TE Vwgh Erkenntnis 2020/2/13 Ra 2019/19/0417

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Veröffentlicht am 13.02.2020
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37
AVG §39 Abs2
AVG §46
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des N H, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3. Oktober 2017, W245 2137564-1/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 6. Jänner 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er und sein Vater hätten in Afghanistan für eine internationale Organisation gearbeitet, weswegen die Taliban seinen Vater entführt und getötet sowie ihn gesucht und bedroht hätten.

2 Das auf Grund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Bundesverwaltungsgericht (BVwG) führte am 27. Jänner 2017 eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Revisionswerber im Wesentlichen sein Fluchtvorbringen wiederholte.

3 Mit Schreiben an das BVwG vom 31. Juli 2017 brachte der Revisionswerber vor, er sei zum Christentum konvertiert und habe sich zu einem einjährigen katholischen Glaubenskurs angemeldet. Zum Beweis legte er eine Bestätigung der Diözese Innsbruck vor. Die Ausübung seines christlichen Glaubens sei ihm in Afghanistan nicht möglich. Aufgrund seines Glaubenswechsels zum Christentum drohe ihm in Afghanistan asylrelevante Verfolgung.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 5 Das BVwG stellte - soweit für das Revisionsverfahren relevant - fest, der Revisionswerber sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekenne sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Revisionswerber in Afghanistan für eine Hilfsorganisation tätig gewesen sei oder dass dem Revisionswerber wegen einer beruflichen Tätigkeit Gewalt durch die Taliban drohe. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass dem Revisionswerber auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara oder zur schiitischen Religion konkret und individuell bzw. dass jedem Angehörigen dieser Volksgruppe oder der schiitischen Religion Gewalt in Afghanistan drohe. Das BVwG traf Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, darunter auch Feststellungen zur Abkehr vom Islam (Apostasie), aber keine Feststellungen zur Situation von Personen, die zum Christentum konvertiert sind. 6 In rechtlicher Hinsicht führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe eine individuelle asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen können. Eine Gruppenverfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit als Hazara und Schiite sei nicht gegeben.

7 Mit Beschluss vom 9. Oktober 2018, E 3910/2017-15, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde des Revisionswerbers ab und trat die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis erhobene (außerordentliche) Revision nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das BVwG sei in Abweichung von der - näher genannten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht auf das Vorbringen der Konversion des Revisionswerbers eingegangen und habe in nicht nachvollziehbarer Weise festgestellt, der Revisionswerber gehöre der schiitischen Glaubensrichtung an. Das BVwG habe auch keine Länderfeststellungen zur Situation von Konvertiten in Afghanistan getroffen.

10 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

11 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das Verwaltungsgericht neben der Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise auch die Pflicht hat, auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Das Verwaltungsgericht darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0705, mwN).

12 Wie die Revision zutreffend vorbringt, hat das BVwG das Vorbringen des Revisionswerbers, er sei zum Christentum konvertiert und habe sich zu einem einjährigen katholischen Glaubenskurs angemeldet, wozu der Revisionswerber eine Bestätigung der Diözese Innsbruck vorlegte, gänzlich übergangen. 13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

14 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 13. Februar 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190417.L00

Im RIS seit

07.04.2020

Zuletzt aktualisiert am

07.04.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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