Entscheidungsdatum
20.01.2020Norm
ASVG §410Spruch
L510 2005531-2/23E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. INDERLIETH als Einzelrichter im Beschwerdeverfahren der XXXX (vormals XXXX ), vertreten durch Moore Salzburg GmbH Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, gegen den Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) vom 12.03.2012, GZ: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der Bescheid vom 12.03.2012 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang
1. Mit im Spruch genannten Bescheid der Salzburger Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, im Folgenden auch kurz bezeichnet als "GKK") sprach diese aus, dass die beschwerdeführende Partei (bP), die XXXX (vormals XXXX
AG), als Dienstgeberin im Sinne des § 35 Abs 1 ASVG verpflichtet werde, die von der GKK mit Beitragsvorschreibung vom 22.10.2010 nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von EUR 69.690,00, sowie Verzugszinsen gemäß § 59 Abs 1 ASVG in der Höhe von EUR 10.740,97, sohin einen Gesamtbetrag von EUR 80.430,97 an die GKK zu entrichten.
Die Verpflichtung werde unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen der §§ 30, 33, 34, 35 Abs 1, 42 Abs 3, 44 Abs 1,45, 49 Abs 1 und 2, 54, 58 Abs 1 und 2 ASVG und § 6 des Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetzes (BMSVG) ausgesprochen und nehme Bezug auf die Beitragsvorschreibungen vom 22.10.2010 und den Prüfbericht vom 27.10.2010, sowie den Versicherungspflichtbescheid vom 12.03.2012, welche jeweils einen integrierten Bestandteil dieses Bescheids darstellen würden.
Zum Sachverhalt legte die GKK im Wesentlichen dar, dass in gegenständlichem Fall im Zuge der gemäß § 41a ASVG abgeschlossenen Sozialversicherungsprüfung (Prüfzeitraum 01.01.2004 - 31.12.2009) im Betrieb der bP Melde- und Beitragsdifferenzen, die Beschäftigungsverhältnisse der im Spruch des Versicherungspflichtbescheides angeführten Dienstnehmer betreffend festgestellt worden seien.
Aufgrund der Einbeziehung in die Pflichtvollversicherung der im Spruch des Versicherungspflichtbescheids genannten Dienstnehmer sei die entsprechende Nachverrechnung der diesbezüglichen Beiträge evident.
Weiter nachverrechnet worden seien die in der Lohnverrechnung der bP nicht berücksichtigten Überstunden von Dienstnehmern. Im Rahmen der GPLA sei eine korrekte Abrechnung der Überstunden vorgenommen worden. Überstunden seien von der bP nicht bezahlt worden. Die durchschnittliche Arbeitszeit betrage 11,19h. Sie sei aus dem Durchschnitt der angegebenen Arbeitszeiten verschiedener Dienstnehmer errechnet worden (siehe hier Versicherungspflichtbescheid). Aus den ihrerseits getätigten Angaben zur Arbeitszeit sei ein Durchschnitt errechnet worden. Von den errechneten 11,69h sei eine halbe Stunde Mittagspause abgezogen worden und ergebe sich so eine durchschnittliche Arbeitszeit von 11,19h täglich.
Bei der XXXX , existiere das Konto XXXX . Es würden hierauf (angeblich) die Gehälter von 9 geringfügig angemeldeten Personen bezahlt werden. Auch die Tochter des damaligen Vorstands XXXX (bis Juli 2007) und Angestellte der bP und danach Dienstnehmerin der XXXX , XXXX , bekomme ihr Gehalt auf dieses Konto ausbezahlt. Hinsichtlich der bei der bP angemeldeten Dienstnehmerin und Tochter des damaligen Vorstandes XXXX (bis Juli 2007), XXXX , sei festzuhalten, dass hier eine Nachverrechnung der um die zu erhöhenden Beitragsgrundlage vorgenommen worden sei. Die auf diesem Konto XXXX eingegangenen Gelder It. vorgelegten ELBA-Listen seien als Entgeltzahlung an XXXX nachverrechnet worden. Auszahlungsbelege gebe es keine; lediglich vorgelegt worden sei eine ELBA-Liste. Im Rahmen der Prüfung sei die Bemessungsgrundlage von XXXX (in Bezug auf die hier gegenständliche bP anteilig) um EUR XXXX erhöht worden. Beiträge zur Sozialversicherung seien entsprechend nachverrechnet worden. Hierzu werde auch auf die Niederschrift mit Herrn XXXX verwiesen, wonach dieser den Dienstnehmer XXXX nicht kenne. Auszahlungsbelege hätten nicht vorgelegt werden können.
In der Anlage 1 wurden 444 Dienstnehmer der bP angeführt.
2. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wurde dargelegt, dass die GKK in der Auswahl der Personen, deren Aussagen letztlich als Grundlage für die Ermittlung der durchschnittlichen Arbeitszeit herangezogen worden seien, in überwiegender Anzahl nicht repräsentative Personen herangezogen habe. Die einvernommenen Personen seien entweder nicht (mehr) für die bP tätig gewesen, oder hätten nur einen Schnuppertag absolviert. Eine große Anzahl habe gar nicht für die bP tätig sein können, weil diese zum angegebenen Zeitpunkt noch gar nicht bestanden habe. Weiter sei ein Großteil dieser Personen für die XXXX tätig gewesen. Eine Schätzung wäre zudem nur zulässig gewesen, wenn sie nicht in der Lage gewesen wäre, die Nachbemessung individuell zu berechnen. Die dafür notwendigen Unterlagen und Informationen seien jedoch verfügbar gewesen. Es werde auch die Schätzung der Höhe nach bezweifelt. Dies insbesondere aufgrund der gewählten Vorgangsweise bei der Ermittlung der durchschnittlichen Arbeitszeit, wie oben dargelegt.
3. Mit Schreiben der bP vom 12.12.2017 wurden 65 Mitarbeiter namhaft gemacht, welche nachweislich nicht im Bundesland Salzburg tätig gewesen seien.
4. Am 05.09.2019 wurde beim BVwG eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Gehört wurden der Geschäftsführer der bP, Herr XXXX , Herr XXXX , die Zeugin XXXX , der Behördenvertreter der GKK und die Rechtsvertretung der bP.
Das gegenständliche Verfahren wurde gem. § 39 Abs. 2 AVG mit den Verfahren bezüglich der Beschwerden gegen die Bescheide der Salzburger GKK vom 12.03.2012, GZ.: XXXX und GZ.: XXXX , wegen Versicherungspflicht und Nachverrechnung betreffend die XXXX als beschwerdeführende Partei zur gemeinsamen Verhandlung verbunden, da der Sachverhalt zum Teil übergreifend ist.
In der Verhandlung wurde durch die bP dargelegt, dass niederösterreichische Dienstnehmer durch die GKK nachgerechnet worden seien, für welche sie örtlich nicht zuständig gewesen sei. Die Dienstnehmer mit Wohnsitz in Niederösterreich und Wien hätten für den Standort Niederösterreich gearbeitet und nicht für den Standort Salzburg. Der Geschäftsführer legte dar, dass es in XXXX lediglich das Auslieferungscenter gegeben habe und sonst nichts. Warum die Dienstnehmer damals bei der Salzburger GKK gemeldet worden seien, sei nicht mehr nachvollziehbar.
Die Zeugin legte in der Verhandlung unter anderem dar, dass in XXXX damals etwa 15 Auslieferer beschäftigt gewesen seien. Sie sei jeden Tag dort gewesen und habe mit den Fahrern telefoniert. Sie sei anwesend gewesen und habe auch gewusst, was im Zentrum los gewesen sei. Sie sei auch beim Verladen dabei gewesen und sei ab ca. 7:00 Uhr in der Firma gewesen. Der Geschäftsführer führte aus, dass es in XXXX maximal 20 Auslieferer gewesen wären.
Die Behörde berief sich darauf, dass diese Personen damals bei der Salzburger GKK gemeldet worden seien. Somit sei man von einer Zuständigkeit ausgegangen. Den nunmehrigen Darlegungen wurde nicht entgegengetreten.
5. Mit Erkenntnis des BVwG vom heutigen Tag wurde in Bezug auf den Versicherungspflichtbescheid der GKK vom 03.11.2011 erkannt, dass
XXXX , XXXX , im Zeitraum von 01.02.2008 - 31.07.2008, XXXX , XXXX , im Zeitraum von 31.04.2008 - 31.05.2008, XXXX , XXXX , im Zeitraum von 25.03.2008 - 30.06.2008 und XXXX , XXXX , im Zeitraum von 01.01.2008 - 30.06.2008 der Pflichtversicherung in der Kranken-, Unfall-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung gemäß § 4 Abs 1 und 2 ASVG iVm § 1 Abs 1 lit a AlVG unterlegen waren.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Im gegenständlichen Verfahren erfolgten Nachverrechnungen der GKK, welche jedoch voraussetzen, dass eine örtliche Zuständigkeit der GKK in Bezug auf die nachverrechneten Personen gegeben war. Nicht einmal seitens der GKK wurde in Abrede gestellt, dass die örtliche Zuständigkeit hinsichtlich einer großen Anzahl von Personen nicht vorgelegen habe. Erst nach Klärung dieser Vorfrage sind etwaige Nachverrechnungen möglich.
2. Beweiswürdigung:
Der gegenständliche Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und wurde auch in der Verhandlung nicht bestritten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt gem. § 414 Abs. 2 ASVG iVm § 410 Abs. 1 ASVG Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Gegenständlich war daher mit Beschluss vorzugehen.
Zu A)
3.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z2). Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes [VwGH] zu § 28 VwGVG verlangt es das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (VwGH 17.03.2016, Ra 2015/11/0127; 29.04.2015, Ra 2015/20/0038; 26.06.2014, Ro 2014/03/0063 RS29).
3.2. Gegenständlich erfolgten seitens der GKK Nachverrechnungen bei der bP, welche sich auf eine große Anzahl von Personen bezogen, hinsichtlich welcher die GKK offensichtlich örtlich nicht zuständig war. Die Vorfrage einer örtlichen Zuständigkeit bildet jedoch die Voraussetzungen für etwaige Nachverrechnungen.
Würde das BVwG hier erstmals die örtliche Zuständigkeit über eine derartige Vielzahl von Personen treffen, würde es hier nicht bloß Verfahrensergänzungen durchzuführen, sondern wäre die erste Instanz, welche erstmals über das Bestehen einer Zuständigkeit als Vorfrage entscheiden würde. Zudem wären in Bezug auf den vorliegenden Sachverhalt mit Sicherheit umfangreiche Neuberechnungen erforderlich, welche überdies von der GKK im Vorfeld durchzuführen wären. Die Behörde hat somit die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen.
Die GKK hat somit vorerst zu prüfen, hinsichtlich welcher Personen sie für die Nachverrechnungen örtlich zuständig ist. In einem nächsten Schritt sind in Bezug auf diese Personen etwaige Nachverrechnungen anzustellen. Die Feststellung der Versicherungspflicht für die Personen XXXX , XXXX , XXXX und XXXX erfolgte bereits durch das BVwG.
Es war spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung zu § 113 Abs 4 ASVG nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Beitragsnachverrechnung, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelndeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:L510.2005531.2.00Zuletzt aktualisiert am
11.03.2020