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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss sowie die Hofräte Dr. Karger und Dr. Graf als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über den Antrag des V P in W, vertreten durch Dr. Heinz Robathin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntnerstraße 12, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland, Berufungssenat II, vom 12. März 1998, 15-95/1180/09 und 15-94/1331/09, betreffend Umsatz-, Einkommen- und Gewerbesteuer für die Jahre 1989 bis 1991, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag, 98/14/0089, wurde das Verfahren betreffend die vom Antragsteller erhobene Beschwerde gegen den im Spruch dieses Beschlusses bezeichneten Bescheid zurückgewiesen, weil der Antragsteller die Einbringungsfrist für die Beschwerde versäumt hatte.
Mit dem nunmehrigen, am 10. Juni 1998 zur Post gegebenen Schriftsatz begehrt der Antragsteller unter Vorlage dreier Beschwerdeausfertigungen und des angefochtenen Bescheides die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wobei er zur Begründung ausführt, sein Rechtsanwalt habe die bereits fertig kuvertierte Beschwerde am 29. Mai 1998 einer Kanzleikraft mit dem Auftrag übergeben, die Sendung unverzüglich zum Postamt zu bringen und dort eingeschrieben aufzugeben. Tatsächlich habe sich die Kanzleikraft auch an diesem Tag um ca 13.15 Uhr bei seinem Rechtsanwalt abgemeldet und ihm versichert, sie gehe unverzüglich zum Postamt. Tatsächlich aber habe die Kanzleikraft bereits zu diesem Zeitpunkt die Absicht gehabt, private Angelegenheiten zu erledigen. Im Zug der Erledigung der privaten Angelegenheiten habe die Kanzleikraft den Gang zum Postamt vergessen und erst am folgenden Tag, dem 30. Mai 1998 nachgeholt. Die Kanzleikraft habe ihre Verfehlung seinem Rechtsanwalt am 2. Juni 1998 eingestanden. Sein Rechtsanwalt habe somit durch ein unvorhergesehenes Ereignis die Frist zur Einbringung der Beschwerde versäumt. An dieser Versäumung treffe seinen Rechtsanwalt kein Verschulden, weil er sich auf die Zusicherung der Kanzleikraft, sie werde die Beschwerde unverzüglich noch am 29. Mai 1998 zur Post geben, habe verlassen dürfen. Sein Rechtsanwalt habe nicht damit rechnen müssen, die Kanzleikraft werde entgegen seinem ausdrücklichen Auftrag und entgegen ihrer ausdrücklichen Versicherung die Beschwerde erst am 30. Mai 1998 zur Post geben.
Dem Antrag sind Erklärungen des Rechtsanwaltes und der Kanzleikraft beigeschlossen, in denen die Ausführungen des Antragstellers bestätigt werden.
Die Behauptungen des Antragstellers konnten im Hinblick auf die detaillierten Angaben im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und in den Erklärungen im Zusammenhalt mit dem Inhalt des hg Aktes 98/14/0089 als bescheinigt angesehen werden. Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der Antrag aus folgenden Erwägungen berechtigt:
Gemäß § 46 Abs 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß ein Verschulden des Rechtsanwaltes einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen ist (vgl Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, 656 f). Die Bewilligung der Wiedereinsetzung kommt somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 46 Abs 1 zweiter Satz VwGG nur in Betracht, wenn dem Antragsteller und seinem Rechtsanwalt kein Versehen oder nur ein minderer Grad des Versehens angelastet werden kann. Ein Versehen einer Kanzleikraft eines Rechtsanwaltes ist ihm nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber der Kanzleikraft unterlassen hat.
Im vorliegenden Fall stellt es für den Rechtsanwalt des Antragstellers ein unvorhergesehenes Ereignis dar, daß die Kanzleikraft trotz der Versicherung, sie gehe mit der ihr übergebenen Post unverzüglich zum Postamt, dies - aus welchen Gründen auch immer - unterlassen hat. Es ist einer Kanzleikraft, die auf die Wichtigkeit der Postaufgabe aufmerksam gemacht wird und versichert, sie gehe zur Post, zuzutrauen, daß sie den ihr gegebenen und von ihr bestätigten Auftrag erfüllt. Eine begleitende Kontrolle der Postaufgabe durch eine ansonsten verläßliche Kanzleikraft ist einem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht dessen Sorgfaltspflicht überspannen.
Der Rechtsanwalt des Antragstellers hat somit das für die fristgerechte Einbringung der Beschwerde Erforderliche vorgekehrt. Da dem Antragsteller und seinem Rechtsanwalt ein Verschulden an der Versäumung der Einbringungsfrist der Beschwerde nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998140096.X00Im RIS seit
20.11.2000