Entscheidungsdatum
17.12.2019Norm
AsylG 2005 §12a Abs2Spruch
G314 1301498-5/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin
Mag.a Katharina BAUMGARTNER im Verfahren zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes des kosovarischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt Dr. Farid RIFAAT, durch den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2019, Zl. XXXX:
A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist rechtmäßig.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der 38-jährige kosovarische Staatsangehörige XXXX (im Folgenden als Beschwerdeführer, kurz BF, bezeichnet) verfügt (abgesehen vom Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG) über keine Aufenthaltsberechtigung in Österreich. Er hat keine schwerwiegenden behandlungsbedürftigen gesundheitlichen Probleme. Seine Muttersprache ist Albanisch; er beherrscht aber auch die deutsche Sprache.
Der BF reiste 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte hier im Dezember 2005 internationalen Schutz. Dies begründete er damit, dass er im Juli 2003 nach einem Besuch bei seiner Schwester, die im serbischen Teil der Stadt XXXX wohne, aufgefordert worden sei, serbische Kirchen und Häuser anzuzünden, Serben zu töten und Bomben zu legen, um zu beweisen, dass er kein serbischer Spion sei. Nach seiner Weigerung sei er mit dem Umbringen bedroht worden. Am XXXX.2003 sei er bei einem Bombenattentat schwer verletzt worden. Er habe fliehen müssen, weil danach seiner Familie mit einem Anschlag gedroht worden sei. Dieser Antrag wurde mit dem Bescheid des Bundesasylamts vom 31.03.2006 abgewiesen; gleichzeitig wurde der BF in den Kosovo ausgewiesen. Mit Bescheid vom 15.03.2007 wies der Unabhängige Bundesasylsenat die Berufung des BF dagegen ab; vom VwGH wurde die Behandlung der Beschwerde am 22.08.2007 abgelehnt.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion XXXX vom XXXX.2006 wurde gegen den BF ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.
Am 24.06.2011 stellte der BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz, den er mit den im Vorverfahren genannten Fluchtgründen begründete. Außerdem hätten Personen, die der AKSh (Armata Kombëtare Shqiptare; deutsch: Albanische Nationalarmee)1 angehörten, 2009 sein Haus im Kosovo niedergebrannt. Der Folgeantrag wurde am 17.02.2012 vom Bundesasylamt im zweiten Rechtsgang gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen; die Beschwerde des BF wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 27.04.2012 ab.
Der BF wurde in Österreich seit 2006 neun Mal wegen Vermögens- und Aggressionsdelikten strafgerichtlich verurteilt, wobei einmal eine Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB verhängt wurde. Er war deshalb mehrmals in Untersuchungs- bzw. Strafhaft. Zuletzt wurde er mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2015, XXXX, wegen versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2015, XXXX, wurde unter Bedachtnahme darauf wegen qualifizierten Diebstahls eine Zusatz-Freiheitsstrafe von 3 1/2 Jahren verhängt. Letztlich wurde der BF mit dem seit XXXX.2017 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2017, XXXX, wegen versuchter Nötigung zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der BF wurde von Dezember 2005 bis Mai 2006, von Oktober 2006 bis 2008, von Februar 2010 bis Juni 2011 und zuletzt durchgehend von XXXX.2012 bis XXXX.2019 in verschiedenen österreichischen Justizanstalten angehalten. 2008 floh er aus der Justizanstalt XXXX und konnte erst wieder Anfang 2010 in der Schweiz verhaftet werden. 2014 kehrte er zwei Mal nicht in die Justizanstalt zurück und war von XXXX. bis XXXX.2014 und von XXXX.2014 bis XXXX.2014 abwesend.
Jedenfalls seit seiner Verhaftung am XXXX.2012 ging der BF im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung mehr nach und war auch nicht krankenversichert.
Mit dem seit 22.08.2016 rechtskräftigen Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 01.08.2016, Zl. XXXX, gegen den kein Rechtsmittel erhoben wurde, wurde dem BF kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG erteilt, gemäß § 10 Abs 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 1 Z 1 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs 9 FPG die Zulässigkeit seiner Abschiebung in den Kosovo festgestellt, gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 FPG ein zehnjähriges Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Nach der Entlassung aus der Strafhaft am XXXX.2019 wurde der BF zunächst in Verwaltungsverwahrungshaft genommen. Am XXXX.2019 wurde über ihn gemäß § 76 Abs 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung angeordnet.
Am 03.12.2019 beantragte der BF neuerlich internationalen Schutz. Dies begründete er zunächst damit, dass die Fluchtgründe aus den vorangegangenen Verfahren noch aufrecht seien. Zu ergänzen sei, dass er 2001 bis 2003 als Angehöriger der AKSh dabei mitgewirkt habe, Serben und Roma durch Drohungen aus dem Kosovo zu vertreiben. Außerdem habe er anlässlich von Besuchen bei seiner Schwester im serbischen Teil von XXXX Beobachtungen und Überwachungen gemacht. Wegen seiner Weigerung, dem Auftrag, dabei auch Menschen zu töten, nachzukommen, sei er von AKSh-Mitgliedern geschlagen worden. Bei einer Rückkehr in den Kosovo befürchte er, von ihnen getötet zu werden. Er fürchte auch um das Leben seiner im Kosovo lebenden Tochter, wenn er dorthin zurückkehren sollte. Diese Angaben habe er in den früheren Verfahren aus Angst nicht gemacht. Anfang November 2019 habe er von einem Mitglied der UÇPMB (Ushtria Clirimtare e Preshevës, Medvegjës dhe Bujanocit; deutsch: Befreiungsarmee von Preševo, Medveda und Bujanovac)2, er ihm Geld schulde und mit dem er während des Strafvollzugs eine Auseinandersetzung gehabt habe, über Facebook ein Video erhalten, in dem ihn dieser beschimpft und bedroht habe. Probleme mit den kosovarischen Behörden oder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion habe er in seinem Herkunftsstaat nicht.
Nach der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdiensts am 04.12.2019 wurde dem BF mit der ihm am 10.12.2019 zugestellten Verfahrensanordnung mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufzuheben. Am 13.12.2019 wurde der BF vor dem BFA in Anwesenheit eines Rechtsberaters und seiner anwaltlichen Vertretung zu seinem zweiten Folgeantrag und zur beabsichtigten Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vernommen. Anschließend wurde der faktische Abschiebeschutz mit dem oben angeführten, mündlich verkündeten und in der Niederschrift der Einvernahme beurkundeten Bescheid gemäß §§ 12a Abs 2, 22 Abs 10 AsylG aufgehoben.
Weder in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF noch in Bezug auf die Situation in seinem Herkunftsland Kosovo hat sich die Situation seit dem Abschluss der vorangegangenen Verfahren entscheidungswesentlich geändert.
Die vom BFA zur Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes übermittelten Verwaltungsakten langten am 16.12.2019 in der zuständigen Gerichtsabteilung des BVwG ein.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der Verwaltungsakten des BFA und der Gerichtsakten des BVwG.
Ein über die Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber hinausgehendes Aufenthaltsrecht des BF wird von ihm nicht behauptet und lässt sich den Akten und dem Auszug aus dem Informationsverbund Zentrales Fremdenregister (IZR) nicht entnehmen, zumal gegen ihn 2006 ein Rückkehrverbot und 2016 eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot erlassen wurden.
Bei der Einvernahme am 13.12.2019 gab der BF an, gesund zu sein und weder in ärztliche Behandlung zu stehen noch Medikamente zu nehmen. Daher ist davon auszugehen, dass er derzeit jedenfalls an keiner schwerwiegenden behandlungsbedürftigen Erkrankung leidet, obwohl im Bescheid vom 01.08.2016 noch festgestellt worden war, dass bei ihm Persönlichkeitsstörungen bestünden.
Die festgestellten Sprachkenntnisse des BF gehen aus seinen Angaben bei der Erstbefragung hervor. Albanischkenntnisse sind angesichts seiner Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit plausibel, zumal es bei den Einvernahmen keine Verständigungsprobleme mit den beigezogenen Albanischdolmetschern kam. Die vom BF angegebenen Deutschkenntnisse sind glaubhaft, zumal er an ihn gerichtete Fragen auf Deutsch beantworten konnte.
Das gegen den BF 2006 erlassene Rückkehrverbot und der Ablauf der Asylverfahren sind im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 27.04.2012, im IZR und im GVS-Betreuungsinformationssystem nachvollziehbar und konsistent dokumentiert.
Die vom BF in den Asylverfahren jeweils angegebenen Fluchtgründe werden anhand der Vorhalte zu den früheren Asylverfahren und seiner Angaben bei der Erstbefragung sowie anhand seiner Aussage bei der Einvernahme vor dem BFA am 13.12.2019 festgestellt.
Aus dem Schubhaftbescheid vom XXXX.2019 ergibt sich, dass der BF in Österreich im Zeitraum 28.02.2012 bis 27.03.2012 erwerbstätig war. Er selbst behauptete bei der Einvernahme vor dem BFA am 07.07.2016, er sei nur im August 2011 einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Jedenfalls seit seiner Verhaftung am XXXX.2012 war er somit im Bundesgebiet nicht mehr erwerbstätig und auch nicht krankenversichert.
Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des BF beruhen auf dem Strafregisterauszug, die Feststellungen zum Strafvollzug und den Fluchten auf der Vollzugsinformation, den Haupt- und Nebenwohnsitzmeldungen in Justizanstalten laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) und den Vollzugsdaten, die aus dem Strafregister hervorgehen. Der BF trat dem Vorhalt, er sei aus der Justizanstalt in die Schweiz geflüchtet, bei der Einvernahme am 13.12.2019 nicht entgegen.
Der Bescheid des BFA vom 01.08.2016 ist aktenkundig, ebenso die Festnahme am XXXX.2019 und die Anordnung der Schubhaft mit Bescheid vom XXXX.2019. Damit im Einklang steht, dass der BF laut ZMR seit XXXX.2019 mit Hauptwohnsitz im Polizeianhaltezentrum XXXX gemeldet ist.
Die Feststellung, dass sich die Situation in Bezug auf das Privat- und Familienleben des BF seit der Entscheidung in den Vorverfahren nicht entscheidungswesentlich geändert hat, beruht darauf, dass sich weder aus seiner Schilderung noch aus den vorgelegten Akten und den vom BVwG vorgenommenen Registerabfragen entscheidungswesentlichen Änderungen ergeben. Seine Deutschkenntnisse, seine in Österreich lebenden Angehörigen (Onkel, Cousins, Neffen) und seine hier geknüpften Sozialkontakte wurden bereits in den vorangegangenen Verfahren berücksichtigt, ebenso seine im Kosovo lebenden Familienmitglieder (Mutter, Brüder, Tochter).
Das BFA legt seiner Entscheidung Informationen über die allgemeine Situation im Kosovo zugrunde, die von verschiedenen anerkannten Institutionen stammen und ein konsistentes Gesamtbild ergeben. Das BVwG hegt keine Zweifel an der Richtigkeit der in den zu überprüfenden Bescheid unter Angabe konkreter Quellen aufgenommenen Feststellungen zur Lage im Kosovo und übernimmt diese. Entscheidungswesentliche Änderungen seit dem Bescheid des BFA vom 01.08.2016 liegen nicht vor, zumal sich die in diesen Bescheid aufgenommenen Länderinformationen nur unwesentlich von den in den nunmehr zu beurteilenden Bescheid aufgenommenen unterscheiden und die Situation im Kosovo nicht volatil ist. Es gibt unter Berücksichtigung der aktuellen Berichte zur Lage im Kosovo keine Anhaltspunkte dafür, dass die damals getroffenen Feststellungen zur Situation dort unrichtig oder nicht mehr aktuell sein könnten oder dass in der Zwischenzeit eine entscheidungswesentliche Änderung eingetreten wäre, zumal der Kosovo laut § 1 HStV jedenfalls seit 2009 als sicherer Herkunftsstaat gilt.
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 22 Abs 10 AsylG ergehen Entscheidungen des BFA über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs 3 AVG. Die Verwaltungsakten sind dem BVwG unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese gilt als Beschwerde an das BVwG.
Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes entscheidet das BVwG im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss. Dabei wird einerseits geprüft, ob die materiellen Voraussetzungen des § 12a Abs 2 AsylG vorliegen und andererseits, ob das BFA bei der Durchführung des Verfahrens die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten hat. Beides ist hier der Fall.
§ 12a Abs 2 AsylG ermöglicht dem BFA die bescheidmäßige Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bei Folgeanträgen, wenn kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG (Folgeanträge nach einer Entscheidung gemäß § 4a AsylG [Schutz in einem anderen EWR-Staat oder in der Schweiz] oder § 5 AsylG [Zuständigkeit eines anderen Staats]) vorliegt. Voraussetzung ist, dass gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Ein Folgeantrag ist gemäß § 2 Abs 1 Z 23 AsylG jeder weitere Antrag auf internationalen Schutz, der einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag zeitlich nachfolgt. Da dem Antrag auf internationalen Schutz vom 03.12.2019 bereits rechtskräftig erledigte Anträge des BF vorangingen, handelt es sich um einen Folgeantrag. Es liegt kein Fall des § 12a Abs 1 AsylG vor. Gegen den BF besteht eine aufrechte Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot. Er hat Österreich seit deren Erlassung nicht verlassen.
Das BFA geht nach dem derzeitigen Verfahrensstand zu Recht davon aus, dass auch der zweite Folgeantrag des BF voraussichtlich gemäß § 68 AVG zurückzuweisen sein wird, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht geändert hat. Bei der dabei anzustellenden Prognoseentscheidung ist relevant, ob eine Sachverhaltsänderung behauptet wird, die zu einem anderen Ergebnis als im vorangegangenen Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Sache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern (vgl VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783).
Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs 2 Z 2 AsylG ("wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist") führen die Gesetzesmaterialien (RV 220 BlgNR 24. GP 13) aus, dass "eine Grobprüfung in Form einer Prognose über die Zulässigkeit des Antrags" zu treffen ist. Zieht man das vom Gesetz angestrebte Ziel in Betracht, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen, kann damit nur gemeint sein, dass schon bei einer Grobprüfung die (spätere) Zurückweisung des Folgeantrags auf der Hand liegt, weil sich der maßgebliche Sachverhalt nicht entscheidungswesentlich geändert hat. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtigt daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs 2 AsylG. Es muss sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichnet. Nur dann kann auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolgt, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deutet - unter Bedachtnahme auf Art 41 Abs 1 lit b der Richtlinie 2013/32/EU - etwa auch die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich sind aber auch andere Umstände, die den Schluss zulassen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (siehe VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0338).
Diese Voraussetzung ist hier erfüllt, weil der BF den zweiten Folgeantrag erst nach der Entlassung aus der Strafhaft und nach der Anordnung der Schubhaft stellte, ohne die nunmehr behaupteten Umstände schon früher, etwa im Rückkehrentscheidungsverfahren 2016, vorzubringen. Er begründet den nunmehrigen Antrag im Wesentlichen mit den bereits in den früheren Asylverfahren geltend gemachten Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen. Soweit er sich auf seine Tätigkeit für die AKSh in den Jahren 2001 bis 2003 stützt, wurde dieser Sachverhalt bereits vor der Entscheidung über seinen ersten Asylantrag verwirklicht. Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der rechtskräftigen Entscheidung über den ersten Asylantrag vorlagen, sind nicht geeignet, einen maßgeblich geänderten Sachverhalt im Sinn des § 68 Abs 1 AVG zu begründen und rechtfertigen somit keine neue Sachentscheidung (vgl. VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0263).
Die weiters behauptete Bedrohung durch das dem BF im November 2019 über Facebook zugegangene Drohvideo kann dagegen keinem Konventionsgrund zugeordnet werden, sodass schon aus diesem Grund keine asylrelevante Verfolgung vorliegen kann, selbst wenn diese Behauptung zutreffen sollte. Die kosovarischen Behörden sind außerdem in Bezug auf eine derartige Bedrohung durch eine Privatperson - wie sich aus den in den Bescheid vom 13.12.2019 aufgenommenen Länderinformationen ergibt - schutzfähig und -willig, zumal der Kosovo gemäß § 19 Abs 5 BFA-VG iVm § 1 Z 2 HStV als sicherer Herkunftsstaat gilt. Die Festlegung eines Staates als sicherer Herkunftsstaat spricht für die Annahme einer grundsätzlich bestehenden staatlichen Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit der Behörden dieses Staates, zumal hier keine spezifischen fallbezogenen Umstände aufgezeigt wurden, die dazu führen könnten, dass der vorhandene staatliche Schutz im Kosovo gerade dem BF nicht zuteil werden würde (siehe VwGH 30.10.2019, Ra 2019/14/0436).
Im Ergebnis liegt daher keine relevante Sachverhaltsänderung vor; es ist vielmehr davon auszugehen, dass der BF nur deshalb neuerlich internationalen Schutz beantragt hat, um die unmittelbar bevorstehende Durchsetzung der 2016 erlassenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verhindern.
Vor Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12 Abs 2 Z 3 AsylG eine Refoulement-Prüfung im weiteren Sinn und eine Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK vorzunehmen. Das BFA ist hier zutreffend davon ausgegangen, dass die Abschiebung für den BF keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 (Recht auf Leben), Art 3 (Verbot der Folter) oder Art 8 (Recht auf Privat- und Familienleben) EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (Abschaffung der Todesstrafe) bedeutet und für ihn als Zivilperson auch keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringt. Weder in den vorangegangenen Verfahren noch in diesem Verfahren sind konkrete Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Gefahr hervorgekommen. Es liegen - insbesondere angesichts der stabilen Situation im Kosovo, wo die Todesstrafe abgeschafft ist und kein bewaffneter Konflikt herrscht - keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF abweichend von dieser Einschätzung nunmehr durch die Rückkehr in seine Heimat doch dem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
Auch zur Interessenabwägung iSd Art 8 EMRK ist auf die Entscheidung des BFA vom 01.08.2016 zu verweisen. Eine maßgebliche Änderung der für den Verbleib des BF in Österreich sprechenden Interessenlage, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen könnte, liegt nicht vor, sodass nach wie vor kein unverhältnismäßiger Eingriff in sein Privat- und Familienleben anzunehmen ist, zumal seither noch eine weitere strafgerichtliche Verurteilung hinzugekommen ist. Im nunmehrigen Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte für eine maßgebliche weitere soziale Verfestigung oder Integration ergeben, zumal der BF seither durchgehend in Haft war und seine Tochter und andere nahe Angehörige nach wie vor im Kosovo leben.
Das BFA hat die bei der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes einzuhaltenden Verfahrensschritte eingehalten und ist der ihm obliegenden Verpflichtung, ein Ermittlungsverfahren gemäß § 18 AsylG durchzuführen, ordnungsgemäß nachgekommen. Dem BF wurde Parteiengehör eingeräumt; es wurde ihm auch Gelegenheit zur Stellungnahme zu den wesentlichen Berichten zur allgemeinen Lage im Kosovo gegeben. Im Ergebnis ist daher die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs 2 AsylG durch den mündlich verkündeten Bescheid des BFA festzustellen.
Erhebliche Rechtsfragen von der über den Einzelfall hinausgehenden, grundsätzlichen Bedeutung iSd Art 133 Abs 4 B-VG stellten sich nicht, weshalb die Revision an das Höchstgericht nicht zuzulassen ist.
Schlagworte
faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G314.1301498.5.00Zuletzt aktualisiert am
11.03.2020