TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/18 I403 2138373-1

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Veröffentlicht am 18.09.2019
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Entscheidungsdatum

18.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2138373-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MIgrantInnenbetreuung GmbH (ARGE Rechtsberatung), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 10.10.2016, Zl. 1066137205/150421305, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.09.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, stellte am 26.04.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der am selben Tag stattfindenden Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, im Irak von Milizen und vom Islamischen Staat (IS) wegen seiner Tätigkeit als Soldat bedroht zu werden. Zudem habe er Angst vor ein Kriegsgericht zu kommen, weil er seine Einheit verlassen habe.

2. Am 07.10.2016 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, einvernommen. Er wiederholte, dass er desertiert sei und legte in Kopie unter anderem einen Dienstvertrag mit dem Militär sowie einen Haftbefehl vor.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 10.10.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde für nicht glaubhaft befunden, da er insbesondere kein "soldatisches Grundwissen" (in Bezug auf Waffen und Munition) gezeigt habe.

4. Gegen den Bescheid wurde fristgerecht am 24.10.2016 Beschwerde erhoben und erklärt, dass dem Beschwerdeführer als Deserteur jedenfalls eine mehrjährige Haftstrafe drohe, die mit Misshandlungen und Folter verbunden sei. Zudem habe sich die belangte Behörde mit der Bedrohung durch die Miliz "Saraya Al Salam" nicht auseinandergesetzt.

5. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 31.10.2016 vorgelegt. Am 27.02.2018 wurden vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers verschiedene Urkunden vorgelegt. Aufgrund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes wurde der Akt der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin am 01.07.2019 zugewiesen.

6. Am 16.09.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX, eine öffentliche mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner rechtsfreundlichen Vertretung und einer Vertreterin der belangten Behörde durchgeführt. Der Beschwerdeführer wiederholte, von seinem Dienst beim Militär während eines Kampfes gegen den Islamischen Staat geflüchtet zu sein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ohne entsprechendem Sichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist und hält sich seit zumindest 26.04.2015 in Österreich auf. Seine Identität steht nicht fest. Er ist Staatsangehöriger des Irak, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben.

Der Beschwerdeführer ist in seinem Herkunftsland Irak in Bagdad geboren und aufgewachsen und hat zehn Jahre lang die Schule besucht. Er ist gesund und erwerbsfähig. Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt seiner Ausreise nicht beim irakischen Militär beschäftigt.

Im Irak leben seine Eltern und seine fünf Brüder und vier Schwestern. Einer weiteren Schwester des Beschwerdeführers, die mit ihm gemeinsam den Irak verlassen hatte, wurde in Deutschland der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

In Österreich hat der Beschwerdeführer keine familiären Anknüpfungspunkte, allerdings führt er seit einer Woche eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Der Beschwerdeführer hat in Österreich Schritte zu seiner Integration gesetzt (Besuch von Deutschkursen, Ablegung der österreichischen Führerscheinprüfung) und hält sich seit viereinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten und bestreitet seinen Lebensunterhalt über die Grundversorgung. Er versuchte ein Gewerbe anzumelden, dies wurde ihm aber nicht genehmigt.

Der Beschwerdeführer leidet an Hämorrhoiden; ansonsten befindet er sich nicht in medizinischer Behandlung.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer desertierte nicht vom irakischen Militär und droht ihm daher auch keine Verfolgung durch den irakischen Staat.

Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig, und hat überdies zehn Jahre lang die Schule besucht. Er verfügt in Bagdad über Familie und gehört er zur schiitischen Volksgruppe, so dass ihm auch keine Gefahr droht, der Unterstützung des Islamischen Staates verdächtigt zu werden. Der Beschwerdeführer wird daher im Falle einer Rückkehr nach Bagdad in keine die Existenz bedrohende Notlage geraten.

1.3. Zur Situation im Irak:

1.3.1. Zur Sicherheitssituation in Bagdad:

Laut Joel Wing (zitiert nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.07.2019, 13) ist Bagdad ist eine weitgehend vergessene Front des Islamischen Staates (IS). Seit Anfang des Jahres 2019 wurden dort wochenweise überhaupt keine terroristischen Aktivitäten verzeichnet. Der IS versucht jedoch wieder in Bagdad Fuß zu fassen und baut seine "Unterstützungszone" im südwestlichen Quadranten der "Bagdad-Belts" wieder auf, um seine Aktivitäten im Gouvernement Anbar mit denen in Bagdad und dem Südirak zu verbinden. Alle im Gouvernement Bagdad verzeichneten Angriffe betrafen nur die Vorstädte und Dörfer im Norden, Süden und Westen. Während es sich dabei üblicherweise nur um kleinere Schießereien und Schussattentate handelte, wurden im Juni, bei einem kombinierten Einsatz eines improvisierten Sprengsatzes mit einem Hinterhalt für die den Vorfall untersuchenden, herankommenden irakischen Sicherheitskräfte, sechs Soldaten getötet und 15 weitere verwundet. Im April 2019 wurden zehn sicherheitsrelevante Vorfälle im Gouvernement Bagdad verzeichnet. Diese führten zu sieben Toten und einer verwundeten Person. Auch im Mai 2019 wurden zehn Vorfälle erfasst, mit 16 Toten und 14 Verwundeten. Ein weiterer mutmaßlicher Vorfall, eine Autobombe in Sadr City betreffend, ist umstritten. Im Juni gab es 13 Vorfälle mit 15 Toten und 19 Verwundeten.

Auch laut UNHCR hat sich die Sicherheitssituation in Bagdad größenteils stabilisiert; der IS hat kaum mehr die Kapazitäten, um tödliche Anschläge durchzuführen (UNHCR - UN High Commissioner for Refugees: International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2007789/unhcr-2019-05-protection-considerations-iraq.pdf (Zugriff am 29. August 2019)).

1.3.2. Zur Grundversorgung, zur medizinischen Versorgung und zur Rückkehr in den Irak:

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 25.07.2019 wird festgestellt:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 119 von 126

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt.

Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen

angeboten (IOM 13.6.2018).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq's ailing economy liberate itself in 2018?,

https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018

-Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 15.10.2018

-Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018

-FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018

-Iraqi News (28.8.2018): Iraq's Basra declares 17000 infection cases from water pollution,

https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018):

Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities,

https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018

-UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018

-USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture

https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018

-

USAID - Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance

Fact Sheet: Iraq,

https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-

_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

-

USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights

Practices 2017 - Iraq,

https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

-

WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018,

https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff

16.10.2018

-

WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview,

http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018

-

WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft,

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen.

Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt

werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr,

jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder

Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag,

https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018):

Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome

Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag,

https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

1.3.3 Zum irakischen Militär und der Bestrafung von Deserteuren:

Die folgenden Feststellungen wurden dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.07.2019, 43 entnommen:

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.4.2018).

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS

20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 31.10.2018

-USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 31.10.2018

Die folgenden Feststellungen wurden dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 25.07.2019, 61 entnommen:

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden (AA 12.2.2018; vgl. CIA 12.7.2018). Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere (Niqash 24.3.2016; vgl. Rudaw 15.12.2015).

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu 7 Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar (MoD 10.2007). Die Frage, inwieweit die irakischen Behörden in der Praxis im Falle von Desertion Strafverfolgung betreiben, kann nicht eindeutig beantwortet werden (MIGRI 6.2.2018).

Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte (CEIP 22.7.2015; vgl. ACCORD 22.8.2016).

Auch in der Autonomen Region Kurdistan herrscht keine Wehrpflicht. Kurdische Männer und Frauen können sich freiwillig zu den Peshmerga melden (DIS 12.4.2016; vgl. NL 1.4.2018, Clingendael 3.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 17.7.2018

-ACCORD (22.8.2016): Anfragebeantwortung zum Irak:

Einberufungsbefehle zum Militärdienst, https://www.ecoi.net/de/dokument/1330910.html, Zugriff 19.7.2018

-CEIP - Carnegie Endowment for International Peace (22.7.2015): Your Country Needs You: Iraq's Faltering Military Recruitment Campaign, http://carnegie-mec.org/diwan/60810?lang=en, Zugriff 5.11.2018

-CIA (12.7.2018): World Fact Book: Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 18.7.2018

-Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (3.2018): Fighting for Kurdistan? Assessing the nature and functions of the Peshmerga in Iraq,

https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-03/fighting-for-kurdistan.pdf, Zugriff 19.7.2018

-DIS - Danish Immigration Service (12.4.2016): The Kurdistan Region of Iraq (KRI); Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation; Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1302021/1226_1460710389_factfindingreportkurdistanregionofiraq11042016.pdf, Zugriff 5.11.2018

-MIGRI - Finnische Immigrationsbehörde, Maahanmuuttovirasto (6.2.2018): Irak FFM Bagdad, Oktober-November https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Irak+tiedonhankintamatka+Bagdadiin+loka-

marraskuussa+2017.pdf/868c0af1-3c50-4ab2-99e0-a720b079c589, Zugriff 19.7.2018

-MoD - Republic of Iraq, Ministry of Defense (10.2007): Military Penal Code No. 19 of 2007,

https://ihl-databases.icrc.org/applic/ihl/ihl-nat.nsf/implementingLaws.xsp?documentId=9C60EDC34C397A53C1257C080040F111&action=openDocument&xp_countrySelected=IQ&xp_topicSelected=GVAL-992BUA&from=state, Zugriff 19.7.2018

-Niqash (24.3.2016): We would rather immigrate: Cunning Iraqi Plan to Turn Voluntary Militias Into Army Backfires, http://www.niqash.org/en/articles/politics/5227/, Zugriff 18.7.2018

-NL - Niederländisches Außenministerium, Ministerie van Buitenlandse Zaken (1.4.2018): Algemeen Ambtsbericht Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1433698/1226_1527600083_algemeen-ambtsbericht-irak-april-2018.pdf, Zugriff 19.7.2018

-Rudaw (15.12.2018): Iraq set out to recruit thousands of new soldiers, http://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/15122015, Zugriff 5.11.2018

Laut EASO Bericht (Country Guidance: Iraq, 56/57) vom Juni 2019 werden Deserteure laut Militärstrafgesetzbuch mit einer maximalen Freiheitsstrafe von drei Jahren bestraft. Während des Aufstiegs des Islamischen Staates sind viele Angehörige des Militärs desertiert und ihnen wurden harten Strafen angedroht. 2016 wurde aber entschieden, die Verfolgung von Sicherheitskräften zu stoppen und ihnen Amnestie zu gewähren. Es sind keine Verurteilungen wegen Desertion bekannt.

Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.07.2019 ("Militär, Dienstgrade, Ausbildung, Waffen, Einheiten") wurde die Grundausbildung beim irakischen Militär zumeist von den amerikanischen Streitkräften durchgeführt und dauerte rund 8 Wochen; andere Quellen sprechen von 13 Wochen. 2007 wurden viele Soldaten aufgenommen, so dass zwar fast alle irgendeine Form einer US-amerikanischen Ausbildung bekamen, doch meist nur drei bis fünf Wochen. An den irakischen Uniformen werden Dienstgrade sichtbar getragen (außer aus taktischen Gründen im Gefecht oder bei der Aufklärung). Beim Dienstgrad als einfacher Soldat (Jundi Awwal) trägt man ein Abzeichen mit einem Strich. Es werden verschiedene Waffen verwendet, als Sturmgewehre insbesondere AK und M16 (letztere mit einem Kaliber von 5.56mm). Das einzige Militärspital in Bagdad ist (jedenfalls im Jahr 2009) das al-Muthana Militärkrankenhaus.

Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 07.05.2019 ("Desertion vom Militär, Ausreise, zivile Dokumente, Strafen") gibt es wenige bis gar keine konkreten Informationen über Militärangehörigen, die wegen Desertion inhaftiert wurden. Die Quellenlage ist generell widersprüchlich, wenn es um den Umgang mit Deserteuren geht.

Laut Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 24.10.2016 ("Fernbleiben, Desertion, Kündigung von Polizei und Armee") kam es während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Islamischen Staat zu zahlreichen Desertionen. Es sei für die Milizen leichter, Mitglieder zu rekrutieren als für die Armee. Bei unerlaubten Fernbleiben vom Militärdienst ist eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vorgesehen, bei einer Desertion ins Ausland bis zu fünf Jahren. In besonderen Fällen kann einem Deserteur auch die Todesstrafe drohen. Soldaten ist es nicht erlaubt, das Land zu verlassen; dazu benötigt man eine Genehmigung der Einheit.

1.3.4. Zu den Milizen

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert. Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha'abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur "Hashd" (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht. Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse. Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert. Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen. Anfang Juli erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren. Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa'ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt. Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019[vii]). Seit 2003 ist der Irak von verschiedenen bewaffneten Konflikten geprägt. Der dreijährige Konflikt mit dem Islamische Staat hat einen Aufstieg der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die man unter PMU (Popular Mobilization Units) zusammenfasst, ermöglicht. Sie waren maßgeblich an der Vertreibung des IS beteiligt und genießen hohe Anerkennung unter der schiitischen Bevölkerung. In den PMU sind Dutzende bewaffnete Gruppen mit unterschiedlichen Zielen und Programmen zusammengefasst. 2016 wurde die PMF zu einer "independent military formation as part of the Iraqi armed forces and linked to the Commander-in Chief". Im März 2018 wurden Millizangehörige den Angehörigen der Sicherheitskräfte gleichgestellt, auch etwa in Bezug auf den Lohn; dennoch variiert das Ausmaß der Integration in den Staatsapparat und gibt es Teile der Milizen innerhalb und außerhalb der formellen Sicherheitskräfte (UNHCR, Considerations 14). Der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen ist nicht zuverlässig sichergestellt (Auswärtiges Amt 4).

Einige PMF Gruppen sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen gegenüber IS-Verdächtigen, Kritikern und Personen, die sich nicht strikt an die Vorgaben einer konservativen Islamauslegung halten (UNHCR, Considerations 15). Die im Kampf gegen den IS mobilisierten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen (Auswärtiges Amt 16). Laut EASO werden die PMF generell auch als Kräfte des Staates angesehen (EASO, Guidance 43)

Die Rekrutierung durch die PMF ist gänzlich freiwillig. Einige treten bei, weil das Gehalt attraktiv ist, zugleich gelten die Milizen als einflussreich und beliebt, weil sie entscheidend zum Sieg über den IS beigetragen haben. Zwangsrekrutierungen finden nicht statt, wenn auch auf einige Personen sozialer Druck ausgeübt worden sein will beizutreten (EASO, Guidance 54).

Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, Security Situation 75).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata'ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden. Im August 2018 räumen Asa'ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen. Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten. Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata'ib Hisbollah. Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa'ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO)[xviii] unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden. Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat. Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen. Laut einer Meldung auf Sumer News vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (ACCORD, Schiitische Milizen).

Diese Feststellungen zu den Milizen basieren auf den folgenden Quellen:

* Austrian Centre for Country of origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Schiitische Milizen im Irak, 22.07.2019.

* Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

* EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Security situation, März 2019.

* UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellungen des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in verschiedene Quellen zur Lage im Irak. Überdies wurde am 16.09.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle XXXX, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertreterin und einer Vertreterin der belangten Behörde durchgeführt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen hinsichtlich der Lebensumstände, seinen Familienverhältnissen, seiner schulischen Ausbildung, der Herkunft sowie der Glaubens- und Volkszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf dessen diesbezüglich glaubhafte Angaben vor der belangten Behörde sowie dem Bundesverwaltungsgericht. Die Anzahl seiner Geschwister ergibt sich aus seiner Angabe in der Erstbefragung. Es sind keine Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers aufgekommen.

Die Identität des Beschwerdeführers steht mangels Vorlage eines Reisepasses im Original nicht fest; er gab in der Erstbefragung an, seinen irakischen Reisepasses in der Türkei verloren zu haben. Vor dem BFA und in der mündlichen Verhandlung meinte er dann, er habe ihn im Meer verloren. Allerdings war die Schilderung in der mündlichen Verhandlung wenig plausibel: Die Kopie des Reisepasses habe er als Foto auf dem Mobiltelefon gehabt, welches er in einem Plastiksack verpackt gehabt habe, als das Boot gekentert sei und er ein Kind vor dem Ertrinken gerettet habe. Der Reisepass sei aber mit der Tasche untergegangen. Es erscheint nicht nachvollziehbar, dass man sich einerseits der Wichtigkeit der Dokumente bewusst ist (und deswegen ein Foto des Reisepasses anfertigt), dass man andererseits aber nur das Mobiltelefon und nicht die Dokumente vor dem Salzwasser schützt. Es bestehen daher aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes Zweifel daran, ob der Beschwerdeführer seinen Reisepass tatsächlich verloren hat.

Vom deutschen Rechtsanwalt seiner Schwester wurde der belangten Behörde am 05.10.2016 die Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers übermittelt. In diesem am 04.07.2009 ausgestellten Reisepass finden sich - teilweise aufgrund der Übermittlung schlecht lesbar- verschiedene Sichtvermerke und Stempel, unter anderem ein Visum für den Iran, den der Beschwerdeführer offenbar vom 29.09.2014 bis 09.10.2014 besuchte, und ein Ausreisestempel des Irak vom 21.12.2014. Dieses Datum stimmt mit dem vom Beschwerdeführer (etwa am 07.10.2016 gegenüber dem BFA) angegebenen Datum überein, an dem er den Irak verlassen habe. Auch vom Beschwerdeführer wurde eine schlecht lesbare Kopie des Reisepasses dem BFA vorgelegt, allerdings nur die erste Seite. Der Beschwerdeführer war in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage zu erklären, wie der Anwalt seiner in Deutschland aufenthaltsberechtigten Schwester zu der Kopie seines Reisepasses gekommen war (zumal dessen Kopie weitaus umfangreicher war als die des Beschwerdeführers).

Gegenüber dem BFA meinte der Beschwerdeführer am 07.10.2016, dass ihm seine Familie den Dienstvertrag über Viber geschickt habe. Dagegen monierte er in der mündlichen Verhandlung, dass es sich dabei um einen Übersetzungsfehler handle, dass er tatsächlich keinen Kontakt mehr zu seiner Familie habe, seit er den Irak verlasse

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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