieten grundsätzlich kein großer Unterschied zwischen den Taliban und der Bevölkerung verzeichnet werden. In den Städten hingegen ist die Situation ganz anders (BFA 13.6.2019).

Einem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen 2.286 Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018), was an zunehmendem Bewusstsein und dem Willen der Frauen, sich bei Gewaltfällen an relevante Stellen zu wenden, liegt (PAJ 10.12.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 2.9.2019).

Bildung für Mädchen

Seit 2001 haben Millionen Mädchen, denen unter den Taliban die Bildung verwehrt wurde, Schulbildung erhalten (HRW 17.10.2017). Die größten Probleme bei Bildung für Mädchen beinhalten Armut, frühe Heirat und Zwangsverheiratung, Unsicherheit, fehlende familiäre Unterstützung, sowie Mangel an Lehrerinnen und nahegelegenen Schulen (USDOS 13.3.2019; vgl. UNICEF 27.5.2019). Aufgrund des anhaltenden Konflikts und der sich verschlechternden Sicherheitslage wurden bis Ende 2018 mehr als 1.000 Schulen geschlossen. UNICEF zufolge haben sich die Angriffe auf Schulen in Afghanistan zwischen 2017 und 2018 von 68 auf 192 erhöht und somit verdreifacht. Ein Grund für die Zunahme von Angriffen auf Schulen ist, dass Schulen als Wählerregistrierungs- und Wahlzentren für die Parlamentswahlen 2018 genutzt wurden (UNICEF 27.5.2019). Von den rund 5.000 Örtlichkeiten, die als Wahlzentren dienten, waren etwa 50% Schulen (UNICEF 2019).

Schätzungen zufolge, sind etwa 3,7 Millionen Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, also fast die Hälfte aller schulpflichtigen Kinder, nicht in der Schule - Mädchen machen dabei 60% aus (UNICEF 27.5.2019), in manchen abgelegenen Gegenden sogar 85% (UNICEF 2019). 2018 ist diese Zahl zum ersten Mal seit dem Jahr 2002 wieder gestiegen (UNICEF 27.5.2019). Geschlechternormen führen dazu, dass die Ausbildung der Buben in vielen Familien gegenüber der Ausbildung der Mädchen prioritär gesehen wird, bzw. dass die Ausbildung der Mädchen als unerwünscht gilt oder nur für einige Jahre vor der Pubertät als akzeptabel gesehen wird (HRW 17.10.2017).

Jedoch sind auch hier landesweit Unterschiede festzustellen (BBW 28.8.2019): Beispielsweise waren Mädchen unter der Taliban-Herrschaft auf Heim und Haus beschränkt - speziell in ländlichen Gegenden wie jene in Bamyan. Eine Quelle berichtet von einer Schule in Bamyan, die vor allem von Mädchen besucht wird. Dort werden Mädchen von den Eltern beim Schulbesuch manchmal den Buben vorgezogen, da die Buben bei der Feldarbeit oder im Elternhaus aushelfen müssen. In besagtem Fall existieren sogar gemischte Klassen (NYT 27.6.2019). Aufgrund der Geschlechtertrennung darf es eigentlich keine gemischten Klassen geben. In ländlichen Gebieten kommt es oft vor, dass Mädchen nach der vierten oder fünften Klasse die Schule abbrechen müssen, weil die Zahl der Schülerinnen zu gering ist. Grund für das Abnehmen der Anzahl an Schülerinnen ist u. a. die schlechte Sicherheitslage in einigen Distrikten. Statistiken des afghanischen Bildungsministeriums zufolge war Herat mit Stand November 2018 beispielsweise die einzige Provinz in Afghanistan, wo die Schulbesuchsrate der Mädchen höher war (53%) als die der Burschen (47%). Ein leitender Mitarbeiter einer u.a. im Westen Afghanistans tätigen NGO erklärt die höhere Schulbesuchsrate damit, dass in der konservativen afghanischen Gesellschaft, wo die Bewegungsfreiheit der Frau außerhalb des Hauses beschränkt bleibt, Mädchen zumindest durch den Schulbesuch die Möglichkeit haben, ein Sozialleben zu führen und das Haus zu verlassen. Aber auch in einer Provinz wie Herat missbilligen traditionelle Dorfälteste und konservative Gemeinschaften in manchen Distrikten den Schulbesuch von Mädchen. So kommt es manchmal vor, dass in bestimmten Gebäuden Unterrichtsschichten für Mädchen eingerichtet sind, die von den Schülerinnen jedoch nicht besucht werden (BFA 13.6.2019).

Auch wenn die Führungselite der Taliban erklärt hat, dass Schulen kein Angriffsziel mehr seien (LI 16.5.2018), kam es zu Angriffen auf Mädchenschulen, sowie Schülerinnen und Lehrerinnen durch die Taliban und andere bewaffnete Gruppen (NYT 21.5.2019; UNAMA 24.4.2019; PAJ 16.4.2019; PAJ 15.4.2019; UNAMA 24.2.2019; PAJ 31.1.2019; HRW 17.10.2017). Solche Angriffe zerstören nicht nur wertvolle Infrastruktur, sondern schrecken auch langanhaltend eine große Zahl von Eltern ab, ihre Töchter zur Schule zu schicken (HRW 17.10.2017). Vertreter der Provinzregierung und Dorfälteste legten nach Vorfällen in der Provinz Farah nahe, dass Angriffe auf Mädchenschulen eine Spaltung innerhalb der Taliban offenbaren: Während viele Zivilbehörden der Taliban eine Ausbildung für Mädchen tolerieren, lehnen manche Militärkommandanten dies ab (NYT 21.5.2019). Mittlerweile ist nicht mehr die Schließung von Schulen (wie es während der gewalttätigen Kampagne in den Jahren 2006-2008 der Fall war) Ziel der Aufständischen, sondern vielmehr die Erlangung der Kontrolle über diese. Die Kontrolle wird durch Vereinbarungen mit den jeweiligen örtlichen Regierungsstellen ausgehandelt und beinhaltet eine regelmäßige Inspektion der Schulen durch die Taliban (AREU 1.2016).

Landesweit waren im Jahr 2016 182.344 Studenten an 36 staatlichen (öffentlichen) Universitäten eingeschrieben, davon waren 41.041 (AF 13.2.2019; vgl. WB 6.11.2018), also nur 22,5%, weiblich. Der Zugang zu öffentlicher Hochschulbildung ist wettbewerbsintensiv: Studenten müssen eine öffentliche Aufnahmeprüfung - Kankor - ablegen. Für diese Prüfung gibt es Vorbereitungskurse, mit den Schwerpunkten Mathematik und Naturwissenschaften, die oft kostspielig sind und in der Regel außerhalb der Schulen angeboten werden. Unter den konservativen kulturellen Normen, die die Mobilität von Frauen in Afghanistan einschränken, können Studentinnen in der Regel nicht an diesen Kursen teilnehmen und afghanische Familien ziehen es oft vor, in die Ausbildung ihrer Söhne zu investieren, sodass den Töchtern die Ressourcen für eine Ausbildung fehlen (AF 13.2.2019).

Um diese Aufnahmeprüfung zu bestehen, werden Bewerberinnen von unterschiedlichen Stellen unterstützt. Eine Hilfsorganisation hat beispielsweise bislang Vorbereitungsmaterialien und -aktivitäten für 70.000 Studentinnen zur Verfügung gestellt. Auch wurden Aktivitäten direkt in den Unterricht an den Schulen integriert, um der mangelnden Bereitschaft von Eltern, ihre Töchter in Privatkurse zu schicken, zu entgegnen (AF 13.2.2019).

Beispielsweise wurden im Rahmen von Initiativen des Ministeriums für höhere Bildung sichere Transportmöglichkeiten für Studenten zu und von den Universitäten zur Verfügung gestellt. Etwa 1.000 Studentinnen konnten dieses Service in den Provinzen Herat, Jawzjan, Kabul, Kunar und Kunduz genießen. Das sind jene Provinzen, in denen sichere und verlässliche Transportmöglichkeiten, aufgrund fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und der Sicherheitslage dringend benötigt werden. Auch sollen mehr studentische Wohnmöglichkeiten für Frauen an Universitäten zur Verfügung gestellt werden; das Ministerium für höhere Bildung plant, an fünf Universitäten Studentenwohnheime zu errichten. In zwei Provinzen - Bamyan und Kunar - sollen sie im Jahr 2019 fertiggestellt werden. Das Ministerium für höhere Bildung unterstützt Frauen auch finanziell. Zum einen haben im Jahr 2018 100 Frauen Stipendien erhalten, des weiteren wurden 41 Frauen zum Studieren ins Ausland entsandt und 65 weitere werden ihren Masterabschluss 2018 mithilfe des Higher Education Development Programms erreichen (WB 6.11.2018). Beispielsweise gibt es mittlerweile die erste (und einzige) Frau Afghanistans, die einen Doktor in Spielfilmregie und Drehbuch hat - diesen hat sie an einer Akademie in Bratislava abgeschlossen (RY 16.5.2019).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul der Moraa Educational Complex, die erste Privatuniversität für Frauen in Afghanistan mit einer Kapazität von 960 Studentinnen (MED o.D.). Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. EN 25.10.2018; Najimi 2018). Die ersten Absolventinnen und Absolventen haben bereits im Jahr 2017 das Studium abgeschlossen (UNDP 7.11.2017).

Anmerkung: Weitergehende Informationen zum Bildungswesen in Afghanistan können dem Abschnitt "Schulbildung in Afghanistan" im Unterkapitel 18.2 Kinder entnommen werden.

Berufstätigkeit von Frauen

Das Gesetz sieht die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, sagt jedoch nichts zu gleicher Bezahlung bei gleicher Arbeit. Das Gesetz untersagt Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 13.3.2019). Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 2.9.2019; vgl. BBW 28.8.2019). Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und viele Frauen gehen aus Furcht vor sozialer Ächtung keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA 4.2018). In den meisten Teilen Afghanistans ist es Tradition, dass Frauen und Mädchen selten außerhalb des Hauses gesehen oder gehört werden sollten (BBC 6.9.2019).

Die Erwerbsbeteiligung von Frauen hat sich auf 27% erhöht (UNGA 3.4.2019). Für das Jahr2018 wurde der Anteil der Frauen an der Erwerbsbevölkerung von der Weltbank mit 35,7% angegeben (WB 4.2019). Bemühungen der afghanischen Regierung, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen und damit deren Präsenz zu erhöhen, halten weiter an (KP 24.3.2019). So ist die afghanische Regierung seit dem Jahr 2014 bemüht, den Anteil von Frauen in der Regierung von 22% auf 30% zu erhöhen (USAID 24.7.2019). Frauen besetzen innerhalb der afghanischen Regierung und Spitzenverwaltung beispielsweise folgende Positionen: 11 stellvertretende Ministerinnen, 3 Ministerinnen und 5 Botschafterinnen. Nicht alle erachten diese Veränderungen als positiv - manche suggerieren, Präsident Ghanis Ernennungen seien symbolisch und die Kandidatinnen unerfahren oder dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen würden (RFE/RL 6.12.2018). Im Rahmen einer Ausbildung für Beamte des öffentlichen Dienstes sollen Frauen mit den notwendigen Kompetenzen und Fähigkeiten ausgestattet werden, um ihren Dienst in der afghanischen Verwaltung erfolgreich antreten zu können. Ab dem Jahr 2015 und bis 2020 sollen mehr als 3.000 Frauen in einem einjährigen Programm für ihren Posten in der Verwaltung ausgebildet werden. Mit Stand Juli 2019 haben 2.800 Frauen das Programm absolviert. 900 neue Mitarbeiterinnen sind in Kabul, Balkh, Kandahar, Herat und Nangarhar in den Dienst aufgenommen worden (USAID 24.7.2019). Viele Frauen werden von der Familie unter Druck gesetzt, nicht arbeiten zu gehen (USDOS 13.3.2019); traditionell wird der Mann als Ernährer der Familie betrachtet, während Frauen Tätigkeiten im Haushalt verrichten. Dies bedeutet für die Frauen eine gewisse Sicherheit, macht sie allerdings auch wirtschaftlich abhängig - was insbesondere bei einem Partnerverlust zum Problem wird (Najimi 2018). Auch werden bei der Anstellung Männer bevorzugt. Es ist schwieriger für ältere und verheiratete Frauen, Arbeit zu finden, als für junge alleinstehende. Berufstätige Frauen berichten über Beleidigungen, sexuelle Belästigung, fehlende Fahrgelegenheiten und fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch wird von Diskriminierung beim Gehalt berichtet (USDOS 13.3.2019).

Die First MicroFinance Bank (FMFB-A), eine Tochter der Aga Khan Agency for Microfinance, bietet Finanzdienstleistungen und Mikrokredite primär für Frauen (BFA 4.2018; vgl. FMFB o.D.a) und hat 39 Niederlassungen in 14 Provinzen (FMFB o.D.b).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die Teilnahme von Frauen am politischen Prozess ist gesetzlich nicht eingeschränkt (USDOS 13.3.2019). Die politische Partizipation von Frauen ist in ihren Grundstrukturen rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; von diesem Drittel des Oberhauses sind gemäß Verfassung 50% für Frauen bestimmt. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019).

Bei den Wahlen zum Unterhaus (Wolesi Jirga) im Oktober 2018 traten landesweit 417 Kandidatinnen an (MBZ 7.3.2019); insgesamt vertreten 79 Frauen 33 Provinzen (AAN 17.5.2019). Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von mindestens 25% in den Provinz- (AA 2.9.2019), Distrikt- und Dorfräten vor. Bis zum Ende des Jahres 2018 war dies in keinem Distrikt- oder Dorfrat der Fall (USDOS 13.3.2019). Zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der Unabhängigen Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2 % für das Jahr 2019 (AA 2.9.2019).

Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme von Frauen in der Politik und bei Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft ein; wie z.B. die Notwendigkeit eines männlichen Begleiters oder einer Erlaubnis um zu arbeiten. Frauen, die politisch aktiv sind, sind auch weiterhin mit Gewalt konfrontiert und Angriffsziele der Taliban und anderer Aufständischengruppen. Dies, gemeinsam mit einem Rückstand an Bildung und Erfahrung, führt dazu, dass die Zentralregierung männlich dominiert ist (USDOS 13.3.2019).

Frauen sind nur selten in laufende Friedensverhandlungen integriert. Die Verhandlungen in Moskau im Februar 2019 waren eine Ausnahme, als zwei Frauen als Mitglieder der inoffiziellen Regierungsdelegation mit den Taliban verhandelten (TD 27.5.2019). Bei der Loya Jirga im Mai 2019 waren 30% der Delegierten Frauen. Einige von ihnen gaben jedoch an, dass sie ignoriert, marginalisiert und bevormundet wurden (NYT 3.5.2019).

Beispiele für Frauen außerhalb der Politik, die in der Öffentlichkeit stehen, sind die folgenden: In der Provinz Kunduz existiert ein Radiosender - Radio Roshani - nur für Frauen. In der Vergangenheit wurde sowohl die Produzentin bzw. Gründerin mehrmals von den Taliban bedroht, als auch der Radiosender selbst angegriffen. Durch das Radio werden Frauen über ihre Rechte informiert; Frauen können während der Sendung Fragen zu Frauenrechten stellen. Eines der häufigsten Probleme von Frauen in Kunduz sind gemäß einem Bericht Probleme in polygamen Ehen (BBC 6.9.2019). Zan TV, der einizige afghanische Sender nur für Frauen, wurde im Jahr 2017 gegründet. Bei Zan-TV werden Frauen ausgebildet, um alle Jobs im Journalismusbereich auszuüben. Der Gründer des TV-Senders sagt, dass sein Ziel eine zu 80-85% weibliche Belegschaft ist; denn Männer werden auch benötigt, um zu zeigen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen möglich ist. Wie andere Journalistinnen und Journalisten, werden auch die Damen von Zan-TV bedroht und beleidigt (BBC 19.4.2019).

Anmerkung: Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Der Großteil der gemeldeten Fälle von Gewalt an Frauen stammt aus häuslicher Gewalt (USDOD 6.2019). Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Shura/Schura und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden aufgefordert, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 2.9.2019). Für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, werden in einigen Fällen vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und nicht-staatlichen Akteuren Ehen arrangiert (USDOS 13.3.2019). Um Frauen und Kinder, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, zu unterstützen, hat das Innenministerium (MoI) im Jahr 2014 landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Manche dieser FRUs sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung überwachen. Ziel des MoI ist es, für alle FRUs eine weibliche Leiterin, eine zusätzliche weibliche Polizistin, sowie einen Sicherheitsmann bereitzustellen (USDOD 6.2019).

Einige FRUs haben keinen permanent zugewiesenen männlichen Polizisten und es gibt Verzögerungen bei der Besetzung der Dienstposten in den FRUs (USDOD 12.2018). Stand 2017 gab es landesweit 208 FRUs (USDOD 12.2017).

Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet (BFA 4.2018; vgl. TD 4.12.2017).

EVAW-Gesetz und neues Strafgesetzbuch

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt an Frauen und beinhaltet auch die weit verbreitete häusliche Gewalt (AA 2.9.2019). Das für afghanische Verhältnisse progressive Gesetz beinhaltet eine weite Definition von Gewaltverbrechen gegen Frauen, darunter auch Belästigung, und behandelt erstmals in der Rechtsgeschichte Afghanistans auch Früh- und Zwangsheiraten sowie Polygamie (AAN 29.5.2018). Das EVAW-Gesetz wurde im Jahr 2018 im Zuge eines Präsdialdekrets erweitert und kriminalisiert 22 Taten als Gewalt gegen Frauen. Dazu zählen: Vergewaltigung; Körperverletzung oder Prügel, Zwangsheirat, Erniedrigung, Einschüchterung, und Entzug von Erbschaft. Das neue Strafgesetzbuch kriminalisiert sowohl die Vergewaltigung von Frauen als auch Männern - das Gesetz sieht dabei eine Mindeststrafe von 5 bis 16 Jahren für Vergewaltigung vor, bis zu 20 Jahren oder mehr, wenn erschwerende Umstände vorliegen. Sollte die Tat zum Tod des Opfers führen, so ist für den Täter die Todesstrafe vorgesehen. Im neuen Strafgesetzbuch wird explizit die Vergewaltigung Minderjähriger kriminalisiert, auch wird damit erstmals die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungsopfern wegen Zina (Sex außerhalb der Ehe) verboten (USDOS 13.3.2019).

Unter dem EVAW-Gesetz muss der Staat Verbrechen untersuchen und verfolgen - auch dann, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018). Das Gesetz sieht außerdem die Möglichkeit von Entschädigungszahlungen für die Opfer vor (AI 28.8.2019).

Die Behörden setzen diese Gesetze nicht immer vollständig durch. Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor, aber die Justiz war weiterhin unterfinanziert, unterbesetzt,unzureichend ausgebildet, weitgehend ineffektiv und Drohungen, Voreingenommenheit, politischem Einfluss und allgegenwärtiger Korruption ausgesetzt (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Einem UN-Bericht zufolge, dem eine eineinhalbjährige Studie (8.2015-12.2017) mit 1.826 Personen (Mediatoren, Repräsentanten von EVAW-Institutionen) vorausgegangen war, werden Ehrenmorde und andere schwere Straftaten von EVAW-Institutionen und NGOs oftmals an Mediationen oder andere traditionelle Schlichtungssysteme verwiesen (UNAMA/OHCHR 5.2018; vgl. AAN 29.5.2018).

Frauenhäuser

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigungen oder Zwangsehen sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 2.9.2019). Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen. Fast alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Institutionen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan (NYT 17.3.2018).

Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für "unmoralische Handlungen" und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Für Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 2.9.2019). Oftmals versuchen Väter, ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018).

Nach UN-Angaben aus dem Jahr 2017 werden neben den Frauenhäusern auch 17 Family Guidance Centers (FGCs) von zivilgesellschaftlichen Organisationen betrieben, wo Frauen bis zu einer Woche unterkommen können, bis eine längerfristige Lösung gefunden wurde oder- sie nach Hause zurückkehren. Frauen aus ländlichen Gebieten ist es logistisch allerdings nur selten möglich, eigenständig ein Frauenhaus oder FGC zu erreichen (AA 2.9.2019).

Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z.B. Frauenhäuser), nachdem die Familie und das Opfer konsultiert wurden (UNAMA/OHCHR 5.2018). Es gibt in allen 34 Provinzen EVAW-Ermittlungseinrichtungen und in mindestens 16 Provinzen EVAW-Gerichtsabteilungen an den Haupt- und den Berufungsgerichten (USDOS 13.3.2019).

In einigen Fällen werden Frauen in Schutzhaft genommen, um sie vor Gewalt seitens ihrer Familienmitglieder zu beschützen. Wenn die Unterbringung in Frauenhäusern nicht möglich ist, werden von häuslicher Gewalt betroffene Frauen auch in Gefängnisse gebracht, um sie gegen weitere Missbräuche zu schützen. Schutzzentren für Frauen sind insbesondere in den Großstädten manchmal überlastet und die Notunterkünfte sind im Westen, Zentrum und Norden des Landes konzentriert (USDOS 13.3.2019).

Auch arrangiert das Ministerium für Frauenangelegenheiten Ehen für Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können. In manchen Fällen werden Frauen inhaftiert, wenn sie Verbrechen, die gegen sie begangen wurden, anzeigen. Manchmal werden Frauen stellvertretend für verurteilte männliche Verwandte inhaftiert, um den Delinquenten unter Druck zu setzen, sich den Behörden zu stellen (USDOS 13.3.2019).

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 2.9.2019). Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor. UNAMA berichtet von 280 Ehrenmorden im Zeitraum Jänner 2016-Dezember 2017, wobei nur 18% von diesen zu einer Verurteilung und Haftstrafe führten. Trotz des Verbotes im EVAW-Gesetz üben Behörden oft Druck auf Opfer aus, auch schwere Verbrechen durch Mediation zu lösen. Dies führt zu Straflosigkeit für die Täter (USDOS 13.3.2019). Afghanische Expertinnen und Experten sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden (KP 23.3.2016; vgl. UNAMA 5.2018). Zwangsheirat und Verheiratung von Mädchen unter 16 Jahren sind noch weit verbreitet (AA 2.9.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, MBZ 7.3.2019, 20 minutes 28.11.2018). Die Datenlage hierzu ist sehr schlecht (AA 2.9.2019). Als Mindestalter für Vermählungen definiert das Zivilgesetz Afghanistans für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 2.9.2019). Dem Gesetz zufolge muss vor der Eheschließung nachgewiesen werden, dass die Braut das gesetzliche Alter für die Eheschließung erreicht, jedoch besitzt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Geburtsurkunden (USDOS 13.3.2019). In der Praxis wird das Alter, in dem Buben und Mädchen heiraten können, auf der Grundlage der Pubertät festgelegt. Das verhindert, dass Mädchen vor dem Alter von fünfzehn Jahren heiraten. Aufgrund der fehlenden Registrierung von Ehen wird die Ehe von Kindern kaum überwacht (MBZ 7.3.2019). Auch haben Mädchen, die nicht zur Schule gehen, ein erhöhtes Risiko, verheiratet zu werden (MBZ 7.3.2019). Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; jedoch ist die Durchsetzung dieses Gesetzes limitiert (USDOS 13.3.2019). Nach Untersuchungen von UNICEF und dem afghanischen Ministerium für Arbeit und Soziales wurde in den letzten fünf Jahren die Anzahl der Kinderehen um 10% reduziert. Die Zahl ist jedoch weiterhin hoch: In 42% der Haushalte ist mindestens ein Kind unter 18 Jahren verheiratet (MBZ 7.3.2019).

Mahr, eine Art Morgengabe, deren Ursprung sich im Koran findet. Es handelt sich um einen Geldbetrag, den der Bräutigam der Braut geben muss. Dies ist in Afghanistan weit verbreitet (MoLSAMD/UNICEF 7.2018), insbesondere im ländlichen Raum (WAW o.D.) und sollte nicht mit dem Brautpreis (Walwar auf Pashto und Toyana/Sherbaha auf Dari) verwechselt werden. Der Brautpreis ist eine Zahlung, die an den Vater der Braut ergeht, während Mahr ein finanzielles Versprechen des Bräutigams an seine Frau ist. Dem islamischem Recht (Sharia) zufolge haben Frauen, die einen Ehevertrag abschließen, einen Anspruch auf Mahr, damit sie und ihre Kinder im Falle einer Scheidung oder Tod des Ehegatten (finanziell) abgesichert sind. Der hanafitischen Rechtsprechung zufolge darf eine Frau die Mahr nach eigenem Ermessen nutzen - das heißt, sie kann diese auch zurückgeben oder mit ihrem Mann oder ihrer Großfamilie teilen. Befragungen in Gemeinschaften zufolge wird die Mahr fast nie so umgesetzt, wie dies in der islamischen Rechtsprechung vorgeschrieben ist - selbst dann, wenn die betroffenen Personen das Heiratsgesetz, in dem die Mahr festgehalten ist, kennen (AAN 25.10.2016). Entgegen dem islamischen Recht erhält in der Regel nicht die Braut, sondern ihre Familie das Geld. Familien mit geringem Einkommen neigen daher dazu, ihre Töchter bereits in jungen Jahren zu verheiraten, da die Morgengabe für jüngere Mädchen in der Regel höher ist (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Oft sind die Männer deutlich älter und haben schon andere Ehefrauen (WAW o.D.).

Die Praktiken des Badal und Ba'ad/Swara, bei denen Bräute zwischen Familien getauscht werden, sind stark von den wirtschaftlichen Bedingungen getrieben und tief mit den sozialen Traditionen verwurzelt (MoLSAMD/UNICEF 7.2018). Badal ist gesetzlich nicht verboten und weit verbreitet (USDOS 13.3.2019; vgl. WAW o.D.). Durch einen Brauttausch im Sinne von Badal sollen hohe Kosten für beide Familien niedrig gehalten werden (MoLSAMD/UNICEF 7.2018).

Die Praxis des Ba'ad bzw. Swara ist in Afghanistan gesetzlich verboten, jedoch in ländlichen Regionen - vorwiegend in paschtunischen Gebieten - weit verbreitet. Dabei übergibt eine Familie zur Streitbeilegung ein weibliches Familienmitglied als Braut oder Dienerin an eine andere Familie. Das Alter der Frau spielt keine Rolle, es kann sich dabei auch um ein Kleinkind handeln (TRT 17.5.2019; vgl. USDOS 13.3.2019, EASO 12.2017). Wenn die Familie oder eine Jirga diese Entscheidung trifft, müssen sich die betroffenen Frauen oder Mädchen fügen (EASO 12.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 2.9.2019; vgl. UNPF 17.7.2018, HPI 22.10.2016). Dem Afghanistan Demographic and Health Survey zufolge würden etwa 25% aller Frauen gerne Familienplanung betreiben (UNPF 17.7.2018).

Das Gesundheitsministerium bietet Sensibilisierungsmaßnahmen u.a. für Frauen und verteilt Arzneimittel (Pille). In Herat-Stadt und den umliegenden Distrikten steigt die Zustimmung dafür und es gibt Frauen, welche die Pille verwenden; in den ländlichen Gebieten hingegen stoßen solche Maßnahmen meistens auf Unverständnis und werden nicht akzeptiert. Internationale NGOs und das Gesundheitsministerium bieten hauptsächlich in den Geburtenabteilungen der Krankenhäuser Aufklärungskampagnen durch Familienplanungsberater an (BFA 13.6.2019).

Ein von den US-Amerikanern initiiertes Programm, USAID's Helping Mothers and Children Thrive (HEMAYAT), zielt darauf ab, den Zugang und die Verwendung von Verhütungsmitteln, Mütter-, Neugeborenen- und Kindergesundheitsdienstleistungen zu erhöhen. Ein weiteres Ziel ist das Zuweisungssystem auf Provinzebene zu verbessern. Allein durch die Ausbildung und die Bereitstellung von Ausrüstung konnten 25 Hebammenzentren in den Provinzen Balkh, Herat und Kandahar etabliert werden. Auch wurden SMS-Nachrichten über Familienplanung an einen Mobilfunkbetreiber übermittelt, um Missverständnisse über reproduktive Dienstleistungen aufzulösen. Dabei wurden auch Informationen weitergegeben, wie zum Beispiel die Anwendung von Chlorhexidin (CHX) unmittelbar nach der Geburt. Bis Dezember 2018 wurden 70.030 Anrufe gezählt, um das gesamte Angebot der Familienplanung von HEMAYAT anzuhören, wobei 60.586 Anrufer die Aufnahmen komplett zu Ende hörten. Unter anderem wurde CHX von Jänner-März 2019 bei 48.800 Neugeborenen angewendet; auch wurden

59.198 Neugeborene innerhalb der ersten Stunde nach der Geburt gestillt (SIGAR 30.7.2019).

Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 2.9.2019). Frühe und Kinderheiraten und eine hohe Fertilitätsrate mit geringen Abständen zwischen den Geburten tragen zu einer sehr hohen Müttersterblichkeit [Anm.: Tod einer Frau während der Schwangerschaft bis 42 Tage nach Schwangerschaftsende] bei. Diese ist mit 661 Todesfällen pro 100.000 Lebendgeburten die höchste in der Region (UNPF 17.7.2018; zum Vergleich Österreich: 4).

Es gibt keine Berichte zu Zwangsabtreibungen oder unfreiwilligen Sterilisierungen (USDOS 13.3.2019).

Reisefreiheit von Frauen

Die Reisefreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ist durch die sozialen Normen eingeschränkt (USDOS 13.3.2019; vgl. BFA 4.2018, MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019). Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif, nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 2.9.2019; vgl. MBZ 7.3.2019, BFA 13.6.2019).

Gemäß Aussagen der Direktorin von Afghan Women's Network können sich Frauen ohne Burqa und ohne männliche Begleitung im gesamten Land frei bewegen (CA 4.3.2019). Nach Aussage einer NGO-Vertreterin kann sie selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie lokale Kleidungsvorschriften einhält (z.B. Tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden oder in anderen Provinzen (BFA 4.2018). In ländlichen Gebieten und Gebieten unter Kontrolle von regierungsfeindlichen Gruppierungen werden Frauen, die soziale Normen missachten, beispielsweise durch das Nicht-Tragen eines Kopftuches oder einer Burka, bedroht und diskriminiert (MBZ 7.3.2019).

Nur wenige Frauen in Afghanistan fahren Auto. In unzähligen Städten und Dörfern werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet, etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind (BFA 4.2018; vgl. BFA 13.6.2019).

Kinder

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren insgesamt verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Während Mädchen unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen waren, machen sie von den heute ca. acht Millionen Schulkindern rund drei Millionen aus. Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Den geringsten Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika). Laut UNAMA-Berichten sank die Gesamtzahl der konfliktbedingt getöteten oder verletzten Kinder im ersten Halbjahr 2019 gegenüber dem Vorjahr um 13% (327 Todesfälle, 880 Verletzte). Die Beteuerungen regierungsfeindlicher Gruppen, Gewalt gegen Zivilisten und insbesondere Kinder abzulehnen, werden immer wieder durch ihre Aktionen konterkariert (AA 2.9.2019).

Die afghanische Bevölkerung ist eine der jüngsten und am schnellsten wachsenden der Welt - mit rund 63% der Bevölkerung (27,5 Millionen Afghanen) unter 25 Jahren und 46% (11,7 Millionen Kinder) unter 15 Jahren (UNFPA 18.12.2018; vgl. CSO 6.2018). Die Volljährigkeit beginnt in Afghanistan mit dem 18. Geburtstag (AA 2.9.2019).

Das Familienleben gilt als Schnittstelle für Fürsorge und Schutz. Armut, schlechte Familiendynamik und der Verlust wichtiger Familienmitglieder können das familiäre Umfeld für Kinder stark beeinflussen. Die afghanische Gesellschaft ist patriarchal (ältere Männer treffen die Entscheidungen), patrilinear (ein Kind gehört der Familie des Vaters an) und patrilokal (ein Mädchen zieht nach der Heirat in den Haushalt des Mannes). Die wichtigste soziale und ökonomische Einheit ist die erweiterte Familie, wobei soziale Veränderungen, welche mit Vertreibung und Verstädterung verbunden sind, den Einfluss der Familie etwas zurückgedrängt haben. Zuhause und Familie sind private Bereiche. Das Familienleben findet hinter schützenden Mauern statt, welche allerdings auch familiäre Probleme vor der Öffentlichkeit verbergen (Ventevogel et al. 2013).

Schulbildung in Afghanistan

Die afghanische Schulbildung beginnt für Kinder im Alter von sechs Jahren mit sechs Jahren Grundschule, gefolgt von der Unterstufe der Sekundarschule (bzw. Mittelschule) für zwölf- bis 14-Jährige und der Oberstufe für 14- bis 17-Jährige. Nach Abschluss der Oberstufe können Schüler und Schülerinnen an die Universität wechseln. Ein Bachelorstudium dauert in der Regel vier Jahre, das Masterstudium, welches nach Absolvierung eines Bachelorstudiums begonnen werden kann, zwei Jahre. Die Anzahl der angebotenen Masterstudien ist immer noch klein. Grundschule, Unterstu

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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