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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §355;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gruber, Dr. Gall und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Grubner, über die Beschwerde des KH in M, vertreten durch den Sachwalter Erwin Biringer, dieser vertreten durch Dr. Andrea Wukovits, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Ölzeltgasse 1b, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 1. Oktober 1997, Zl. GS8-7294/3-1997, betreffend Wiederaufnahme eines Verfahrens in Angelegenheit der Gewährung von Pflegegeld (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund (Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter vom 13. Jänner 1995 wurde der Anspruch des Beschwerdeführers auf Pflegegeld nach dem Bundespflegegeldgesetz - BPGG, BGBl. Nr. 110/1993, ab 1. April 1994 anerkannt.
Mit Bescheid der mitbeteiligten Partei vom 30. April 1997 wurde das Verfahren über den Anspruch des Beschwerdeführers auf Pflegegeld wiederaufgenommen und der Bescheid vom 13. Jänner 1995 hinsichtlich der Höhe des Pflegegeldes aufgehoben. Unter einem wurde die Höhe des Pflegegeldes neu festgesetzt und ausgesprochen, daß ein entstandener Überbezug an Pflegegeld rückgefordert werde.
Mit dem nun angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 1. Oktober 1997 wurde der vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Einspruch vom 14. Mai 1997 als unzulässig zurückgewiesen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher deren Behandlung mit Beschluß vom 27. November 1997, B 2764/97-3, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerdeergänzung beantragt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid im wesentlichen damit, daß im vorliegenden Fall über eine verfahrensrechtliche Frage, nämlich die Wiederaufnahme des Verfahrens entschieden worden sei. Das Bundespflegegeldgesetz enthalte keine Bestimmungen über die Anfechtung von verfahrensrechtlichen Bescheiden und sehe auch keine Bestimmung vor, die eine Bekämpfung eines Bescheides in Pflegegeldsachen durch Einspruch an den Landeshauptmann eröffnen würde. Zumal das genannte Gesetz keine Bestimmung enthalte, welche dem Landeshauptmann im Instanzenzug eine Vollzugszuständigkeit zuweise, sei auf Grund der nach Auffassung der belangten Behörde umfassend normierten sukzessiven Gerichtszuständigkeit der Einspruch als unzulässig zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer steht demgegenüber im wesentlichen auf dem Standpunkt, daß bei der Verfügung der Wiederaufnahme eines eine sozialversicherungsrechtliche Leistungssache betreffenden Verfahrens ein Rechtsmittel zulässig sei.
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und 1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder 2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten oder 3. der Bescheid gemäß § 38 AVG von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde. Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG stattfinden.
Die Wiederaufnahme eines sozialversicherungsrechtlichen Pensionsverfahrens ist keine Leistungs-, sondern eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG (vgl. den hg. Beschluß vom 2. Mai 1978, Slg. Nr. 9551/A, die Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien SSV 2/37 und 3/156, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes SSV-NF 1/58 und 4/54, sowie das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 1997, Zl. 97/08/0429).
Anders stellt sich die Rechtslage im vorliegenden Fall dar:
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des BPGG lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 3. (1) Anspruch auf Pflegegeld nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes besteht für nachstehende Personen, sofern sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben:
1. Bezieher einer Vollrente, deren Pflegebedarf durch den Arbeits(Dienst)unfall oder die Berufskrankheit verursacht wurde, oder einer Pension (ausgenommen die Knappschaftspension) nach dem
a) Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955;
...
§ 22. (1) Zur Entscheidung in Angelegenheiten nach diesem Bundesgesetz sind zuständig:
Für Personen nach
1. § 3 Abs. 1 Z 1 lit. a bis f und Z 7 der für die Gewährung der Vollrente, Pension oder des Sonderruhegeldes zuständige Sozialversicherungsträger;
...
§ 24. Auf das Verfahren finden, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, vor den Sozialversicherungsträgern die Bestimmungen der §§ 354, 357 bis 361, 363 bis 367 ASVG und vor den übrigen Entscheidungsträgern die Vorschriften des AVG mit Ausnahme des § 68 Abs. 2 AVG Anwendung."
Gemäß § 65 Abs. 1 ASGG sind Sozialrechtssachen unter anderem Rechtsstreitigkeiten über
"1. den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit hiebei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen (§ 354 Z 1 ASVG, § 194 GSVG, § 182 BSVG, § 65 NVG 1972, § 129 B-KUVG, § 84 StVG beziehungsweise §§ 4 Abs. 2, 43 und 44 BPGG);
2. die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes (§ 354 Z 2 ASVG, § 194 GSVG, § 182 BSVG, § 65 NVG 1972, § 129 B-KUVG, § 84 StVG beziehungsweise § 11 Abs. 3 zweiter Halbsatz und Abs. 4 BPGG sowie Z 6 bis 8 und §§ 89 und 91); ...."
Sofern Entscheidungsträger im Sinne des § 22 Abs. 1 BPGG ein Sozialversicherungsträger ist, finden somit gemäß § 24 BPGG auf das Verfahren die §§ 354, 357 bis 361 sowie 363 bis 367 ASVG Anwendung. Der verwiesene § 354 ASVG betrifft die Umschreibung des Begriffes der Leistungssachen. Vom BPGG nicht verwiesen ist § 355 ASVG, der den Umfang der Verwaltungssachen umschreibt. Dementsprechend erklärt § 27 Abs. 2 BPGG nur Bestimmungen des Siebenten Teiles des ASVG ("Verfahren") Abschnitt I 2. Unterabschnitt ("Gemeinsame Bestimmungen für das Verfahren in Verwaltungs- und in Leistungssachen vor den Versicherungsträgern") - das sind die verwiesenen §§ 357 bis 360 ASVG - und des Abschnittes II ("Verfahren in Leistungssachen") 1. Unterabschnitt ("Feststellung von Leistungsansprüchen durch die Versicherungsträger") - das sind die §§ 361 und 363 bis 367 ASVG - für anwendbar, nicht aber den Abschnitt III über das "Verfahren in Verwaltungssachen", und zwar weder dessen 1. Unterabschnitt ("Verfahren vor den Versicherungsträgern") noch dessen 2. Unterabschnitt ("Verfahren vor den Verwaltungsbehörden"). Sämtliche Angelegenheiten nach dem BPGG, in denen ein Sozialversicherungsträger Entscheidungsträger im Sinne des § 22 Abs. 1 leg. cit. ist, sind daher Leistungssachen. Dies gilt auch für einen auf § 69 Abs. 1 AVG im Zusammenhalt mit § 357 ASVG und § 24 BPGG gestützten Pflegegeldfestsetzungsbescheid; ebenso für die gleichzeitig ausgesprochene Rückforderung des zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes. Das Rechtsmittel des Einspruches gegen den Bescheid des Sozialversicherungsträgers als Träger der sozialen Selbstverwaltung gemäß § 412 ASVG an den Landeshauptmann als staatliche Behörde und eine Zuständigkeit desselben gemäß §§ 412 und 413 ASVG sind im BPGG nicht vorgesehen. Die Zurückweisung des Einspruches durch die belangte Behörde erweist sich somit nicht als rechtswidrig.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998030096.X00Im RIS seit
20.11.2000