TE OGH 2020/1/24 8Ob137/19h

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Veröffentlicht am 24.01.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei KR W*****, vertreten durch Mag. Martin Machold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Hintermeier Pfleger Brandstätter Rechtsanwälte GesbR in St. Pölten, wegen Feststellung (Streitwert 10.548,46 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 4. September 2019, GZ 21 R 126/19s-14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Tulln vom 27. März 2019, GZ 2 C 810/18a-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

Es wird festgestellt, dass der beklagten Partei im Zusammenhang mit Bestellungen des Vereins O***** bei der beklagten Partei im Zeitraum (Belegdaten) 11. 4. 2017 bis 5. 10. 2017 keine Forderungen gegen die klagende Partei zustehen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 3.433,64 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin 743 EUR Barauslagen, 448,44 EUR USt), die mit 2.337,72 EUR (darin 1.143 EUR Barauslagen, 199,12 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.291,58 EUR (darin 1.431 EUR Barauslagen, 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war und ist unbeschränkt haftender Gesellschafter der A***** KG. Zudem war er bis Februar 2018 Schriftführer des Vereins O*****. Der Verein bestellte im Zeitraum vom 11. 4. 2017 bis 5. 10. 2017 bei der Beklagten Fleischwaren, die von der Beklagten geliefert und vom Koch des Vereins übernommen, aber vom Verein nicht bezahlt wurden. Der Kläger selbst war weder in diese Bestellungen involviert, noch kamen ihm die Fleischlieferungen zugute, noch wusste er davon. Die Beklagte erwirkte gegen den Verein zwar einen Exekutionstitel, eine Exekution blieb jedoch erfolglos.

Die Beklagte nahm mit Schreiben ihres Rechtsvertreters vom 24. 7. 2018 den Kläger in Anspruch und forderte ihn unter Androhung der Klagseinbringung auf, ihr bis 7. 8. 2018 insgesamt 10.548,46 EUR für die Fleischlieferungen samt Zinsen und Kosten zu zahlen. Begründend hieß es in dem Schreiben insbesondere, dass der Kläger „als Vereinsorgan und Vorstandsmitglied des Vereins … persönlich für Schäden“ hafte, die der Beklagten „schuldhaft durch den Verein entstanden“ seien, und dass sich der Kläger bzw ihm zurechenbare Rechtspersonen durch die Lieferung der Fleischwaren „vorsätzlich unrechtmäßig bereichert“ hätten. Überdies wurde in Aussicht gestellt, den „Sachverhalt auf Erfüllung allfälliger strafrechtlicher Tatbestände zu prüfen“. Der Kläger wies die Ansprüche mit Antwortschreiben seines Rechtsvertreters vom 8. 8. 2018 zurück und forderte seinerseits Ersatz der ihm verursachten Kosten von 427,51 EUR. Daraufhin teilte der Rechtsvertreter der Beklagten dem Rechtsvertreter des Klägers im Brief vom 18. 9. 2018 mit, dieses Schreiben inhaltlich nicht zu beantworten und im Auftrage seiner Mandantschaft derzeit die Einbringung einer Strafanzeige zu prüfen.

Eine Strafanzeige gegen den Kläger wurde nicht erstattet.

Der Kläger begehrte mit der am 12. 12. 2018 beim Erstgericht eingebrachten Klage die aus dem Spruch ersichtliche Feststellung. Die Tatsache, dass sich die Beklagte gegenüber dem Kläger nachdrücklich einer Forderung von 10.548,46 EUR berühme und dieser Forderung nach Aufklärung des Sachverhalts durch die Androhung von Strafanzeigen Nachdruck verleihe, begründe ein rechtliches Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung. Der Kläger habe erwarten dürfen, dass die Beklagte nach Erhalt des Schreibens vom 8. 8. 2018 von ihrer unbegründeten Forderung abstehen werde. Das Gegenteil sei aber der Fall gewesen. Die Beklagte habe es bislang nicht für notwendig erachtet, den Kläger gerichtlich auf Zahlung in Anspruch zu nehmen. Es bestehe demnach ein Schwebezustand, der ein rechtliches Interesse des Klägers begründe, die Anmaßung der Beklagten als Ursache der Rechtsunsicherheit abzuwehren und die Beklagte zu zwingen, das angemaßte Recht zu beweisen oder aufzugeben.

Die Beklagte bestritt. Die gesetzten Schritte gegen den Kläger seien berechtigte Eintreibungsversuche der offenen Forderungen, weil die Beklagte als Lieferantin zwischen mehreren Stühlen sitze und niemand Zahlung leisten wolle. Die Beklagte habe sich nicht auf unzulässige Weise eines Rechts berühmt, weshalb es dem Kläger am rechtlichen Interesse für die begehrte Feststellung fehle. Der Kläger habe bereits zum Zeitpunkt des ersten Aufforderungsschreibens keinen Zweifel gehabt, dass die Forderungen der Beklagten ihm gegenüber nicht zu Recht bestünden. Eine ernsthafte Unsicherheit in Bezug auf das Rechtsverhältnis habe daher für den Kläger nicht bestanden. Darüber hinaus hätte der Kläger seine nunmehrigen Ausführungen auch einer allfälligen Klage entgegenhalten können. Der Kläger habe bei einer bloßen Geldforderung überdies keinen Nachteil zu befürchten, solange diese Forderung nicht gerichtlich geltend gemacht werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die mögliche künftige Geltendmachung eines Leistungsanspruchs durch die beklagte Partei nehme dem negativen Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse, wenn durch die möglichen Einwendungen im Verfahren über den Leistungsstreit der Feststellungsanspruch voll ausgeschöpft werde. Das bedeute, dass im Falle einer Leistungsklage der Feststellungsanspruch des Klägers voll ausgeschöpft wäre, ein über den Leistungsstreit hinausgehendes Feststellungsinteresse habe vom Kläger nicht behauptet bzw bewiesen werden können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Im Hinblick auf die Entscheidung 8 Ob 21/15v trete das Berufungsgericht der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei, wonach bei der gegenständlichen Fallkonstellation kein Feststellungsinteresse des Klägers im Sinn des § 228 ZPO gegeben sei: Dem Kläger stehe die Möglichkeit offen, seine Einwendungen gegen den von der Beklagten behaupteten Anspruch in einem allfälligen künftigen (von der Beklagten angestrengten) Leistungsverfahren uneingeschränkt geltend zu machen. Der vom Kläger hervorgehobene Umstand, wonach ihm die Beklagte eine gerichtlich strafbare Vorsatztat unterstelle und diesbezüglich die Einbringung einer Strafanzeige androhe bzw prüfe, vermöge daran nichts zu ändern, zumal ihm ja auch gegebenenfalls entsprechende Verteidigungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

Die Revision wurde zugelassen, weil die Entscheidung 8 Ob 21/15v einen außerstreitigen Feststellungsantrag hinsichtlich des Ruhens des gegnerischen Unterhaltsanspruchs betroffen habe und in den Entscheidungen 8 Ob 85/03p und 8 Ob 131/17y das rechtliche Interesse der Klagsseite in Bezug auf ein negatives Feststellungsbegehren bei Rechnungen/Mahnungen bzw Aufforderungsschreiben der Gegenseite grundsätzlich bejaht worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen, die eine rechtliche Klarstellung erfordern, zulässig. Die Revision ist auch berechtigt.

1.1 Bei einer negativen Feststellungsklage besteht das rechtliche Interesse an der Feststellung des Nichtbestehens eines Rechts immer dann, wenn der Beklagte ein solches Recht zu haben behauptet. Es ist dabei gleichgültig, ob ein solches Recht im Einzelfall überhaupt bestehen kann, also objektiv gesehen möglich ist, oder ob es bei richtiger Beurteilung von Haus aus feststeht, dass es keine gesetzliche Grundlage hat. Es genügt dazu eine den Kläger belastende fälschliche Berühmung. Das rechtliche Interesse erfordert neben der Berühmung eines solchen Rechts aber auch eine dadurch hervorgerufene Gefährdung der Rechtsstellung des Klägers. Es genügt dabei schon, wenn der Kläger in seiner Bewegungsfreiheit im Rechtsleben, in der Vornahme wirtschaftlicher Maßnahmen behindert wird. Darüber hinaus muss die begehrte Feststellung das zur Beseitigung dieser Gefährdung geeignete Mittel sein (RIS-Justiz RS0039096; vgl auch RS0039260). An die Frage der Klärungsbedürftigkeit eines Rechts oder Rechtsverhältnisses ist kein allzu strenger Maßstab anzulegen (RS0038908 [T12]).

1.2 In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass eine in der Ausstellung von Rechnungen zu sehende Berühmung, mit dem Kläger bestimmte Kaufverträge abgeschlossen zu haben, und die sich daran möglicherweise anknüpfenden privatrechtlichen Folgen ein Feststellungsinteresse begründen (1 Ob 528/94 unter Verweis auf JBl 1965, 269). Ebenso wurde in der Ausstellung einer Rechnung für geschaltete Inserate, die überdies gemahnt wurde, nicht nur die Berühmung eines Rechts (nämlich die in der Ausstellung liegende Behauptung, der Kläger habe Inseratenaufträge erteilt) erblickt, sondern auch angenommen, dass die Rechnungslegung den Kläger in seiner Bewegungsfreiheit behindert, werde doch seine wirtschaftliche Position maßgeblich beeinträchtigt, bestünde die Forderung (von dort immerhin 124.680,32 EUR) zu Recht (8 Ob 85/03p). Zuletzt hat der erkennende Senat im Hinblick auf das Vorliegen eines Forderungsschreibens der dortigen Beklagten über 2.100 EUR das rechtliche Interesse der Klägerin im Sinn des § 228 ZPO an einem entsprechenden negativen Feststellungsbegehren als unzweifelhaft bezeichnet (8 Ob 131/17y, Pkt 4.1).

2. Nichts anderes kann im vorliegenden Fall gelten:

Mit dem Anspruchsscheiben vom 24. 7. 2018 hat die Beklagte dem Kläger gegenüber unter Klagsandrohung eine Forderung von 10.548,46 EUR fällig gestellt und behauptet, dass der Kläger ihr gegenüber in diesem Umfang schadenersatzpflichtig geworden sei, wobei sie auch noch ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Klägers in den Raum gestellt hat. Die daran möglicherweise anknüpfenden privat- sowie strafrechtlichen Folgen begründen das Feststellungsinteresse des Klägers.

Dass die Beklagte das Recht ernsthaft behauptet, sodass zwecks Beendigung des für beide Teile nachteiligen Schwebezustands ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung anzuerkennen ist (RS0038974), zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie auch nach der Stellungnahme des Rechtsvertreters des Klägers vom 8. 8. 2018 nicht von ihrer Forderung abgerückt ist und diese Rechtsanmaßung nicht einmal im Prozess ausdrücklich zurückgezogen hat.

Der Ansicht der Beklagten, der Kläger habe keinen Nachteil, solange die Beklagte zur Durchsetzung ihres angeblichen Rechts nicht den Klageweg beschritten habe, ist zu erwidern, dass nach der Rechtsprechung niemand gehalten ist, untätig zuzuschauen, bis der Gegner drohende oder bereits angekündigte Prozessschritte unternimmt. Der Kläger muss daher auf allfällige Schritte der Gegenseite auf gerichtliche Geltendmachung der behaupteten Ansprüche nicht warten, sondern kann durch Feststellungsklage die von der Beklagten geschaffene Rechtsunsicherheit beenden (1 Ob 185/64 = JBl 1965, 269; 3 Ob 259/53; Frauenberger-Pfeiler in Fasching/Konecny3 III/1 § 228 ZPO Rz 86).

3.1 Mit dieser Aussage setzt sich die Beurteilung der Vorinstanzen, dem Kläger fehle hier das rechtliche Interesse, weil er seine Einwendungen gegen den von der Beklagten behaupteten Anspruch in einem allfälligen künftigen (von der Beklagten angestrengten) Leistungsverfahren uneingeschränkt geltend machen könnte, in Widerspruch. Es ist zwar richtig, dass die Möglichkeit der Leistungsklage bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklage verdrängt (RS0038849; vgl auch RS0039021). Dabei hat die Rechtsprechung aber den Fall vor Augen, dass dieser Kläger seinen Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen kann (RS0038817).

3.2 Die von den Vorinstanzen herangezogene Entscheidung 8 Ob 21/15v ist insofern nicht einschlägig, als ihr die Feststellung eines „Drittrechtsverhältnisses“, also die Feststellung eines Rechtsverhältnisses mit der Zielsetzung, dass die Feststellung die rechtliche Beziehung zu Dritten beeinflussen soll, zugrunde lag. Dabei ist aber das rechtliche Interesse genau zu prüfen, weil das Feststellungsurteil einem am Verfahren nicht beteiligten Dritten gegenüber keine Rechtskraftwirkung äußert (7 Ob 176/13b mwN). Überdies gab es im Vergleichsfall weder eine „Berühmung“ durch die dortige Antragsgegnerin, noch war der Dritte unter Berufung auf das angeblich zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis schon an die Antragstellerin herangetreten.

Sollte der Entscheidung 8 Ob 21/15v die Aussage entnommen werden, dass auch die mögliche künftige (noch nicht erfolgte) Geltendmachung eines Leistungsanspruchs durch die Gegenseite oder durch einen Dritten, der sich auf die Rechtsposition der Gegenseite beruft, einem negativen Feststellungsbegehren das rechtliche Interesse nehme, wenn durch die möglichen Einwendungen im Verfahren über den Leistungsstreit der Feststellungsanspruch voll ausgeschöpft wird, kann dem in dieser Allgemeinheit nicht beigetreten werden. Andernfalls würde sich das Rechtsinstitut der negativen Feststellungsklage im Sinn einer vorbeugenden Klärung der Rechtslage bei einer Forderungsberühmung wie hier erübrigen.

4. Zu Unrecht sind die Vorinstanzen daher davon ausgegangen, dass dem Kläger das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung fehlt. Da nach dem festgestellten Sachverhalt die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erhobene Forderung unbegründet ist, erweist sich das negative Feststellungsbegehren als berechtigt.

Der Revision war daher im Sinne einer Klagestattgebung Folge zu geben.

5. Die abgeänderte Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, in Ansehung der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auch auf § 54 Abs 1a ZPO.

Textnummer

E127519

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00137.19H.0124.000

Im RIS seit

10.03.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.06.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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