TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/22 W268 2160039-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.01.2020
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Entscheidungsdatum

22.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W268 2160039-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2017, Zl. 1092509906-151638286, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III und IV werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge: BF), ein Staatsangehöriger Somalias, stellte am 27.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 und seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA) am 28.03.2017 machte der BF zu seinem Antrag auf internationalen Schutz im Wesentlichen geltend, dass er aus Bulo Marer stamme, dem Clan XXXX und dem Subclan XXXX angehöre. Eine Frau vom Clan Hawiye habe sich in den BF, ein Angehöriger einer Minderheit, verliebt und wurde vom BF schwanger. Die Familie der Geliebten habe daraufhin versucht, den BF umzubringen. Ein Bruder der besagten Geliebten sei Mitglied der Al Shabaab gewesen. So wären am 07.08.2015 die Al Shabaab in das Geschäft des BF gekommen, um den BF umzubringen. Als die Al Shabaab den BF gerade entführen wollten, habe ihm das somalische Heer das Leben gerettet. Um weiteren Attacken zu entgehen, sei der BF aus Somalia geflüchtet.

3. Mit Bescheid vom 05.05.2017, Zl. 1092509906 - 151638286, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF sein Fluchtvorbringen nur vage und abstrakt geschildert habe und außerdem widersprüchliche Angaben machte. Der BF habe somit keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen können. Zum subsidiären Schutz führte die belangte Behörde aus, der BF sei ein gesunder und arbeitsfähiger Mann. Der BF könne im Herkunftsland somit selbst für sein Auskommen sorgen. Außerdem stehe dem BF eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen überwiege das private Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich. Es sei daher eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 24.05.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darin wird unter näheren Ausführungen dargelegt, dass die belangte Behörde sein Vorbringen zu Unrecht als unglaubhaft gewürdigt habe und deren Beweiswürdigung jeglichen Begründungswert vermissen lasse. Es wäre dem BF aufgrund der anhaltenden Dürrekatastrophe zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen.

5. Die Beschwerdevorlage langte am 01.06.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

6. Am 10.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache, des BF, dessen Rechtsvertreters sowie eines Vertreters des BFA statt, in welcher der BF neuerlich ausführlich zu seinem Leben in Somalia und zu seinem Fluchtvorbringen befragt wurde. Der BF wiederholte im Wesentlichen seine bereits vor der belangten Behörde gemachten Fluchtgründe. Im Rahmen der Verhandlung führte das BVwG die aktualisierten Länderberichte vom 17.09.2019 in das Verfahren ein und stellte dem BF als auch dem BFA eine diesbezügliche Äußerung innerhalb der nächsten zwei Wochen frei.

7. Am 21.10.2019 langte die Stellungnahme des BFA ein, in welcher nochmals ausführlich auf die Aussagen des BF und die Länderberichte eingegangen wurde.

8. Am 04.11.2019 langte weiters die Stellungnahme des BF ein, in welcher insbesondere auf die prekäre Sicherheitslage und die fehlende Existenzmöglichkeit des BF in Somalia hingewiesen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund des Antrags auf internationalen Schutz vom 27.10.2015, der Einvernahmen des BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 sowie durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.03.2017, aufgrund des Bescheids vom 05.05.2017, der dagegen erhobenen Beschwerde vom 24.05.2019, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der Einsichtnahmen in das zentrale Melderegister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister sowie insbesondere auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlung am 10.10.2019 wurden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Verfahrensgang:

Der BF stellte am 27.10.2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.05.2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen und dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilte wurde. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia zulässig sei. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 24.05.2017 fristgerecht Beschwerde. Am 10.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung statt.

1.2. Zur Person und des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der BF ist Staatsangehöriger Somalias. Er gehört dem Clan der XXXX sowie dem Subclan der XXXX an. Seine Identität steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsdokumente nicht fest. Der BF stammt aus Bulo Marer im Bundesstaat Lower Shabelle, wo er seit einer Geburt bis zu seiner Ausreise - vorbehaltlich eines Aufenthaltes von 1991 bis 1996 in Mogadischu - mit Familienangehörigen lebte. Der BF ist verheiratet und hat fünf Kinder. Seine Ehefrau lebt mit den fünf Kindern in Kenia. Die Geschwister des BF leben im Süd-Sudan und in Uganda. In Somalia hat der BF keine Verwandten mehr.

Der BF genoss 6 Jahre Schuldbildung in einer Grund- und Koranschule. Im Herkunftsland arbeitete der BF als Lebensmittelverkäufer in seinem Geschäft; es wurde nach seiner Ausreise nicht mehr weitergeführt. Der BF ist strafgerichtlich unbescholten.

1.2.2. Der BF absolvierte erfolgreich die Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz (A2) und zu Wert- und Orientierungswissen. Der BF befindet sich seit Mai 2018 in kieferorthopädischer Behandlung. Bei dem BF bestand ein massiv frontaler offener Biss mit ausgeprägter bimaxilliärer Protrusion. Dadurch ist die Kaufunktion des BF beeinträchtigt. Während der kieferorthopädischen Behandlung ist die Bisssituation schlechter als zu Beginn. Die Zähne sind schlecht abgestützt. Die Behandlung ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Der BF leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.

1.3. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Es wird nicht festgestellt, dass der BF aufgrund einer Liebesbeziehung mit einer Frau vom Clan Hawiye ins Visier der Al Shabaab und der Familien der besagten Frau geraten ist und von der Al Shabaab zum Tode verurteilt wurde.

Aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan war der BF in seiner Kindheit und Jugend vereinzelten Diskriminierungshandlungen seitens Angehöriger von Mehrheitsclans ausgesetzt.

1.4. Zur Rückkehrsituation:

Es wird festgestellt, dass nicht sichergestellt ist, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Somalia ein leistungsfähiges bzw. soziales Netz vorfinden würde.

Vor dem Hintergrund der äußerst prekären Sicherheits- und Versorgungslage in Bulo Marer besteht für den BF im Falle der Rückführung ein real risk einer unmenschlichen Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Das Bundesverwaltungsgericht brachte folgende Berichte und Informationen in das Verfahren ein und stellte sie den Parteien zur Wahrung des Parteiengehörs im Laufe des Verfahrens zur Verfügung:

Zum Bundesstaat South West State

South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Der SWS wurde in den Jahren 2014/2015 etabliert, Sharif Hassan Sheikh Adam zum ersten Präsidenten gewählt (USDOS 13.3.2019, S.24). Im Dezember 2018 wurde im SWS neu gewählt (AA 5.3.2019b). In der Folge ist im Jänner 2019 mit Abdulaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" ein neuer Präsident angelobt worden (AMISOM 17.1.2019a; vgl. UNSC 27.12.2018; UNSC 15.5.2019, Abs.4). Zuvor war es zu Anschuldigungen gegen die Bundesregierung gekommen, sich in den Wahlkampf eingemischt zu haben. Ein Kandidat - der ehemalige stv. Kommandant der al Shabaab, Mukhtar Robow - war verhaftet worden, was zu gewaltsamen Demonstrationen geführt hat (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.2). Beim Aufbau der Verwaltung konnten Fortschritte erzielt werden (BMLV 3.9.2019). In den größeren von der Regierung kontrollierten Städten besteht eine grundlegende Verwaltung, es gibt Bürgermeister, eine lokale Rechtsprechung und Ordnungskräfte (ME 27.6.2019). Beim Aufbau der Verwaltung im SWS konnten Fortschritte erzielt werden, dies bezieht sich aber mehr auf den Bereich Ausbau der Fähigkeiten in den wenigen kontrollierten Gebieten und nicht auf eine Ausdehnung der Kontrolle in den Regionen Bay und Bakool (BMLV 3.9.2019). Der Regierung ist es mit internationaler Unterstützung gelungen, eine eigene kleine Armee aufzubauen, die South West State Special Police Force (SWSSPF) (BFA 8.2017, S.66f). Die SWSSPF ist - auch mit internationaler Hilfe - weiter ausgebaut worden. Sie ist in Bay der Hauptträger des Kampfes gegen al Shabaab (ME 27.6.2019). Es besteht ein Plan von AMISOM und Armee, die Route Mogadischu-Baidoa abzusichern und Leego wieder einzunehmen (UNSC 21.12.2018, S.10). Al Shabaab kontrolliert viele Straßenverbindungen und ländliche Gebiete (ME 27.6.2019). Insgesamt ist der SWS der am meisten von Gewalt betroffene Bundesstaat (LIFOS 3.7.2019, S.42).

Lower Shabelle: Wanla Weyne, Afgooye, Qoryooley und Baraawe befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 8.2019). Sablaale (vermutlich) und Kurtunwaarey werden von al Shabaab kontrolliert. Diese gilt auch für große Teile des Hinterlandes nördlich des Shabelle (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). Generell werden Teile von Lower Shabelle von al Shabaab und Clanmilizen kontrolliert (BS 2018, S.15). Lower Shabelle ist ein Zentrum der Gewalt im somalischen Konflikt (BS 2018, S.15). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus der al Shabaab (ME 27.6.2019; vgl. LIFOS 3.7.2019, S.42f). Die meisten der im Jahr 2019 aufgrund von Konflikten neu vertriebenen Menschen stammen aus Lower Shabelle (UNOCHA 9.9.2019, S.2). Im März 2019 hat die Regierung angekündigt, dort eine neue Offensive zu führen. Die Operation zielt u.a. auf eine Verbesserung der Lage von Mogadischu und die Sicherheit entlang der Hauptroute von Afgooye nach Merka ab (UNSC 15.5.2019, Abs.53). Bei der Operation konnten u. a. Bariire und Sabiid gewonnen werden (UNSC 15.8.2019, Abs.17). Bei der Absicherung neu gewonnener Gebiete in Lower Shabelle stoßen somalische Kräfte und AMISOM zwar auf Probleme - etwa bei Ressourcen, Infrastruktur und bei der Verankerung einer Zivilverwaltung (AMISOM 7.8.2019, S.8). Trotzdem ist zu beobachten, dass vor allem in den durch diese Operation Badbaado 1 neu gewonnenen Räumen der Aufbau einer zivilen Verwaltung und die Installation von Polizeikräften relativ rasch nach der Einnahme der Ortschaften erfolgt (BMLV 3.9.2019). Afgooye liegt aufgrund seines strategischen Wertes im ständigen Fokus aller Konfliktparteien, es kommt wöchentlich zu Angriffen (LIFOS 3.7.2019, S.29), so z.B. zu einem Angriff von al Shabaab auf einen Stützpunkt der Armee Mitte Jänner 2019, welcher in schweren Kämpfen resultierte (AMISOM 17.1.2019b). Trotzdem kann Afgooye hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019). Am 31.3.2019 griff al Shabaab Armee und AMISOM in Qoryooley an. Es kam zu schweren Gefechten, der Angriff konnte abgewehrt werden (BAMF 8.4.2019, S.6). Am 27.2.2019 überfiel al Shabaab einen AMISOM-Stützpunkt nahe Qoryooley, auch hier kam es zu einem Gefecht (BAMF 4.3.2019, S.5). Am Stützpunkt Bali Doogle sind größere Kräfte der SNA stationiert, darunter die Spezialeinheit Danaab. Außerdem befinden sich dort ein Ausbildungsstützpunkt der USA sowie eine Drohneneinsatzbasis (BFA 8.2017, S.70). Merka ist nominell von der Regierung übernommen worden (NLMBZ 3.2019, S.25). Präsident Farmaajo ist Mitte Oktober 2018 in Merka eingetroffen. Er hat sich u.a. mit dort stationierten Truppenteilen der somalischen Armee und Behörden getroffen. In den vorangegangenen Monaten hat die Armee in und um Merka Operationen durchgeführt und im August 2018 Teile der Stadt von al Shabaab zurückgewonnen (AMISOM 15.10.2018a; vgl. AMISOM 15.10.2018b). Er traf auch Älteste der beiden Clans, die sich schon mehrfach um die Kontrolle über die Stadt bekämpft hatten (AMISOM 15.10.2018b). Die Situation in der Stadt ist nach wie vor instabil und die Bedrohung durch al Shabaab nicht beseitigt (NLMBZ 3.2019, S.25). In den letzten Monaten (vor Juli 2019) hat es in der Stadt oder im unmittelbaren Umfeld keine Kämpfe gegeben (ME 27.6.2019). Merka kann hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019). Allerdings gibt es im Bereich Merka nach wie vor eine größere Präsenz von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S.12). Stadtbewohner werden immer wieder von beiden Seiten - Regierung und al Shabaab - mit Spionagevorwürfen konfrontiert (LIFOS 3.7.2019, S.28). Die Lage in Baraawe ist ruhig, es gibt einen Stützpunkt der AMISOM (BFA 8.2017, S.69). Es gibt auch weiterhin so gut wie keine sicherheitsrelevanten Meldungen aus Baraawe (ME 27.6.2019). Hinsichtlich des noch vor zwei Jahren sehr aktiven Konflikts zwischen Habr Gedir und Biyomaal gibt es keine Meldungen mehr, er hat sich in gewissem Umfang beruhigt. Auch zum Konflikt zwischen Biyomaal und al Shabaab gibt es keine Meldungen mehr (ME 27.6.2019). Viele Biyomaal haben das Gebiet verlassen, auch einige Habr Gedir haben sich zurückgezogen (LIFOS 3.7.2019, S.28f). Außerdem ist zwischen al Shabaab und den Biyomaal ein Waffenstillstand geschlossen worden (HI 31.5.2018, S.4f). Bay: Die großen Städte - Baidoa, Buur Hakaba, Diinsoor - werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert, dies gilt auch für Qansax Dheere (PGN 8.2019). Die drei erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019). Al Shabaab kontrolliert große Teile von Bay, u.a. den Ort Leego an der wichtigen Route Afgooye-Baidoa (PGN 8.2019). Die Regierung des SWS ist auf die großen Städte beschränkt, weite Teile der ländlichen Gebiete werden von al Shabaab kontrolliert (BS 2018, S.15). 2019 sind viele Menschen - v.a. aus Bay und Bakool - nach Baidoa geflohen, wo bereits 323.000 IDPs leben. Viele suchen in Baidoa humanitäre Hilfe. Andere gaben an, aufgrund wachsender Unsicherheit und aufgrund der Besteuerung durch al Shabaab geflohen zu sein (UNOCHA 31.7.2019). Einige städtische Gebiete von Baidoa werden als relativ sicher beschrieben, während das Umfeld von al Shabaab kontrolliert wird (LIFOS 3.7.2019, S.29). Baidoa wird als relativ sicher beschrieben, es gibt dort regelmäßig Sicherheitsoperationen und Razzien durch Sicherheitskräfte. Die Einsatzfähigkeit der SWS Police Force (SWSPF) hat sich nach der Aufnahme lokaler Rekruten verbessert. Gleichzeitig ist Baidoa auf die Anwesenheit der äthiopischen AMISOM-Truppen angewiesen. Al Shabaab scheint in der Lage zu sein, Baidoa in der Nacht zu infiltrieren (BMLV 3.9.2019; vgl. BFA 8.2017, S.71). Die Verhaftung des Kandidaten für die Präsidentschaft im SWS, des ehemaligen stellvertretenden Kommandanten der al Shabaab, Mukhtar Robow, führte zu gewaltsamen Demonstrationen, bei welchen insgesamt 15 Personen getötet wurden (SRSG 3.1.2019, S.2f; vgl. UNSC 21.12.2018, S.4; NLMBZ 3.2019, S.13). Eine andere Quelle spricht von zwölf Toten (UNSC 27.12.2018). Später wurde die Zahl offiziell auf vier korrigiert (UNSC 15.5.2019, Abs.60). Die Verhaftung von Robow war von der Bundesregierung angeordnet worden, während er auf Bundesstaatsebene zur Wahl zugelassen worden war (UNSC 27.12.2018). Die Situation beruhigte sich zwar später wieder (NLMBZ 3.2019, S.13); jedoch sind sowohl die Frage einer möglichen Machtteilung zwischen dem neu gewählten Präsidenten Abdiaziz Hassan Mohamed "Lafta Gareen" und Robow bzw. zwischen deren Clans sowie die Frage der Entlassung von Robow aus der Haft immer noch nicht geklärt (UNSC 15.5.2019, Abs.4). Sowohl der SWS als auch Polizei und AMISOM haben durch die Aktion jedenfalls bei der Bevölkerung an Ansehen und Vertrauen verloren (BMLV 3.9.2019). Bakool: Ceel Barde, Yeed, Xudur und Waajid werden von Regierungskräften und AMISOM kontrolliert (PGN 8.2019). Die drei letztgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 3.9.2019). Ein ca. 20km breiter Grenzstreifen an der Grenze zu Äthiopien ist frei von al Shabaab, große Teile der Region werden aber von der Gruppe kontrolliert (PGN 8.2019). Diese gilt auch für die Bezirkshauptstädte Rab Dhuure und Tayeeglow (PGN 8.2019; vgl. LI 21.5.2019a, S.2). In Xudur befindet sich ein größerer Stützpunkt der Armee. Außerdem operieren in Bakool unabhängige Clan-Milizen. Insgesamt steht die Verwaltung von Bakool massiven Problemen gegenüber, um die Bevölkerung zu erreichen (BFA 8.2017, S.72f; vgl. BMLV 3.9.2019).

Vorfälle: In den Regionen Bakool, Bay und Lower Shabelle lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 2,36 Millionen Einwohner (UNFPA 10.2014, S.31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2017 insgesamt 116 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "violence against civilians"). Bei 70 dieser 116 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2018 waren es 83 derartige Vorfälle (davon 56 mit je einem Toten).

In der Region Lower Shabelle wurden bei einem Angriff der Al-Schabaab auf einen Militärstützpunkt in Bulo Marer am 27. Juni 2019 drei Kämpfer und zwei Soldaten getötet, in Jamame wurden zudem mindestens acht Kämpfer getötet.

Al Shabaab

Al Shabaab ist eine radikalislamistische, mit der al Kaida affiliierte Miliz (AA 4.3.2019, S.5). Ziel von al Shabaab ist es, die somalische Regierung und ihre Alliierten aus Somalia zu vertreiben und in Groß-Somalia ein islamisches Regime zu installieren (EASO 2.2016, S.19). Durch das geschaffene Klima der Angst kontrolliert al Shabaab die Bevölkerung, kann sie rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen. Damit erfüllt die Gruppe alle Rahmenbedingungen eines Staates. Gleichzeitig erlangt al Shabaab aufgrund ihres funktionierenden Justizwesens auch ein Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung (Mohamed 17.8.2019). Al Shabaab betreibt einen Staat im Staat (VOA 3.12.2018) und ist eine entwickelte, bürokratische Organisation (Maruf 14.11.2018). Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen (BS 2018, S.15). Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren (BS 2018, S.15; vgl. Maruf 14.11.2018). Auch Namen von Nachbarn und sogar die Namen der Verwandten der Nachbarn werden in Datenbanken geführt (Maruf 14.11.2018). Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen (BS 2018, S.15). Aufgrund von Kämpfen zwischen AMISOM/Armee und al Shabaab; der Behinderung humanitärer Hilfe und der Einhebung von Steuern auf Vieh durch al Shabaab; und aufgrund fehlender Sicherheit sind viele Einwohner der von al Shabaab kontrollierten Gebiete in Flüchtlingslager nach Kenia, Äthiopien und IDP-Lager in Somalia geflohen (USDOS 13.3.2019, S.16).

Kapazitäten: Im Vergleich zum Jahr 2014 sind die Kapazitäten von al Shabaab zurückgegangen. Trotzdem hat sich die Gruppe als robust und resilient erwiesen (LIFOS 3.7.2019, S.21f). Allerdings ist al Shabaab seit 2017 wieder effektiver und potenter geworden (Mohamed 17.8.2019). Die Gruppe hat taktische Flexibilität bewiesen. Sie führt Angriffe durch, unterbricht Versorgungslinien, greift militärische Konvois an, ermordet Anführer, die mit ausländischen Kräften kooperiert haben und führt nächtliche Angriffe auf Dörfer durch (ICG 27.6.2019, S.4). Trotz anhaltender Luftangriffe und obwohl die Armee und AMISOM im Umland von Mogadischu vermehrt Operationen durchführen, konnte al Shabaab die Zahl großer Anschläge steigern. Berichten zufolge sind die Luftschläge mit dafür verantwortlich, dass al Shabaab vermehrt in Städten operiert (UNSC 15.8.2019, Abs.16/20). Al Shabaab hat zwar seit 2011 ständig Gebiete verloren, betreibt aber auch in weiten Gebieten außerhalb ihrer direkten Kontrolle eine Art von Schattenregierung, erhebt dort Steuern und bietet Dienste an (z.B. islamische Rechtsprechung) (SEMG 9.11.2018, S.26/4). Je höher der militärische Druck auf al Shabaab anwächst, je weniger Gebiete sie effektiv kontrollieren, desto mehr verlegt sich die Gruppe auf asymmetrische Kriegsführung (Entführungen, Anschläge, Checkpoints) und auf Drohungen. Al Shabaab wird bei der Anwendung dieser Taktik immer besser und stärker. Dabei ist auch al Shabaab in ihrer Entscheidungsfindung nicht völlig frei. Die Gruppe unterliegt durch die zahlreichen Verbindungen z.B. zu lokalen Clan-Ältesten auch gewissen Einschränkungen (BFA 8.2017, S.29f).

Verwaltung: Völkerrechtlich kommen al Shabaab als de facto-Regime Schutzpflichten gegenüber der Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten gemäß des 2. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen zu (AA 4.3.2019, S.5/16). Al Shabaab sorgt dort auch einigermaßen für Ordnung (ICG 27.6.2019, S.1). Die Gruppe verfügt über eine eigene Verwaltung und eigene Gerichte (LIFOS 9.4.2019, S.6). Die Gebiete von al Shabaab werden als relativ sicher beschrieben. Dort herrschen Frieden und eine Absenz an Clan-Konflikten (BMLV 3.9.2019). Al Shabaab duldet nicht, dass irgendeine andere Institution außer ihr selbst auf ihren Gebieten Gewalt anwendet. Jene, die dieses Gesetz brechen, werden bestraft (HI 31.5.2018, S.5). In den von ihr kontrollierten Gebieten verfügt al Shabaab über effektive Verwaltungsstrukturen, eine Art von Rechtsstaatlichkeit und eine effektive Polizei. Die Verwaltung von al Shabaab wurzelt auf zwei Grundsätzen: Angst und Berechenbarkeit (BFA 8.2017; vgl. BMLV 3.9.2019). Die Zivilverwaltung von al Shabaab bietet u.a. Rechtsprechung durch Schariagerichte, organisiert Treffen mit Clanältesten, unterstützt Bedürftige, führt Religionsschulen und bietet Fortbildungsmöglichkeiten - auch für Frauen (NLMBZ 3.2019, S.11). Al Shabaab versucht, zu enge Bindungen an Clans zu vermeiden, unterstützt schwächere Gruppen gegen stärkere Rivalen oder vermittelt bei Streitigkeiten (ICG 27.6.2019, S.2). Gleichzeitig wird al Shabaab als Friedensbewahrer erachtet, da sie Clankonflikte derart handhabt, dass diese auf den Gebieten unter ihrer Kontrolle nur selten in Gewalt münden (HI 31.5.2018, S.5).

Stärke: Die Größe der Miliz von al Shabaab wird auf 13.000 geschätzt. Davon stellt etwa die Hälfte den militärischen Arm (jabhat), welcher an der Front gegen die somalische Regierung und AMISOM kämpft. Die andere Hälfte sind entweder Polizisten, welche Gesetze und Gerichtsurteile durchsetzen und Verhaftungen vornehmen; sowie Richter. Außerdem verfügt al Shabaab in der Regierung, in der Armee und in fast jedem Sektor der Gesellschaft über ein fortschrittliches Spionagenetzwerk (Maruf 14.11.2018). Eine andere Quelle spricht von 7.000-9.000 Fußtruppen von al Shabaab (TIND 15.1.2019), eine weitere Quelle schätzt die Zahl auf 3.000-7.000 (LI 21.5.2019a, S.3). Wieder eine andere Quelle gibt die Zahl der aktiven Kämpfer mit 2.000-3.000 an (NLMBZ 3.2019, S.10). Die Gruppe ist technisch teilweise besser ausgerüstet als die SNA und kann selbst gegen AMISOM manchmal mit schweren Waffen eine Überlegenheit herstellen. Außerdem verfügt al Shabaab mit dem Amniyad über das landesweit beste Aufklärungsnetzwerk (BFA 8.2017, S.27/31; vgl. BMLV 3.9.2019). Der Amniyad ist die wichtigste Stütze der al Shabaab (Mohamed 17.8.2019).

Gebiete: Al Shabaab kontrolliert immer noch ca. ein Fünftel Somalias, darunter v.a. ländliche Gebiete und kleinere Städte in Süd-/Zentralsomalia (ISS 28.2.2019), u.a. Gebiete im Jubatal, darunter die Regionalhauptstadt Buale (Middle Juba) sowie die Bezirkshauptstädte Saakow, Jilib (Middle Juba) und Jamaame (Lower Juba). Auch größere Küstengebiete im Bereich Xaradheere (Mudug) und Ceel Dheere (Galgaduud) sowie die genannten Städte bleiben unter direkter Kontrolle von al Shabaab (SEMG 9.11.2018, S.22). Dies gilt auch für einige ländliche Gebiete im Umland von Mogadischu (ICG 27.6.2019, S.2). Zusätzlich kontrolliert al Shabaab die Bezirkshauptstädte Kurtunwaarey (Lower Shabelle), Tayeeglow (Bakool), Ceel Buur (Galgaduud) und Adan Yabaal (Middle Shabelle). Die Situation bezüglich Sablaale (Lower Shabelle) und Badhaade (Lower Juba) ist ungewiss (PGN 8.2019). Außerdem verfügt al Shabaab in Gebieten unter der Kontrolle von Regierung und/oder AMISOM über nennenswerten Einfluss (NLMBZ 3.2019, S.53; vgl. ICG 27.6.2019, S.4).

In ihrem Gebiet hält al Shabaab vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus (LI 21.5.2019a, S.3). Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia damit unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuschlagen zu können (BMLV 3.9.2019), bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. LI 21.5.2019a, S.3).

Steuern: Al Shabaab wendet in ganz Süd-/Zentralsomalia ein systematisches und zentralisiertes System zur Einhebung von Steuern an, das breiter aufgestellt ist, als jenes der Bundesregierung oder der Bundesstaaten (SEMG 9.11.2018, S.25f; vgl. VOA 3.12.2018). Einkünfte werden dabei aus unterschiedlichen Quellen bezogen, v.a. aber aus der Besteuerung von: durchfahrenden Fahrzeugen (gadiid); transportierten Gütern (badeeco); landwirtschaftlichen Betrieben und Erzeugnissen (dalag); und den Verkauf von Vieh (xoolo). Hinzu kommen Einnahmen von Almosen (zakat) (SEMG 9.11.2018, S.25f). Das Steuersystem von al Shabaab wird durch systematische Einschüchterung und Gewalt gestützt (SEMG 9.11.2018, S.26/97). Die Zahlung der Abgaben erfolgt in der Form von Geld, Tieren, landwirtschaftlichen Produkten oder anderen Werten. Die Höhe der Besteuerung hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen (LI 20.12.2017, S.3). Al Shabaab erpresst Reisende entlang aller wichtigen Routen (ICG 27.6.2019, S.2). Ihre zur Steuereinnahme errichteten Straßensperren gibt es flächendeckend in ganz Süd-/Zentralsomalia. Da die Höhe der Abgaben bei al Shabaab berechenbar ist, bevorzugen kommerzielle Fahrer oftmals den Transit über von ihr kontrollierte Straßen (SEMG 9.11.2018, S.26).

Rechtsschutz/Justizwesen

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen:

traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v.a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vgl. BS 2018, S.18; USDOS 13.3.2019, S.8; NLMBZ 3.2019, S.38). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 5.6.2019b, F1; NLMBZ 3.2019, S.38). In Süd-/Zentralsomalia und in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 4.3.2019, S.6; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8). Eine landesweite Rechtsstaatlichkeit ist nicht festzustellen (BS 2018, S.18).

Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2018, S.18). Ein Verfassungsgericht ist noch nicht eingerichtet worden (UNSC 15.5.2019, Abs.88). Insgesamt befinden sich Polizei und Justiz noch im Aufbau, Integrität und Kapazitäten reichen nicht aus, um Einzelpersonen adäquat vor Gewalt schützen zu können (LI 15.5.2018, S.3). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2018, S.18). Rechtsstaatlichkeit ist nur schwach ausgeprägt (SRSG 13.9.2018, S.2). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht (AA 4.3.2019, S.12). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 5.6.2019b, F1), in vielen Landesteilen gar nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte geschaffen, die vom lokal dominanten Clan abhängen (USDOS 13.3.2019, S.8). Insgesamt haben Bundesbehörden und Behörden der Bundesstaaten aber bei der Kapazitätsbildung zur Strafverfolgung Krimineller Fortschritte gemacht (LIFOS 16.4.2019, S.10). Auch weiterhin unterstützt UNDP die Programme für sogenannte mobile Gerichte (mobile courts) (UNHRC 19.7.2018, Abs.28).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 4.3.2019, S.6; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8). Im August 2018 hat Präsident Farmaajo per Dekret fünf Richter des Supreme Court ausgewechselt; dies wurde als Unterminierung der Unabhängigkeit der Justiz kritisiert (UNSC 21.12.2018, S.11). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2018, S.19; vgl. USDOS 13.3.2019, S.8f; FH 5.6.2019b, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 13.3.2019, S.9). Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 13.3.2019, S.9; vgl. FH 5.6.2019b, F1). Außerdem halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 13.3.2019, S.8; vgl. FH 5.6.2019b, F1; NLMBZ 3.2019, S.38). Soldaten und Polizisten, welche Verbrechen begehen, sind meist außer Reichweite gesetzlicher Sanktionen (NLMBZ 3.2019, S.34). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, parteiisch und manipulierbar wahrgenommen (BS 2018, S.18).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Die von der Bundesregierung geschaffenen Militärgerichte füllen z.T. das Vakuum des schlecht funktionierenden formellen Rechtssystems (BS 2018, S.11). Sie verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 4.3.2019, S.8; vgl. FH 5.6.2019b, F2). Ein Grund dafür ist, dass zivile Richter oftmals Angst haben, bestimmte - zivile - Fälle zu verhandeln (USDOS 13.3.2019, S.8). Mittlerweile übergeben Ankläger der Armee Fälle von verdächtigten Angehörigen der Sicherheitskräfte, gegen welche ermittelt wird, teils an zivile Gerichte (HRW 17.1.2019). Militärgerichte missachten international anerkannte Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 4.3.2019, S.8; vgl. USDOS 13.3.2019, S.2; HRW 17.1.2019). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 13.3.2019, S.8).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2018, S.18). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten. Sie wird oft herangezogen, da sie zu schnellen Entscheidungen führt (USDOS 13.3.2019, S.9). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung - z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern - angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100; vgl. EASO 2.2016, S.27). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz sogar auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7). Ca. 90% aller Rechtsstreitigkeiten werden über traditionelle Konfliktlösungsmechanismen ausgetragen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Ein Beispiel dafür ist etwa die Zahlung von Kompensationsgeld an Familien von bei Demonstrationen in Baidoa im Dezember 2018 durch Sicherheitskräfte getöteten Personen (UNSC 15.5.2019, Abs.4).

Clan-Schutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib - die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet - je nach Region, Clan und Status - ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat - z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde - sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen. Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind - insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff). Der Ausdruck "Clan-Schutz" bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen - oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Der Clan-Schutz funktioniert generell - aber nicht immer - besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clan-Mechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Denn in erster Linie wird ein Tod nicht durch einen Rachemord ausgeglichen, sondern durch die Zahlung von Blutgeld (diya, mag) kompensiert (GIGA 3.7.2018). Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8), denn die Konfliktlösungsmechanismen der Clans für Kriminalität und Familienstreitigkeiten sind intakt. Selbst im Falle einer Bedrohung durch al Shabaab kann der Clan einbezogen werden. Bei Kriminalität, die nicht von al Shabaab ausgeht, können Probleme direkt zwischen den Clans gelöst werden (SEM 31.5.2017, S.35). Staatlicher Schutz ist im Falle von Clan-Konflikten von geringer Relevanz, die "Regelung" wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen (ÖB 9.2016, S.11). Die Clanzugehörigkeit kann also manche Täter vor einer Tat zurückschrecken lassen, doch hat auch der Clanschutz seine Grenzen. Angehörige nicht-dominanter Clans und Gruppen sind etwa vulnerabler (LI 15.5.2018, S.3). Außerdem kann z.B. eine Einzelperson ohne Anschluss in Mogadischu nicht von diesem System profitieren (SEM 31.5.2017, S.35). Problematisch ist zudem, dass im Xeer oft ganze (Sub-)Clans für die Taten Einzelner zur Verantwortung gezogen werden (USDOS 13.3.2019, S.9), und dass die traditionellen Mechanismen nicht auf schriftlich festgelegten Regeln beruhen (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Trotzdem sind die Mechanismen des Xeer wichtig, da sie nahe an den Menschen wirken und jahrhundertealte, den Menschen bekannte Verfahren und Normen nutzen. Der Entscheidungsprozess ist transparent und inklusiv (UNHRC 6.9.2017, Abs.60). Zusammenfassend ist Xeer ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Die traditionell vorgesehenen Kompensationszahlungen decken zahlreiche zivil- und strafrechtliche Bereiche ab und kommen z.B. bei fahrlässiger Tötung, bei Autounfällen mit Personen- oder Sachschaden oder sogar bei Diebstahl zu tragen. Nach der Art des Vorfalles richtet sich auch der zu entrichtende Betrag (SEM 31.5.2017, S.32).

Scharia: Familien- und Standesangelegenheiten (Heirat, Scheidung, Erbschaft) werden im Rahmen der Scharia abgehandelt. Allerdings sind Schariagerichte oftmals von Clans beeinflusst (BS 2016, S.13). Die Gesetzlosigkeit in Süd-/Zentralsomalia führte dazu, dass die Scharia auch in Strafsachen zum Einsatz kommt, da die Bezahlung von Blutgeld manchmal nicht mehr als ausreichend angesehen wird (SEM 31.5.2017, S.34). Problematisch ist, dass die Scharia von Gerichten an unterschiedlichen Orten auch unterschiedlich interpretiert wird bzw. dass es mehrere Versionen der Scharia gibt (BS 2018, S.18).

Recht bei al Shabaab: In den von al Shabaab kontrollierten Gebieten wird das Prinzip der Gewaltenteilung gemäß der theokratischen Ideologie der Gruppe abgelehnt (AA 4.3.2019, S.23). Dort ersetzt islamisches Recht auch Xeer (SEM 31.5.2017, S.33) bzw. ist letzteres nach anderen Angaben bei al Shabaab sogar verboten (BS 2018, S.19). Außerdem gibt es dort kein formelles Justizsystem (USDOS 13.3.2019, S.10). Der Clan-Schutz ist in Gebieten unter Kontrolle oder Einfluss von al Shabaab eingeschränkt, aber nicht inexistent. Abhängig von den Umständen können die Clans auch in diesen Regionen Schutz bieten. Es kann den Schutz einer Einzelperson erhöhen, Mitglied eines Mehrheitsclans zu sein (SEM 31.5.2017, S.33f), es gibt ein gewisses Maß an Verhandlungsspielraum (LI 21.5.2019a, S.3). Al Shabaab unterhält in den von ihr kontrollierten Gebieten ständige, von Geistlichen geführte Gerichte, welche ein breites Spektrum an straf- und zivilrechtlichen Fällen abhandeln. Zusätzlich gibt es auch mobile Gerichte (ICG 27.6.2019, S.4). Es gilt die strikte salafistische Auslegung der Scharia (BS 2018, S.19). Angeklagte vor einem Schariagericht haben kein Recht auf Verteidigung, Zeugen oder einen Anwalt (USDOS 13.3.2019, S.10). In von al Shabaab kontrollierten Gebieten werden regelmäßig extreme Körperstrafen verhängt, darunter Auspeitschen oder Stockschläge, Handamputationen für Diebe oder Hinrichtungen für Ehebruch (AA 4.3.2019, S.12; vgl. SEMG 9.11.2018, S.38; TIND 15.1.2019; BS 2018, S.19). Al Shabaab inhaftiert Personen für Vergehen wie Rauchen; unerlaubte Inhalte auf dem Mobiltelefon; Musikhören; Fußballschauen oder -spielen; das Tragen eines BHs oder das Nicht-Tragen eines Hidschabs (USDOS 13.3.2019, S.5). Die harsche Interpretation der Scharia wird in erster Linie in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten umgesetzt, dort, wo die Gruppe auch über eine permanente Präsenz verfügt (LI 20.12.2017, S.3) - was v.a. in Städten und größeren Dörfern der Fall ist (LI 21.5.2019a, S.3). In anderen Gebieten liegt ihr Hauptaugenmerk auf der Einhebung von Steuern (LI 20.12.2017, S.3). Die Gerichte der al Shabaab werden als gut funktionierend, effektiv und schnell beschrieben (BFA 8.2017, S.29). Aufgrund der Schwäche staatlicher Gerichte werden sie von den Menschen auch in Anspruch genommen (Maruf 14.11.2018; vgl. SRSG 13.9.2018, S.2; NLMBZ 3.2019, S.35; BFA 8.2017, S.77). Mitunter reisen Streitparteien extra in die Gebiete von al Shabaab, um dort Klage einzureichen (ICG 27.6.2019, S.4; vgl. BFA 8.2017, S.77). Al Shabaab ist grundsätzlich in der Lage, Gerichtsbeschlüsse auch durchzusetzen (NLMBZ 3.2019, S.35; vgl. ICG 27.6.2019, S.4f). Wer sich an eine Entscheidung eines solchen Gerichtes nicht hält, muss im schlimmsten Fall mit seiner Tötung rechnen (Maruf 14.11.2018). Al Shabaab versucht, von ihr verhängte Urteile auch z.B. in Afgooye oder Mogadischu durchzusetzen (BFA 8.2017, S.77). Es gilt das Angebot einer Amnestie für Kämpfer der al Shabaab, welche ihre Waffen ablegen, der Gewalt abschwören und sich zur staatlichen Ordnung bekennen (AA 4.3.2019, S.12). Diese Amnestiemöglichkeit ist aber nur mündlich ausgesprochen worden, es gibt keine rechtliche Grundlage dafür (Khalil 1.2019, S.17). Allerdings wird üblicherweise im Austausch für Informationen über die al Shabaab eine Amnestie gewährt (LIFOS 3.7.2019, S.24).

Puntland: Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der staatliche Schutz in Puntland besser darstellt als in Süd-/Zentralsomalia (ÖB 9.2016, S.19). Auch das Justizsystem in Puntland ist eine Mischung aus Xeer, Scharia und formellem Recht. Die meisten Fälle werden durch Clanälteste im Xeer abgehandelt (EASO 2.2016, S.27; vgl. USDOS 13.3.2019, S.10). Ins formelle Justizsystem gelangen vor allem jene Fälle, wo keine Clan-Repräsentation gegeben ist (USDOS 13.3.2019, S.9f). Puntland hat ein unabhängiges und hierarchisch strukturiertes Gerichtswesen geschaffen (BS 2018, S.18), die Gerichte werden als funktionierend bezeichnet (USDOS 13.3.2019, S.9; vgl. EASO 2.2018, S.27). Es gilt die Unschuldsvermutung, das Recht auf ein öffentliches Verfahren, auf einen Anwalt und auf Berufung. Die Gerichte können aber nicht gewährleisten, dass vor dem Recht alle gleich sind (USDOS 13.3.2019, S.9f). Das puntländische Gerichtssystem wird unterstützt - etwa mit einem Programm für sogenannte mobile courts. Zusätzlich besteht ein Programm zum Aufbau subsidiärer Strukturen. Damit konnten Bezirksräte und -Verwaltungen eingerichtet werden (BFA 8.2017, S.113). Die mobile courts bieten in entlegenen Gebieten einen kostenlosen Zugang zur formellen Justiz, sie werden u.a. von der EU finanziert (UNDP 28.7.2017). Das UNDP unterstützt seit Jahren die universitäre Ausbildung von Juristen in Puntland, um dem Mangel an Personal - Richter, (Staats-)Anwälte - entgegenzutreten (UNDP 7.4.2019). Zu den weder von der Regierung noch von al Shabaab kontrollierten Gebieten gibt es kaum Informationen. Es ist aber davon auszugehen, dass Rechtsetzung, -Sprechung und -Durchsetzung zumeist in den Händen von v.a. Clanältesten liegen. Von einer Gewaltenteilung ist dort nicht auszugehen (AA 4.3.2019, S.6f). Urteile werden hier häufig gemäß Xeer von Ältesten gesprochen. Diese Verfahren betreffen in der Regel nur den relativ eng begrenzten Bereich eines bestimmten Clans. Sind mehrere Clans betroffen, kommt es häufig zu außergerichtlichen Vereinbarungen (Friedensrichter), auch und gerade in Strafsachen. Repressionen gegenüber Familie und Nahestehenden (Sippenhaft) spielen dabei eine wichtige Rolle (AA 4.3.2019, S.12).

Folter und unmenschliche Behandlung

Für das Jahr 2018 wurden staatlichen Akteuren gravierende Menschenrechtsverletzungen wie Tötungen, militärische Angriffe auf Zivilisten und zivile Einrichtungen, willkürliche Verhaftungen, außergerichtliche Hinrichtungen, sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt, Vergewaltigungen, Entführung, Folter, schwere Misshandlung von Kindern, Raub, Bestechung, Korruption und willkürlicher Waffengebrauch vorgeworfen oder wurden diese dokumentiert. Im Zeitraum Jänner-Oktober 2018 wurden 238 Zivilisten zu Opfern (Tote und Verletzte) von Armee, Polizei, Sicherheitsbehörden der Bundesstaaten, NISA (National Intelligence and Security Agency) und AMISOM (AA 4.3.2019, S.8f). Vorwürfe aufgrund systematischer Verfolgung werden jedoch nicht erhoben. Es kann im Einzelfall nicht ausgeschlossen werden, dass Sicherheitskräfte den entsprechenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen und bei Verstößen straffrei gehen (AA 4.3.2019, S.18). Seitens der vormals für ihre Menschenrechtsverbrechen berüchtigten Liyu Police aus dem äthiopischen Somali Regional State sind keine Meldungen mehr vorhanden (ME 27.6.2019).

Tötungen: Sicherheitskräfte der Regierung, alliierte Milizen und andere Personen, die Uniformen tragen; sowie regionale Sicherheitskräfte, al Shabaab und unbekannte Angreifer verüben willkürliche und ungesetzliche Tötungen. Bei bewaffneten Zusammenstößen werden Zivilisten getötet (USDOS 13.3.2019, S.2; vgl. BS 2018, S.20), etwa beim Streit um Land, über die Kontrolle von Straßensperren oder bei Entwaffnungsoperationen (HRW 17.1.2019). Berichten zufolge ist es Ende 2018 in Baardheere (Region Bay) zu extralegalen Tötungen inhaftierter Angehöriger der al Shabaab gekommen. Demnach wurden sechs Personen ohne (faires) Verfahren nach mehreren Monaten Haft von einem Erschießungskommando der somalischen Armee exekutiert (VOA 22.1.2019).

Folter: Auch wenn die Übergangsverfassung Folter und unmenschliche Behandlung verbietet, kommt es zu derartigen Vorfällen. Bundes- und Regionalbehörden setzen gegen Journalisten, Demonstranten und Häftlinge exzessiv Gewalt ein; dabei kam es in der Vergangenheit zu Todesopfern und Verletzten. NISA misshandelt Personen bei Verhören (USDOS 13.3.2019, S.3f/13), und Verhaftete sind dem Risiko ausgesetzt, gefoltert zu werden (FH 5.6.2019b, F3; vgl. USDOS 13.3.2019, S.13; LIFOS 3.7.2019, S.25). So wurden etwa im Mai 2018 zwei Männer, die wegen des Legens eines Sprengsatzes beschuldigt worden waren, von Armeeangehörigen in Baraawe gefoltert und exekutiert. Auch der Polizeikommandant von Baraawe, der den Vorfall untersucht hat, wurde von Soldaten gefoltert (SEMG 9.11.2018, S.40).

Verhaftungen: NISA verhaftet willkürlich Menschen und hält diese über längere Zeit ohne Anklage oder Zugang zur Familie fest (USDOS 13.3.2019, S.4; vgl. AA 4.3.2019, S.8; HRW 17.1.2019). Dies gilt auch für die Nachrichtendienste in Puntland und Jubaland (HRW 17.1.2019).

Strafverfolgung: Die Armee hat mehrere Angehöre von Sicherheitskräften verhaftet, die o.g. Verbrechen beschuldigt werden (USDOS 13.3.2019, S.13). Generell bleibt Straffreiheit aber die Norm (USDOS 13.3.2019, S.2/13; vgl. FH 5.6.2019b, F3). Dies gilt auch für willkürliches Vorgehen der Polizeikräfte. Die Opfer polizeilicher Willkür und Gewalt haben oft keine legale Möglichkeit, Anklage zu erheben (AA 4.3.2019, S.8).

Al Shabaab: Die Gruppe verhängt und vollstreckt in den Gebieten unter ihrer Kontrolle weiterhin unmenschliche und erniedrigende Strafen (huduud; z.B. Amputation, Enthauptung, öffentliche Exekution) (NLMBZ 3.2019, S.11; vgl. BS 2018, S.19). Dort ist auch von unmenschlicher Behandlung auszugehen, wenn Personen gegen die Interessen von al Shabaab handeln oder dessen verdächtigt werden (AA 4.3.2019, S.18). Exekutiert werden u.a. Personen, denen die Gruppe Spionage vorwirft (NLMBZ 3.2019, S.3; vgl. BS 2018, S.20). Auch viele der von al Shabaab wegen Verbindungen zum IS Verhafteten werden getötet und/oder gefoltert, bevor sie überhaupt das Gefängnis erreichen (LWJ 16.11.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

In der somalischen Verfassung ist der Schutz der Menschenrechte ebenso verankert, wie die prägende Rolle der Scharia als Rechtsquelle (AA 4.3.2019, S.17). Extralegale Tötungen stellen bei den Sicherheitskräften kein strukturelles Problem dar. Allerdings wäre in solchen Fällen aufgrund des dysfunktionalen Justizsystems in der Regel von Straflosigkeit auszugehen (AA 4.3.2019, S.19). Es liegen keine Berichte vor, wonach Behörden für Entführungen oder Verschwindenlassen verantwortlich wären (USDOS 13.3.2019, S.3; vgl. AA 4.3.2019, S.19). Al Shabaab entführt Menschen (USDOS 13.3.2019, S.3); 2018 sind mindestens 260 der Gruppe zugeschriebene Entführungen dokumentiert (UNSC 21.12.2018, S.13). Bei Kämpfen unter Beteiligung von AMISOM, Regierung, Milizen und al Shabaab kommt es zur Tötung, Verletzung und Vertreibung von Zivilisten (USDOS 13.3.2019, S.1/11f). [Anm.: Siehe Abschnitt 3. Sicherheitslage] Zivile Behörden sind nur eingeschränkt in der Lage, der Gesellschaft den Schutz der Menschenrechte zu gewährleisten. Die schwersten Menschenrechtsverletzungen sind: Tötung von Zivilisten durch al Shabaab, somalische Kräfte, Clanmilizen und unbekannte Angreifer (USDOS 13.3.2019, S.1); Gewalt gegen Frauen und Mädchen, darunter Vergewaltigungen (USDOS 13.3.2019, S.1; vgl. SRSG 13.9.2018, S.2); gefährliche traditionelle Rituale; willkürliche Verhaftungen (SRSG 13.9.2018, S.2). In Süd-/Zentralsomalia werden extralegale Tötungen in der Regel von der al Shabaab in von ihr kontrollierten Gebieten durchgeführt, zunehmend auch in Form von gezielten Attentaten in Gebieten unter staatlicher Kontrolle (AA 4.3.2019, S.19). Weitere Menschenrechtsverletzungen sind Verschwindenlassen (durch al Shabaab); Folter und andere grausame Behandlung; harte Haftbedingungen; willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen; Delogierung und sexueller Missbrauch von IDPs; Verwendung von Kindersoldaten. Al Shabaab ist für die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverletzungen verantwortlich (USDOS 13.3.2019, S.1ff). Generell ist Straflosigkeit die Norm. Die Regierung ergreift nur minimale Schritte, um öffentlich Bedienstete strafrechtlich zu verfolgen (USDOS 13.3.2019, S.1ff; NLMBZ 3.2019, S.34). Im Zeitraum Jänner-Oktober 2018 wurden somalischen Sicherheitskräften insgesamt 238 tote und verletzte Zivilisten zugeschrieben; AMISOM 8; al Shabaab 611; und anderen Milizen 77. Insgesamt gab es in diesem Zeitraum 1.117 zivile Todesopfer und Verletzte (USDOS 13.3.2019, S.12f). Einer anderen Quelle zufolge gab es im Zeitraum Jänner-Oktober 2018 982 zivile Opfer, mehr als die Hälfte durch al Shabaab (HRW 17.1.2019). 176 Personen wurden zwischen Jänner und August 2018 entführt, die Mehrheit von al Shabaab (USDOS 13.3.2019, S.12f). Für das gesamte Jahr 2018 sind 1.384 zivile Todesopfer und Verletzte dokumentiert, davon werden 60% al Shabaab angelastet (SRSG 3.1.2019, S.5). Im Zeitraum 14.12.2018 bis 4.5.2019 berichtet die UN von 757 getöteten und verletzten Zivilisten, für 72% dieser Opfer wird al Shabaab verantwortlich gemacht, für 9% staatliche Sicherheitskräfte (UNSC 31.5.2019; vgl. UNSC 15.5.2019, Abs.55). Bis 21.7.2019 kamen 322 weitere Opfer hinzu; 76% davon wurden al Shabaab zugerechnet (UNSC 15.8.2019, Abs.46). Es kommt zu willkürlichen Verhaftungen durch Bundes- und Regionalbehörden, darunter Personen denen Aktivitäten oder Unterstützung für die al Shabaab vorgeworfen wird (USDOS 13.3.2019, S.6f). V.a. die NISA ist dafür verantwortlich (HRW 17.1.2019). Im Zeitraum Jänner-August 2018 gab es bei der Zahl willkürlicher Festnahmen eine Zunahme. Insgesamt wurden 218 Personen verhaftet. Die meisten davon wurden verdächtigt, der al Shabaab anzugehören. Andere hatten Steuern nicht bezahlt oder waren Familienmitglieder desertierter Angehöriger der Sicherheitskräfte. Auch alliierte Milizen, Clanmilizen und al Shabaab verhaften willkürlich Personen (USDOS 13.3.2019, S.6f). Generell begeht al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle systematisch Menschenrechtsverletzungen (BS 2018, S.20). Al Shabaab verübt terroristische Anschläge gegen Zivilisten; begeht Morde und Attentate; entführt Menschen, begeht Vergewaltigungen und vollzieht grausame Bestrafungen; Bürgerrechte und Bewegungsfreiheit werden eingeschränkt. Die Gruppe rekrutiert Kindersoldaten (USDOS 13.3.2019, S.2; vgl. HRW 17.1.2019). Al Shabaab verhängt in Gebieten unter ihrer Kontrolle unmenschliche und degradierende Strafen gegen Zivilisten, darunter Amputation, Auspeitschung, Enthauptung und öffentliche Exekution (SEMG 9.11.2018, S.38; vgl. BS 2018, S.11). Außerdem richtet al Shabaab regelmäßig und ohne ordentliches Verfahren Menschen hin, denen Kooperation mit Regierung, internationalen Organisation oder westlichen Hilfsorganisation vorgeworfen wird (AA 4.3.2019, S.12). Moralgesetze gebieten u.a. strenge Kleidungsvorschriften für Männer und Frauen (BS 2018, S.11).

Religionsfreiheit

Religiöse Gruppen

Die somalische Bevölkerung bekennt sich zum sunnitischen Islam (AA 4.3.2019, S.12). Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt sozial inakzeptabel (USDOS 21.6.2019, S.7). Gleichzeitig ist die große Mehrheit der Bevölkerung Anhänger der Sufi-Tradition (EASO 8.2014, S.22).

Gebiete unter Regierungskontrolle

Repressionen aufgrund der Religion spielen in Somalia fast keine Rolle, da es außer den Entsandten - z.B. bei der UN - praktisch keine Nicht-Muslime im Land gibt (AA 4.3.2019, S.9). Die Verfassungen für Somalia, Puntland und Somaliland bestimmen den Islam zur Staatsreligion. Das islamische Recht (Scharia) wird als grundlegende Quelle der staatlichen Gesetzgebung genannt (AA 4.3.2019, S.12; vgl. BS 2018, S.11). Aber gleichzeitig bekennen sich die Verfassungen zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung. Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 4.3.2019, S.12). Missionierung oder Werbung für andere Religionen ist laut Verfassung verboten. Andererseits ist dort auch das Recht auf Religionsfreiheit und ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Religion (FH 5.6.2019b, D2) sowie die freie Glaubensausübung festgeschrieben. Der Islam ist Staatsreligion, Missionierung für andere Religionen ist verboten. Alle Gesetze müssen mit den generellen Prinzipien der Scharia konform sein. Der Übertritt zu einer anderen Religion ist nicht explizit verboten. Blasphemie und "Beleidigung des Islam" sind Straftatbestände (USDOS 21.6.2019, S.1ff). In Puntland gilt eine eigene Verfassung. Auch dort ist der Islam als Staatsreligion festgeschrieben, und es ist Moslems verboten zu einer anderen Religion überzutreten; auch Missionierung ist verboten. Auch die Verfassungen der anderen Bundesstaaten erklären den Islam zur offiziellen Religion (USDOS 21.6.2019, S.2f). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion vom Islam zu einer anderen Religion wird als sozial inakzeptabel erachtet. Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 21.6.2019, S.7). Es gibt aber keine Anzeichen dafür, dass Personen, welche nicht die Moschee besuchen, Misshandlungen ausgesetzt sind (UKUT 5.11.2015, Abs.60). Der die Religionsfreiheit betreffende Bericht des US-Außenministeriums nennt keine Fälle von staatlichem Vorgehen gegen Personen aufgrund von Blasphemie, Verleumdung des Islam oder Apostasie (USDOS 21.6.2019).

Gebiete der al Shabaab

Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 5.6.2019b, D2; vgl. USDOS 21.6.2019, S.5). Dabei drangsaliert, verstümmelt oder tötet die Gruppe Personen, welche sie verdächtigt, zu einer anderen Religion konvertiert zu sein oder jene, die sich nicht an die Edikte von al Shabaab halten (USDOS 21.6.2019, S.1). Vertreter der Regierung und ihrer Verbündeten werden unter dem Vorwand getötet, sie seien Nicht-Muslime und Glaubensabtrünnige (USDOS 21.6.2019, S.5f). Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 5.6.2019b, D2). Politik und Verwaltung von al Shabaab sind von religiösen Dogmen geprägt (BS 2018, S.11), Dort, wo al Shabaab die Kontrolle ausübt, wurde als von der Gruppe generell "un-islamisches Verhalten", Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr verboten (USDOS 21.6.2019, S.6). Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 21.6.2019, S.6; vgl. BS 2018, S.11). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen zunehmend pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019, S.7).

Minderheiten und Clans

Recht: Die somalische Verfassung bekennt sich zum Grundsatz der Nichtdiskriminierung (AA 4.3.2019, S.9). Weder das traditionelle Recht (Xeer) noch Polizei und Justiz benachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S.42). Im Xeer sind Minderheiten insofern benachteiligt, alsdass große Clans Kompensationszahlungen eher durchsetzen können (NLMBZ 3.2019, S.38). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen einem andern Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen. Diese Resilienz-Maßnahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S.11).

Politik: Regierung und Parlament sind entlang der sogenannten 4.5-Formel organisiert. Dies bedeutet, dass die Vertreter der vier großen Clans dieselbe Anzahl von Parlamentssitzen zustehen, während kleineren Clans und Minderheitengruppen gemeinsam nur die Hälfte dieser Sitze zustehen (USDOS 13.3.2019, S.26; vgl. FH 5.6.2019b, B4). Dadurch werden kleinere Gruppen politisch marginalisiert (FH 5.6.2019b, B4). Aktuell sind im Parlament 31 von 275 Sitze von Minderheitsangehörigen besetzt, elf davon durch Bantu (NLMBZ 3.2019, S.42). So blieben die Clans der entscheidende Faktor in der somalischen und somaliländis

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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