Index
E3L E19103000Norm
AsylG 2005 §11Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie den Hofrat Dr. Pürgy und die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des F D, vertreten durch Dr. Martin Dellasega & Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. Juni 2019, W261 2175940-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 9. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, dass seine Ortschaft von den Taliban übernommen worden sei. Die Taliban hätten ihn und seinen Bruder rekrutieren wollen. Da sein Vater abgelehnt habe, seien sie bedroht worden und hätten daraufhin das Land verlassen.
2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 5. Oktober 2017 den Antrag zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise setzte das BFA mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
In der Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht unter anderem fest, dass die Familie des Revisionswerbers Eigentümerin eines Hauses und von Grundstücken sei. Dem jungen und arbeitsfähigen Revisionswerber stehe als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in die Stadt Mazar-e Sharif zur Verfügung.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 5 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit ausgeführt, das BVwG habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Das BVwG habe nicht dargelegt, aus welchen bestimmten, beim Revisionswerber vorliegenden Umständen dieser ohne Unterstützung von Familienangehörigen auskommen könne. Nach den UNHCR-Richtlinien würden Zivilisten, die in städtischen Gebieten ihren tagtäglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Tätigkeiten nachgehen, Gefahr laufen, Opfer von Gewalt zu werden.
Das BVwG weiche zudem von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es die EASO-Richtlinien nicht berücksichtigt habe und davon ausgegangen sei, dass beim Revisionswerber keine besonderen Gefährdungsmerkmale vorlägen. Die EASO-Richtlinien hielten fest, dass Mazar-e Sharif/Balkh hinsichtlich der Schwere der Konflikte in der zweithöchsten Kategorie angesiedelt sei. Eine Verschärfung der Konflikte würde dazu führen, dass jeder Person bloß wegen Anwesenheit eine reale Gefahr einer Art. 3 EMRK Verletzung drohe. Die zweithöchste Risikostufe führe, im Gegensatz zur höchsten Kategorie, nicht zu einer derartigen Gefährdung, dass gleichsam jedermann einer realen Gefahr einer Art. 3 EMRK Verletzung ausgesetzt wäre, aber besondere Faktoren im Einzelfall die reale Gefahr einer Art. 3 EMRK Verletzung begründen würden. Nach den EASO-Richtlinien sei das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative für die Kombination aus Hazara und Schiite überhaupt ausgeschlossen. Im Sinn einer abschließenden Beurteilung, ob eine langfristige Niederlassung für den Revisionswerber möglich sei, hätte das BVwG jedenfalls unter Berücksichtigung des aktuellen Länderinformationsblattes, der aktuellen UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und der EASO-Richtlinien erheben müssen, ob eine Niederlassung in Mazar-e Sharif auch langfristig möglich sei. Unter Berücksichtigung der UNHCR- und EASO-Richtlinien hätte das BVwG nicht festgestellt, dass eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zulässig sei, sondern zumindest subsidiären Schutz zuerkannt. 6 In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ist ("Indizwirkung"). Die Verpflichtung zur Beachtung der vom UNHCR und EASO herausgegebenen Richtlinien ergibt sich aus dem einschlägigen Unionsrecht (vgl. dazu VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 30.9.2019, Ra 2018/01/0457, jeweils mwN). Die Asylbehörden sind jedoch nicht an entsprechende Empfehlungen von UNHCR und EASO gebunden (vgl. wiederum VwGH Ra 2018/01/0457).
Die Indizwirkung bedeutet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/19/0382, mwN).
7 Werden Verfahrensmängel - wie hier etwa die Nichtberücksichtigung der UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und der "Country Guidance" des EASO - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 2.8.2018, Ra 2018/19/0225, mwN).
8 Dies gelingt der Revision im vorliegenden Fall nicht. Mit dem bloßen Vorbringen, bei Vermeidung der behaupteten Verfahrensmängel hätte das Bundesverwaltungsgericht "nicht festgestellt, dass die Rückkehr nach Herat bzw Mazar-e Sharif zulässig (ist) und zumindest subsidiären Schutz zuerkannt", wird die Relevanz der behauptete Verfahrensmängel nicht dargetan. 9 Zudem gehen weder die EASO ("Country Guidance" vom Juni 2019) noch der UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazare Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, mwN). Entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung hat das BVwG auch die am 30. August 2018 veröffentlichten UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender einbezogen. Soweit sich die Revision auf die "Country Guidance" des EASO beruft, ist ihr entgegenzuhalten, dass diese eine Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative für schiitische Hazara nicht generell ausschließt (vgl. VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0475, mwN).
10 Ausgehend von den unbestritten gebliebenen Feststellungen des BVwG, wonach es sich bei dem Revisionswerber um einen - abgesehen von Spannungskopfschmerzen - gesunden, jungen, arbeitsfähigen Mann mit Berufserfahrung in Österreich handle, der in Afghanistan aufgewachsen und mit der dortigen Kultur vertraut sei, vermag die Revision mit ihren Ausführungen fallbezogen weder darzulegen, dass in der Stadt Mazar-e Sharif eine Situation vorläge, die eine Verletzung der nach Art. 3 EMRK garantierten Rechte des Revisionswerbers darstellen würde, noch dass ihm eine Ansiedlung in dieser Stadt nicht zumutbar wäre (vgl. in Bezug auf Mazar-e Sharif etwa VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0037; 2.8.2019, Ra 2018/19/0615; 25.6.2019, Ra 2019/19/0121; 27.5.2019, Ra 2018/14/0418; 14.3.2019, Ra 2019/18/0079).
11 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 13. Februar 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190278.L00Im RIS seit
08.04.2020Zuletzt aktualisiert am
08.04.2020