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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):97/19/1387Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerden
1.) der 1961 geborenen FW und 2.) der 1986 geborenen LZ, beide in St. Pölten, beide vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres je vom 17. Juni 1997, Zlen. 1.) 120.653/5-III/11/97 und
2.) 120.653/6-III/11/97, jeweils betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerinnen haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerinnen beantragten am 26. September 1995 die Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltsbewilligungen.
Mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 23. August 1996 wurden diese Anträge jeweils gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) abgewiesen.
Die Zustellung dieser Bescheide an die Beschwerdeführerinnen erfolgte am 5. September 1996.
Mit ihren am 25. November 1996 überreichten Eingaben beantragten die Beschwerdeführerinnen jeweils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen die Bescheide vom 23. August 1996.
Begründend führten die Beschwerdeführerinnen im wesentlichen gleichlautend aus, der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin habe unter Beiziehung eines Gerichtsdolmetschers die Kanzlei des Beschwerdevertreters aufgesucht und, so heißt es im folgenden wörtlich, "diesem den Auftrag erteilt", sowohl für ihn als auch für die beiden Beschwerdeführerinnen Berufungen gegen Abweisungsbescheide vom 23. August 1996 zu erheben. Zu diesem Zweck sei dem Beschwerdevertreter Vollmacht und Auftrag erteilt worden.
Anläßlich der Besprechung mit dessen Mitarbeiter, Herrn Mag. OE, seien diesem die nötigen Informationen erteilt und Unterlagen übergeben worden. Aus dem Stapel der übergebenen Unterlagen habe sich Mag. OE jene Unterlagen herausgesucht, die er für die Abfassung des Rechtsmittels für notwendig erachtet habe und sodann den Rest der Papiere dem Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin zurückgestellt. Dabei seien offenbar irrtümlich die die Beschwerdeführerinnen betreffenden Bescheide wieder zurückgegeben worden, sodaß es habe geschehen können, daß der Beschwerdevertreter ungeachtet seines Auftrages lediglich namens des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin ein Rechtsmittel ausführte, nicht jedoch für die beiden Beschwerdeführerinnen. Ein solcher Irrtum sei dem in der Kanzlei des Beschwerdevertreters bereits seit fünf Jahren tätigen Mitarbeiter Mag. OE noch nie unterlaufen.
Mit Bescheiden des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 11. März 1997 wurden diese Wiedereinsetzungsanträge gemäß § 71 AVG abgewiesen. Begründend führte der Landeshauptmann von Niederösterreich aus, nach den Angaben der Beschwerdeführerinnen sei dem Beschwerdevertreter anläßlich einer persönlichen Vorsprache durch den Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin Vollmacht und Auftrag erteilt worden, gegen die in Rede stehenden Bescheide des Landeshauptmannes von Niederösterreich Berufung zu erheben. Der Beschwerdevertreter wäre daher gehalten gewesen, die Organisation seines Kanzleibetriebes derart einzurichten, daß die erforderliche und fristgerechte Einbringung der gegenständlichen Berufungen sichergestellt wird. Dies gelte grundsätzlich auch hinsichtlich der Kontrolle der Tätigkeit des bei einem Rechtsanwalt beschäftigten Rechtsanwaltsanwärters.
Die Beschwerdeführerinnen erhoben Berufung. In dieser Eingabe traten sie der Annahme der erstinstanzlichen Behörde, der Auftrag sei dem Beschwerdevertreter persönlich erteilt worden, nicht mit einem konkreten Vorbringen entgegen. Sie verwiesen jedoch darauf, daß der Fristvormerk in der Kanzlei des Beschwerdevertreters ordnungsgemäß eingerichtet sei. Dies ergebe sich schon daraus, daß die Berufung des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin rechtzeitig eingebracht worden sei. Es liege zum Zwecke des Fristenvormerkes im Sekretariat der Kanzlei ein Fristenbuch auf, in das sämtliche Termine von zuverlässigen Personen, nämlich einer jahrelang tätigen Kanzleileiterin eingetragen werden. Die Fristen würden von den tätigen Juristen an das Sekretariat weitergeleitet. Dies erfolge in der Form, daß über jede Konferenz und über jedes Telefonat ein Aktenvermerk aufgenommen werde, wobei auch die Rechtsmittelfristen diktiert und sodann von der Kanzleileiterin in das Fristenbuch eingetragen würden. Bei einlangenden Poststücken veranlasse bereits das Sekretariat selbst, bei nachfolgender Prüfung durch den Beschwerdevertreter, die Eintragung der Rechtsmittelfristen. Die Wahrnehmung der Rechtsmittelfristen werde sowohl vom Sekretariat als auch von den tätigen Juristen laufend überprüft. Im vorliegenden Fall habe aufgrund eines minderen Grades des Versehens dieses absolut zuverlässige System versagt, weil Mag. OE bereits während der Konferenz irrtümlich von den ihm übergebenen umfangreichen Urkunden zwei Bescheide zurückgereicht habe, die er bei seinen Papieren behalten und in der Folge auch in den Fristenvormerk hätte aufnehmen müssen. Es sei einem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, bei sämtlichen Konferenzen seiner Mitarbeiter anwesend zu sein und derartige Fehler durch Supervision zu vermeiden. Auch habe sich das Fristvormerksystem in der Vergangenheit stets als zuverlässig erwiesen. Bei der Retournierung der Bescheide, welche zur ordnungsgemäßen Erhebung einer Berufung in jedem Fall benötigt worden wären, handle es sich um eine einmalige Fehlleistung eines absolut zuverlässigen Mitarbeiters. Dieses Versehen sei dadurch begünstigt worden, daß das Memorieren chinesischer Namen für einen sprachunkundigen Europäer deutlich schwieriger sei als jenes europäischer Namen. So habe es geschehen können, daß Mag. OE bei Abfassen des Aktenvermerkes über die gegenständliche Konferenz und in der Folge beim Verfassen der Berufung die beiden anderen Berufungswerber nicht mit dem Ehegatten der Beschwerdeführerin assoziiert habe.
Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 17. Juni 1997 wurden diese Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 71 AVG abgewiesen, wobei die Berufungsbehörde ebenfalls von der Annahme der erstinstanzlichen Behörde ausging, der Auftrag sei anläßlich einer persönlichen Vorsprache des Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin beim Beschwerdevertreter erteilt worden, und im übrigen die rechtliche Beurteilung der erstinstanzlichen Behörde teilte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Beschwerden erwogen:
§ 71 Abs. 1 Z. 1 AVG lautet:
"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
..."
Die Beschwerdeführerinnen machen in ihren Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof nunmehr geltend, die Verwaltungsbehörden hätten ihr Antragsvorbringen falsch interpretiert. Die Ausführungen in den Wiedereinsetzungsanträgen, der Ehegatte der Erstbeschwerdeführerin habe den Auftrag dem Beschwerdevertreter erteilt, sei - entgegen der diesbezüglichen Deutung durch die Verwaltungsbehörden - lediglich dahin zu verstehen gewesen, daß das zivilrechtliche Auftragsverhältnis zwischen dem Beschwerdevertreter und den Beschwerdeführerinnen zustandegekommen sei. Tatsächlich sei die Entgegennahme des Auftrages in dem geschilderten Informationsgespräch durch den Konzipienten des Beschwerdevertreters in dessen Namen erfolgt.
Diesem Vorbringen ist zunächst entgegenzuhalten, daß die Beschwerdeführerinnen in ihren Berufungen den diesbezüglichen Deutungen ihres Antrages durch die erstinstanzliche Behörde nicht konkret entgegentraten. Davon abgesehen könnte dieses Vorbringen aber der Beschwerde aus folgenden Überlegungen nicht zum Erfolg verhelfen:
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an dem Fristversäumnis dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Es mußte daher im Beschwerdefall auch geprüft werden, ob den Beschwerdevertreter an der durch ein Versehen seines Konzipienten Mag. OE hervorgerufenen Fristversäumnis ein Verschulden trifft. Bei Beurteilung dieser Frage ist davon auszugehen, daß das Verschulden eines Kanzleibediensteten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Verschulden der Partei oder des bevollmächtigten Rechtsanwaltes nicht schlechterdings gleichzuhalten ist und daher nicht von vornherein die Wiedereinsetzung zugunsten der Partei ausschließt. Unbeschadet dessen ist allerdings stets zu prüfen, ob dem Rechtsanwalt ein eigenes, den minderen Grad des Versehens übersteigendes Überwachungsverschulden anzulasten ist. Während das Verschulden eines als Substituten des bevollmächtigten Rechtsanwaltes und damit als Vertreter der Partei selbst einschreitenden Rechtsanwaltes dem Verschulden der Partei gleichzuhalten ist, darf das Verschulden des beim bevollmächtigten Rechtsanwalt tätigen Rechtsanwaltsanwärters nicht schlechterdings dem Verschulden des Rechtsanwaltes selbst und damit der Partei gleichgesetzt werden. Es ist vielmehr auch im Falle eines die Versäumung einer Antragstellung verursachenden Verhaltens eines Rechtsanwaltsanwärters zu prüfen, ob den bevollmächtigten Rechtsanwalt selbst ein Verschulden im obgenannten Sinn trifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. April 1984, Zlen. 81/11/0027, 0028).
Bei der Prüfung der Frage, ob ein bevollmächtigter Rechtsanwalt der ihm obliegenden Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleibediensteten, somit auch gegenüber einem Rechtsanwaltsanwärter, durch dessen Versehen eine Frist versäumt wurde, nachgekommen ist, ist zu beachten, daß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Aufgaben, die aus dem Bevollmächtigungsvertrag erwachsen, auch insoweit erfüllen muß, als er sich zu ihrer Wahrnehmung seiner Kanzlei als seines Hilfsapparates bedient. Er muß gegenüber diesem Apparat alle Vorsorgen treffen, die die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben gewährleisten, die ihm nach dem Bevollmächtigungsvertrag obliegen. Insoweit der Rechtsanwalt diese Vorsorgen nicht in der Art und in dem Maß getroffen hat, wie es von ihm je nach der gegebenen Situation zu erwarten war, kommt ein Verschulden an einer späteren Fristversäumnis in Betracht. Insbesondere muß der bevollmächtigte Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, daß auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozeßhandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen unter anderem dafür vorzusorgen sein, daß Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Das gilt grundsätzlich auch hinsichtlich der Tätigkeit des bei einem Rechtsanwalt beschäftigten Rechtsanwaltsanwärters, dessen Verwendung ja unter der Verantwortung dieses Rechtsanwaltes erfolgt. Mögen auch die Anforderungen an das Ausmaß der Kontrolle gegenüber einem Rechtsanwaltsanwärter, dessen Verläßlichkeit der Rechtsanwalt im Verlauf seiner Tätigkeit festgestellt hat, wegen dessen juristischer Befähigung gegenüber einem sonstigen Kanzleibediensteten im Einzelfall geringer sein, so verstößt doch ein Rechtsanwalt gegen die oben umschriebene anwaltliche Sorgfaltspflicht, wenn er im Vertrauen auf die Verläßlichkeit des Rechtsanwaltsanwärters und im Hinblick auf das Ausbildungsziel einer selbständigen Tätigkeit des Rechtsanwaltsanwärters weder im allgemeinen noch im besonderen Kontrollsysteme vorgesehen hat, die im Falle eines Versagens des Rechtsanwaltsanwärters Fristversäumnisse auszuschließen geeignet waren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 1984, Zl. 83/11/0143).
Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen im Verwaltungsverfahren überließ der Beschwerdevertreter jedenfalls außerhalb der Bearbeitung des Posteinlaufes die Anordnung der Setzung von Fristvormerken und deren Überwachung in Ansehung der von ihnen bearbeiteten Angelegenheiten seinen juristischen Mitarbeitern, die Führung des Fristvormerkes überließ er dem Sekretariat.
Dem Beschwerdevertreter ist daher vorzuwerfen, daß er kein System einrichtete, welches ihm selbst, als dem für die Fristwahrung persönlich verantwortlichen Rechtsanwalt (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 26. April 1976, Slg. Nr. 9040/A), auch nur eine Kontrolle der diesbezüglichen Tätigkeiten des bei ihm beschäftigten Konzipienten ermöglichte. Auf Basis der Sachverhaltsannahmen im angefochtenen Bescheid hätte der Beschwerdevertreter demnach einen Auftrag persönlich übernommen, ohne seine fristgerechte Ausführung durch seinen juristischen Mitarbeiter zu überwachen.
Auf Basis des Beschwerdevorbringens hätte es der Beschwerdevertreter verabsäumt, ein System einzurichten, welches gewährleistet, daß er selbst überhaupt Kenntnis von den durch seinen Konzipienten in seinem Namen angenommenen Aufträgen erlangt. Selbst wenn man die Auffassung vertreten wollte, daß ein Rechtsanwalt die Entgegennahme von Aufträgen einem juristischen Mitarbeiter überlassen dürfte (vgl. hiezu allerdings das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 1987, Zl. 86/10/0114), so wäre auch hier durch entsprechende Kontrollmaßnahmen sicherzustellen, daß der Rechtsanwalt Kenntnis von den solcherart erteilten Aufträgen erlangt. Dies könnte etwa durch eine tägliche Berichtspflicht der Konzipienten gegenüber dem Rechtsanwalt gewährleistet werden.
Daß der Beschwerdevertreter aber ein solches Kontrollsystem eingerichtet hätte oder daß die gegenständliche Fristversäumung auch diesfalls notwendigerweise eingetreten wäre, wurde weder im Verwaltungsverfahren noch im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof behauptet.
Die Unterlassung der Einrichtung der oben aufgezeigten Kontrollsysteme ist dem Beschwerdevertreter als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden anzulasten.
Da somit die belangte Behörde die Wiedereinsetzungsanträge der Beschwerdeführerinnen zu Recht abgewiesen hatte, waren die Beschwerden gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997191386.X00Im RIS seit
03.04.2001Zuletzt aktualisiert am
10.10.2014