TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/30 G314 2226828-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.12.2019
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Entscheidungsdatum

30.12.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G314 2226828-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des polnischen Staatsangehörigen XXXX, geboren am XXXX, vertreten durch den Rechtsanwalt Mag. Thomas PFALLER, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX.2018 im österreichischen Bundesgebiet verhaftet; seither wird er in Untersuchungs- bzw. Strafhaft angehalten. Mit Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 21.12.2018 wurde er aufgefordert, sich zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu äußern. Er erstattete eine entsprechende Stellungnahme.

Nach seiner Einvernahme vor dem BFA am 17.10.2019 wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein achtjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit seiner strafgerichtlichen Verurteilung begründet; seine Krebserkrankung sei in Polen behandelbar.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des BF mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Hilfsweise beantragt er die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots, die Erteilung eines Durchsetzungsaufschubs und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass er sich seit 26 Jahren durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Er habe die Schule ab der zweiten Volksschulklasse in Österreich absolviert und sei einer geregelten Arbeit nachgegangen. Seien Mutter arbeite in der Gemeinde Stetten, wo der BF eine Genossenschaftswohnung besitze. Der anzuwendende Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs 1 letzter Satz FPG sei nicht erfüllt, zumal der BF nicht wegen bandenmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln verurteilt worden sei. Er habe lediglich mit de "Partydroge" Ecstasy gehandelt und einem verdeckten Ermittler Kokain (das er gar nicht hätte besorgen können) angeboten. Das Aufenthaltsverbot sei auch wegen des damit verbundenen Verstoßes gegen Art 8 EMRK unrechtmäßig. Neben der Wohnung, der Einstellungszusage und der in Österreich lebenden Mutter des BF sei zu berücksichtigen, dass in Polen nur seine betagte Großmutter lebe und dass es besser sei, wenn der mit der Krebserkrankung des BF vertraute Arzt dessen Behandlung hier fortsetze, auch wenn diese in Polen grundsätzlich behandelbar sei. Der Bescheid enthalte widersprüchliche Angaben zur Frage des Durchsetzungsaufschubs. Vom BF als Freigänger gehe keine unmittelbare Gefahr aus.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Feststellungen:

Der 1984 geborene BF ist polnischer Staatsangehöriger. Er beherrscht die deutsche und die polnische Sprache und spricht außerdem Englisch. Er lebt jedenfalls seit 1994 im Bundesgebiet, wo er nach dem Besuch der Volks- und der Hauptschule die Handelsschule absolvierte und seit 2003 - mit Unterbrechungen - teils selbständig, teils unselbständig erwerbstätig war. Zwischenzeitig bezog er auch Arbeitslosengeld, Notstandshilfe sowie Kranken- bzw. Rehabilitationsgeld. Seit Oktober 2009 ist eine Krebserkrankung (B-Zell-Lymphom) bekannt; der BF musste sich bereits zwei Mal einer Chemotherapie unterziehen; aktuell erhält er eine Erhaltungstherapie am XXXX, wo er zwei bis drei Stunden pro Monat ambulant behandelt wird.

Der BF ist seit 2009 geschieden. Er hat keine Kinder. In Österreich leben seine Mutter, Cousins und Cousinen sowie Freunde und Bekannte. Er hat eine Genossenschaftswohnung in Stetten, in der aktuell seine Mutter wohnt. In Polen lebt seine betagte Großmutter; der BF war zuletzt zu Weihnachten 2017 zu Besuch bei ihr.

Der BF wurde am XXXX.2018 verhaftet und zunächst in der Justizanstalt XXXX in Untersuchungshaft angehalten. Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX.2018, XXXX, wurde er wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 vierter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, 15 StGB zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung. Dieser lag zugrunde, dass er im Bundesgebiet mit einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Suchtgift handelte, indem er einerseits am XXXX.2017 einem verdeckten Ermittler 15 kg Kokain (Wirkstoff Cocain, Reinheitsgehalt zumindest 20 %) um EUR 600.000 anbot und andererseits ca. 15.000 Stück Ecstasy-Tabletten (Wirkstoff MDMA, Reinheitsgehalt 29,3 %) vor dem XXXX.2018 aus Deutschland aus- und nach Österreich einführte, am XXXX.2018 ein Stück an einen verdeckten Ermittler überließ und am XXXX.2018 versuchte, den Rest einem verdeckten Ermittler um EUR 42.000 zu überlassen, wobei es aufgrund seiner Festnahme beim Versuch blieb. Bei der Strafzumessung wurden die teilweise geständige Verantwortung des BF, die Sicherstellung der Ecstasy-Tabletten und einer Geldzählmaschine sowie der bis zu den Taten ordentliche Lebenswandel des BF, mit dem die Taten in einem auffallenden Widerspruch standen, als mildernd gewertet; erschwerend wirkten sich das Zusammentreffen von Verbrechen und die Menge des angebotenen Suchtgifts aus. Berücksichtigt wurde auch, dass der BF in einer schwierigen persönlichen Situation Geld für eine Alternativtherapie benötigte, sowie dass der soziale Störwert der Tat gering war, weil die Tathandlungen ausschließlich gegenüber verdeckten Ermittlern gesetzt wurden und das vorhandene Suchtgift sichergestellt wurde und nicht in den Verkehr gelangte, sodass trotz der nur minimal geständigen Verantwortung des BF mit einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von einem Fünftel des Strafrahmens das Auslangen gefunden werden konnte.

Aktuell verbüßt der BF die Freiheitsstrafe in der Justizanstalt XXXX, wo er als Freigänger angehalten wird. Nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug hat er einen Arbeitsplatz bei dem Unternehmen, bei dem er als Freigänger arbeitet, in Aussicht. Während der Haft macht er auch eine Drogentherapie.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG. Entscheidungswesentliche Widersprüche bestehen nicht.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen beruhen auf seinen Angaben vor dem BFA, den (dem BVwG in Kopie vorliegenden) Ausweisdokumenten und den entsprechenden Feststellungen im vorliegenden Strafurteil. Seine Sprachkenntnisse gab der BF vor dem BFA glaubhaft an. Polnischkenntnisse folgen aus seiner Herkunft und Staatsangehörigkeit; Deutschkenntnisse sind angesichts seines langjährigen Inlandsaufenthalts und der zum Großteil in Österreich absolvierten Ausbildung nachvollziehbar.

Der BF gab an, sich seit 26 Jahren im Bundesgebiet aufzuhalten. Demgegenüber gehen aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) durchgehende Hauptwohnsitzmeldungen (erst) seit Juli 1995 hervor; das früheste Schulzeugnis, das vorgelegt wurde, betrifft das Schuljahr 1994/95, in dem der BF die vierte Volksschulklasse abschloss. Es kann mangels objektiver Beweismittel keine Feststellung über einen Aufenthalt des BF vor 1994 getroffen werden, was jedoch angesichts seines überzeugend dokumentierten kontinuierlichen Inlandsaufenthalts seither nicht entscheidungswesentlich ist. Das Abschlusszeugnis der Hauptschule und der Handelsschule wurden vorgelegt.

Die Erwerbstätigkeit des BF und der Bezug von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe sowie Kranken- bzw. Rehabilitationsgeld gehen aus dem Versicherungsdatenauszug hervor, seine Krebserkrankung und deren Behandlung aus seinen Angaben vor dem BFA, die durch den Arztbrief vom XXXX.2016 untermauert werden. Unterlagen zum Erwerb der Genossenschaftswohnung wurden ebenfalls vorgelegt.

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF und den Strafzumessungsgründen beruhen auf dem Strafregister und dem Strafurteil. Es gibt keine Anhaltspunkte für Verurteilungen in anderen Staaten; deren Fehlen ergibt sich insbesondere daraus, dass die bisherige Unbescholtenheit als besonderer Milderungsgrund berücksichtigt wurde. Die Festnahme des BF ergibt sich aus der Haftinformation und der Vorhaftanrechnung laut dem Strafurteil, der Vollzug der Freiheitsstrafe aus der Wohnsitzmeldung des BF in den Justizanstalten XXXX und XXXX laut ZMR. Die Aussage des BF, er sei Freigänger und habe einen Arbeitsplatz in Aussicht, wird durch das Schreiben der XXXX vom 19.06.2019 belegt. Die Drogentherapie schilderte der BF vor dem BFA.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs 5 BFA-VG angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Gegen den Beschwerdeführer als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 67 Abs 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn auf Grund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Da sich der BF seit weit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält und die Kontinuität seines Aufenthalts durch die Haft nicht unterbrochen wurde, insbesondere, weil viele seiner Bezugspersonen in Österreich leben und er als Freigänger in einem Unternehmen außerhalb der Justizanstalt arbeitet, sodass es nicht zum Abreißen der hier geknüpften Integrationsbande gekommen ist, ist für die Zulässigkeit der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im vorliegenden Fall der verschärfte Gefährdungsmaßstab nach § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG maßgeblich. Mit dieser Bestimmung soll Art 28 Abs 3 lit a der Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs 4 Z 18 FPG) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (EuGH 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; siehe daran anknüpfend auch EuGH 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf; siehe VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248)

Da der BF zum ersten Mal straffällig wurde und dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zukommt, kein arbeitsteilig strukturierter Suchtgifthandel vorlag, der BF als Freigänger angehalten wird, eine Drogentherapie absolviert und einen Arbeitsplatz für die Zeit nach der Haft in Aussicht hat, kann hier - vor allem aufgrund der Strafzumessungsgründe - trotz der großen Suchtgiftmengen und der Ein- bzw. Ausfuhr von Suchtgift nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom BF begangenen Straftaten gesprochen werden. Somit kommt die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn auf Basis des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG entgegen der Ansicht des BFA nicht in Betracht, sodass der auf dieser Annahme fußende Bescheid in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben ist.

Da ein geklärter Sachverhalt vorliegt und der BF auch in der Beschwerde kein ergänzendes klärungsbedürftiges Tatsachenvorbringen erstattete, kann eine Beschwerdeverhandlung unterbleiben, zumal iSd § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG schon aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 25.04.2014, Ro 2014/21/0033). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (VwGH 11.05.2017, Ra 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G314.2226828.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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