Entscheidungsdatum
29.01.2020Norm
AlVG §14Spruch
W238 2227799-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Claudia MARIK als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin EGGER und Mag. Robert STEIER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 18.10.2019, VN XXXX , betreffend Abweisung des Antrags vom 28.06.2019 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld mangels Erfüllung der Anwartschaft gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 14 AlVG beschlossen:
A) Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben
und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der nunmehrige Beschwerdeführer stellte am 28.06.2019 beim Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz (im Folgenden: AMS) einen Antrag auf Arbeitslosengeld.
2. Mit Bescheid des AMS vom 18.10.2019 wurde dem Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 14 AlVG mangels Erfüllung der Anwartschaft keine Folge gegeben.
3. In der gegen diesen Bescheid am 07.11.2019 fristgerecht erhobenen Beschwerde wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Folge Rahmenfristerstreckung die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld erfülle. Der Beschwerdeführer sei in Deutschland in die Künstler-Sozialversicherung einbezogen worden und sei bei dieser pensionsversichert gewesen. Die Fortbezugsfrist des § 19 iVm § 15 Abs. 5 AlVG sei nicht abgelaufen, da der Rahmenfristerstreckungsgrund der Pflichtversicherung in der deutschen Künstler-Sozialversicherung vorliege. Weiters brachte der Beschwerdeführer unter Verweis auf ein vorliegendes U1-Formular vor, dass er vom 05.02.2018 bis 18.11.2018 auf einem Schiff unter maltesischer Flagge beschäftigt gewesen sei. Es sei damit eine neue Anwartschaft erfüllt. Er sei insoweit als "unechter Grenzgänger" anzusehen. Der Beschwerde wurden Jahresabrechnungen der deutschen Künstler-Sozialkasse von 2015 bis 2017 und ein Nachweis der gesetzlichen Krankenversicherung DAK über Versicherungszeiten vom 26.03.2013 bis 31.07.2019 beigelegt.
4. Am 14.11.2019 richtete die belangte Behörde ein Auskunftsersuchen an die Pensionsversicherungsanstalt (PVA).
5. Die Beschwerde und der bezughabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.01.2020 in Folge Ablaufs der Frist für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Am 28.06.2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld.
Laut Aktenvermerk des AMS vom selben Tag sei der Beschwerdeführer zuletzt in Deutschland als Künstler selbstständig tätig gewesen; ob diese Beschäftigung der Arbeitslosenversicherung unterlegen sei, sei nicht bekannt. Der Bezug zu Österreich sei den Angaben des Beschwerdeführers zufolge durchgehend vorhanden gewesen. Diesbezüglich sei ihm ein Fragebogen betreffend Zuständigkeit ausgefolgt worden. Er sei auch über Unterlagen für die U1-Anforderung in Deutschland informiert worden.
Am 08.07.2019 sprach der Beschwerdeführer beim AMS vor und teilte mit, dass er in den letzten Jahren in Deutschland als Musiker (u.a. auf Kreuzfahrtschiffen) beschäftigt gewesen sei; dazwischen sei er auch fallweise selbstständig tätig gewesen. Ein Lebenslauf wurde vorgelegt.
Am 08.07.2019 erging seitens des AMS eine Anforderung des Versicherungsverlaufs an die Agentur für Arbeit in Berlin.
Im Akt einliegend ist ein vom Department of Social Security Malta am 03.10.2019 ausgefülltes U1-Formular mit näher bezeichneten Versicherungszeiten des Beschwerdeführers.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 18.10.2019 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers "mangels Erfüllung der Anwartschaft" keine Folge gegeben. Begründend führte sie Folgendes aus:
"Sie können in der gesetzlichen Rahmenfrist keinen Tag arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. anwartschaftsbegründende Zeiten nachweisen. Wir haben auch den Anspruch auf Notstandshilfe geprüft. Da die 5-Jahres-Fortbezugsfrist abgelaufen ist, besteht kein Anspruch auf Notstandshilfe. Die Zeiten der Beschäftigung in Deutschland bzw. Versicherungszeiten aus Deutschland sind bis dato nicht vorliegend. Sollten die Unterlagen aus Deutschland dennoch einlangen wird der Anspruch neuerlich geprüft."
In der dagegen am 07.11.2019 erhobenen Beschwerde wurde insbesondere vorgebracht, dass die Fortbezugsfrist des § 19 iVm § 15 Abs. 5 AlVG nicht abgelaufen sei, da der Rahmenfristerstreckungsgrund der Pflichtversicherung in der deutschen Künstler-Sozialversicherung vorliege. Weiters brachte der Beschwerdeführer unter Verweis auf das vorliegende U1-Formular erneut vor, dass er vom 05.02.2018 bis 18.11.2018 auf einem Schiff unter maltesischer Flagge beschäftigt gewesen sei.
Am 14.11.2019 - nach Erhebung der Beschwerde - richtete die belangte Behörde folgendes Ersuchen an die PVA:
"Herr XXXX hat einen Antrag auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gestellt und dabei beiliegende Unterlagen übergeben. Eine Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland ergab, dass keine gegen Arbeitslosigkeit versicherte Zeiten vorliegen. Mittlerweile ist ein Beschwerdeverfahren anhängig. § 15/8 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes sieht pensionspflichtversicherte Zeiten in jenen Ländern, mit denen es ein Pensionsabkommen gibt, als Rahmenfristerstreckungsgrund vor. Diese pensionsversicherten Zeiten kann die Bundesarbeitsagentur allerdings nicht bestätigen. Daher ergeht das Ersuchen des AMS an Sie, etwaige Zeiten der Pensionspflichtversicherung aufgrund der Tätigkeit des Hrn. XXXX in Deutschland einzuholen."
Einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 14.11.2019 zufolge ergebe sich nach Vorlage von Zeiten in Malta keine neue Anwartschaft, auch die Fortbezugsfrist für Notstandshilfe sei nicht gegeben. Eine Anfrage an die PVA zur Abklärung einer pensionsversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland sei ergangen. Die Antwort werde dauern.
Im Begleitschreiben des AMS anlässlich der Beschwerdevorlage am 23.01.2020 wurde nach Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges festgehalten, dass gemäß § 15 Abs. 8 AlVG pensionspflichtversicherte Zeiten in jenen Ländern, mit denen es ein Pensionsabkommen gebe, als Rahmenfristerstreckungsgrund anzusehen seien. Nach Anfrage bei der Bundesagentur für Arbeit in Deutschland sei dem AMS mitgeteilt worden, dass keine gegen Arbeitslosigkeit versicherte Zeiten vorliegen würden. Das AMS habe die PVA um Mitteilung ersucht, ob Zeiten der Pensionspflichtversicherung aufgrund der Tätigkeit des Beschwerdeführers in Deutschland vorliegen. Bis dato liege keine Rückmeldung der PVA vor. Die belangte Behörde habe von der Ausfertigung einer Beschwerdevorentscheidung Abstand genommen, da der Sachverhalt innerhalb der zulässigen Frist nicht in einer Art und Weise ermittelt werden habe können, die einer rechtsstaatlich korrekten Entscheidung Rechnung tragen würde. Die Beschwerde werde daher direkt unter Anschluss der Verfahrensunterlagen übermittelt.
In dem vom AMS geführten Verfahren wurden seitens der belangten Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts bezüglich der (Nicht-)Erfüllung der Anwartschaft unterlassen. Die Ermittlungen des AMS reichen nicht ansatzweise für eine Entscheidung über den vorliegenden Sachverhalt aus. Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid vor Ausschöpfung der maximal zulässigen sechsmonatigen Entscheidungsfrist erlassen, ohne ihn auf tragfähige Ermittlungen und ein nachvollziehbares Ermittlungsergebnis stützen zu können. Sie hat maßgebliche Ermittlungsschritte erst nach Erhebung der Beschwerde eingeleitet und die Beschwerde sodann - in Folge Ablaufs der Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung - dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Abgesehen von den unzureichenden Ermittlungen hinsichtlich der Erfüllung der Anwartschaft hat die belangte Behörde hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld keinerlei Ermittlungen gepflogen und auch keine Berechnung der Höhe eines allfälligen Anspruchs vorgenommen.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen über die Antragstellung, Datum und Gegenstand des angefochtenen Bescheides sowie den entscheidungserheblichen Verfahrensgang ergeben sich aus dem unstrittigen Inhalt des Verwaltungsaktes.
Die Feststellung, dass die belangte Behörde hinsichtlich der (Nicht-)Erfüllung der Anwartschaft notwendige Ermittlungen unterlassen hat, ergibt sich zum einen aus dem zeitlichen Verlauf des Verfahrens und der gesetzten bzw. unterbliebenen Ermittlungsschritte und zum anderen aus der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst (arg.: "Die Zeiten der Beschäftigung in Deutschland bzw. Versicherungszeiten aus Deutschland sind bis dato nicht vorliegend"). Im Lichte der Begründung des Bescheides und des erst nach Erhebung der Beschwerde übermittelten Auskunftsersuchens an die PVA ist ersichtlich, dass im Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch kein tragfähiges Ermittlungsergebnis vorlag.
Die Feststellung, dass die belangte Behörde hinsichtlich der übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld keinerlei Ermittlungen gepflogen und auch keine Berechnung der Höhe eines allfälligen Anspruchs vorgenommen hat, konnte angesichts der auf die mangelnde Erfüllung der Anwartschaft beschränkten Begründung des angefochtenen Bescheides sowie des (übrigen) Akteninhalts getroffen werden, der entsprechende Ermittlungen bzw. Ermittlungsergebnisse vermissen lässt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung fachkundiger Laienrichter ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 56 Abs. 2 AlVG.
Die Beschwerde ist zulässig und rechtzeitig; sie ist auch begründet:
Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung
3.2.1. § 7 Abs. 1 Z 2 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 67/2013, lautet:
"Arbeitslosengeld
Voraussetzungen des Anspruches
§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer
1. ...
2. die Anwartschaft erfüllt und
..."
3.2.2. § 14 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 100/2018, lautet auszugsweise:
"Anwartschaft
§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.
(2) Bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt.
3.2.3. § 15 Abs. 5 und 8 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 100/2018, lautet:
"§ 15.
...
(5) Die Rahmenfrist verlängert sich um Zeiträume einer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden oder gemäß § 5 GSVG von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommenen Erwerbstätigkeit, wenn davor mindestens fünf Jahre arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung liegen. In den übrigen Fällen verlängert sich die Rahmenfrist um höchstens fünf Jahre um Zeiträume einer der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterliegenden oder gemäß § 5 GSVG von der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung ausgenommenen Erwerbstätigkeit.
...
(8) Die Rahmenfrist verlängert sich um Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland, die auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind, wenn davor mindestens fünf Jahre arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung liegen. In den übrigen Fällen verlängert sich die Rahmenfrist um höchstens fünf Jahre um Zeiträume einer Erwerbstätigkeit im Ausland, die auf Grund eines zwischenstaatlichen Abkommens in der Pensionsversicherung zu berücksichtigen sind.
..."
3.2.4. § 19 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 82/2008, lautet:
"Fortbezug
§ 19. (1) Arbeitslosen, die das zuerkannte Arbeitslosengeld nicht bis zur zulässigen Höchstdauer in Anspruch nehmen, ist der Fortbezug des Arbeitslosengeldes für die restliche zulässige Bezugsdauer zu gewähren,
a) wenn die Geltendmachung innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren, gerechnet vom Tag des letzten Bezuges des Arbeitslosengeldes, erfolgt und
b) wenn, abgesehen von der Anwartschaft, die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt sind.
Die Frist nach lit. a verlängert sich darüber hinaus um Zeiträume gemäß § 15 und gemäß § 81 Abs. 10 und 8.
(2) Der Anspruch auf Fortbezug des Arbeitslosengeldes ist nicht gegeben, wenn der Arbeitslose die Voraussetzungen für eine neue Anwartschaft erfüllt.
(3) Durch den Bezug von Karenzgeld ist ein allfälliger Anspruch auf Fortbezug von Arbeitslosengeld nicht mehr gegeben, es sei denn, daß das Kind, dessen Geburt Anlaß für die Gewährung des Karenzgeldes war, während des Bezuges des Karenzgeldes gestorben ist."
3.3. Eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 14 AlVG (unter anderem) die Erfüllung der Anwartschaft.
Der Beschwerdeführer stellte am 28.06.2019 einen Antrag auf Arbeitslosengeld, dem mit Bescheid des AMS vom 18.10.2918 mangels Erfüllung der Anwartschaft keine Folge gegeben wurde. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer in der gesetzlichen Rahmenfrist keinen Tag arbeitslosenversicherungspflichtige Beschäftigung bzw. anwartschaftsbegründende Zeiten nachweisen könne. Es bestehe auch kein Anspruch auf Notstandshilfe, da die 5-Jahres-Fortbezugsfrist abgelaufen sei. Die Zeiten der Beschäftigung in Deutschland bzw. Versicherungszeiten aus Deutschland seien bis dato nicht vorliegend. Sollten die Unterlagen aus Deutschland dennoch einlangen, werde der Anspruch neuerlich geprüft.
Erst nach Einlangen der Beschwerde gegen diesen Bescheid erging am 14.11.2019 unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 8 AlVG ein Auskunftsersuchen der belangten Behörde an die PVA, Zeiten der Pensionspflichtversicherung aufgrund der Tätigkeit des Beschwerdeführers in Deutschland zu erheben.
Am 23.01.2020 wurde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht mit dem Hinweis vorgelegt, dass bis dato keine Rückmeldung der PVA vorliege.
Eine Beurteilung, ob der Beschwerdeführer die Anwartschaft erfüllt, ist auf Grundlage der nur ansatzweise gepflogenen Ermittlungen der belangten Behörde nicht möglich.
Für eine Beurteilung des die Sache des Verwaltungsverfahrens bildenden Antrags des Beschwerdeführers vom 28.06.2019 wäre - abgesehen von der Erfüllung der Anwartschaft - zudem eine Prüfung der weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld einschließlich der Ermittlung des Anfallstages, der Bezugsdauer und der Höhe eines allfälligen Arbeitslosengeldbezuges erforderlich.
3.4. Befugnis zur Kassation
Gemäß Art. 130 Abs. 4 B-VG hat das Verwaltungsgericht in Rechtssachen nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (außer Verwaltungsstrafsachen) dann in der Sache zu entscheiden, wenn (1.) der maßgebliche Sachverhalt feststeht, oder wenn (2.) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. § 28 Abs. 2 VwGVG wiederholt diese Anordnung auf einfachgesetzlicher Ebene. § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG sieht die Entscheidung in der Sache vor, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, sofern nicht die belangte Behörde einer Entscheidung in der Sache bei Vorlage der Beschwerde (unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens) widerspricht.
Für den Fall, dass die Behörde "notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat, kommt dem Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG unter den durch die Judikatur präzisierten Voraussetzungen die Befugnis zu, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Nach dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, dessen Succus in zahlreichen nachfolgenden Entscheidungen des Höchstgerichts wiederholt wurde, hat die meritorische Entscheidungspflicht des Verwaltungsgerichtes Vorrang und bildet die Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme, deren Inanspruchnahme begründungspflichtig ist und die strikt auf den ihr gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist. Zur Aufhebung und Zurückverweisung ist das Verwaltungsgericht bei "krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken" befugt, was insbesondere dann der Fall ist, wenn die Verwaltungsbehörde "jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen", "lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt" oder "bloß ansatzweise ermittelt" hat oder wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Behörde "Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer ‚Delegierung' der Entscheidung ...)".
3.5. Im vorliegenden Verfahren ergibt sich, dass die bisher gepflogenen Ermittlungen nur ansatzweise zur Entscheidung ausreichen.
"Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist - ungeachtet des durch § 27 VwGVG vorgegebenen Prüfumfanges - nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat (VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0032, mwN). Das Verwaltungsgericht hat also die Angelegenheit zu entscheiden, die von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war (vgl. VwGH 27.08.2014, Ro 2014/05/0062; 27.01.2016, Ra 2014/10/0038).
Vorliegend hatte die belangte Behörde über den Antrag des Beschwerdeführers vom 28.06.2019 auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld zu entscheiden. Dass sie die Abweisung des Antrags im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich auf die mangelnde Erfüllung der Anwartschaft unter Zitierung von § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 14 AlVG gestützt hat, vermag den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens nicht auf die bloße "Feststellung der Nichterfüllung der Anwartschaft" einzuschränken.
Wie anhand der Verfahrenschronologie, der Begründung des angefochtenen Bescheides und der Ausführungen der belangten Behörde anlässlich der Beschwerdevorlage festgestellt, wurden in dem vom AMS geführten Verfahren notwendige Ermittlungen des Sachverhalts bezüglich der (Nicht-)Erfüllung der Anwartschaft unterlassen.
Dem Akteninhalt zufolge war der belangten Behörde bereits im Zeitpunkt der Antragstellung am 28.06.2019 bekannt, dass der Beschwerdeführer in Deutschland als Künstler tätig war. Weiters findet sich im Verwaltungsakt ein vom Department of Social Security Malta am 03.10.2019 ausgefülltes U1-Formular mit näher bezeichneten Versicherungszeiten des Beschwerdeführers.
Eine Überprüfung dahingehend, ob insoweit der Arbeitslosenversicherung oder der Pensionsversicherung unterliegende Zeiten bestehen, wurde vom AMS dennoch nicht zeitgerecht veranlasst. Das AMS hat den angefochtenen Bescheid vor Ablauf der (maximal zulässigen) sechsmonatigen Entscheidungsfrist erlassen, bevor ihr überhaupt ein tragfähiges Ermittlungsergebnis vorlag (arg.: "Die Zeiten der Beschäftigung in Deutschland bzw. Versicherungszeiten aus Deutschland sind bis dato nicht vorliegend."). Erst am 14.11.2019 - nach Erhebung der Beschwerde - richtete das AMS ein Auskunftsersuchen an die PVA zwecks Abklärung einer pensionsversicherungspflichtigen Beschäftigung des Beschwerdeführers in Deutschland.
Im Zeitpunkt der Bescheiderlassung und auch der Beschwerdevorlage lag für die Beurteilung der Anwartschaft kein (vom Bundesverwaltungsgericht) nachprüfbares Ermittlungsergebnis vor. Dies ist auch durch die Ausführungen der belangten Behörde anlässlich der Beschwerdevorlage erwiesen, wonach der Sachverhalt innerhalb der zulässigen Frist (zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung) nicht in einer Art und Weise ermittelt werden habe können, die einer rechtsstaatlich korrekten Entscheidung Rechnung tragen würde. Eine nachvollziehbare Erklärung, warum die erforderlichen Ermittlungen nicht vor Erlassung des angefochtenen Bescheides durchgeführt und abgeschlossen wurden, blieb die belangte Behörde allerdings schuldig. Daran vermag auch der Hinweis in der Bescheidbegründung nichts zu ändern, wonach der Anspruch neuerlich geprüft werde, wenn die Unterlagen aus Deutschland einlangen, zumal Verwaltungsbehörden verpflichtet sind, den verfahrensabschließenden Bescheid erst bei Vorliegen sämtlicher Ermittlungsergebnisse zu erlassen und ihre Aufgaben nicht etwa an die Rechtsmittelinstanz auszulagern. Die Ermittlungen des AMS reichen somit nicht ansatzweise für eine Entscheidung über den vorliegenden Sachverhalt aus.
Der belangten Behörde ist daher anzulasten, dass sie die fallbezogen erforderlichen Ermittlungen nicht schon vor Erlassung ihres Bescheides durchgeführt hat und sodann innerhalb der für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung offenstehenden Frist nur mehr ansatzweise nachholte bzw. nachholen konnte (vgl. dazu VwGH 21.02.2019, Ra 2019/08/0026).
Bei der vom AMS verneinten Anspruchsvoraussetzung der Anwartschaft handelt es sich zudem nur um eine von mehreren im AlVG normierten Voraussetzungen für die vom Beschwerdeführer begehrte Gewährung des Arbeitslosengeldes.
Zur Erreichung der Entscheidungsreife hinsichtlich des Antrags auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld bedürfte es daher abgesehen von der Prüfung der Anwartschaft auch Ermittlungen hinsichtlich der übrigen gesetzlich geregelten Anspruchsvoraussetzungen, des Anfallstages und der Bezugsdauer sowie einer Berechnung der Höhe des allenfalls zustehenden Arbeitslosengeldes. Diesbezüglich finden sich im Verwaltungsakt keinerlei Ermittlungsergebnisse des AMS. Vielmehr wurde hinsichtlich der Prüfung der weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld jegliche Ermittlungstätigkeit der belangten Behörde unterlassen. Die derzeit vorliegenden Ermittlungen könnten eine abschließende Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch auf Zuerkennung des Arbeitslosengeldes nicht ansatzweise tragen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht die Befugnis zur Zurückverweisung der Angelegenheit in Einklang mit der Rechtsprechung in Anspruch nimmt (vgl. zu einem vergleichbaren Fall etwa auch VwGH 06.07.2016, Ro 2016/08/0008 sowie den bereits zitierten Beschluss vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0026).
3.6. Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst ist nicht im Interesse der Raschheit gelegen, weil nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung mit einem Zeitgewinn verbunden wäre. Es liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer "erheblichen Kostenersparnis" verbunden wäre. Nicht zuletzt ergeht der h.g. Beschluss auch unter Berücksichtigung des Rechtsschutzinteresses des Beschwerdeführers, dem im Falle einer (im fortgesetzten Verfahren) nicht vollinhaltlich stattgebenden Entscheidung des AMS über sein Anbringen erneut die Möglichkeit offen stünde, Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht zu erheben, zumal den Verwaltungsgerichten (anders als den Höchstgerichten) volle Kognitionsbefugnis auch in tatsächlicher Hinsicht zukommt.
3.7. Ergebnis
Der Bescheid war aus den dargelegten Erwägungen aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen.
Das AMS wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzung der Anwartschaft sowie die übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld erfüllt, und gestützt auf die Ermittlungsergebnisse - nach Gewährung von Parteiengehör - einen neuen Bescheid zu erlassen bzw. die Leistung in der im gesetzlichen Ausmaß zustehenden Höhe zu gewähren haben.
3.8. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Im vorliegenden Beschwerdefall nimmt das Bundesverwaltungsgericht von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG Abstand, weil bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid "aufzuheben" war. Dieser Tatbestand ist auch auf Beschlüsse zur Aufhebung und Zurückverweisung anwendbar (vgl. zur gleichartigen früheren Rechtslage Hengstschläger/Leeb, AVG [2007] § 67d Rz 22). Bei der Ermessensübung war dabei auch ausschlaggebend, dass es der Prozessökonomie und dem Sinn der gesetzlichen Ermächtigung zur Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG jedenfalls entspricht, dass der Aufhebungsbeschluss gefasst wird, wenn sich die grobe Ermittlungslücke bereits aus der Aktenlage und damit noch vor Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt. Die Abstandnahme von der Verhandlung steht diesfalls nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 18.725/2009) auch im Einklang mit dem einschlägigen Grundrecht nach Art. 6 EMRK (und folglich auch dem insofern - zufolge Art. 52 Abs. 3 GRC - mit gleichen Rechtsfolgen ausgestatteten Art. 47 GRC).
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (s. die unter Pkt. II.3.4. und II.3.5. zitierte Rechtsprechung, insbesondere den Beschluss des VwGH vom 21.02.2019, Ra 2019/08/0026); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich anzusehen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Anspruchsvoraussetzungen, Anwartschaft, Arbeitslosengeld,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W238.2227799.1.00Zuletzt aktualisiert am
11.03.2020