Entscheidungsdatum
26.08.2019Norm
BVergG 2018 §12 Abs1Spruch
W139 2222479-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den ersten Vertreter der Gerichtsabteilung W139, Dr. Michael ETLINGER, über den Antrag der XXXX , XXXX , vertreten durch LTRA Rechtsanwälte, Lindengasse 38/3, 1070 Wien, betreffend das Vergabeverfahren "Lieferung Hygienepapier, BBG, GZ 4805.03467" des Bundes, vertreten durch Bundesbeschaffung GmbH (BBG), Lassallestraße 9b, 1020 Wien, vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, vom 14.09.2019 beschlossen:
A)
Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Vergabeverfahren "Lieferung Hygienepapier, BBG, GZ 4805.03467" wird gemäß §§ 350 Abs. 1, 351 Abs. 1, 3 und 4 BVergG 2018 im folgenden Umfang stattgegeben:
1. Der Lauf der Angebotsfrist wird für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens ausgesetzt.
2. Dem Auftraggeber ist für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt, die Angebote zu öffnen.
3. Dem Auftraggeber ist für die Dauer des Nachprüfungsverfahrens untersagt, das Vergabeverfahren fortzuführen, mit Ausnahme Berichtigungen der Ausschreibungsunterlagen durchzuführen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Antragstellerin stellte am 14.08.2019 Anträge auf Erlassung einstweiliger Verfügungen in Verbindung mit dem Antrag, die Ausschreibung für nichtig zu erklären, in eventu diskriminierende Anforderungen bzw. technisch unmögliche Spezifikationen in den Ausschreibungsunterlagen streichen, für nichtig zu erklären. In der rechtlichen Begründung führte die Antragstellerin folgende Rechtswidrigkeiten der Ausschreibung an:
* Verletzung der Gleichbehandlungspflicht
* Unklare Ausschreibungsinhalte
* Diskriminierende Ausschreibungsinhalte (wie Zuschlagskriterien)
* Mangelnde Kalkulierbarkeit der Angebote
* Nichtaufteilung in Lose
* Mangelnde Vergleichbarkeit der Angebote
* Verletzung des Grundsatzes des fairen und lauteren Wettbewerbs
2. Mit Schriftsatz vom 22.08.2019 erteilte die Auftraggeber zunächst allgemeine Auskünfte zum Vergabeverfahren. Zum Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wurde vorgebracht, dass ein dringender Beschaffungsbedarf bestehe, da die gegenständliche Beschaffung zur Erfüllung der gesetzlich bestimmten Aufgaben des Auftraggebers benötigt werde. Der Auftraggeber könne nicht beurteilen, ob Interessen sonstiger Bieter durch die Erlassung der einstweiligen Verfügung beeinträchtigt würden.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und Zulässigkeit der Anträge
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 328 Abs. 1 BVergG 2018 ist im Anwendungsbereich des BVergG 2018 grundsätzlich die Entscheidung durch Senate vorgesehen. Insbesondere sind einstweilige Verfügungen davon ausgenommen. Die Entscheidung ist daher durch einen Einzelrichter zu treffen.
Auftraggeber iSd § 2 Z 5 BVergG 2018 ist der Bund, vertreten durch die BBG. Dieser ist öffentlicher Auftraggeber gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 BVergG 2018. Beim gegenständlichen Auftrag handelt es sich um einen Lieferauftrag gemäß § 6 BVergG 2018. Nach den Angaben des Auftraggebers beträgt der geschätzte Auftragswert EUR 16.155.056,70, sodass es sich gemäß § 12 Abs. 1 BVergG 2018 um ein Vergabeverfahren im Oberschwellenbereich handelt.
Da darüber hinaus laut Stellungnahme des Auftraggebers das Vergabeverfahren nicht widerrufen und der Zuschlag noch nicht erteilt wurde, ist das Bundesverwaltungsgericht damit gemäß § 334 Abs. 2 BVergG 2018 zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers und zur Erlassung einstweiliger Verfügungen zuständig.
Schließlich geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Antragstellerin die Antragsvoraussetzungen nach § 350 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen.
Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass der Antrag auf Erlassung der begehrten einstweiligen Verfügung gemäß § 350 Abs. 1 BVergG 2018 zulässig ist, wobei auch die Voraussetzungen des § 350 Abs. 2 BVergG 2018 vorliegen.
Inhaltliche Beurteilung des Antrages
Gemäß § 350 Abs. 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag eines Unternehmers, dem die Antragsvoraussetzungen nach § 342 Abs. 1 BVergG 2018 nicht offensichtlich fehlen, durch einstweilige Verfügung unverzüglich vorläufige Maßnahmen anzuordnen, die nötig und geeignet erscheinen, um eine durch die behauptete Rechtswidrigkeit einer gesondert anfechtbaren Entscheidung entstandene oder unmittelbar drohende Schädigung von Interessen des Antragstellers zu beseitigen oder zu verhindern.
Gemäß § 351 Abs. 1 BVergG 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht vor der Erlassung einer einstweiligen Verfügung die voraussehbaren Folgen der zu treffenden Maßnahme für alle möglicherweise geschädigten Interessen des Antragstellers, der sonstigen Bewerber oder Bieter und des Auftraggebers sowie ein allfälliges besonderes öffentliches Interesse an der Fortführung des Vergabeverfahrens gegeneinander abzuwägen. Ergibt diese Abwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen einer einstweiligen Verfügung, ist der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung abzuweisen.
Gemäß § 351 Abs. 3 BVergG 2018 können mit einer einstweiligen Verfügung das gesamte Vergabeverfahren oder einzelne Entscheidungen des Auftraggebers bis zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über eine allfällige Nichtigerklärung vorübergehend ausgesetzt oder sonstige geeignete Maßnahmen angeordnet werden. Dabei ist die jeweils gelindeste noch zum Ziel führende vorläufige Maßnahme zu verfügen.
Gemäß § 351 Abs. 4 BVergG 2018 ist in einer einstweiligen Verfügung die Zeit, für welche diese Verfügung getroffen wird, zu bestimmen. Die einstweilige Verfügung tritt nach Ablauf der bestimmten Zeit, spätestens jedoch mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über den Antrag auf Nichtigerklärung außer Kraft, in dem die betreffende Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, sobald die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat die einstweilige Verfügung unverzüglich auf Antrag oder von Amts wegen zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen, die zu ihrer Erlassung geführt haben, nach Ablauf der bestimmten Zeit fortbestehen.
Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 351 Abs. 1 BVergG 2018 sowie auch in Hinblick auf die zu verfügende einstweilige Maßnahme ist zunächst darauf Bedacht zu nehmen, dass die Antragstellerin die Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Ausschreibung (bzw. einzelner Bestimmungen davon) behauptet. Diese Behauptung erscheint zumindest nicht denkunmöglich. Über die inhaltliche Begründetheit ist im Provisorialverfahren nicht abzusprechen. Diese wird im Hauptverfahren durch den zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichtes zu beurteilen sein. Da somit nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (zumindest teilweise) zutreffen und hierdurch eine erfolgreiche Beteiligung erschwert wird, droht der Antragstellerin durch die Fortsetzung des Vergabeverfahrens der Entgang des Auftrags mit allen daraus erwachsenden Nachteilen. Um derartigen Schaden abzuwenden, ist es erforderlich, das Vergabeverfahren bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Stand zu halten, der die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht ins Leere laufen lässt und der die Teilnahme an einem vergaberechtskonformen Vergabeverfahren und damit die grundsätzliche Möglichkeit der Auftragserteilung im Rahmen eines rechtskonformen Vergabeverfahrens über die hier verfahrensgegenständlichen Leistungen an die Antragstellerin wahrt (siehe zum Zweck einer einstweiligen Verfügung auch EBRV 1171 BlgNr XXII. GP 141).
Bei der verfügten Aussetzung des Laufs der Angebotsfrist handelt es sich zudem nach ständiger Rechtsprechung der Vergabekontrolle um eine notwendige und geeignete Maßnahme, um den aufgezeigten Schaden hintanzuhalten (siehe ua BVwG 30.05.204, W139 2008219-1/11E; zur Fortlaufhemmung bereits BVA 11.12.2012, N/0113-BVA/12/2012-EV7).
Bei der Interessenabwägung ist schließlich auf die allgemeinen Interessen und Grundsätze Rücksicht zu nehmen, dass der Auftraggeber bei seiner zeitlichen Planung des Beschaffungsvorganges die Dauer eines allfälligen Rechtsschutzverfahrens mit einzukalkulieren hat (siehe zB BVA 14.05.2010, N/0038-BVA/10/2010-EV19), dass das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Auftragserteilung an den tatsächlichen Bestbieter zu berücksichtigen ist (grundlegend VfGH 01.08.2002, B 1194/02) und schließlich dass gemäß § 329 Abs. 1 BVergG von der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nur dann abzusehen ist, wenn die Interessenabwägung ein Überwiegen der nachteiligen Folgen ergibt (zB BVA 05.02.2010, N/0007-BVA/10/2010-EV12). Ein solches ist für das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht zu erkennen, zumal auch der Auftraggeber kein substantiiertes Vorbringen dahingehend erstattete, aus welchen Gründen aufgrund einer lediglich kurzfristigen Untersagung der Fortsetzung des Vergabeverfahrens (vgl. die 6-wöchige Entscheidungsfrist gemäß § 348 BVergG 2018) besondere öffentliche Interessen beeinträchtigt würden.
Stellt man daher im vorliegenden Fall die Interessen der Antragstellerin den öffentlichen Interessen sowie den Interessen des Auftraggebers gegenüber, ergibt sich, dass im gegenständlichen Fall vom grundsätzlichen Überwiegen der für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung sprechenden Interessen auszugehen ist. Dem Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes, nämlich der Ermöglichung der Teilnahme an einem rechtskonformen Vergabeverfahren und einer Auftragserteilung an die allenfalls obsiegende Antragstellerin ist durch eine entsprechende Maßnahme Genüge zu leisten.
Zur Klarstellung wird abschließend darauf hingewiesen, dass die spruchmäßig angeordnete Maßnahme, das Vergabeverfahren fortzusetzen, den Auftraggeber nicht daran hindert, die Ausschreibung zu widerrufen.
Zu Spruchpunkt B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Nach Art. 133 Abs. 9 iVm Abs. 4 B-VG ist gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 iVm Abs. 9 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu VwGH 06.11.2002, 2002/04/0138; 30.06.2004, 2004/04/0028; 01.02.2005, 2005/04/0004; 29.06.2005, 2005/04/0024; 01.03.2007, 2005/04/0239; 27.06.2007, 2005/04/0254; 29.02.2008, 2008/04/0019; 14.01.2009, 2008/04/0143; 14.04.2011, 2008/04/0065; 29.09.2011, 2011/04/0153) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aussetzung der Angebotsfrist, Bekanntgabepflicht, Berichtigung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W139.2222479.1.00Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020