TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/23 G305 2192367-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.12.2019
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Entscheidungsdatum

23.12.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G305 2192367-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX alias XXXX, geb. XXXX, StA.: Irak, vertreten durch ARGE RECHTSBERATUNG, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.03.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.11.2019 zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Am 24.05.2015, 07:45 Uhr, stellte der im Bundesgebiet nicht zum Aufenthalt berechtigte Salman AWAD (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF) vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 26.05.2015, wurde er ab 15:20 Uhr durch ein Organ der öffentlichen Sicherheitsbehörde einer Erstbefragung unterzogen, anlässlich der er zu seinen Fluchtgründen befragt, angab, dass er im Herkunftsstaat mehrere Jobs gehabt zu haben. Sein letzter Job sei der eines Taxifahrers gewesen. Als er einen Fahrgast hatte, seien sie von Terroristen angehalten worden und diese hätten seinen Fahrgast getötet. Er sei von der Behörde beschuldigt worden, den Mord begangen zu haben und sei deshalb 45 Tage im Gefängnis gewesen. Dort sei er gefoltert worden und schließlich habe man ihn freigesprochen. Danach sei er psychisch am Ende gewesen. Er habe nicht einmal mehr allein auf die Straße gehen können, weshalb er beschlossen habe, sein Land zu verlassen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht (AS 35).

3. Am 13.03.2018 wurde er durch die belangte Behörde einer niederschriftlich dokumentierten Einvernahme unterzogen, anlässlich der er zu seinen Gründen für das Verlassen des Heimatlandes im Wesentlichen kurz zusammengefasst angab, dass er dieses nicht "aus Liebe zu Europa" verlassen hätte, sondern wegen der Menschenrechte hierhergekommen wäre (AS 87 unten). Er sei als Taxifahrer tätig gewesen und habe es einen Zwischenfall mit terroristischen Gruppierungen gegeben, anlässlich dessen ein Journalist vor seinen Augen getötet worden sei. Dabei seien sieben Kugeln auf den Kopf des Getöteten abgefeuert worden. Den Leichnam habe er ins Krankenhaus gefahren. Dort sei die Polizei gekommen und hätte ihn festgenommen. In der Folge sei er festgenommen und ausgepeitscht worden. Als sich seine Unschuld herausstellte, sei er vom Gericht freigelassen worden. Nach seiner Freilassung habe er vor allem Angst gehabt (AS 88 oben).

4. Mit Bescheid vom 15.03.2018, Zl. XXXX, sprach die belangte Behörde aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vom 24.05.2015 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG und der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen werde (Spruchpunkte I.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt II.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen werde und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Irak zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diesen ihm am 19.03.2018 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid erhob dieser am 10.04.2018 im Wege seiner ausgewiesenen Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, die er auf die Beschwerdegründe "inhaltliche Rechtswidrigkeit" und "Mangelhaftigkeit des Verfahrens" stützte und mit den Anträgen verband, das Bundesverwaltungsgericht wolle den angefochtenen Bescheid zur Gänze beheben und dem BF Asyl gewähren (I.), in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit zur Gänze beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen (§ 28 Abs. 3 und 4 VwGVG) (II.), für den Fall der Abweisung der obigen Beschwerdeanträge gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG feststellen, dass dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zukommt (III.), sowie feststellen, dass die gemäß § 52 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist und feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (plus) gemäß § 55 AsylG vorliegen und dem BF gemäß § 58 Abs. 2 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung (plus) von Amts wegen erteilen (IV.), sowie in eventu feststellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG vorliegen und ihm eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß dieser Bestimmung erteilen (V.) und eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen (VI.).

6. Am 18.11.2019 wurde eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführt, anlässlich welcher der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetsch für seine Muttersprache als Partei einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF führt die im Spruch angegebene Identität (XXXX) und stammt aus XXXX, in der Provinz AL ANBAR.

Dort ist er sieben Jahre zur Schule gegangen und hat sich dort mit einer Arbeit als Schweißer, Maler, Taxifahrer und als Fleischer den Lebensunterhalt aus eigenem verdient (PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 5 oben).

Der BF hat in XXXX bis zu seiner zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 2014 erfolgten Ausreise aus dem Herkunftsstaat mit seinen beiden Brüdern, XXXXund XXXX, seiner jüngeren Schwester XXXX und seiner Mutter XXXX sowie der Großmutter und dem Großvater in einer Wohnung gelebt [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 6 unten; AS 31].

Er ist gesund und grundsätzlich arbeitsfähig.

1.2. Der BF gehört der Ethnie der dort ansässigen Mehrheitsbevölkerung der Araber an, spricht arabisch und bekennt sich zum muslimischen Glauben.

1.3. Er war zu keinem Zeitpunkt Mitglied einer politischen Partei oder einer anderen politisch aktiven Bewegung oder bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 5 Mitte]. Auch war er politisch nie tätig [AS 91].

1.4. Die gesamte Familie des BF lebt an verschiedenen Orten des Irak.

Seine Mutter XXXX und die jüngere Schwester XXXX leben in einer Wohnung in der Stadt XXXX und bezieht die Mutter nach ihrem verstorbenen Ehegatten eine staatliche Pension [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 5 unten und 7 unten; AS 31]. Die jüngere Schwester XXXX ist ledig und geht - ebenso wie die ältere Schwester - keiner Erwerbstätigkeit nach [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 5 unten und S. 8 oben; AS 31].

Seine ältere, XXXXSchwester XXXX, ist verheiratet und ist ihr Ehegatte Verkehrspolizist in XXXX. Er bezieht ein monatliches Gehalt in Höhe von EUR 1.000,00. Die ältere Schwester des BF hat zwei Söhne, wovon einer vier Jahre alt ist und der zweite 11 Jahre alt ist und eine Tochter, die ca. 7 Jahre alt ist [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 6 Mitte]. Sie lebt mit ihrer Familie in einer Wohnung [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 6 unten].

Die Kinder der älteren Schwester des BF und dessen jüngere Schwester besuchen in XXXX die Schule [PV des BF in Verhandlungsniederschrift, S. 6 unten].

Der BF hat mit seiner älteren Schwester monatlich telefonisch Kontakt [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 6 oben].

Die Mutter, die jüngere und die ältere Schwester des BF, sowie die Kinder seiner älteren Schwester und deren Ehegatte haben sich stets durchgehend in der Heimatstadt des Beschwerdeführers, XXXX, aufgehalten.

1.5. Der BF ist zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt des Jahres 2014 (ausgehend von seiner Heimatstadt XXXX) mit dem aus dem Herkunftsstaat in die Türkei ausgereist [AS 31 unten; AS 33; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 6 unten]. Bei seiner Ausreise hatte er keine Probleme.

Er lebte dann ca. ein Jahr lang in die Türkei, ehe er von Izmir ausgehend auf die griechische Insel Mytilini übersetzte. Nach erfolgter erkennungsdienstlicher Behandlung in Griechenland reiste er schlepperunterstützt nach Österreich weiter, wo er am 24.05.2015 ohne Mitnahme eines gültigen Reisedokuments (sohin illegal) die Grenze ins Bundesgebiet überquerte [AS 33 unten].

Nach erfolgtem Aufgriff durch Organe der österreichischen Sicherheitsbehörde stellte er am 24.05.2015, 07:45 Uhr, einen Asylantrag.

1.6. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.7. Er hat - außer sich selbst - keine im Bundesgebiet lebenden bzw. hier aufhältigen Verwandte bzw. nahe Angehörige.

Er ist ledig und lebt auch in keiner Partnerschaft [AS 87 oben; PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 4 unten].

1.8. Der BF geht in Österreich keiner Arbeit bzw. regelmäßigen Beschäftigung nach.

Er lebt von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 8 unten]

Er weist lediglich rudimentäre Kenntnisse der deutschen Sprache auf [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 8 Mitte].

Es konnten keine Anhaltspunkte in Hinblick auf eine soziale Aufenthaltsverfestigung des BF im Bundesgebiet festgestellt werden, was sich darin äußert, dass er nach eigenen Angaben nur wenig Kontakt zu anderen Personen hat, weil er (nach eigenen Angaben) keine Lust dazu hat. Er besucht weder eine Schule, noch die Universität, noch ist er aktives Mitglied in einem Verein [PV des BF in Verhandlungsniederschrift vom 18.11.2019, S. 9 oben].

1.9. Der BF war im Herkunftsstaat weder aus politischen noch aus religiösen Gründen noch sonst einer asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt.

1.10. Der BF hat bis zu seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat in seiner Heimatstadt XXXX den Beruf eines Taxilenkers ausgeübt. Wegen der Ausübung dieser Tätigkeit wurde er zu keinem Zeitpunkt Opfer einer Bedrohung oder eines gegen ihn gerichteten Angriffes.

Er musste auch zu keinem Zeitpunkt miterleben, dass ein Fahrgast, den er mit seinem Fahrzeug transportierte, von unbekannten Tätern ermordet worden wäre.

Der BF befand sich zu keinem Zeitpunkt in Verwahrungshaft und war auch nie Opfer einer Folter durch Exekutivorgane des Herkunftsstaates.

Er musste sich auch nie wegen Mordverdachts einem Gerichtsverfahren im Herkunftsstaat stellen.

Er war auch sonst zu keinem Zeitpunkt einer Bedrohung oder Verfolgung durch Exekutivorgane ausgesetzt.

1.11. Der BF hat den Irak nicht deshalb verlassen, weil seine Heimatstadt XXXX vom IS angegriffen bzw. diese Stadt zum Schauplatz von Kämpfen zwischen dem IS, schiitischen Milizen und der irakischen Armee geworden wäre.

Er hat auch nicht versucht, deshalb in anderen Landesteilen Schutz zu finden.

1.12. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:

Am 10.06.2014 eroberten radikale Islamisten, organisiert unter dem Dach des ISIL - Islamic State of Iraq and Levante (später ISIS, dann IS) - die Millionenstadt Mossul (Ninive-Ebene), darunter das Regierungsgebäude, den Mossul International Airport und alle Polizei und Militärbasen. Kurz darauf fielen auch weite Teile der Ninive-Ebene unter die Kontrolle der Islamisten. In der südwestlich von Mossul gelegenen Provinz Anbar konnten die Islamisten schon seit Anfang des Jahres eine Operationsbasis errichten und den Vormarsch in den irakischen Norden planen. Ihr Ziel war es, einen islamischen Gottesstaat in weiten Teilen Syriens und des Irak zu errichten. In Mossul wurde eine historische Kirche in Brand gesetzt. Mit der Einnahme von Polizeistationen und Militärbasen konnten die Kämpfer des IS schwere Waffen und Munition beschlagnahmen.

Nach ihrem Einmarsch in Mossul markierten Angehörige der IS-Truppen die Besitztümer von Minderheiten und fordern eine "Jihad-Steuer" von den wenigen verbliebenen Einwohnern. Dabei gerieten die christlichen Assyrer und Yeziden unter Druck und wurden zu Binnenflucht getrieben. In den Länderinformationen scheint nicht auf, dass muslimische Araber, darunter solche, sunnitischer Glaubensrichtung, von den Angehörigen des IS unter Druck gesetzt oder gar vertrieben worden wären.

Quellen:

BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Letzter Zugriff am 25.10.2018) Zentralverband der assyrischen Vereinigungen in Deutschland und Europäische Sektionen e.V., Dokumentation: Verfolgung und Vertreibung der assyrischen Christen im Nordirak 2014

(https://zavd.de/wp-content/uploads/2015/12/ZAVD-Dokumentation-Ereignisse-Irak-2014.pdf [Abfrage 25.10.2018]).

Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die seit dem Jahr 2014 währenden kriegerischen Ereignisse im Irak brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile, sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein erheblicher Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Seit dem Jahr 2014 wurden über drei Millionen Binnenvertriebene und über eine Million Binnenrückkehrer innerhalb des Iraks registriert.

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk, doch gab der Premierminister AL-ABADI im Dezember 2017 bekannt, dass der IS, auch in diesen Gebieten, besiegt sei. Seitdem befindet sich der IS in einem taktischen Wandel, indem er sich auf die ländlichen Regionen des Landes fokussiert und dort versucht die Kontrolle zurückzuerlangen. Zugleich verstärkt er seine Konfrontation mit Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden IS-Angriffe vermehrt in Bagdad statt, wobei eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben festzustellen ist (Joel Wing 6.10.2018). Mit Stand Oktober 2018 waren irakische Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang, mit dem Ziel, eine Etablierung des IS zu verhindern und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Betreffend vormals von IS kontrollierte ländliche Gebiete, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu IS-Angriffen (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018) und zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018). Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. In vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in BAGDAD und anderen Städten im Südirak und im Zentralirak seine - wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte - Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt durch die genannten Ereignisse. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Die Sicherheitslage hat sich im Irak nach dem Sieg über den IS generell deutlich verbessert. Eine Bürgerkriegssituation oder bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen im Irak können nicht festgestellt werden.

Es ist - wie sich an den in Ramadi lebenden Familienmitgliedern des BF zeigt, möglich, dort sicher und ohne von sicherheitsrelevanten Vorfällen behelligt zu werden, zu leben.

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter, Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats zählen im Irak zur gefährdeten Berufsgruppe. Es wird auch berichtet, dass Extremisten und bewaffnete Gruppen Angriffe auf Künstler, Poeten, Schriftsteller und Musiker verübt hätten (USDOS 3.3.2017). Dass in Ramadi zielgerichtet Angriffe auf Taxilenker verübt würden, ist den Länderberichten nicht zu entnehmen.

Nach der Verfassung des Irak ist das Recht auf freie Meinungsäußerung gewährleistet, sofern die Äußerung nicht die öffentliche Ordnung oder die Moral verletzt, Unterstützung für die Baath-Partei ausdrückt oder das gewaltsame Verändern der Staatsgrenzen befürwortet. Der größte Teil der Einschränkungen dieses Rechts kommt durch Selbstzensur auf Grund von glaubhafter Furcht vor Repressalien durch die Regierung, politische Parteien, ethnische und konfessionelle Kräfte, terroristische und extremistische Gruppen oder kriminelle Banden zustande (USDOS 3.3.2017).

Die Verfassung vom 15.10.2005 (Art. 38 C und 39) normiert ausdrücklich die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter dem Vorbehalt der öffentlichen Ordnung und stellt die nähere Ausgestaltung durch ein Gesetz in Aussicht, das es aber noch nicht gibt. Im Alltag wird die Versammlungs- und Meinungsfreiheit durch das seit dem 7.11.2004 geltende "Gesetz zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit" eingeschränkt, das u. a. die Verhängung eines bis zu 60-tägigen Ausnahmezustands ermöglicht. Die wöchentlichen Demonstrationen gegen Korruption seit August 2015 bis in die zweite Jahreshälfte 2016 konnten weitgehend ungestört stattfinden (AA 7.2.2017). Die meisten der Demonstrationen im Süden waren von massiver Sicherheitspräsenz begleitet und waren friedlich (USDOS 3.3.2017).

Quellen:

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BFA Staatendokumentation: Länderinformationsblatt zu Irak, 25.10.2017,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1416409/5818_1508929404_irak-lib-2017-08-24-ke.doc mwN (Letzter Zugriff am 25.10.2018)

-

Musings on Iraq, 2017 Security in Iraq in Review Defeat of the Islamic State on the Battlefield, 03.01.2018, http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2018/01/2017-security-in-iraq-in-review-defeat_3.html (Letzter Zugriff am 25.10.2018)

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Schwedische Einwanderungsbehörde, The Security Situation in Iraq:

July 2016 - November 2017, 18.12.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1420556/1226_1514470370_17121801.pdf (Letzter Zugriff am 25.10.2018).

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 7.2.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2016-07-02-2017.pdf, letzter Zugriff am 25.10.2018.

Die Grundschulbildung ist für Kinder, die die irakische Staatsbürgerschaft besitzen, in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der kurdischen Autonomieregion besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten. Der Zugang zu Bildung von Kindern, die aufgrund des Konfliktes intern vertrieben wurden, ist stark einschränkt (USDOS 20.4.2018). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7 Prozent), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der Autonomen Region Kurdistan fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig. In den vom IS beherrschten Gebieten fand kein regulärer Schulunterricht statt (AA 12.2.2018).

Es gibt keine Berichte dazu, dass der irakische Staat Muslime sunnitischer Glaubensrichtung systematisch verfolgen und/oder misshandeln würde.

Der Bürgerkrieg im Irak in den Jahren 2006 und 2007 hat zwar die vormals friedliche Koexistenz zwischen den Sunniten und den Schiiten im Irak nochmals schwer erschüttert, doch ergeben sich aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat keine Anhaltspunkte in Hinblick auf eine systematische Verfolgung und Misshandlung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft. Mit einem Anteil von ca. 35 % - 40 % der Gesamtbevölkerung bilden die Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft die größte Gruppe der Minderheiten des Irak und sind in Gesellschaft und in der Politik vertreten und treten auch zu den Parlamentswahlen im Mai 2018 auch sunnitische Parteien an.

Es gibt nach wie vor Regionen, die mehrheitlich sunnitisch geprägt sind. Darüber gibt es auch in dem von Schiiten dominierten und weitestgehend stabilen Süden des Irak sunnitische Enklaven und ein weitestgehend beständiges und friedliches Nebeneinander von Angehörigen der sunnitischen und Angehörigen der schiitischen Glaubensgemeinschaft.

Eine landesweite und systematische Verfolgung für Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft besteht nicht. Ebensowenig werden interkonfessionelle Ehen zwischen schiitischen und sunnitischen Anhängern des Islam im Irak verfolgt oder solche Ehepartner misshandelt. Gemischte Hochzeiten sind möglich. Es gibt kein Erfordernis, hierfür die religiöse Identität der heiratenden Personen zu deklarieren. Die Zahl der gemischten Ehen erhöhte sich, insbesondere in Bagdad, in den letzten Jahren. In Bagdad und in anderen Städten gibt es einige Gegenden, in denen gemischt schiitische/sunnitische Ehepaare leben, ohne Sicherheitsrisiken ausgesetzt zu sein. In ländlichen Regionen kann es sein, dass solche Ehepaare durch Gruppierungen wie Al-Quaeda oder dem IS Sicherheitsrisiken ausgesetzt sind. Im Jahr 2006 wurden sunnitisch/schiitische Ehen gefördert, indem solchen Paaren ein Anspruch auf USD 2.000,00 eingeräumt wurde. Diese Förderung existiert zwischenzeitig nicht mehr.

Quellen:

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Al-Araby, 'Don't enter Baghdad': Wave of murder-kidnappings grips Iraq capital,

https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/5/17/dont-enter-baghdad-wave-of-murder-kidnappings-grips-iraq-capital, 17.05.2017 (Zugriff am 11.01.2019)

-

Institute of war, Final 2014 Iraqi National Elections Results by Major Political Groups (19.05.2014), http://iswiraq.blogspot.co.at/2014/05/final-2014-iraqi-national-elections.html#!/2014/05/final-2014-iraqi-national-elections.html (Zugriff am 10.01.2019)

-

Rudaw, Kurdish, Sunni MPs boycott Iraqi parliament session over budget dispute, 01.03.2018,

http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/03012018 (Zugriff am 10.01.2019)

-

UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017

https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf (Zugriff am 10.01.2019)

-

WING, Joel, Musings on Iraq, 649 Deaths, 275 Wounded Feb 2018 In Iraq (UPDATED), 03.03.2018 http://musingsoniraq.blogspot.co.at/ mwN (letzter Zugriff am 10.01.2019)

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Sushi-Ehen liegen in Bagdad wieder im Trend, Die Welt 23.11.2012, https://www.welt.de/politik/ausland/article111448530/Sushi-Ehen-liegen-in-Bagdad-wieder-im-Trend.html

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Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.05.2016 betreffend konfessionell gemischte Ehepaare

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Region Kurdistan: 30 Prozent) verankert (AA 12.2.2018). Frauen sind jedoch auf Gemeinde- und Bundesebene, in Verwaltung und Regierung, weiterhin unterrepräsentiert. Dabei stellt die Quote zwar sicher, dass Frauen zahlenmäßig vertreten sind, führt aber nicht dazu, dass Frauen einen wirklichen Einfluss auf Entscheidungsfindungsprozesse haben bzw. dass das Interesse von Frauen auf der Tagesordnung der Politik steht (K4D 24.11.2017). Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragrafen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht (AA 12.2.2018).

Frauen sind weit verbreiteter gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt und werden unter mehreren Aspekten der Gesetzgebung ungleich behandelt (FH 16.1.2018). Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018; vgl. UNIraq 13.3.2013, MIGRI 22.5.2018). Die prekäre Sicherheitslage in Teilen der irakischen Gesellschaft hat negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten der Frauen (AA 12.2.2018). In der Praxis ist die Bewegungsfreiheit für Frauen auch stärker eingeschränkt als für Männer (FH 16.1.2018).

Scheidung bleibt im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vgl. MIGRI 22.5.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.2.2018). Laut einer Studie führt das mit einer Scheidung assoziierte gesellschaftliche Stigma dazu, dass viele Frauen in Beziehungen bleiben, in denen sie Missbrauch ausgesetzt sind, um Ablehnung bzw. die Androhung von noch größerer Gewalt durch Familienmitglieder und Mitglieder der Community zu vermeiden. In manchen Fällen ist das Stigma so groß, dass Frauen von ihren Familien gezwungen werden, zu ihren sie misshandelnden Ehemännern zurückzukehren. Geschiedene Frauen, die zu ihren Familien zurückkehren, sind aufgrund ihres Status als geschiedene Frauen oft weiteren Formen des Missbrauchs und der Stigmatisierung ausgesetzt (MRG 11.2015).

Häusliche Gewalt ist weiterhin ein allgegenwärtiges Problem (USDOS 20.4.2018), vor dem Frauen nur wenig rechtlichen Schutz haben (HRW 18.1.2018). Das irakische Strafgesetz enthält zwar Bestimmungen zur Kriminalisierung von Körperverletzung, es fehlt jedoch eine ausdrückliche Erwähnung von häuslicher Gewalt (HRW 18.1.2018; vgl. MIGRI 22.5.2018).

Während sexuelle Übergriffe, wie z.B. Vergewaltigung, sowohl gegen Frauen als auch gegen Männer strafbar sind, sieht Artikel 398 des irakischen Strafgesetzbuches vor, dass Anklagen aufgrund von Vergewaltigung fallen gelassen werden können, wenn der Angreifer das Opfer heiratet (HRW 18.1.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies trifft auch zu wenn das Opfer minderjährig ist (MIGRI 22.5.2018). Vergewaltigung innerhalb der Ehe stellt keine Straftat dar (MIGRI 22.5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Laut Studien handelt es sich bei denjenigen, die häusliche Gewalt gegen Frauen ausüben, am häufigsten um den Ehemann bzw. den Vater der Frau, gefolgt von Schwiegereltern, Brüdern und anderen Familienmitgliedern (UNFPA 2016; vgl. CSO 6.2012, MIGRI 22.5.2018). Täter, die Gemeinschaft, aber auch Opfer selbst sehen häusliche Gewalt oft als "normal" und rechtfertigen sie aus kulturellen und religiösen Gründen (UNFPA 2016; vgl. MRG 11.2015, MIGRI 22.5.2018). Frauen tendieren dazu häusliche Gewalt aus Scham oder Angst vor Konsequenzen nicht zu melden, manchmal auch um den Täter zu schützen (UNFPA 2016; vgl. MIGRI 22.5.2018). Der Großteil befragter Frauen hatte kein Vertrauen in die Polizei und hielt den von ihr gebotenen Schutz für nicht angemessen (MIGRI 22.5.2018).

Der Irak verfügt zurzeit über keinen adäquaten rechtlichen Rahmen, um Frauen und Kinder vor häuslicher, sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu schützen bzw. Opfern solcher Gewalt sichere Zufluchtsorte zur Verfügung zu stellen (UNAMI 14.12.2017; vgl. MIGRI 22.5.2018). Die derzeitige Version eines Gesetzesentwurfs zum Familienschutz, der vom Parlament verzögert wird, räumt der Familienaussöhnung eine höhere Priorität als dem Opferschutz ein (UNAMI 14.12.2017). Das Innenministerium unterhält 16 Familienschutzeinheiten im ganzen Land, die dafür bestimmt sind, häusliche Streitigkeiten zu lösen und sichere Zufluchtsorte für Opfer sexueller oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen. Diese Einheiten tendieren jedoch dazu, der Familienversöhnung Vorrang vor dem Opferschutz einzuräumen und verfügen nicht über die Fähigkeit, Opfer zu unterstützen.

Quellen:

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AA - Auswartiges Amt (12.2.2018): Bericht uber die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschlandauswaertigesamt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irakstanddezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 29.8.2018

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FH - Freedom House (16.1.2018): Freedom in the World 2018: Iraq - Profile, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/iraq, Zugriff 10.9.2018

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ILO - International Labour Organisation (1.2016): Iraq - Country Fact Sheet,

https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---arabstates/---ro-beirut/documents/publication/wcms_444514.pdf, Zugriff 31.8.2018

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K4D - Knowledge, evidence and learning for development (24.11.2017): Women's participation in peacebuilding and reconciliation in Iraq,

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CSO - Central Statistical Organization, Ministry of Planning (6.2012): Iraq Women Integrated Social and Health Survey (I-WISH), https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/IWISH% 20Report%20English.pdf, Zugriff 5.9.2018

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HRW - Human Rights Watch (17.12.2017): Iraq: Parliament Rejects Marriage for 8-Year-Old Girls,

https://www.hrw.org/news/2017/12/17/iraq-parliament-rejects-marriage-8-year-old-girls, Zugriff 29.8.2018

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https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 3.9.2018

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MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq:

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UNFPA - United Nations Population Fund (2016): The GBV Assessment in Conflict Affected Governorates in Iraq, https://iraq.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/The%20GBV %20Assesment.pdf, Zugriff 4.9.2018

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USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018 USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.9.2018

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten auf einem relativ hohen Niveau. Allein in der ersten Jahreshälfte 2017 kehrten aus Österreich in etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück - von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützten Rückkehr (BFA 11.8.2017).

Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - ua von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598 1531143225 deutschlandauswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf.

Zugriff 12.10.2018

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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (11.8.2017): IRAK Ausreise Quartalsweise, per E-Mail

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag,

https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570. Zugriff 20.11.2018

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IEC - Iraq's Economic Center (24.1.2018): Rising Real Estate Prices in Iraq encourages buying abroad, http://en.economiciraq.com/2018/01/24/rising-real-estate-prices-in-iraqencourages-buying-abroad/. Zugriff 17.10.2018

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IOM - International Organization for Migration (2.2018): Iraqi returnees from Europe: A snapshot report on Iraqi Nationals upon return in Iraq.

https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/DP.1635%20- %20Iraq Returnees Snapshot-Report%20-%20V5.pdf. Zugriff 16.10.2018

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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