TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/17 W144 2155755-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.10.2019
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Entscheidungsdatum

17.10.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
FPG §55 Abs2
FPG §59 Abs4

Spruch

W144 2155755-3/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb., StA. von Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.07.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 9 Abs. 1 Z 1, § 9 Abs. 4, § 10 Abs. 1 Z 5 und 57 AsylG 2005, §§ 52, 53 Abs 1 iVm Abs 3 Z 1 und 55 FPG sowie § 9 BFA-VG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 55 Abs. 2 iVm § 59 Abs. 4 FPG beträgt die Frist für Ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Ihrer Enthaftung."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF), ein volljähriger, männlicher, lediger Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Glauben. Am 28.11.2014 stellte er einen Antrag auf internationalen Schutz im österreichischen Bundesgebiet.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29.03.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 (Spruchpunkt I.) abgewiesen, doch wurde dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 29.03.2018 erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides wurde Beschwerde erhoben.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.10.2018, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens der versuchten Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Zum Sachverhalt wurde wie folgt ausgeführt:

" XXXX ist schuldig, er hat am 17.02.2018 in XXXX dadurch, dass er in betrunkenem Zustand in seinem Zimmer in der Asylunterkunft XXXX einige Plastikflaschen und Papier durch Anzünden in Brand setzte, den sein Nachbar L.M. zunächst löschen konnte, und sodann neuerlich versuchte einen Stoß Papier und ein Leintuch mit einem Feuerzeug anzuzünden, um dadurch einen ausgedehnten Brand zu erzeugen, an einer fremden Sache ohne Einwilligung des Eigentümers, nämlich an der von der Caritas betriebenen Asylunterkunft Haus XXXX , eine Feuersbrunst zu verursachen versucht."

In der Folge wurde aufgrund dieser Verurteilung ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 eingeleitet.

Mit Schreiben des BFA vom 18.10.2018 wurde der BF über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens in Kenntnis gesetzt.

Die für den 06.11.2018 vorgesehene niederschriftliche Einvernahme des BF wurde vertagt, weil er Schlaftabletten eingenommen hatte und nicht einvernahmefähig war.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 09.11.2018 vor dem BFA gab der BF im Wesentlichen an, es gehe ihm seit vier Jahren sehr schlecht. Er sei körperlich gesund und habe eine schwere Kindheit gehabt. Bis zum 12. Lebensjahr habe er ins Bett gemacht. Wenn er kranke Menschen sehe, fange er an zu weinen. Wegen der Traurigkeit nehme er Schlaftabletten. Er nehme Medikamente und die Caritas schaue, dass er zu einem Arzt komme. Befragt nach seinem Alkoholkonsum führte der BF aus, er habe anfangs hier getrunken; jetzt trinke er ab und zu ein Bier. Der Arzt habe es ihm verboten auch wegen der Medikamente. Zu seinem Leben in Österreich legte er dar, er habe vor drei Jahren einen Deutschkurs besucht und könne auf Deutsch grüßen und Einkäufe erledigen. Bei der Caritas habe er in der Küche geholfen, geputzt und Gartenarbeit verrichtet, wofür er ein wenig Geld bekommen habe. Seit zwei Wochen sei er in einem afghanischen Restaurant gemeldet. Er habe die Arbeit aufgegeben; er habe dort Stress gehabt. Da er die Sprache nicht könne, habe er mehr Kontakt zu afghanischen als zu österreichischen Personen; er habe eine Betreuerin gehabt, die ihm sehr geholfen habe. Er lebe von der Grundversorgung und zeichne. Seit er in Wien sei, gehe es ihm besser. Er wolle in den Arbeitsmarkt, Deutsch lernen und vielleicht beim Roten Kreuz leben. Im Iran würden ein Bruder, eine Schwester und die Söhne seines Onkels (Neffen und Nichten) leben. Sein Vater, seine Stiefmutter und die Söhne seiner Tante würden in Kabul leben. Mit seinem Neffen habe er telefonischen Kontakt.

Mit Bescheid vom 13.11.2018 erkannte das BFA dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog ihm die mit Bescheid vom 13.03.2018 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen ihn ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Der BF erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 21.05.2019, Zl. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB und des Vergehens der versuchten schweren Körperverletzung §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom selben Tag wurde die bedingte Strafnachsicht zum Urteil des Landesgerichts XXXX vom 02.10.2018 widerrufen, von einer Unterbringung gemäß § 22 Abs. 2 erster Fall StGB abgesehen und die erlittene Vorhaft auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.

Zum Sachverhalt wurde wie folgt ausgeführt:

" XXXX hat am 2.3.2019 in Wien

I./ die Polizeibeamten Inspektor XXXX und Inspektor XXXX mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung, nämlich der Beendigung eines von seiner Person ausgehenden gefährlichen Angriffs gemäß § 33 SPG, zu hindern versucht, indem er auf Inspektor XXXX losging und zu ihm sagte: "Ich finde dich und deine Familie. Ich bringe euch um", und er sich mit Tritten und Schlägen gegen die Festnahme wehrte, die Festnahme wehrte und nach Anlegen der Handfesseln durch Griffe und Schläge insbesondere auch in den Genitalbereich von Inspektor XXXX zu wehren versuchte.

II./ durch die unter Punkt I./ geschilderten Tritte und Schläge, den Beamten Inspektor XXXX während oder wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten am Körper zu verletzen versucht."

Das Bundesverwaltungsgericht behob mit Beschluss vom 18.04.2019, Zl. W144 2155755-2/7E, den oben genannten Bescheid vom 13.11.2018 und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund geänderter Umstände aus näher genannten Gründen keine tragfähige Sachverhaltsermittlung seitens der Verwaltungsbehörde vorliege und auch aus der hilfsweisen Begründung, der Status wäre jedenfalls auch gemäß § 9 Abs. 2 AsylG abzuerkennen, nichts zu gewinnen sei, zumal angesichts der neueren Judikatur und gebotener unionsrechtlich konformer Auslegung eine Prognose hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens des Antragstellers vorzunehmen sei, wofür keine tragfähige Sachverhaltsgrundlage gegeben sei.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.06.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 02.07.2019, Zl. W144 2155755-1/12E, die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 29.3.2017 gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab.

Im fortgesetzten Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde der BF vor dem BFA am 24.07.2019 niederschriftlich einvernommen, wobei er im Wesentlichen angab, er nehme Schlaftabletten, wegen der Psyche und dem Stress. Er gehe regelmäßig zum Gefängnisarzt, in den fünf Monaten sei er bisher drei bis vier Mal dort gewesen, das letzte Mal sei vor einem Monat gewesen. Derzeit stehe er unter großem Druck, weil er in Haft sei. Er habe nur psychische Probleme, einen großen Druck im Kopf und könne schlecht schlafen. Derzeit sei er in Haft und er gehe keiner Arbeit nach. Er habe keine österreichischen Freunde, spreche nur wenig Deutsch und habe eineinhalb Monate in einem afghanischen Restaurant gearbeitet. Nach der Entlassung müsse er sich erholen, aber dann würde er arbeiten gehen. Er wolle eine Arbeit suchen und könnte als Maler, Gärtner oder Koch arbeiten. Er sei bereit, jede Arbeit anzunehmen. Im Iran habe er als Gärtner gearbeitet, seit er 15 Jahre alt gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr könne er in Afghanistan nicht als Gärtner arbeiten, weil er nie dort gewesen sei, im Iran würde das gehen. Seine ganze Familie sei im Iran, er habe nur einen Cousin in Kabul. Zu diesem stehe er nicht in Kontakt, aber Freunde im Iran hätten Kontakt zu ihm. Der BF verneinte die Frage, ob er glaube, dass sein Cousin ihm zumindest kurz helfen würde, wenn er den Kontakt über seine Freunde im Iran herstellen würde, und begründete dies damit, dass er ihn seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen habe und er ein Fremder zu ihm sei. Befragt nach Gründen, die einer Rückkehr nach Kabul/Mazar-e Sharif/Herat entgegenstehen würden, führte der BF aus, er habe nie dort gelebt und töte sich lieber als nach Afghanistan zurückzukehren. Er habe sich in XXXX zwei Mal auf die Schienen gelegt und sei gerettet worden. Die weitere Befragung nahm den folgenden Verlauf:

"LA: Hatten Sie seit dem SM-Gedanken?

VP: Ja, ich empfinde das immer noch so.

LA: Wann hatten Sie zuletzt ein Versuch unternommen?

VP: Ungefähr letztes Jahr.

LA: Jetzt im Moment auch SM-Gedanken?

VP: Nein, jetzt geht es mir besser.

LA: Was sind aktuell die Gründe die Sie von einer Rückkehr nach Kabul/Mazar-e Scharif/Herat abhalten?

VP: Die Familien von meiner Stiefmutter hat Kontakte in Kabul und sie werden mich töten.

LA: Wollen Sie sonst noch etwas sagen?

VP: Nein, danke."

Auf Anfrage des BFA übermittelte die Spitalskanzlei der JA XXXX einen (bereits im Akt aufliegenden) Kurzbrief des Landesklinikums XXXX vom 04.09.2018 sowie Unterlagen des Anstaltsarztes vom 30.07.2019 (Behandlungsmitteilung, Risikodokumentation, Diagnosen und Krankengeschichte). Aus diesen Unterlagen des Anstaltsarztes gehen die Diagnosen paranoide Schizophrenie, chronische Laryngitis, Zeruminalpfropf sowie einseitiger Hörverlust durch Schallempfindungsstörung bei nicht eingeschränktem Hörvermögen der anderen Seite hervor und es scheinen folgende täglich einzunehmende Medikamente in der Behandlungsmitteilung auf: Folsan 5mg Tabletten (zur Behandlung von Folsäuremangel), Kreon 10.000 (zur Behandlung einer Funktionsbeeinträchtigung der Bauchspeicheldrüse), Olanzapin San 10 mg Filmtabletten (ein Antipsychotikum ua. zur Behandlung von Schizophrenie), Quetialan XR 200 mg Retardtabletten (ein Antipsychotikum ua. zur Behandlung von Schizophrenie oder depressiven Erkrankungen) und Sertralin San 50 mg Filmtabletten (zur Behandlung von depressiven Erkrankungen und Angststörungen).

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 30.07.2019 wurde der vormals zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 idgF von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dem BF die mit Bescheid vom 13.03.2018 erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Unter einem wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Schließlich wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG idgF ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot ausgesprochen (Spruchpunkt VII.).

Begründend wurde zu Spruchpunkt I. ausgeführt, dass der BF selbsterhaltungsfähig sei und ihm ein Zugriff auf Netzwerke der Hazara möglich sei, sodass sich seine subjektive Lage geändert habe. Er habe in Afghanistan Verwandtschaft und könnte den Kontakt wiederherstellen und somit auf Unterstützung zurückgreifen. Selbst dann, wenn der Beschwerdeführer über keine Netzwerke in Afghanistan verfügen sollte, könne nicht erkannt werden, dass er in Kabul schutz- und hilflos wäre, zumal er die Unterstützung in Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen bei der Neu- oder Wiederansiedlung in Kabul erhalten könnte. Hinsichtlich Spruchpunkt IV. wurde erwogen, dass der BF über keine Verwandtschaft in Österreich verfüge und keine Ansatzpunkte hervorgetreten seien, welche die Vermutung einer besonderen Integration in Österreich rechtfertigen würden. Betreffend Spruchpunkt VII. wurde festgehalten, dass § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt sei, weil der BF zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden sei. Ein achtjähriges Einreiseverbot sei gerechtfertigt, weil es sich beim Verbrechen der Brandstiftung um eine besonders gemeinschaftsfeindliche Form des Verbrechens handle, das als besonders schweres Verbrechen überdies auch einen Asylausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 darstelle. Zudem zeige der rasche Rückfall, dass keine positive Zukunftsprognose gestellt werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, worin im Wesentlichen moniert wird, das Bundesamt habe seine Begründungspflicht verletzt, indem es anstatt konkrete Feststellungen zu treffen und diese der rechtlichen Subsumtion unter den ersten bzw. den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 zugrunde zu legen, an verschiedenen Stellen im Bescheid unterschiedliche Gründe ins Treffen geführt habe, die im Ergebnis zu einer Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes führen sollen. Das BFA habe nicht dargelegt, welche konkreten Tatsachen sich nach der Zuerkennung als unzutreffend erwiesen hätten und inwiefern die neuen Informationen hinreichend bedeutsam und endgültig seien. Insofern die Behörde eine neue rechtliche Beurteilung vornehme und annehme, bei der Zuerkennung sei fälschlicherweise keine innerstaatliche Fluchtalternative angenommen worden, sei entgegen zu halten, dass sich der EuGH im Urteil vom 23.05.2019, C-720/17, Bilali, lediglich auf die Änderung von Tatsachen bzw. Umständen berufe. Daher sei eine andere rechtliche Beurteilung oder Subsumtion jedenfalls ungeeignet, eine Statusaberkennung zu begründen. Der BF habe damals wie heute über kein tragfähiges soziales Netzwerk verfügt und sein psychischer Zustand sei weiterhin prekär. Da der BF an einer psychischen Erkrankung leide und mehrere Medikamente am Tag einnehmen müsse, um einigermaßen stabil zu sein, sei nicht nachvollziehbar, warum die Behörde von der Selbsterhaltungsfähigkeit ausgehe. Es werde die Einholung eines psychologischen Gutachtens zur Frage beantragt, ob der BF aufgrund seiner psychischen Erkrankung behandlungsbedürftig sei und welche Medikamente er benötige sowie wie sich eine Abschiebung nach Afghanistan auf seinen psychischen Zustand auswirken würde und ob der BF in der jetzigen Lage bzw. nach einer Abschiebung in der Lage wäre, seinen Unterhalt selbst zu erwirtschaften. Eine Änderung der persönlichen Situation sei vom BFA nur behauptet worden, ohne dies jedoch näher zu begründen. Tatsächlich habe sich die persönliche Lage des BF nicht verändert. Im Übrigen stelle die Rückkehrentscheidung einen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des BF dar. Er sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung sehr eingeschränkt bezüglich Integration und aufgrund seiner Krankheit sei er auch nicht arbeitsfähig. Hinsichtlich des verhängten Einreiseverbotes habe die Behörde völlig außer Acht gelassen, dass der BF psychisch krank sei. Seine Gefährlichkeit wäre daher unter Berücksichtigung seiner jetzigen medikamentösen Einstellung zu beurteilen, weshalb auch zu dieser Frage ein Sachverständigengutachten beantragt werde. Zumindest sei jedoch die Dauer des Einreiseverbotes herabzusetzen.

Das BFA führte in einer schriftlichen Stellungnahme vom 02.09.2019 im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall sei nicht nur nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 abzuerkennen, sondern ebenso nach § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG 2005 vorzugehen. Hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens einer geänderten Lage sei es im vorliegenden Fall wesentlich, dass der BF im Gegensatz zum Zeitpunkt der Gewährung subsidiären Schutzes über verwandtschaftliche sowie soziale Netzwerke verfüge. Weiters stehe im Gegensatz zum damaligen Zeitpunkt nun für sämtliche relevanten staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen fest, dass alleinstehende, arbeitsfähige Männer in gewissen Regionen Afghanistans jedenfalls ein zumutbares Leben führen können, weshalb Anträge auf internationalen Schutz der genannten Personengruppe auch regelmäßig zur Gänze abgewiesen und durch das BVwG bestätigt würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Festgestellt wird zunächst der oben dargelegte Verfahrensgang, einschließlich des Umstandes, dass der BF mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 02.10.2018 wegen des Verbrechens der versuchten Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von 18 Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, und mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 21.05.2019 wegen des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 erster Fall StGB und des Vergehens der versuchten schweren Körperverletzung §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt wurde. Mit Beschluss vom 21.05.2019 wurde zudem die bedingte Strafnachsicht zum Urteil des Landesgerichts XXXX vom 02.10.2018 widerrufen.

Der BF befindet sich zurzeit in Strafhaft. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekennt sich zum schiitischen Glauben.

Er wurde im Iran geboren und wuchs dort auf. Im Iran besuchte er sieben Jahre lang die Schule und er arbeitete als Fleischhauer, Koch, Anstreicher sowie als Gärtner und auch auf Baustellen. auch mit Arbeit auf Baustellen und Gartenarbeit kennt er sich aus. In Afghanistan hielt er sich einige Monate in Kabul auf, nachdem er drei Mal vom Iran nach Afghanistan abgeschoben worden war.

Die Mutter des BF ist verstorben. Der zirka 85-jährige Vater des BF und die ungefähr 80-jährige Stiefmutter des BF wohnen abwechselnd im Iran und in Kabul. Der BF hat seinen Vater und seine Stiefmutter seit mindestens sieben Jahren nicht mehr persönlich gesehen. Der BF verfügt in Afghanistan über keine Bezugspersonen, die ihn im Falle einer Rückkehr unterstützen würden.

1.2. Der BF war vom 15.06.2018 bis zum 16.06.2018 in der Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin in einem Landesklinikum aufhältig, wobei im vorläufigen Arztbrief vom 16.06.2018 als Hauptdiagnose "SMV bei Alkoholintoxikation F10.0, Alkoholabhängigkeitssyndrom F10.2, Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion F43.2" festgehalten wurde.

Vom 27.08.2018 bis zum 04.09.2018 war der BF in der psychiatrischen Abteilung für Erwachsenenpsychiatrie in einem Landesklinikum stationär aufhältig und wurde mit den Diagnosen "Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Akute Intoxikation (akuter Rausch) und Mittelgradige depressive Episode" unter Empfehlung der Einnahme von Seroquel, Zyprexa, Kreon, Tresleen und Folsan entlassen.

Dem BF wurden zuletzt die Diagnosen paranoide Schizophrenie, chronische Laryngitis, Zeruminalpfropf und einseitiger Hörverlust durch Schallempfindungsstörung bei nicht eingeschränktem Hörvermögen der anderen Seite gestellt. Die psychischen Beschwerden des BF werden derzeit medikamentös behandelt. Ihm wurde zuletzt die tägliche Einnahme von Folsan 5mg Tabletten, Kreon 10.000, Olanzapin San 10 mg Filmtabletten, Quetialan XR 200 mg Retardtabletten und Sertralin San 50 mg Filmtabletten vom Anstaltsarzt verordnet. Anlässlich einer Kontrolle am 19.06.2019 gab der BF an, Schlafprobleme zu haben, und verneinte, Stimmen zu hören oder selbstverletzende bzw. Suizidgedanken zu haben.

Der BF ist derzeit in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Die Behandlung von neurologischen und psychischen Erkrankungen in Afghanistan ist grundsätzlich verfügbar.

1.3. Im österreichischen Bundesgebiet verfügt der ledige und kinderlose BF weder über Familienangehörige noch Verwandte, er lebt auch nicht in einer familienähnlichen Lebensgemeinschaft. Er pflegt Kontakt zu afghanischen Staatsangehörigen und hat keine österreichischen Freunde. Bis Anfang März 2019, als er in Untersuchungshaft genommen wurde, bezog er Leistungen im Rahmen der Grundversorgung. Am 19.04.2018 nahm der BF an einem Werte- und Orientierungskurs des ÖIF teil. Er besuchte einige Male einen Deutschkurs und seine Deutschkenntnisse beschränken sich auf Basiskenntnisse. Er hat bei der Caritas Hilfstätigkeiten ausgeführt wie etwa Putzen, Küchen- oder Gartenarbeit. Im Herbst 2018 war der BF für eineinhalb Monate geringfügig in einem afghanischen Restaurant beschäftigt.

1.4. Zur allgemeinen Situation im Herkunftsland des BF wird Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte:

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(Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019b

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

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(UNAMA 24.2.2019

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.-amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Katar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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