TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/19 W174 2196660-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.09.2019
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Entscheidungsdatum

19.09.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W174 2196663-1/12E

W174 2196668-1/10E

W174 2196666-1/10E

W174 2196648-1/10E

W174 2196660-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX auch XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 2.) der XXXX auch XXXX, geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 3.) des XXXX auch XXXX , geboren am XXXX auch XXXX , StA. Afghanistan, 4.) der XXXX auch XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan und 5.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.4.2018, jeweils betreffend 1.) Zl. 1104112401 - 160165638/BMI-BFA_STM_RD, 2.) Zl. 1104109406 - 160165654/BMI-BFA_STM_RD, 3.) Zl. 1104103609 - 160165735/BMI-BFA_STM_RD, 4.) Zl. 1104103707 - 160165743/BMI-BFA_STM_RD und 5.) Zl. 1184387801 - 180256182/BMI-BFA_STM_RD nach einer mündlichen Verhandlung am 13.6.2019 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX auch XXXX auch XXXX , XXXX auch XXXX, XXXX auch XXXX , XXXX auch XXXX und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des bzw. der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit wird festgestellt, dass XXXX auch XXXX auch XXXX , XXXX auch XXXX, XXXX auch XXXX , XXXX auch XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin reisten nach Österreich ein und stellten am 1.2.2016 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 2.2.2016 gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen an, ursprünglich aus der Provinz Daikundi zu stammen, danach 13 Jahre im Iran gelebt zu haben, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und schiitischen Glaubens zu sein. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien verheiratet, der Erstbeschwerdeführer habe von 1983 bis 1989 die Schule besucht und sei zuletzt Bauhilfsarbeiter gewesen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei Analphabetin.

Ihre Ausreise aus Afghanistan begründeten die Beschwerdeführer folgendermaßen:

Der Erstbeschwerdeführer habe zwei Jahre gegen die Taliban gekämpft und sei angeschossen worden, weswegen er zu Hause habe bleiben müssen. Einmal wäre er in Herat von den Taliban angehalten worden. Diese hätten ihn gefragt, ob er gegen sie gekämpft habe, weil er angeschossen worden sei. Danach wäre er einen Tag eingesperrt worden. Aus Angst sei die Familie vor 13 Jahren in den Iran geflüchtet. Wegen seiner Verletzung habe der Erstbeschwerdeführer dort nur wenig gearbeitet, die Zweitbeschwerdeführerin und die Viertbeschwerdeführerin seien Reinigungskräfte gewesen. Weil sie im Iran nichts bekommen hätten und sich ein Sohn bereits seit ca. eineinhalb Jahren in Österreich befunden habe, sei die Familie nach Österreich gereist. Dieser Sohn wäre deshalb hierhergekommen, weil ihm im Iran kein Schulbesuch möglich gewesen sei.

3. Am 14.3.2018 wurde für die im Bundesgebiet nachgeborene Fünftbeschwerdeführerin durch ihre Mutter (die Zweitbeschwerdeführerin) als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz gestellt. Beigelegt wurden die Geburtsurkunde sowie die Meldebestätigung.

4. Am 16.4.2018 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen.

Dabei brachten sie zunächst vor, vor ca. 21 oder 22 Jahren standesamtlich geheiratet zu haben. In Afghanistan sei der Erstbeschwerdeführer Landwirt gewesen und habe auch Tiere gehalten.

Zum Fluchtgrund erklärte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen, nach seiner Beinverletzung im Krieg nach Hause zurückgekehrt zu sein. Als die Taliban die Verletzung gesehen hätten, hätten sie gesagt, es wäre ersichtlich, dass er gegen sie Krieg geführt habe und die Verletzung durch einen Schuss entstanden sei. Sie hätten ihn zu Hause aufgesucht und gefragt, warum er in den Krieg gezogen sei. Er sei kein Polizist oder Soldat gewesen, sondern eine Partei namens Wahdat habe die Leute dazu aufgefordert, das Land zu verteidigen. Überdies seien die Taliban zu den Schiiten sowieso strenger.

Auch wäre jemand von den Paschtu-sprechenden in ihrem Ort von einer Person getötet worden, die XXXX heiße. Da der Name des Erstbeschwerdeführers auch XXXX sei, hätten ihm die Angehörigen des Ermordeten - bei denen es sich ebenfalls um Taliban handle - vorgeworfen, der Täter zu sein. Der Erstbeschwerdeführer habe dann nicht mehr zu Hause bleiben können, sondern habe in die Berge gehen müssen. Zwei oder dreimal sei das Haus auf der Suche nach dem Erstbeschwerdeführer durchsucht und durcheinandergebracht worden. Der Zweitbeschwerdeführerin sei jedoch nichts geschehen. Ca. zwei Wochen nach der Ermordung dieser Person sei die Familie in den Iran geflüchtet. Die ganzen Vorfälle hätten sich vor knapp 17 oder 18 Jahren ereignet.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, dass der Erstbeschwerdeführer auf der Flucht in den Iran an der Grenze von den Taliban wegen seiner Beinverletzung angesprochen, verhaftet und für einen Tag und eine Nacht vermisst worden wäre. Der Besitzer der Gaststätte, in der die Familie untergebracht gewesen sei, habe ihn gegen eine Geldzahlung befreit.

Es sei auch so, dass die Frauen in Afghanistan keine Freiheiten hätten und sich nicht weiterbilden könnten. Sie könnten nicht in die Stadt gehen und müssten immer zu Hause bleiben. In Österreich hätten sie Freiheit, die Kinder könnten eine Ausbildung machen und die Zweitbeschwerdeführerin lerne Deutsch. Hier könne sie ohne Probleme Unterschiedliches unternehmen und Freunde und Bekannte besuchen. Auch müsse die Zweitbeschwerdeführerin - im Gegensatz zu Afghanistan - hier keinen Hijab tragen. Sie habe Kontakt mit Leuten aus ihrem Ort, gehe alleine einkaufen oder bringe die Kinder wohin.

Im Falle einer Rückkehr hätten die Beschwerdeführer nur Angst vor diesen Leuten, die bei den Taliban seien, und zwar jene, die die Familie und den Erstbeschwerdeführer sehr gut kennen würden, auch wegen seiner Beinverletzung.

Vorgelegt wurden diverse Kursteilnahmebestätigungen der Erst- bis Drittbeschwerdeführer.

5. Mit den gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheiden des Bundesamtes vom 20.4.2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde Ihnen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Den Beschwerdeführern wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 19.4.2019 erteilt (Spruchpunkt III.).

6. Gegen die Spruchpunkte I. der jeweiligen Bescheide wurde fristgerecht (gemeinsam) Beschwerde erhoben. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführer zwei Jahre gegen die Taliban gekämpft habe, bevor er am Bein angeschossen worden sei. Die Taliban wüssten, dass sie der Erstbeschwerdeführer bekriegt hätte, weswegen ihm Verfolgung drohe. Bei einer Kontrolle in Herat hätten sie seine Schussverletzung bemerkt und sofort gefolgert, dass diese aus dem Kampf gegen sie stammen müsse. Deswegen sei der Erstbeschwerdeführer einen Tag lang festgehalten worden, bevor er sich durch Zahlung eines Geldbetrages freigekauft habe.

Zudem sei der Erstbeschwerdeführer von einer benachbarten Familie aus seinem Heimatdorf verfolgt worden, weil ein Sohn dieser Paschtunen von einem unmittelbaren Nachbarn des Erstbeschwerdeführers mit demselben Familiennamen getötet worden wäre. Die Familie des getöteten Mannes habe allerdings angenommen, dass der Erstbeschwerdeführer der Täter sei, weshalb sie sich rächen würde, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte.

Vor allem die Kinder seien noch nie in ihrem Leben in Afghanistan gewesen und im Iran oder Österreich geboren und sozialisiert worden. Bei zwei der Kinder handle es sich um Mädchen. Zudem wären die Beschwerdeführer in Afghanistan sofort als Rückkehrer aus dem Iran erkennbar.

Überdies habe die belangte Behörde die Zweitbeschwerdeführerin sehr oberflächlich zu ihrer westlichen Gesinnung bzw. ihrem Lebensstil befragt.

7. Am 13.6.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme verzichtet.

Dabei führte die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, schiitische Muslima zu sein und aus der Provinz Daikundi zu stammen. Vor ihrer Reise nach Österreich habe sie 13 bis 14 Jahre im Iran gelebt. Sie selbst sei dann nicht mehr in Afghanistan gewesen, aber der Erstbeschwerdeführer einmal abgeschoben worden. Der Erstbeschwerdeführer sei ihr Ehemann, die Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen ihre Töchter und der Drittbeschwerdeführer ihr Sohn.

Die Zweitbeschwerdeführerin sei nie zur Schule gegangen, weil ihr das als Mädchen damals nicht erlaubt gewesen sei. Sie habe nur von ihrer Tochter im Iran Dari Schreiben gelernt und leide noch immer darunter, nie die Schule besucht zu haben. Beruf habe sie keinen erlernt, in Afghanistan habe es auch nicht die Möglichkeit gegeben, als Frau zu arbeiten. Manchmal hätten sie überhaupt nicht hinausgehen oder zumindest nicht alleine hinausgehen dürfen und deshalb sei sie in Afghanistan nur Hausfrau gewesen. Ihre Hauptaufgabe sei gewesen, als Mutter für die Kinder da zu sein, aber sie hätten auch ein paar Stück Vieh gehabt, wie Schafe und ein paar Hühner. Das Haus verlassen und zum Beispiel Freunde treffen habe die Zweitbeschwerdeführerin in Afghanistan nicht gedurft. Wenn sie das Haus verlassen habe, sei sie von Kopf bis Fuß bedeckt gewesen und nur in Begleitung ihres Mannes hinausgegangen. Im Iran habe die Zweitbeschwerdeführerin hin und wieder in der Landwirtschaft und als Putzfrau gearbeitet.

In Afghanistan hätten sie in einem normalen Haus gelebt, wirtschaftlich sei ihr Leben normal gewesen. Aus Sicht der Sicherheit hätten sie fast immer Angst gehabt und darunter gelitten. Für die Familie habe ihr Mann gesorgt. In den ca. drei Jahren, in denen er am Krieg teilgenommen habe, habe er sie auch erhalten, einen Lohn bezogen und die Familie finanziell weiter versorgen können. Seine Aufgabe sei es gewesen, gegen die Taliban zu kämpfen. Bis er schwer verletzt worden sei, habe er seinen Sold bekommen, danach nicht mehr. Die Zweitbeschwerdeführerin wisse nur, dass er gegen die Taliban gekämpft habe, aber nicht, von wem er bezahlt worden sei.

Die Heimat hätten sie verlassen, weil der Erstbeschwerdeführer an kriegerischen Auseinandersetzungen teilgenommen habe und dabei am Fuß verletzt worden sei. Deswegen habe es eine Feindschaft gegeben. Wann sich ihr Mann verletzt habe könne sie nicht sagen, sie wisse nur, dass es Frühling gewesen sei. Er habe eine Kugel bekommen, die vorne am Knie eingedrungen und auf der Rückseite ausgetreten sei. Sie wisse aber nicht, ob es sich um eine Kugel oder eine Mine gehandelt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keine Kenntnis darüber, woher die Taliban gewusst hätten, dass sich der Erstbeschwerdeführer diese Verletzung im Krieg zugezogen habe. Aber sie erinnere sich sehr genau, dass er am Anfang der Nacht oder spät abends verletzt nach Hause gebracht worden sei.

Ein weiterer Fluchtgrund wäre, dass der Erstbeschwerdeführer, nachdem er wegen seiner Verletzung ca. zwei bis zweieinhalb Monate zu Hause geblieben sei, versucht habe, hinauszugehen. Zu diesem Zeitpunkt sei ein Paschtune, der auch in ihrem Ort gelebt habe, getötet worden und zufällig sei der Name des Mörders dieses Mannes auch XXXX gewesen. Deswegen hätten die Taliban bzw. die Paschtunen behauptet, dass der Erstbeschwerdeführer diese Person getötet hätte, obwohl das nicht wahr sei. Dies habe die Familie dazu veranlasst, schneller Afghanistan zu verlassen. Die Zweitbeschwerdeführerin wisse, dass der Mord in ihrem Dorf geschehen sei, aber den genauen Ort könne sie nicht sagen. Den Namen des Getöteten wisse sie nicht. Das Dorf sei nicht so groß gewesen, mittelgroß oder eher klein. Gewohnt hätten dort Paschtunen, Hazara und auch Tadschiken. Die Dorfbewohner hätten sich untereinander gekannt. Diese Verwechslung hätte jedoch deswegen nicht aufgeklärt werden können, weil man immer gesagt habe, dass der Erstbeschwerdeführer gegen die Taliban gekämpft habe, dabei verletzt worden sei und deshalb eine gewisse Feindschaft gegen die Paschtunen habe, weshalb er diesen Mann getötet hätte. Wo der namensgleiche Mörder gewohnt habe, wisse die Zweitbeschwerdeführerin nicht, sie wisse nicht einmal, ob er in ihrem Dorf gelebt habe oder nicht. Auf Vorhalt, in der Beschwerde sei angegeben worden, dass der Mörder ein Nachbar gewesen sei, meinte die Zweitbeschwerdeführerin, sie hätte die Frage falsch verstanden. Sie wisse nicht, wo der Getötete gewohnt habe, der Mörder jedoch in ihrem Dorf.

Sowohl die Reise von Afghanistan in den Iran als auch vom Iran nach Europa sei eine gemeinsame Entscheidung von ihr und ihrem Mann gewesen. Auch jetzt habe sie die Möglichkeit, zu entscheiden, wo sie leben wolle.

In Österreich habe es einen kleinen Krach mit ihrem Mann gegeben und sie seien bei der Polizei gewesen, aber die Sache habe sich erledigt. Dass ihr Ehemann sie und die älteste Tochter, die im Bundesgebiet bereits Asylstatus hat, geschlagen habe, erklärte sie damit, dass er manchmal kein gutes Benehmen habe und sie deswegen gestritten hätten. Er habe jedoch versucht, sein Benehmen zu verbessern und jetzt gebe es keine Schwierigkeiten mehr. Gestritten hätten sie deswegen, weil er ein paar Mal davon erzählt habe, dass er draußen mit Mitarbeiterinnen Gespräche führe und sie miteinander lachen würden, eine Art Flirt. Nach ihrem Streit habe er zwangsweise 2 bis 3 Monate Abstand genommen, aber jetzt würden sie wieder zusammenleben und er sei gut. Dass ihr Mann damals vor der Polizei angegeben habe, nach Afghanistan zurück zu wollen, halte sie für eine spontane Aussage im Rahmen des Streites. Sie glaube nicht, dass er dies ernst gemeint habe. Zudem bekomme er eine Therapie. Vor dem Krieg sei er sehr gut gewesen und habe ein gutes Benehmen gehabt. Er habe in der Landwirtschaft gearbeitet und die Hühner versorgt.

Der Erstbeschwerdeführer habe im vergangenen Jahr ca. drei Monate in einer Firma gearbeitet, die mit Obst und Gemüse zu tun habe, zurzeit besuche er einen Deutschkurs.

Die Zweitbeschwerdeführerin trage zu Hause ein T-Shirt und eine kurze Hose. Wenn sie das Haus verlasse, kleide sie sich so westlich, wie während der Verhandlung. Sie entscheide selbst, was sie anziehe. Es sei auch ihre Entscheidung gewesen, ihr Kopftuch wegzuwerfen, als sie subsidiären Schutz bekommen habe.

Sie gehe einkaufen, hole ihrer Tochter von der Schule ab oder nehme die Kleinste mit zu einem Spaziergang. Sie habe Kontakt zu anderen Familien und Freunde hier in Österreich, die sie auch alleine besuche. Auch gehe sie oft ohne Begleitung einkaufen. Das Geld, das die Familie von der Caritas erhalte, verwalte sie selbst. Hin und wieder bleibe ihr etwas übrig und sie entscheide selbst, was sie damit mache.

Die Zweitbeschwerdeführerin habe vier Monate lang einen Kurs besucht. Wenn ihre jüngste Tochter ein wenig älter sei, würde sie auch eine Anreise zu einem weiteren Kurs in Kauf nehmen, wie zum Beispiel ihr Mann. Sie würde gerne in Zukunft arbeiten und eine Ausbildung machen. Unter Umständen könne sie als Helferin arbeiten. Sie wisse, dass sie in einem Alter sei, wo sie keine große Ausbildung kriegen könne, aber das spiele keine Rolle. Sie brauche eine Beschäftigung, egal in welchen Bereich.

Ihre Kinder könnten in Österreich in die Schule gehen. Einer habe eine Lehre und der zweite ein Praktikum als Mechaniker und könne ab nächstem Jahr eine Lehre beginnen. In Afghanistan hätten sie diese Chance nicht gehabt, besonders nicht die Töchter. Die Zweitbeschwerdeführerin wünsche sich, dass ihre Kinder auch für sich einen Job fänden, um auf ihren eigenen Beinen stehen zu können. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wäre ihre größte Angst, dass sie nichts auf dem Kopf trage und das wäre dort schon ein großes Problem. Auch habe sie Angst, dass sie ihren Mann noch suchen würden.

Im Verhandlungsprotokoll wurde festgehalten, dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrer jüngsten Tochter während der Einvernahme die Brust gab.

Der Erstbeschwerdeführer erklärte zunächst, afghanischer Staatsbürger und verheiratet zu sein sowie drei Töchter und zwei Söhne zu haben. Er gehöre der Volksgruppe Hazara an und sei schiitischer Moslem.

Seit ca. 18 Jahren würde die Familie außerhalb Afghanistans leben, nämlich ca. 14 bis 15 Jahre im Iran, danach in Österreich. Anfangs sei er ca. 26 bis 27 Jahre in Afghanistan gewesen, und zwar in der Provinz Woruzgan, deren Name sich später in Daikundi geändert habe. In der Heimat sei er sieben Jahre zur Schule gegangen, es habe sich um eine Madrassa (Privatschule) gehandelt. Öfters sei er im Iran in der Baubranche und als Schweißer tätig gewesen, habe dafür jedoch kein Zeugnis. Obwohl er fast immer starke Schmerzen im Bein gehabt habe, sei seine Aufgabe gewesen, die Familie zu ernähren, damit die Tochter die Schule besuchen könne. Im Iran hätten sie ein besseres Leben im Vergleich zu Afghanistan gehabt, die Familie sei nicht direkt in Gefahr gewesen.

In Afghanistan hätten sie in einem normalen Haus gewohnt, die wirtschaftliche Situation könne man als normal oder mittelmäßig bezeichnen. Solange sein Vater noch gelebt habe, habe er ihm in der Landwirtschaft geholfen. Die Familie habe Vieh, zum Beispiel Schafe, sowie ein kleines Grundstück gehabt.

Dass seine Frau (die Zweitbeschwerdeführerin) in Afghanistan keine Schule besucht habe, erklärte er damit, dass im Allgemeinen die Frauen in Afghanistan weniger eine Chance auf eine Ausbildung hätten. In ihrem Fall käme noch dazu, dass der Ort, in dem sie gelebt hätten, ein Grenzgebiet zwischen Hazara und Paschtunen sei, zwischen denen nur der Fluss Helmand fließe. In diesem Gebiet hätten die Taliban das Sagen und deswegen habe es für seine Frau und die anderen Frauen noch weniger Möglichkeiten auf eine Ausbildung gegeben. Sie hätten nicht einmal selber einkaufen gehen können und falls es doch notwendig gewesen sei, hätten sie den Tschador ertragen müssen und nur durch ein Gitter hinaussehen können. Seine Gattin habe darunter sehr gelitten, dass die Kinder keine Möglichkeit gehabt hätten, in die Schule zu gehen. Ca. ein Jahr nach ihrer Heirat sei der Erstbeschwerdeführer in den Krieg gezogen. Für afghanische Verhältnisse habe es sich um ein normales Leben gehandelt.

Der Erstbeschwerdeführer würde es 100-prozentig befürworten, wenn die Frauen mehr Freiheiten hätten. Er sei froh, dass seine Frau und die Kinder selber entscheiden und etwas zustandebringen könnten.

Bevor diese Ereignisse in seinem Leben geschehen seien oder speziell vor dem Krieg hätten sie für afghanische Verhältnisse ein normales Leben gehabt. Als die Taliban in ihr Gebiet gekommen seien, habe sich alles geändert. Die Menschen in ihrem Ort hätten von der Wahdat-Partei ein Angebot erhalten, ihr Land zu verteidigen. Während der Erstbeschwerdeführer gekämpft habe, habe der Schwiegervater geholfen, die Familie zu ernähren. Durch die Ernte aus ihrer eigenen Landwirtschaft und die Unterstützung des Schwiegervaters sei die Familie über die Runden gekommen. Bezahlt sei er für seinen Kampf von der Wahdat-Partei nicht worden. Auf Nachfrage hin, wie er sich erkläre, dass die Zweitbeschwerdeführerin angegeben habe, er hätte einen Sold erhalten, erwiderte der Erstbeschwerdeführer sie hätten kein Bargeld bekommen aber Schuhe, Kleidung oder Lebensmittel für die Familie.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er ca. ein Jahr und acht Monate bis ein Jahr und neun Monate im Krieg gewesen und dabei verletzt worden sei. Nach der Verletzung habe er sich einige Zeit zu Hause befunden, bis ein Paschtune namens XXXX in ihrem Ort getötet worden wäre. Man habe erzählt, dass der Täter jemand aus ihrem Ort namens XXXX gewesen sei und da auch der Erstbeschwerdeführer XXXX heiße und gegen diese Barbaren gekämpft habe, sei man zu Unrecht zum Ergebnis gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer es getan hätte. Er wisse auch nicht 100-prozentig, ob XXXX getötet habe, aber man habe davon gesprochen. Dies habe er von paschtunischen Familien erfahren. Die paschtunischen Familien hätten die Hazara gekannt und umgekehrt. Der Beschwerdeführer selbst habe sich meistens im Gebirge aufgehalten, aber er wisse sicher, dass man mehrere Male zu ihm gekommen wäre, um ihn in die Hand zu bekommen.

Wann genau er am Fuß verletzt worden sei, wisse er nicht, es wäre vor ca. 18 oder 19 Jahren passiert. Er sei im Krieg gewesen und in der Nacht hätten sie die Aufgabe gehabt, ein Tal zu überqueren. Dort seien sie in einen Hinterhalt geraten und von den Taliban angegriffen worden. Zu der Verletzung sei es so schnell und spontan gekommen, dass er sie erst am nächsten Tag bemerkt hätte. Konkret sei sein rechter Fuß unter dem Knie durch eine Kugel verletzt worden. In dieser Nacht hätten die Taliban wahrscheinlich nichts davon gewusst, aber die Zeit, in der er nach Hause gebracht worden sei, sei zufällig jene gewesen, in der die Taliban ganz Afghanistan eingenommen hätten. In diesem Zusammenhang seien natürlich auch in ihr Dorf Taliban gekommen und hätten die Einwohner bedroht und befragt. Dadurch hätten sie von seiner Verletzung erfahren.

Dass er seine Frau ein- bis zweimal geohrfeigt habe und einmal auch seine Tochter, erklärte er damit, dass seine Frau begonnen habe, darüber zu sprechen, ob er mit einer bzw. einigen von seinen Kolleginnen etwas habe. Obwohl er ihr mehrmals erklärt hätte, dass es keinen Sinn ergebe, sich für jemand anderen zu interessieren und wie sie darauf käme, sei es ihm im Laufe der Zeit zu viel geworden. Weil ihn diese Sache sehr wütend gemacht habe, habe er auch zu den Polizisten gesagt, er würde gerne nach Afghanistan zurückkehren.

Nun lebe er mit seiner Frau und den Kindern zusammen und er habe das Angebot einer Beratung angenommen.

In Österreich hätten die Beschwerdeführer noch zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter.

Wenn seine Frau das Haus verlasse, kleide sie sich so ähnlich wie zur Verhandlung (westlich), zu Hause trage sie meistens ein T-Shirt mit kurzen Ärmeln und oft auch kurze Hosen. Sie entscheide selbst über ihre Kleidung. Zurzeit sei sie öfters mit den Kindern beschäftigt, früher habe sie die Möglichkeit gehabt, 3 bis 4 Monate einen Deutschkurs zu besuchen. Der Erstbeschwerdeführer versuche, ihr immer zu Hause zu helfen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gehe mit der Kleinsten hinaus sowie auch zum Beispiel alleine Einkaufen und kaufe auch Kleidung. Die Familie habe auch Kontakt zu österreichischen Familien und sie würden sich gegenseitig besuchen. Manchmal gehe die Zweitbeschwerdeführerin auch alleine dorthin. Den Einkauf für die Familie erledige die Zweitbeschwerdeführerin, sie verwalte zudem das Geld der Familie. Als der Erstbeschwerdeführer voriges Jahr gearbeitet habe, habe er ihr jedem Monat das Geld ausgehändigt.

Für seine Kinder wünsche sich der Erstbeschwerdeführer, dass sie sich soweit ausbilden sollen, wie sie können und eine gute Zukunft haben.

Der Drittbeschwerdeführer erklärte ebenfalls anlässlich seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung, dass seine Mutter zu Hause normale Kleidung, T- Shirt und Hose trage, manchmal auch kurze Hosen. Sie gehe manchmal in der Früh Einkaufen oder zum Arzt, auch dabei trage sie normale Kleidung, T-Shirt, Hose, Schuhe, wie in der heutigen Verhandlung. Meistens verlasse seine Mutter alleine das Haus, manchmal begleite sie der Drittbeschwerdeführer. In der Familie gehe meistens die Zweitbeschwerdeführerin einkaufen, manchmal der Drittbeschwerdeführer oder seine Schwester. Das Geld der Familie verwalte seine Mutter. Er wisse auch, dass sie arbeiten gehen wolle. Die jüngere Schwester besuche ein öffentliches Bad.

Im Rahmen der Verhandlung wurde den Beschwerdeführern das Länderinformationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat übergeben, die Beschwerdeführer verzichteten auf Erstattung einer Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Es liegt im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

Die Beschwerdeführer stammen ursprünglich aus Daikundi, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitischen Glaubens.

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin reisten nach Österreich ein und stellten am 1.2.2016 Anträge auf internationalen Schutz. Für die nachgeborene Fünftbeschwerdeführerin wurde am 14.3.2018 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen. Die ganze Familie ist westlich orientiert, die Zweitbeschwerdeführerin führt mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation

Afghanistan, Stand 22.01.2019:

"Länderspezifische Anmerkungen

Im Kapitel 3. "Sicherheitslage" wurde nicht auf den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 verwiesen, da dieser zum Großteil auf den Informationen dieses LIBs beruht. Die Informationen des EASO-Berichts stammen somit aus zahlreichen Quellen, die ebenso von der Staatendokumentation des BFA zur Erstellung des Kapitels über die Sicherheitslage dieses LIBs verwendet wurden. Des Weiteren wurden Eingaben aus dem "peer review" von unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in dieser Ausarbeitung berücksichtigt. Damit ergibt sich ein breiter und vor allem gemeinsamer Wissensstand bezüglich der Ereignisse und der aktuellen Lage in Afghanistan innerhalb der europäischen Asylbehörden.

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO

INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine

Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

Zivilist/innen

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(UNAMA 2.2018)

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.200931.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA

2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden:

das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunisch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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