TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/16 W186 2227318-1

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Veröffentlicht am 16.01.2020
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Entscheidungsdatum

16.01.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35 Abs3

Spruch

W186 2227318-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Marokko, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 03.01.2020, Zl. 1192103603, sowie die Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG i.V.m. § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG i.V.m. § 76 Abs. 2 Z 2 FPG wird festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

III. Gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG i.V.m. § 1 Z. 3 und Z. 4 VwG-AufwErsV hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

IV. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Marokko (in weiterer Folge: BF) hat am 29.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; dieser Antrag wurde am 02.11.2018 durch die Behörde abgewiesen.

2. Der BF wurde durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zur Zahl 143 Hv 63/2018 am 19.10.2018 nach § 229 Abs 1 StGB; § 127 StGB; § 130 Abs 1 1.Fall StGB; § 15 StGB und § 241e Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt.

Weiters wurde der BF vom Landesgericht Wiener Neustadt zur Zahl 46 Hv 15/19g am 02.04.2019 wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach § 15 StGB; § 127 StGB und § 130 Abs 1

1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Diesbezüglich wurde durch das BFA RD N am 10.09.2019 ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren erlassen, welches seit dem 11.09.2019 durchsetzbar ist.

3. Dem BF wurde am 26.11.2019 eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugesandt. Der BF gab dazu die folgende Stellungnahme ab: "Ich bin am 29.05.2018 in Österreich eingereist und habe einen Antrag auf Asyl gestellt. Ich bin ledig und komme aus Marokko. Ich habe in Marokko keinerlei Angehörige mehr, da meine Eltern bereits verstorben sind. Mein Bruder, XXXX ist ca. XXXX Jahre alt, er lebt seit ungefähr 10 Jahren in Österreich und wohnt in XXXX Wien in der XXXX . Er ist mein einziger Angehöriger. In Marokko bin ich vier Jahre in die Schule gegangen, in meiner Heimat habe ich als Fliesenleger gearbeitet. In Österreich habe ich nie gearbeitet. In Marokko lebte ich zuletzt in Tanger. Ich wurde weder in meiner Heimat noch in einem anderen Land jemals verurteilt. In Österreich ist dies meine zweite Haft. Ich besitze keinerlei Reisedokument oder Ausweis, ich habe seinerzeit 2018 in Österreich einen Asylantrag gestellt. Damals bin ich zu Fuß aus Italien kommend in Österreich eingereist."

4. Die Behörde stützt den hier angefochtenen Mandatsbescheid auf die folgenden Feststellungen:

"Zu Ihrer Person:

Sie sind nicht österreichischer Staatsbürger.

Sie verfügen über keine Dokumente und können Österreich somit auf eigenen Entschluss nicht verlassen.

Sie haben am 29.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt welcher am 27.09.2018 mittels Bescheid abgelehnt wurde und seit 02.11.2018 rechtskräftig ist.

Aufgrund eines Auszuges Ihres Strafregisters wurden Sie zu angeführter Straftat wie folgt verurteilt:

Sie wurden vom Landesgericht Wiener Neustadt zur Zahl 46 Hv 15/19g am 02.04.2019 wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach § 15 StGB; § 127 StGB und § 130 Abs 1 1 .Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Sie wurden durch das Landesgericht für Strafsachen Wien zur Zahl 143 Hv 63/2018 am 19.10.2018 nach § 229 Abs 1 StGB; § 127 StGB; § 130 Abs 1 1.Fall StGB; § 15 StGB und § 241e Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt.

Zu Ihrer rechtlichen Position in Österreich:

Gegen Sie wurde am 10.09.2019 durch das BFA RD N ein Einreiseverbot in der Dauer von 5 Jahren erlassen.

Sie besitzen derzeit kein gültiges Reisedokument und können Ihre angegebene Identität nicht nachweisen.

Fest steht, dass Sie zurzeit in Österreich, außer in Justizanstalten, nicht meldeamtlich erfasst sind.

Außerdem haben Sie in Österreich noch nie einen Aufenthaltstitel beantragt haben noch sind Sie an einem dauernden Aufenthalt in Österreich interessiert sind.

Fest steht auch, dass Sie in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen sind.

Zu Ihrem bisherigen Verhalten:

-

Sie gehen in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach. Es besteht keine begründete Aussicht, dass Sie eine Arbeitsstelle finden.

-

Sie besitzen kein gültiges Reisedokument. Sie können Österreich aus eigenem Entschluss nicht legal verlassen.

-

Sie missachteten die österreichische Rechtsordnung, indem Sie mehrere Straftaten begangen haben.

-

Sie verfügen nicht über ausreichend Barmittel um Ihren Unterhalt zu finanzieren. Einer legalen Beschäftigung gehen Sie nicht nach.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Die Angaben bezüglich Ihres Privat und Familienlebens ergeben sich aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 26.11.2019, welche durch Ihnen beantwortet wurde.

Für die Behörde steht fest, aufgrund der Tatsache, dass Sie marokkanischer Staatsbürger sind sich in Marokko ihr Lebensmittelpunkt befindet.

Auch steht fest, dass Sie gesund sind und nach Ihrer Rückkehr wieder einer legalen Beschäftigung nachgehen können.

Für die Behörde steht fest, dass in Marokko ihr Lebensmittelpunkt ist und Sie dort sowohl über soziale als auch berufliche Anknüpfungspunkte verfügen."

In rechtlicher Hinsicht fand die Behörde:

"Entsprechend ihres bisherigen Verhaltens begründen folgende

Kriterien in Ihrem Fall eine Fluchtgefahr:

•Ziffer 3 und 9 trifft in ihrem Fall wie oben ausführlich dargelegt zu.

Die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung ist erforderlich, da Sie sich aufgrund Ihres oben geschilderten Vorverhaltens als nicht vertrauenswürdig erwiesen haben. Es ist davon auszugehen, dass Sie auch hinkünftig nicht gewillt sein werden, die Rechtsvorschriften einzuhalten, was aufgrund der bereits angeführten Straftaten feststeht.

Aus Ihrer Wohn- und Familiensituation, aus Ihrer fehlenden sonstigen Verankerung in Österreich sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens kann geschlossen werden, dass bezüglich Ihrer Person ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliegt.

Weiters steht fest, dass Sie in Österreich zwar Ihr Bruder lebt, aber ansonsten sind Sie weder beruflich noch sozial verankert und keiner Ihrer weiteren Familienangehörigen in Österreich lebt. Auch haben Sie in Österreich noch nie einen Aufenthaltstitel beantragt und sind in Österreich noch nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Daher ist die Entscheidung auch verhältnismäßig.

Bei der Prüfung der Fluchtgefahr ist auch ein massives strafrechtliches Verhalten des Fremden in Bezug auf Gewalt- und Vermögensdelikte in Verbindung mit der wegen seiner Mittellosigkeit naheliegenden Wiederholungsgefahr einzubeziehen (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276). Der VwGH hat auch ausgesprochen, dass eine erhebliche Deliquenz des Fremden das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität einer baldigen Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 25.03.2010, 2009/21/0276).

Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und dem wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zu. Es besteht die Verpflichtung Österreichs, seinen europarechtlichen Vorgaben, als auch den Pflichten gegenüber seinen Staatsbürgern und anderen legal aufhältigen Personen nachzukommen.

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft und ihrer Notwendigkeit ergibt daher in Ihrem Fall, dass Ihr privates Interesse an der Schonung Ihrer persönlichen Freiheit dem Interesse des Staates am reibungslosen Funktionieren der öffentlichen Verwaltung hintanzustehen hat.

Dabei wurde auch berücksichtigt, dass die Schubhaft eine ultima - ratio - Maßnahme darstellt. Es ist daher zu prüfen, ob die Anordnung gelinderer Mittel gleichermaßen zur Zweckerreichung dienlich wäre. In Betracht käme dabei das gelindere Mittel gem. § 77 FPG mit den dafür vorgesehenen Aufenthalts- und Meldepflichten bzw. der Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit. Dabei kommt die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund Ihrer finanziellen Situation schon von vornherein nicht in Betracht.

Doch auch was die Unterkunftsnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung betrifft, kann in Ihrem Fall damit nicht das Auslangen gefunden werden.

Wie oben ausführlich dargelegt, besteht in Ihrem Fall aufgrund Ihrer persönlichen Lebenssituation sowie aufgrund Ihres bisherigen Verhaltens ein beträchtliches Risiko des Untertauchens. Damit wäre jedoch der Zweck der Schubhaft, nämlich die Sicherung des Verfahrens bzw. der Abschiebung, vereitelt. Es liegt somit eine ultima - ratio - Situation vor, die die Anordnung der Schubhaftverhängung unabdingbar erfordert und eine Verfahrensführung, während derer Sie sich in Freiheit befinden, ausschließt.

Es ist weiters aufgrund Ihres Gesundheitszustandes davon auszugehen, dass auch die subjektiven Haftbedingungen, wie Ihre Haftfähigkeit, gegeben sind.

Die Behörde gelangt daher zum Ergebnis, dass sowohl die gesetzlichen Formalerfordernisse vorliegen, als auch, dass die Schubhaft zum Zweck der Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis steht und im Interesse des öffentlichen Wohls dringend erforderlich und geboten ist."

4. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 09.01.2020, durch seinen Rechtsberater als gewillkürten Vertreter, Beschwerde gegen den Bescheid vom 03.01.2020 sowie die Anhaltung in Schubhaft.

Im Einzelnen werden folgende Punkte und Gründe releviert:

"...] Das von der Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren war grob mangelhaft, da diese ihrer nach §§ 37, 39 Abs 2 AVG bestehenden und in § 18 Abs 1 AsylG konkretisierten Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung des maßgebenden Sachverhalts nicht nachgekommen ist. Gerade die Verhängung der Schubhaft als Einschränkung der persönlichen Freiheit verlangt eine Einzelfallabwägung der konkreten Situation eines Beschwerdeführers. Dazu gehört auch, dass die Behörde die Umstände, die für die Entscheidung, ob die Behörde Schubhaft über eine Person verhängt von immenser Bedeutung sind, selbständig ermittelt.

Die Behörde hat in diesem Fall insbesondere überhaupt nicht dahingehend ermittelt, ob der Beschwerdeführer sich kooperativ zeigt und bereit ist, freiwillig nach Marokko auszureisen.

Auch hätte die Behörde, hätte sie ordentlich ermittelt, festgestellt, dass der Beschwerdeführer hier in Österreich bei seinem Bruder XXXX , XXXX , XXXX , XXXX wohnen kann.

Nichtvorliegen von Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs 2 Z 1 FPG:

Unverhältnismäßigkeit der Haft:

Gemäß § 76 Abs 2 2 1 FPG ist die Verhängung der Schubhaft nur bei Vorliegen von Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit zulässig. Im gegenständlichen Fall liegen weder Fluchtgefahr noch Verhältnismäßigkeit vor.

Die Behörde argumentiert, im Falle des Beschwerdeführers wären die Kriterien des § 76 Abs 3 Ziffern 3 und 9 FPG erfüllt. Dies ist unrichtig:

§ 76 Abs 3 2 3 ist jedenfalls nicht erfüllt, da der Beschwerdeführer sehr wohl am Verfahren zur Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkte - denn der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt in Haft und verfügte somit über eine Meldeadresse, auch wirkte der Beschwerdeführer (durch Abgabe einer Stellungnahme) am genannten Verfahren mit. Davor war der BF bei Ute Bock in der Zohmanngasse 28, 1100 Wien gemeldet.

§ 76 Abs 3 Z 9 FPG ist im gegenständlichen Fall ebenfalls nicht erfüllt, denn der Beschwerdeführer verfügt in Österreich sehr wohl über familiäre und soziale Bindungen, insbesondere ist sein Bruder XXXX zu nennen. (Die Behörde hat jedoch in diesem Zusammenhang überhaupt nicht ermittelt).

Zum Beweis wird die Einvernahme von Herrn XXXX , XXXX , XXXX , als Zeuge im Rahmen einer mündlichen Verhandlung beantragt.

Jedenfalls reichen die von der belangten Behörde dargelegten Umstände nicht aus, um im Fall des Beschwerdeführers eine Fluchtgefahr zu begründen.

Der Beschwerdeführer weist darauf hin, dass fehlende berufliche und soziale Verankerung nach ständiger Judikatur insbesondere bei noch nicht lange in Österreich befindlichen Asylwerbern keine besonderen Umstände darstellen, um ein nur durch Schubhaft abzudeckendes Sicherungsbedürfnis zu begründen (vgl VwGH 30.08.2011, 2008/21/0498).

Zudem darf Schubhaft nie als Standard-Maßnahme gegenüber Asylwerbern oder Fremden angewendet werden; weder eine illegale Einreise noch das Fehlen beruflicher Integration oder einer Krankenversicherung noch der Mangel finanzieller Mittel sind für sich genommen als Schubhaftgründe zu werten (VwGH 24.10.2007, 2006/21/0239).

Die Behörde kann nicht alleine gestützt auf das Kriterium der Straffälligkeit das Vorliegen einer Fluchtgefahr des Beschwerdeführers bejahen und die Schubhaft über ihn verhängen - eine solche Praxis würde gegen die Grundsätze des § 76 FPG verstoßen, denn dann müsste das BFA ohne Prüfung der Fluchtgefahr die Schubhaft über alle straffällig gewordenen Personen verhängen und es würde jede Einzelfallprüfung entfallen. Die Heranziehung der Straffälligkeit als Kriterium für das Bestehen einer Fluchtgefahr verbietet sich auch dadurch, weil in keinem der Tatbestände des § 76 Abs 3 FPG Straffälligkeit Erwähnung findet.

Gemäß § 76 Abs 2a ist ein allfälliges strafrechtliches Fehlverhalten bloß im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Die Schubhaft dient jedoch weder der Aufdeckung oder Verhinderung von Straftaten noch ihrer Sanktionierung, sondern lediglich der Erfüllung eines administrativen Sicherungszweckes (vgl VwGH 22.12.2009, 2009/21/0185). Schließlich kann die Schubhaft keinesfalls dazu dienen, den Beschwerdeführer von der Begehung von Tatbeständen des StGB in Österreich abzuhalten (vgl. das Erkenntnis vom 28. März 2006, ZI.2004/21/0039) (VwGH 07.02.2008, 2007/21/0446).

Auch hat der Beschwerdeführer vor den österreichischen Behörden zu seiner Identität und zu seinen Reisebewegungen stets richtige Angaben gemacht, dies hat die Behörde jedoch nicht gewürdigt und in ihre Entscheidung einbezogen. Die Behörde hätte richtige Angaben zu Identität und Reisebewegungen nach der Judikatur des VwGH bei der Prüfung der Fluchtgefahr berücksichtigen müssen (VwGH 30.08.2011, 2008/21/0498).

Wie aufgezeigt, reichen daher die von der belangten Behörde dargelegten Umstände nicht aus, um im Falle des Beschwerdeführers eine Fluchtgefahr zu begründen.

Zur Nicht-Anwendung eines gelinderen Mittels:

Selbst bei Vorliegen einer Fluchtgefahr - welche der Beschwerdeführer ausdrücklich in Abrede stellt - ist die Schubhaft nur bei Vorliegen von Verhältnismäßigkeit zulässig und nur, wenn gelindere Mittel nicht zur Zweckerreichung geeignet wären (§ 77 Abs 1 FPG).

Es gilt der Vorrang des gelinderen Mittels (VfGH 03.10.2012, G140/11 ua - G86/12 ua). Es wäre am BFA gelegen, darzulegen, warum ein gelinderes Mittel anstatt der Schubhaft nicht in Frage kommt, stattdessen finden sich im Schubhaftbescheid dazu nur wenige allgemein gehaltene Sätze. Entsprechende Ausführungen oder Begründungen sind im Bescheid nicht zu finden, dies betrifft insbesondere die gelinderen Mittel einer periodischen Meldeverpflichtung gern § 77 Abs 3 2 2 FPG sowie das gelindere Mittel der Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten gern §77 Abs 3 Z 1 FPG.

Im Falle des Beschwerdeführers kommen jedenfalls gelindere Mittel in Betracht:

So wäre im Falle des Beschwerdeführers etwa das gelindere Mittel einer periodischen Meldeverpflichtung naheliegend.

Alternativ wäre neben einer periodischen Meldeverpflichtung auch das gelindere Mittel der Unterkunftnahme In von der Behörde bestimmten Räumlichkeiten in Betracht gekommen, zumal die Landespolizeidirektionen gern § 77 Abs 9 FPG Vorsorge betreffend derartiger Räumlichkeiten getroffen haben. So stehen für diesen Zweck entsprechende Räumlichkeiten etwa an der Adresse Zinnergasse 29a, 1110 Wien, oder an der Adresse Hauptstraße 38, 2540 Bad Vöslau, zur Verfügung.

Der Beschwerdeführer würde der Anordnung eines gelinderen Mittels unmittelbar Folge leisten.

Der Vollständigkeit halber weist der Beschwerdeführer darauf hin, dass die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Befehls - und Zwangsgewalt nicht entgegensteht und Betroffenen aufgetragen werden kann, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten (§ 77 Abs 5 FPG).

Der Beschwerdeführer ist bereit, mit Behörden zu kooperieren und würde insbesondere einer periodischen Meldeverpflichtunq sowie einer anfälligen anqeordneten Unterkunftnahme Folge leisten.

Die genannten gelinderen Mittel wären zur Erfüllung des angenommenen Sicherungszweckes jedenfalls ausreichend gewesen. Durch die mangelnde Prüfung der gelinderen Mittel erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig und der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

In vergleichbaren Fällen hat das BVwG ausgesprochen, dass die nicht ausreichende Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung eines gelinderen Mittels zur Rechtswidrigkeit der Schubhaftverhängung führt, vgl etwa BVwG W171 2124161-1 vom 08.04.2016:

‚Der Gesetzgeber sieht die Möglichkeit der Verhängung eines gelinderen Mittels vor, von welcher das BFA Gebrauch machen hätte müssen. Im gegenständlichen Fall wird dies nach Ansicht des Gerichtes zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers als ausreichend erachtet. Die in § 71 Abs. 3 Z 1-3 vorgesehenen Möglichkeiten stellen einerseits für den Beschwerdeführer eine lediglich geringfügige und wohl auch zumutbare Beschränkung dar und bieten andererseits der Behörde eine gute Möglichkeit, zur Sicherung der Abschiebung des BF durch die verhängten Maßnahmen eine engmaschige Kontrolle des BF zu organisieren. Aus dem bisherigen Verfahren ist nicht zu erkennen, weshalb die Behörde die Anwendung gelinderer Mittel nicht in Betracht gezogen hat Die diesbezüglich enthaltenen Ausführungen blieben inhaltsleer. Der BF hat auch in der Vergangenheit mit Ausnahme eines Meldevergehens nicht gegen vergleichbare Auflagen verstoßen, sodass hier das Gericht die Verhängung von gelinderen Mittel für ausreichend erachtet hat.'

Auch der VwGH normiert in ständiger Rechtsprechung, vgl VwGH 24.10.2007, 2006/21/0045: Die Verhängung von Schubhaft erfordert ein ausreichendes Eingehen auf die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel iSd § 11 FrPolG 2005, f...] Auch aktuell führte er in mehreren Erkenntnissen wieder an, dass aus der Konzeption der Schubhaft als "ultima ratio" folgt, dass Schubhaft zu unterbleiben hat, wenn das sichernde Ziel durch gelindere Mittel erreicht werden kann.

[...] Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung

Sollte das Bundesverwaltungsgericht beabsichtigen, nicht antragsgemäß zu entscheiden, beantragt der Beschwerdeführer ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandluno zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes - insbesondere zur Klärung seiner Kooperationsbereitschaft, zum Beweis des Nichtvorliegens eines Sicherungsbedarfes sowie zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für die Anordnung eines gelinderen Mittels unter Einvernahme seiner Person.

Eine Voraussetzung für das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung wäre, dass die Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt wird. Dies ist im angefochtenen Bescheid jedoch nicht erfolgt (die "Beweiswürdigung" beschränkt sich lediglich auf einen einzigen Satz, nämlich auf einen Hinweis auf den Akt). Das BVwG hat also eine mündliche Verhandlung durchzuführen, sollte es der Beschwerde nicht schon aufgrund der Aktenlage stattgeben (§ 24 Abs 2 Z 1 VwGVG).

...] Anträge

Aus den genannten Gründen beantragt der Beschwerdeführer, das BVwG möge eine mündliche Verhandlung unter Einvernahme des Beschwerdeführers zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchführen;

den angefochtenen Bescheid beheben und aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgte;

im Rahmen einer "Habeas Corpus Prüfung" aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen;

der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendungen des Beschwerdeführers gern VwG-Aufwandersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die der BF aufzukommen hat, auferlegen."

5. Die Behörde legte die vorliegende Beschwerde vor und erstattete dazu die folgende Stellungnahme:

"...] Aufgrund der eingebrachten Beschwerde am 09.01.2020 erlaubt sich das BFA folgende Stellungnahme abzugeben:

Die Beschwerde gegen die Schubhaft wurde fristgerecht eingebracht. Herr XXXX wurde am 03.01.2020 aus der JA Wiener Neustadt entlassen, durch die PI Wiener Neustadt festgenommen und im Stande der Schubhaft ins PAZ HG eingeliefert. Der Genannte stellte im Bundesgebiet einmal einen Asylantrag, welcher rechtskräftig am 02.11.2018 in I Instanz abgelehnt wurde. Einer nachweislichen Ausreise ist der Genannte nicht nachgekommen. Am 02.04.2019 wurde Herr XXXX durch das Landesgericht Wiener Neustadt wegen des Verbrechen des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Aufgrund dieser Verurteilung wurde durch das BFA RD N am 10.09.2019 ein Einreiseverbot in der Dauer von 5 Jahren erlassen, welches sich seit 30.09.2019 in Beschwerde befindet, jedoch wiederum sei 11.09.2019 durchsetzbar ist, da die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde aberkannt wurde. Am 26.11.2019 wurde durch das BFA eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zu einer möglichen Schubhaftverhängung in die JA Wiener Neustadt übermittelt. Die Verständigung wurde durch Herrn XXXX am 02.12.2019 übernommen. Am 03.12.2019 langte diesbezüglich eine Stellungnahme vom 02.12.2019 beim BFA RD N ein. Ein Heimreisezertifikat wurde bereits beantragt.

Die Inschubhaftnahme des Beschwerdeführers war von Notwendigkeit, da Herr XXXX mittelos und unterstandlos ist und nach der Haft in der JA Wiener Neustadt, die Gefahr des Untertauchens gegeben ist. Zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko, sind gelindere Mittel in diesem Fall nicht zielführend. Herr XXXX wurde aufgrund der Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, vor allem aufgrund sein Stellungnahme, ausreichend zu seinen Lebensumständen befragt.

Die Behörde ist Ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen und hat eine Einzelfallabwägung der konkreten Situation durchgeführt.

Es wird beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge

1. die Beschwerde als unbegründet abweisen,

2. den Beschwerdeführer zum Ersatz der unten angeführten Kosten zu verpflichten."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist ein volljähriger Staatsbürger von Marokko und nicht österreichischer Staatsbürger.

Rechtlicher Status in Österreich: Der BF brachte am 29.05.2018 beim Bundesamt einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.11.2018 (Zahl 1192103603) abgewiesen, der Status des Asylberechtigten und der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurden nicht zuerkannt. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt, gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und seine Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Marokko für zulässig erklärt.

Gegen den BF besteht eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung.

Der BF hat kein gültiges Reisedokument.

Soziale Verankerung: Der BF ist in Österreich nicht integriert, er gab selbst allerdings an, dass er einen Bruder habe, der in Österreich lebt.

Der BF besuchte keinen Deutschkurs. Er ist in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Der BF ist mehrfach vorbestraft und hat wesentliche Zeitspannen seines Aufenthaltes in Österreich in Strafhaft verbracht.

Der BF ist haftfähig.

Die Behörde hat unverzüglich Kontakt mit der Vertretung des Heimatlandes aufgenommen, um eine Rückführung des BF nach Marokko zu ermöglichen.

2. Beweiswürdigung:

Diese Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Akteninhalt. Unbestritten steht fest, dass sein Antrag auf internationalen Schutz rechtskräftig entschieden ist und der BF in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist; hinsichtlich dieser Feststellungen wurde auch in der Beschwerde nichts Gegenteiliges behauptet.

Die Feststellungen zum bisherigen Verhalten des BF in Österreich wurden in der Beschwerde nicht substanziell entkräftet, ebenso wenig wie das Fehlen einer maßgeblichen sozialen Verankerung in Österreich. Daran ändert auch nichts der Verweis auf seinen in Österreich lebenden Bruder. Der BF hat - wie auch aus den Ausführungen in der Beschwerde hervorgeht - nie im gemeinsamen Wohnsitz mit dem Bruder gelebt. Dass der Bruder ausreichende soziale Verankerung gebe, um etwa sicher zu stellen, dass der BF für die Behörden greifbar wäre, sollte er aus der Schubhaft entlassen werden, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.

Die Haftfähigkeit des BF steht unstrittig fest.

Die Feststellungen zur faktischen Rückübernahmefähigkeit des BF nach Marokko ergeben sich aus der Stellungnahme der Behörde.

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen. Gemäß § 57 Abs. 1 AVG ist die Behörde berechtigt, wenn es sich bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen. Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann gemäß § 57 Abs. 2 AVG bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist. Gemäß § 22a Abs. 5 BFA-VG ist gegen die Anordnung der Schubhaft eine Vorstellung nicht zulässig.

2. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3). Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten gemäß Abs. 1a die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat gemäß Abs. 2 binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt. Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß Abs. 3 jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu Spruchpunkt A.I.) Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft seit 06.08.2019:

1. Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

2. Der BF ist nicht österreichischer Staatsbürger; er ist Staatsangehöriger von Marokko; somit ist er ein Fremder. Der BF wurde von der belangten Behörde zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft genommen.

3. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft: Haftgrund, Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit:

3.1. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft: Haftgrund, Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit:

3.1.1. Haftgrund: Die Behörde stützt die In-Schubhaftnahme des BF auf § 76 Abs. 2 Z2 FPG.

Dieser Haftgrund (Sicherung der Abschiebung) wird durch die die Beschwerde nicht bestritten.

3.1.2. Zur Fluchtgefahr: Die belangte Behörde begründet das Vorliegen von Fluchtgefahr mit dem Vorverhalten des BF und seinen persönlichen Umständen: Er habe keinerlei Anbindungen in Österreich, und habe sich als unkooperativ erwiesen (er ist seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen); es bestehe die Gefahr des Untertauchens, sollte der BF aus der Schubhaft entlassen werden.

Ebenso wie die Behörde geht auch das Gericht aus diesen Gründen von Fluchtgefahr aus. Der Umstand, dass der BF über keine maßgebliche soziale Verankerung in Österreich verfügt, steht fest (s. oben; der Bruder ist kein "Garant" dafür, dass der BF für die Behörden greifbar wäre, sollte er aus der Schubhaft entlassen werden). Damit besteht ein starker Indikator für Fluchtgefahr - in Zusammenschau mit dem bis jetzt zum Vorschein getretenen Verhalten des BF. Dass der BF ab jetzt mit der Behörde kooperieren wolle, ist eine Behauptung, die aber nicht belegt ist.

Der Beschwerde daher auch in diesem Punkt nicht Recht zu geben.

3.1.3. Zur Verhältnismäßigkeit:

Hier rügt die Beschwerde im Wesentlichen, dass Schubhaft nicht als Standardmaßnahme angewandt werden dürfe; im Wesentlichen releviert die Beschwerde aber zum Thema der Verhältnismäßigkeit wiederum Aspekte zur nicht vorliegenden Fluchtgefahr. Ebenso wie die Behörde geht das Gericht davon aus, dass die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft gegeben ist; vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Behörde das Verfahren zur Rückübernahme des BF in seinen Heimatstaat zügig führt, ist zum Entscheidungszeitpunkt von der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft auszugehen. Die Straffälligkeit des BF fällt hier ins Gewicht: wie die Beschwerde ausführt, ist "Straffälligkeit" kein Indikator für "Fluchtgefahr". Allerdings ist "Straffälligkeit" ein Element, das bei einer Güterabwägung zu Ungunsten des BF ins Gewicht fällt, sodass seine Interessen am Schutz der persönlichen Freiheit gegen die Interessen der Allgemeinheit an einer gesicherten Rückkehr in seinen Heimatstaat zurücktreten.

Sollte sich die Rückübernahme des BF nach Marokko als undurchführbar erweisen, wäre dies im Rahmen einer amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung neu zu beurteilen.

4. Zum gelinderen Mittel:

Hier ist auf das oben Ausgeführte zu verweisen.

Die Anordnung eines gelinderen Mittels führt nach Ansicht des Gerichts nicht zu einer ausreichenden Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung. Die Kriterien, die bereits unter dem Punkt Fluchtgefahr erörtert wurden, zeigen eindeutig, dass eine jederzeitige Erreichbarkeit des Beschwerdeführers nicht mit der erforderlichen Sicherheit gewährleistet wäre. Es ist nicht gesichert, dass der Beschwerdeführer für die Behörde erreichbar wäre und er nicht untertauchen würde bzw das Bundesgebiet verlassen würde. Auch eine familiäre Bindung, die unter Umständen Halt bieten könnte, ist in Österreich nicht vorhanden. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist die Behörde daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Anordnung gelinderer Mittel das Auslangen nicht gefunden werden kann. Die Behörde hat sich mit der Nichtanwendbarkeit eines gelinderen Mittels zutreffend auseinandergesetzt. Aus der Beschwerde ergeben sich keine neuen Anhaltspunkte.

Die gegenständlich verhängte Schubhaft erweist sich daher auch als "ultima ratio" und es wird die Schubhaft weiterzuführen sein. Auf Grund des zuvor Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf (Haftgrund und Fluchtgefahr), als auch Verhältnismäßigkeit gegeben sind und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war. In diesem Sinne ist auch das Kriterium der "ultima ratio" im vorliegenden Schubhaftverfahren gegeben.

Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte.

Zu Spruchpunkt A.II.) Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft:

1. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Aufgrund obiger Erwägungen - Vorliegen eines gültigen Schubhaftgrundes, Fluchtgefahr, Verhältnismäßigkeit - war die Schubhaft fortzusetzen.

Es war daher spruchgemäß festzustellen, dass zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Zu Spruchpunkt A.III. und IV.) Kostenbegehren

1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).

2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die BF vollständig obsiegte, stehen ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz seiner Aufwendungen zu.

Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen dem Grunde nach der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.

Zu Spruchpunkt B.) Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im Hinblick auf die eindeutige Rechtslage in Bezug auf alle Spruchpunkte war die Revision nicht zuzulassen.

Schlagworte

Fluchtgefahr, Interessenabwägung, Kostenersatz, öffentliche
Interessen, Rückkehrentscheidung, Schubhaft, Sicherungsbedarf,
strafrechtliche Verurteilung, Untertauchen, Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W186.2227318.1.00

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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