Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. Beck als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schwarzgruber, über die Beschwerde des (am xx. Mai 19yy geborenen) Marian Nikolaus W, vertreten durch
Dr. Reinhold Gsöllpointner, Rechtsanwalt in Salzburg, Hellbrunnerstraße 7A, gegen den Bescheid des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 17. Oktober 1995, Zl. VwSen-103154/8/Ki/Shn, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. Übertretung der StVO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der beschwerdeführende Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
In einer mit 31. August 1994 datierten Anzeige des Gendarmeriepostenkommandos F. wird "Marian W, Dipl. Ing.", geboren am xx. Mai 19yy, mit Wohnort "5020 Salzburg, B-Straße 44" als Beschuldigter wegen dreier verschiedener Verwaltungsübertretungen nach der StVO genannt. In diesem Protokoll werden auch die Angaben des Verdächtigen
"Dipl. Ing. Marian W" zur Taterhebung wiedergegeben. Worauf sich die in der Anzeige festgehaltenen Daten zur Person des Beschwerdeführers stützen, wird jedoch in der Anzeige nicht näher ausgeführt.
Eine Anfrage der Bezirkshauptmannschaft Braunau (kurz: BH) als zuständiger Strafbehörde erster Instanz vom 3. Oktober 1994 betreffend allfällige Vorstrafen des Beschwerdeführers im Bereich der Verwaltungsstrafen bestätigte die vorgenannten Personalangaben der Anzeige mit Ausnahme des angeführten akademischen Titels "Dipl. Ing.".
In der Folge erließ die BH mit Datum 17. Oktober 1994 eine Strafverfügung, adressiert an "W Marian, Dipl. Ing., geb. am xx.05.19yy, B-Straße 44, 5020 Salzburg". Diese auch so adressierte Strafverfügung wurde laut dem im Verwaltungsakt liegenden Rückschein am 27. Oktober 1994 vom "Empfänger" übernommen.
Am 7. November 1994 (Datum der Postaufgabe) wurde gegen diese Strafverfügung an die BH Einspruch erhoben, der als Absender "Dipl.Ing. Marian W, B-Straße 44, 5020 Salzburg" ausweist.
Die BH ließ daraufhin zwei näher genannte Zeugen des Vorfalls im Rechtshilfeweg einvernehmen und hielt in der Folge das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 12. Jänner 1995 "Dipl. Ing. Marian W, geb. xx.05.19yy" an der vorgenannten Anschrift im Rahmen des Parteiengehörs vor. Dieses Schreiben wurde laut Rückschein am 16. Jänner 1995 vom "Empfänger" übernommen.
Den Verwaltungsakten liegt eine teilweise nur noch schwer lesbare Telekopie (Fax) vom 24. Jänner 1995 betreffend die Stellungnahme des nunmehr als "Marian Nikolaus W" bezeichneten Absenders mit der vorgenannten Anschrift bei. Bereits in der Einleitung dieser Stellungnahme wird unter Hinweis auf eine der Behörde (BH) und dem Gendarmeriepostenkommando von F. erteilte Auskunft mitgeteilt, "daß es sich beim Zulassungsbesitzer Dipl. Ing. M. W und dem Lenker Marian Nikolaus W" um verschiedene Personen handle. Der "die Personalien aufnehmende Beamte" habe sich "sowohl die Adresse des Besitzers als auch die des Lenkers" notiert. In weiterer Folge nimmt der "vorgenannte Lenker" zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung.
Mit Straferkenntnis vom 11. August 1995, gerichtet an "Dipl.Ing. Marian W, geb. xx.05.19yy", adressiert an die vorgenannte Anschrift, wird die so bezeichnete Person für schuldig befunden, zwei näher bezeichnete Verwaltungsübertretungen der StVO begangen zu haben.
Dieses Straferkenntnis wurde laut dem auch so adressierten Rückschein am 22. August 1995 vom "Empfänger" übernommen.
Mit einer in wesentlichen Teilen nicht mehr lesbaren Telekopie vom 6. September 1995 wurde gegen dieses Straferkenntnis von "Marian Nikolaus W" Berufung erhoben.
Mit Schreiben vom 14. September 1995 hielt daraufhin die belangte Behörde der als "Dipl. Ing. Marian W" (ohne Beifügung eines Geburtsdatums) genannten Person, adressiert an die vorgenannte Anschrift, vor, daß die Berufung nach Ablauf der Berufungsfrist bei der BH eingebracht worden sei. Dieses Schreiben wurde laut Rückschein am "18.5.95" (laut Poststempel am 18. September 1995) vom "Empfänger" übernommen.
Mit Telekopie vom 21. September 1995 wies die als "Dipl. Ing. W" bezeichnete Person mit Nachdruck darauf hin, daß die Berufung nicht von dieser Person erfolgt sei und nicht zwischen dem festgestellten Lenker und dem Zulassungsbesitzer durch die belangte Behörde unterschieden werde, obwohl zwischen diesen Personen "keine Personenidentität" bestehe.
Daraufhin hielt die belangte Behörde mit Schreiben vom 2. Oktober 1995 der als "Marian W, geb. xx.05.19yy" bezeichneten Person an der vorgenannten Anschrift die verspätete Einbringung der Berufung vor. Dieses Schreiben wurde laut Rückschein am 4. Oktober 1995 vom "Vater" des Empfängers als "Mitbewohner der Abgabestelle" übernommen.
Mit Telekopie vom 16. Oktober 1995 teilte die sich nunmehr als "Nikolaus W" bezeichnende Person unter Angabe der vorgenannten Anschrift der belangten Behörde u.a. mit, daß sie bisher "keinen Strafbescheid persönlich" übernommen habe, sondern der Adressat "Dipl. Ing. W". Es liege aufgrund des der Behörde unterlaufenen Formalfehlers gegen die diese Stellungnahme abgebende Person "kein rechtmäßiger Strafbescheid" vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Oktober 1995 wies die belangte Behörde die Berufung des "Marian Nikolaus W, geb. xx.Mai.19yy", adressiert an die vorgenannte Anschrift, als "verspätet eingebracht" zurück.
In der Begründung dieses Bescheides stellte die belangte Behörde u.a. fest, es bestehe zwischen jener Person, die im Straferkenntnis vom 11. August 1995 als Adressat bezeichnet worden sei und jener Person, die die Berufung mittels Telefax bei der BH am 6. September 1995 eingebracht habe, Identität. Dies sei auch aus den Angaben im Berufungsschriftsatz, wonach die Lenkereigenschaft nicht bestritten worden sei, "in klarer Weise" abzuleiten. Der Umstand, daß die in der Zustellverfügung als Adressat des Straferkenntnisses genannte Person als "Dipl. Ing." bezeichnet worden sei, schade nicht, zumal diese Person durch Anführung des Geburtsdatums und der Zustelladresse "in klarer Weise" identifziert worden sei. Es sei daher "davon auszugehen", daß das Straferkenntnis gegen den Beschwerdeführer ordnungsgemäß ergangen sei und dieser Person auch die verfahrensgegenständliche Berufung zuzurechnen sei.
Doch selbst wenn eine andere Person als der Beschwerdeführer sich bei der Entgegennahme des Straferkenntnisses - allenfalls versehentlich - als "Empfänger" bezeichnet haben sollte, läge offensichtlich eine den Bestimmungen des Zustellgesetzes entsprechende Ersatzzustellung (§ 16 Zustellgesetz) vor, was bedeute, daß auch in diesem Fall das Straferkenntnis "grundsätzlich als ordnungsgemäß zugestellt" gelte. Der Beschwerdeführer habe "trotz Aufforderung" keinerlei Angaben darüber getätigt, daß "eine allenfalls unzulässige Ersatzzustellung" im Sinne des § 16 Abs. 5 Zustellgesetz vorliege. Die belangte Behörde beruft sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf die den Beschwerdeführer im Strafverfahren treffende Mitwirkungspflicht bei der Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts. Da die am 6. September 1995 eingebrachte Berufung nach Ablauf der zweiwöchigen Berufungsfrist eingelangt sei, sei die Berufung zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof; dieser hat erwogen:
Der Beschwerdeführer wendet ein, die am 22. August 1995 vorgenommene Zustellung des Straferkenntnisses vom 11. August 1995 sei nicht an ihn, sondern an
"Dipl. Ing. Marian W" erfolgt. Diese Zustellung sei keinesfalls eine gültige Ersatzzustellung gewesen, sodaß bislang keine ordnungs- und gesetzmäßig ausgeführte Zustellung des Straferkenntnisses erfolgt sei, weshalb auch eine "allenfalls dagegen erhobene Berufung" nicht als verspätet erhoben angesehen werden könne.
Unter Verweis auf die Eingabe des Beschwerdeführers an die belangte Behörde vom 21. September 1995 vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, diese Ausführungen seien dahingehend zu werten, daß er sich auch gegen die Gültigkeit und Rechtmäßigkeit einer Ersatzzustellung im Sinne des § 16 Zustellgesetz ausgesprochen habe. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Nachforschungen dahingehend anzustellen, ob die Zustellung (des Straferkenntnisses) ordnungsgemäß erfolgt sei. Die Ausführungen der belangten Behörde zur Mitwirkungspflicht des Beschwerdeführers und zur Befreiung der Behörde von weiteren Nachforschungen seien nicht zutreffend. Daß sich der Beschwerdeführer gegen die Annahme einer rechtmäßigen Zustellung ausgesprochen habe, ergebe sich klar aus dem Akteninhalt. Die belangte Behörde hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, daß das Straferkenntnis ordnungsgemäß zugestellt worden sei, ohne weitere Überprüfungen vorzunehmen.
Gemäß § 13 Abs. 1 erster Satz Zustellgesetz ist eine Sendung dem Empfänger an der Abgabestelle zuzustellen.
Gemäß § 4 Zustellgesetz ist Abgabestelle im Sinne dieses Bundesgesetzes der Ort, an dem die Sendung dem Empfänger zugestellt werden darf, wobei darunter insbesondere die Wohnung oder sonstige Unterkunft des Empfängers fallen.
Wie der Verwaltungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 21. Oktober 1994, Zl. 94/11/0206, ausgeführt hat, kann die Frage der Adressierung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses allenfalls für die Frage seiner rechtswirksamen Zustellung von Bedeutung sein, nicht jedoch dafür, wem die Übertretungen angelastet werden und wer daher Beschuldigter ist.
Durch die Ergänzung des Geburtsdatums, dessen Richtigkeit in bezug auf den Beschwerdeführer von diesem nicht in Abrede gestellt wurde, hat die Strafbehörde erster Instanz hinsichtlich des Beschuldigten - wenngleich unter fälschlicher Beifügung des akademischen Grades "Dipl. Ing." und unter Auslassung des zweiten Vornamens des Beschwerdeführers - mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen gegeben, daß sich dieser Bescheid tatsächlich nur gegen den Beschwerdeführer, nicht aber gegen dessen Vater richten soll. Der Beschwerdeführer ist daher als Beschuldigter und somit auch als Partei des Verwaltungsstrafverfahrens im Sinne des § 32 Abs. 1 VStG anzusehen.
Verfehlt ist hingegen die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, man könne im Beschwerdefall von einer wirksamen Zustellung oder Ersatzzustellung des Straferkenntnisses vom 11. August 1995 ausgehen.
In seiner Stellungnahme vom 16. Oktober 1995 zum Vorhalt der belangten Behörde betreffend die angenommene Verspätung der Berufung teilt der Beschwerdeführer der Behörde unmißverständlich klar mit, daß nicht er, sondern sein Vater den Bescheid übernommen habe.
Unter den gegebenen Umständen rügt daher der Beschwerdeführer zu Recht, die belangte Behörde habe aufgrund der grundsätzlich sie treffenden amtswegigen Ermittlungspflicht die zur Lösung der sich im Zusammenhang mit der Zustellung des besagten Straferkenntnisses stehenden Sachverhaltsfrage erforderlichen ergänzenden Ermittlungen (etwa durch Einvernahme des Zustellers oder des Vaters des Beschwerdeführers) unterlassen, obwohl es der Behörde aufgrund der konkreten Sachverhaltsbehauptungen des Beschwerdeführers möglich gewesen wäre, die erforderlichen ergänzenden Ermittlungsschritte zu setzen. Die belangte Behörde war daher unter diesen Umständen trotz der den Beschwerdeführer treffenden Mitwirkungspflicht nicht von der grundsätzlich sie treffenden Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts entbunden. Der Verfahrensmangel ist wesentlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei dessen Vermeidung hinsichtlich der Beurteilung der Frage der Verspätung der Berufung des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis gelangen hätte können.
Auch die Annahme, daß eine allenfalls nach § 16 Zustellgesetz wirksame Ersatzzustellung des Straferkenntnisses seinerzeit erfolgt sei, wird durch die von der belangten Behörde getroffenen Ermittlungsergebnisse nicht getragen. Gerade der Hinweis auf dem Rückschein, daß diese Sendung vom "Empfänger" übernommen worden sei, läßt Zweifel an der Annahme einer wirksamen "Ersatzzustellung" aufkommen, zumal in einem solchen Fall in der Regel die Übernahme durch einen Ersatzempfänger an der separat gekennzeichneten Stelle des Rückscheins anzugeben ist. Insbesondere ist nicht zu ersehen, daß die belangte Behörde Ermittlungen betreffend die Erfüllung der Voraussetzungen einer zulässigen Ersatzzustellung im Sinne des § 16 Zustellgesetz (etwa die Abwesenheit des Beschwerdeführers von der Abgabestelle, das Vorliegen "derselben Abgabestelle") angestellt und zum Ergebnis derselben dem Beschwerdeführer auch Parteiengehör gewährt hätte (vgl. etwa die bei Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren, Band I, zweite Auflage, S. 1975, unter E 45 zu § 16 Zustellgesetz angeführte Judikatur). Dies ist insbesondere nicht im Rahmen des von der belangten Behörde mit Schreiben vom 2. Oktober 1995 erfolgten Vorhalts hinsichtlich der Frage der Ersatzzustellung geschehen.
Auf Grund des Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Person des Bescheidadressaten Inhalt des Spruches Anführung des BescheidadressatenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997020191.X00Im RIS seit
20.11.2000