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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Alfred Witzlsteiner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 21/III, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. März 2019, I413 2125486-2/18E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 8. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass er sein Herkunftsland wegen des Krieges verlassen habe. Er habe Angst gehabt, im Krieg zu sterben.
2 Mit Bescheid vom 20. Dezember 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung gegen ihn, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig. 4 Begründend führte das BVwG aus, das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, wonach schiitische Milizen sein Haus angegriffen und seinen Vater mitgenommen hätten, sei aufgrund näher genannter Widersprüche sowie von Unplausibilitäten nicht glaubhaft. Dem Revisionswerber würde im Falle einer Rückkehr nach Bagdad keine Art. 2 oder 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen. Weiters liege zwischen dem Revisionswerber und einer finnischen Staatsangehörigen eine Scheinehe vor. Da diese ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht nicht ausgeübt habe, sei der Revisionswerber nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG anzusehen, weshalb eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision, welche zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, dass die Beweiswürdigung des BVwG fehlerhaft sei, weil die Familienangehörigen des Revisionswerbers aufgrund derselben Fluchtgründe in Finnland Asyl erhalten hätten. Weiters erscheine der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt, weil das BVwG die Familienangehörigen in der mündlichen Verhandlung hätte einvernehmen müssen, um diese zu den Fluchtgründen zu befragen. Zuletzt beanstandet der Revisionswerber die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK.
6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 10 In Zusammenhang mit der Beweiswürdigung hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG nur dann - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0436, mwN).
11 Richtig ist zwar, dass der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung wiederholt Bedenken gegen die unreflektierte Verwertung von Beweisergebnissen der Erstbefragung erhoben hat, weil sich diese Einvernahme nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat. Gleichwohl hat der Verwaltungsgerichtshof aber betont, dass es nicht generell unzulässig ist, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (vgl. etwa VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429, mwN).
12 Im vorliegenden Fall stützte sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung nicht bloß auf Widersprüche zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme des Revisionswerbers, sondern darüber hinaus auf zusätzliche, für sich tragende Erwägungen, denen die Revision nicht entgegentritt.
13 Einer Berücksichtigung der - erstmals in der Revision aufgestellten - Behauptung, wonach die in Finnland lebenden Angehörigen des Revisionswerbers einvernommen hätten werden müssen, weil diese seine Fluchtgründe bestätigen könnten und bei gleichem Vorbringen in Finnland asylberechtigt seien, steht im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof das aus § 41 VwGG abzuleitende Neuerungsverbot entgegen (vgl. VwGH 5.11.2019, Ra 2019/01/0348, mwN).
14 Sofern der Revisionswerber vermeint, in dem Recht auf "Nichtdiskriminierung in der EMRK" verletzt werde, wenn das BVwG ihm Asyl aus demselben Fluchtgrund verwehrt, aus welchem seinen Familienangehörigen in Finnland der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei, ist auszuführen, dass es ein solches Recht in der EMRK nicht gibt.
15 Zur erforderlichen Prüfung betreffend die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erkennt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 18.12.2019, Ra 2019/14/0452, mwN).
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist von den mit Asylverfahren befassten Behörden und Gerichten zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Folglich hatte auch das BVwG seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Bei instabilen und sich rasch ändernden Verhältnissen im Herkunftsstaat können auch zeitlich nicht lange zurückliegende Berichte ihre Aktualität bereits verloren haben (vgl. VwGH 26.3.2019, Ra 2019/19/0043, mwN).
17 Wenn der Revisionswerber behauptet, das BVwG habe seiner Entscheidung veraltete Länderberichte zugrunde gelegt, macht er damit Verfahrensfehler geltend. Werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch deren Relevanz dargetan werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt voraus, dass - auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 26.11.2019, Ra 2019/14/0276, mwN). Eine solche Darlegung enthält die Zulassungsbegründung der Revision nicht.
18 Auf Grundlage der Informationen aus dem Länderinformationsblatt kam das BVwG zum rechtlichen Schluss, dem Revisionswerber drohe im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort Bagdad keine Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Beim Revisionswerber handle es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann, der eine elfjährige Schulbildung aufweise und Berufserfahrung im Fotostudio seines Vaters gesammelt habe. Daher gehe das BVwG davon aus, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr in den Irak die Möglichkeit habe, sich im Arbeitsmarkt einzugliedern. Auch wenn das BVwG dies nicht in der rechtlichen Beurteilung, sondern disloziert in den Feststellungen anführte, ist ersichtlich, dass es sich mit den möglichen Gefahren einer allfälligen Rückkehr des Revisionswerbers auseinandergesetzt hat.
19 Wenn der Revisionswerber in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass der irakische Staat infolge seiner Instabilität nicht fähig sei, den Revisionswerber vor Übergriffen schiitischer Milizen zu schützen, ist auszuführen, dass sich die Revision insofern vom festgestellten Sachverhalt entfernt, wonach eine Verfolgung des Revisionswerbers nicht glaubhaft sei (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/20/0549, mwN).
20 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 30.10.2019, Ra 2019/18/0326, mwN).
21 Das BVwG verkannte in den Erwägungen im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht, dass der Revisionswerber mit einer finnischen Staatsangehörigen verheiratet sei, die er über die sozialen Medien kennen gelernt habe. Aufgrund der Nichtausübung des Freizügigkeitsrechts der Ehefrau sei der Revisionswerber jedoch kein begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG, weshalb das BVwG berechtigt gewesen sei, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.
22 In Ermangelung eines Vorbringens im Verwaltungsverfahren, wonach die Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte, war das BVwG auch nicht zu Erhebungen in diese Richtung verhalten (vgl. VwGH 26.1.2010, 2008/22/0296). 23 Das BVwG ging - mit näherer Begründung (kein gemeinsamer Haushalt, keine regelmäßigen Besuche, keine umfassende Lebensgemeinschaft, kein spezifisches Wissen über die jeweiligen persönlichen Vorlieben und Tagesabläufe) - nachvollziehbar davon aus, dass es sich bei der Ehe um eine Scheinehe handle, weshalb diese nicht von Art. 8 EMRK geschützt sei. Im Rahmen der Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG im Übrigen die etwa dreieinhalbjährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers sowie - disloziert - den Besuch diverser Kurse, seine Deutschkenntnisse, seine gemeinnützigen Tätigkeiten und die Teilnahme an gemeinnützigen Projekten sowie seine Unbescholtenheit und stellte diese privaten Interessen den öffentlichen Interessen gegenüber. Dabei kam das BVwG zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens gegenüber den - durch den unsicheren Aufenthaltsstatus des Revisionswerbers - relativierten persönlichen Interessen des Revisionswerbers überwögen. 24 Dass diese Interessenabwägung unvertretbar wäre, vermag die Revision vor dem Hintergrund der zuvor genannten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aufzuzeigen.
25 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 18. Februar 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180032.L00Im RIS seit
11.03.2020Zuletzt aktualisiert am
12.03.2020