TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/25 W159 2172526-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.10.2019
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Entscheidungsdatum

25.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W159 2172526-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.09.2017, Zahl XXXX, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 10.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein damals minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger der Volksgruppe der Hazara zugehörig, gelangte (spätestens) am 09.02.2016 unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der noch am nächsten Tag erfolgten Erstbefragung nach dem Asylgesetz am XXXX gab der Beschwerdeführer an, afghanischer Staatsbürger, ledig und schiitischer Moslem zu sein. Zu seinen Fluchtgründen merkte er an, seine Familie sei von den Taliban mit dem Tod bedroht worden. Seine Mutter und seine Geschwister seien nach Pakistan geflohen. Er sei alleine weitergereist.

Mit Schreiben vom 09.06.2016 bzw. 11.08.2017 bevollmächtigte das Land Steiermark als zuständiger Jugendwohlfahrtsträger rechtskundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der XXXX den Beschwerdeführer u.a. im Asylverfahren zu vertreten.

Am 30.08.2017 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion (RD) Steiermark, niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer brachte zur Vorlage:

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Teilnahmebestätigung von XXXX über gemeinnützige Arbeit in Form von Straßenreinigung in der XXXX , vom 10.08.2017

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Zertifikat von bfi, XXXX vom 14.07.2017

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Urkunde von XXXX über Schwimm- und Sicherheitstraining vom September 2016

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Bestätigung von Land Steiermark über Workshop Energiesparen für AsylwerberInnen vom 29.04.2017

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Deutschkursbestätigung A2 von XXXX vom 29.08.2017

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Zwischenbericht UMF-Betreuung vom 29.08.2017

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Pflege-Entlassungsbericht mit samt Aufenthaltsbestätigung XXXX vom 29.03.2017, Ambulanzblatt vom 10.04.2017, Ärztlicher Entlassungsbrief vom 28.04.2017

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, er sei etwa drei Jahre gewesen als die Familie nach Pakistan gezogen sei. Der Vater hätte als Soldat für den Dorfältesten XXXX gearbeitet, der mit den Taliban verfeindet gewesen sei. In Pakistan hätte sich der Vater als Tierhändler etabliert und es sei zu Feindseligkeiten gekommen. Daraufhin hätte der Vater Pakistan in Richtung Australien verlassen, jedoch sei nie dort angekommen. Er sei in der Nähe von Indonesien im Meer ertrunken. In Pakistan sei der Beschwerdeführer sieben Jahre zur Schule gegangen. Er habe nie in Pakistan gearbeitet. Die Familie hätte von den Ersparnissen des Vaters gelebt.

In der Stellungnahme vom 04.09.2017 nahm die Rechtsvertretung auf den langjährigen Aufenthalt in Pakistan Bezug und verwies auf diesbezügliche Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.

Mit dem im Spruch bezeichneten Bescheid vom 12.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), dem Beschwerdeführer wurden 14 Tage Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt (Spruchpunkt IV.).

Die belangte Behörde führte aus, dass nicht festgestellt werden konnte, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland verfolgt werde. Eine konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsgefahr auf Grund der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sei auch vom Beschwerdeführer auch gar nicht behauptet worden.

Zu Spruchteil II. wurde festgestellt, dass sich aus der allgemeinen Lage im Heimatland des Beschwerdeführers keine Gefährdungslage im Sinne des § 8 AsylG ergeben würde. Demnach sei auch kein Abschiebungshindernis ersichtlich. Es wäre eine Rückkehr bzw. Neuansiedlung trotz der insgesamt als prekär zu bezeichnenden Sicherheitslage im Heimatland des Beschwerdeführers im Hinblick auf die unterschiedlichen Sicherheitslagen in den Regionen und Distrikten möglich. Es sei auch davon auszugehen, dass ein Neustart in Kabul jenen Rückkehren, die über kein familiäres oder soziales Netzwerk verfügen würden, möglich wäre. Der Beschwerdeführer sei volljährig, grundsätzlich gesund und könne bei einer Rückkehr für seinen Lebensunterhalt sorgen.

Zu Spruchpunkt III. wurde festgestellt, dass diese Entscheidung mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden gewesen sei, da der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und ein Aufenthaltstitel nicht erteilt worden sei. Es hätte kein Aufenthaltstitel erteilt werden können, da der belangten Behörde keine Hinweise auf das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK bekannt gewesen seien.

In Spruchpunkt IV. wurde mit der Rückkehrentscheidung eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

Mit der Verfahrensanordnung vom 13.09.2017 wurde gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der XXXX dem Beschwerdeführer als Rechtsberater im Verfahren vor dem BVwG zur Seite gestellt.

Der Beschwerdeführer erhob beim Bundesverwaltungsgericht gegen diesen Bescheid, in vollem Umfang, wegen Verletzung der Verfahrensvorschriften, fristgerecht durch die gesetzliche Vertretung ( XXXX ) Beschwerde.

Am 18.09.2019 teilte der Leiter der internationalen Baptistengemeinde mit, dass der Beschwerdeführer Taufanwärter dieser Freikirche sei.

An der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.10 .2019 nahmen der Beschwerdeführer in Begleitung seines Rechtsvertreters, zwei Zeugen, eine Vertrauensperson, eine Vertreterin der belangten Behörde und eine Dolmetscherin teil.

Folgende Dokumente wurden in Vorlage gebracht:

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Teilnahmebestätigung Steirisches Jugendcollege

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Teilnahmebestätigung Deutschkurs Niveau A2

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Teilnahmebestätigung Straßenreinigung 50 Stunden 20.02.2017 - 21.04.2017

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Teilnahmebestätigung Straßenreinigung 107,5 Std. 23.07.2018 - 05.07.2019

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Teilnahmebestätigung XXXX Kurs von " XXXX "

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Ehrenamtliche Tätigkeit im XXXX 16.09.2019

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Bestätigung über die Teilnahme am Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung

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Zeugnis ÖIF Integrationsprüfung A2 bestanden

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen einschließlich der Beschwerde aufrecht.

Er sei afghanischer Staatsbürger und sei etwa drei Jahre alt gewesen, als er mit seinen Eltern wegen des Krieges nach Pakistan gezogen sei. Er sei der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitischer Moslem gewesen. Seit einem Jahr sei er Christ, Protestant/Baptist.

In Pakistan hätte die Familie von den Ersparnissen des verstorbenen Vaters gelebt. Er sei sieben Jahre in Pakistan in die Schule gegangen und habe dort nicht gearbeitet. Sein Vater sei Metzger gewesen. Er habe viel eingekauft und sehr viel verkauft, deswegen habe er mit der Zeit viele Feinde bekommen. Der Vater hätte nach Australien auswandern wollen. Auf dem Weg seien er und der Onkel mütterlicherseits im Meer ertrunken.

Seine Mutter und Geschwister seien zurzeit in der Türkei aufhältig. Der Beschwerdeführer gab an, er hätte in Afghanistan keine Probleme mit staatlichen Behörden oder Organen, sowie mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder dem IS gehabt. Sein Vater sei von den Taliban bedroht worden, denn er sei Soldat des XXXX , seines Onkels mütterlicherseits gewesen.

In Pakistan sei er illegal herangewachsen. Er sei nie an eine Religion gebunden gewesen, er habe den Islam von seinen Eltern "geerbt", diese ihn von seinen Großeltern übernommen. Er sei gezwungen gewesen die Regeln zu befolgen. Wenn er nicht gebetet hätte, hätte man ihm vorgeworfen, dass er "ungläubig" sei. Er hätte jedoch schon in Pakistan Zweifel am Islam gehabt. Seine Mutter hätte ihn täglich zum Koranunterricht geschickt. Da er persönlich kein großes Interesse gehabt hätte und es nicht lernen hätte können, sei er geschlagen worden. Er habe keine Berufsausbildung bekommen, da er noch sehr klein gewesen sei, alles sei dem Beschwerdeführer schwergefallen, deshalb hätte er sich entschlossen Pakistan zu verlassen.

Auf die Frage des Richters antwortete der Beschwerdeführer er sei über seinen Freund XXXX mit dem Christentum in Kontakt gekommen sei. Dieser habe sich wegen seines schlechten Lebenswandels um ihn sehr gesorgt und in die Kirche eingeladen. Obwohl er niemanden gekannt hätte, sei er freundlich und warmherzig aufgenommen worden. Er habe sich sehr wohl in der Kirche gefühlt. Nachdem er den Redner gebeten hätte für ihn zu beten, hätte er sich sehr glücklich gefühlt. Nachdem er einige Male anwesend gewesen sei, hätte er immer dabei sein wollen. Sein Herz hätte sich warm angefühlt, sein Interesse sei geweckt worden. Er habe dort seine Ruhe gefunden. "Dann habe ich langsam den Entschluss gefasst, an Jesus Christus zu glauben und Christ zu werden."

Ausschlaggebend für die Konvertierung zum Christentum sei u.a. gewesen, dass im Islam die Frauen keine Rechte hätten. Um ins Paradies zu kommen, müsse man unschuldige Menschen töten. "Diese Gewalttaten haben dazu geführt, dass ich dann in die Kirche gegangen bin und dort wurde mir bewusst, dass Jesus Christus wegen den Sünden der Menschen, den Tod gefunden hat und wenn ich an Jesus Christus glaube, dann werden mir die Sünden vergeben und ich kann gerettet werden. Dann habe ich den Entschluss an Jesus Christus zu glauben

und Christ zu werden und mich vom Islam abzuwenden. .... Gott hat

die Menschheit dermaßen geliebt, dass er seinen einzigen Sohn zu den Menschen geschickt hat, um diese zu retten. Jeder, der an ihn glaubt, wird ein erfolgreiches Leben führen und sein Leben wird nicht zunichte gemacht."

Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer: "Jesus Christus ist in Bethlehem geboren. Die "Jungfrau Maria" hat ihn geboren. Nach seiner Geburt und Bedrohungen durch den König Herodes, schickte Gott Josef Engeln, um dadurch zu sagen, dass sie nach Ägypten gehen sollen. Im Traum wurde ihm auch gesagt, dass er wieder eine Nachricht erhalten wird, wann er nach Israel zurückkehren soll. Als sie dann nach Ägypten aufgebrochen sind und Jesus Christus schon etwas größer warm, sind Josef wie der Engel Im Traum erschienen. Diese Engel, die von Gott geschickt wurden sagten, dass diese Person, die die Absicht

Jesus Christus zu töten, bereits verstorben ist. .... Er wurde von

Johannes im Fluss Jordan getauft. Während seiner Taufe ist der "Heilige Geist" - im Form einer Taube - erschienen. Es kam eine Stimme vom Himmel: "Er ist mein geliebter Sohn. Ich bin sehr erfreut über ihn." Jesus habe sehr viele Wunder vollbracht. Er habe Kranke geheilt, beispielsweise hätte er jene, die nicht gehen konnten zum Gehen gebracht. Er habe sogar Tote zum Leben erweckt. Jesus sei gestorben, um die Menschheit zu retten. Er sei in Golgatha gekreuzigt worden und habe sein Blut vergossen. Bevor er gekreuzigt worden sei, habe er über das Kommende mit seinen Schülern gesprochen. Drei Tage nach seiner Kreuzigung sei er wieder von den Toten auferstanden. "Nach seiner Auferstehung ist in den Himmel aufgestiegen. Es war nicht sofort nach seiner Auferstehung, zuvor zeigte er sich seinen Schülern. Einige seiner Schüler glaubten nicht, dass er wiederauferstanden ist, er zeigte seinen Schülern seine Hände und sagte, ich habe gesagt, dass ich am dritten Tage wiederauferstehen werde."

Der Beschwerdeführer gab befragt an, er kenne das Weihnachtfest, da werde die Geburt Jesus Christus gefeiert, das Osterfest, am dritten Tag werde die Auferstehung von Jesus Christus gefeiert und Pfingsten. Pfingsten finde 50 Tage nach der Kreuzung statt, da sei der Heilige Geist erschienen. Damals hätten die Schüler in unterschiedlichen Sprachen miteinander gesprochen. Durch dieses Wunder seien 3.000 Personen gläubig geworden.

Nachgefragt erzählte der Beschwerdeführer, dass das heilige Buch, die Bibel aus 66 Büchern bestünde, die in altes und neues Testament eingeteilt werden würden. Das "alte Testament" sei vor der Geburt Jesus, das "neue Testament" nach der Geburt von Jesus Christus geschrieben worden.

Auf die Frage welche verschiedenen Zweige des Christentums er kenne, zählte er die Orthodoxen, die Protestanten und die Katholiken auf.

Der Richter erkundigte sich wie sich das Leben des Beschwerdeführers als Christ verändert hätte. Der Beschwerdeführer gab an: "Seit ich Christ bin, hat sich mein Leben zu Gänze verändert. Als ich zuvor noch Moslem war, war mein Leben im Schatten. Das Leben hatte keinen Wert für mich, ich habe nur falsche Sachen gemacht. Ich war auf dem "falschen Weg". Ich weiß nicht, ich bin immer den "falschen Weg" gegangen, ich habe viel getrunken, habe geraucht. Ich wollte sogar Suchtmittel verkaufen. Seit ich Christ geworden bin, habe ich mich zu Gänze verändert. Ich habe mich gebessert, ich bin warmherzig geworden. Ich lerne, ich betreibe Sport. Ich bete und ersuche Gott um Hilfe. Ich bin auf dem "richtigen Weg". Diese Veränderungen sind gekommen, deswegen denke ich auch an meine Zukunft." Nach dem sechsmonatigen Taufkurs werde er getauft. Er besuche wöchentlich die Baptistenkirche, nehme am Bibelkurs teil und beteilige sich am Reinigungsdienst.

Er habe den A1, A2 und B2-Kurs abgeschlossen und besuche nunmehr den Pflichtschulabschlussvorbereitungskurs. Er habe beim XXXX ehrenamtlich mitgeholfen und engagiere sich bei der Straßenreinigung in XXXX . Er sei Mitglied der Baptistengemeinde, spiele Fußball und habe österreichische Freunde.

Nachdem der Richter dem Beschwerdeführer seine Straftat vorgehalten hat, antwortete der Beschwerdeführer: "Wenn man eine Sünde begangen hat, egal welche Art, spielt das im Christentum keine Rolle, wenn man an Jesus Christus glaubt und verspricht nie wieder so etwas zu tun, dann werden die Sünden vergeben. Wenn jemand an Jesus Christus glaubt, dann ist er ein richtiger Christ und wenn man ein richtiger Christ, dann sündigt man nie wieder."

Befragung Zeuge1

Der Zeuge, Mitglied der Leitung der Freikirche Baptistengemeinde gab an, er kenne den Beschwerdeführer seit August 2018 von der Kirche. Er sei von einem Mitbewohner "mitgebracht" worden, der schon Asyl habe.

Befragt nach seiner Rolle bei der Christwerdung des Beschwerdeführers gab der Zeuge an, die Vorarbeit hätten die Freunde des Beschwerdeführers geleistet. Der Zeuge1. habe den Taufunterricht erteilt und dieser werde noch fortgesetzt. Er sei sein einer seiner Lehrer bei den religiösen Basiskursen gewesen. Dieser Kurs werde teilweise in Deutsch und Dari/Farsi unterrichtet und finde wöchentlich einmal, eine Stunde statt. Er sei anfänglich mit einem kindlichen Glauben zu der Freikirche gestoßen. Er habe unter dem Verlust seines Vaters, seiner Mutter und Geschwister sehr gelitten. Der XXXX Kurs sei ein spezieller Kurs und werde nicht jedem zur Verfügung gestellt. Er werde vom Verein im Rahmen der evangelischen Allianz veranstaltet. Es gebe ein Haus, welches nur von afghanischen und iranischen Christen bewohnt werde, wo Sprachkurse und andere Kurs abgehalten werden. Der Beschwerdeführer habe regelmäßig an dem XXXX -Kurs teilgenommen. Nachgefragt gab der Zeuge1 an, dass der Beschwerdeführer in allen Gruppen, in welchen er dabei sein könne, aktiv sei. Der Beschwerdeführer würde im "Kirchencafe" und in "Putzgruppen" mitarbeiten. Er sei bei Veranstaltungen, wie etwa Ausflügen und Sport mit dabei. Er sei noch nicht getauft, weil es bei der Baptistengemeinde eine Vorbereitungszeit von Minimum einem Jahr gäbe, davon seien noch ca. vier Monate ausständig. Anfang 2020 würde die Taufe in Aussicht genommen werden.

Auf die Frage des Richters, ob eine Veränderung im Leben des Beschwerdeführers durch seine Christwerdung vorhanden sei, antwortete der Zeuge1: "Ich sehe eine innere Veränderung, dass ihn die Dinge nicht mehr so belasten, dass er seine Probleme Jesus geben kann, dass Jesus weiß, was für seine Leben gut ist. Was ich natürlich erkennen kann ist sein Eifer, auch in den Kursen. Jeder, der sich taufen möchte, muss auch frei beten können, das ist eine Vorschrift von uns. Er muss auch lernen freie Gebete zu formulieren, das kann er. Ich habe das in der Gruppe gemacht, dass wir mit ihm sogenanntes "Übergabegebet" durchgeführt haben, das bedeutet, dass der alte Glaube oder Unglaube abgelegt wird, dass er Bindungen, die er vielleicht hat durch Horoskop, Handlesen usw., dass er dabei befreit wird, diese können den Menschen belasten, spiritische Dinge. Dann gibt er Jesus sein Leben und bittet ihm um die Vergebung der Sünden und verspricht ihm bis ans Lebensende treu zu sein."

Seine Mutter würde sich illegal in der Türkei aufhalten und sie und sein Bruder würden von dem Glaubensabfall wissen. Seine Mutter hätte den Kontakt zu ihm abgebrochen. Er habe jedoch noch Kontakt zu seinem Bruder. In der Community sei er von anderen muslimischen Afghanen wegen seines Glaubenswechsels angefeindet worden. Der Zeuge1 glaube nicht, dass der Beschwerde bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan wieder zum Islam zurückkehren würde. Der Beschwerdeführer habe eine tiefe Beziehung zu Jesus aufgebaut, der ihm seine Schuld vergeben habe, das sei dem Beschwerdeführer wichtig.

Er sei nicht von der Straffälligkeit des Beschwerdeführers informiert, die Tat sei 2018 erfolgt, zu einem Zeitpunkt wo der Beschwerdeführer noch nicht Christ gewesen sei.

Auf die Frage der Behördenvertreterin wie man in der Baptistengemeinde Christ werde, antwortete der Zeuge1: "Man kommt in die Kirche, man stellt man sich vor. Dann interessiert man sich und geht in einem Taufvorbereitungskurs, wenn man versteht um warum es geht, erst dann kann die Taufe verfolgen. Vorher erfolgen noch Vier-Augen-Gespräche mit den Pesbytern, ich spreche auch noch mit dem Beschwerdeführer und dann wird entschieden, ob er zur Taufe zugelassen wird oder nicht. Wir stellen auch manchmal Taufwerbern zurück."

Befragung Zeuge2:

Der Zeuge2, iranischer Staatsangehöriger, kennt den Beschwerdeführer, weil dieser seit einem Jahr in die Kirche kommt. Er selbst sei Mitglied in der Führung der Kirche und vorwiegend in der Leitung des Gottesdienstes tätig. Er stehe mit den Burschen, die in die Kirche kommen, in sehr engem Kontakt. Soweit er könne, versuche er zu helfen. Er führe auch die Bibelkurse über "Skype" auf Farsi und lade jeden dazu ein. Dadurch versuche er die Grundkenntnisse zu vermitteln, um das Ziel erreichen zu können. Der Gottesdienst werde auf Farsi gedolmetscht.

Er sehe auch Veränderungen beim Beschwerdeführer. Der Islam würde sich vom Christentum durch eine andere Denkweise unterscheiden. Der Beschwerdeführer habe sich selbst entschieden zum Christentum zu kommen. Er habe ihm mitgeteilt, dass er ein sehr unruhiger Mensch sei. Durch den Unterricht habe er die Vergangenheit zurücklassen können. Man könne nicht erwarten, dass diese Personen von heute auf morgen gläubig seien, aber man könne die Veränderungen sehen.

Er glaube nicht, dass der Beschwerdeführer zum Islam zurückkehren wolle, denn das hätte er sonst schon gemacht. Die Afghanen würden sehr an ihrem Glauben festhalten. Die Gefahr, die ihm in Afghanistan erwarten würde, kann ihm hier schon durch seine Freunde drohen. Es hätte schon Fälle gegeben, wo die Burschen von der Unterkunft hinausgeworfen worden und verprügelt worden seien, weil sie Christen geworden sind.

Die Rechtsvertretung gab in der Verhandlung eine kurze Stellungnahme:

Es sei aus dem LIB zu entnehmen, dass Christen in Afghanistan nicht leben könnten. Es gäbe wohl "Untergrundkirchen", die sehr im Geheimen geführt werden, wo die Kinder nicht wissen, dass die Eltern Christen seien, weil sie sich in der Schule "verplappern" könnten. Die Ehepartner würden es auch meistens verschweigen. Das Forum Externum, das in der europäischen Judikatur anerkannt sei, sei in Afghanistan nicht durchführbar.

Im Weltverfolgungsindex für Christen von "Open Doors" werde Afghanistan nach Nordkorea an zweiter Stelle geführt.

Der Strafregisterauszug, in der eine Verurteilung nach § 27 SMG aufscheint, wurde verlesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er war schiitischer Moslem und ist nunmehr Taufanwärter der Freikirche "Internationale Baptistengemeinde".

Der Beschwerdeführer hat Afghanistan als Kleinkind mit den Eltern verlassen. Er ist in Pakistan aufgewachsen.

In Österreich kam er über einen Freund mit dem christlichen Glauben in Kontakt und schloss sich der Freikirche der Baptistengemeine freiwillig und aus innerer Überzeugung an. Er ist aktiver gläubiger Christ nimmt an den Gottesdiensten und Bibelkreisen teil. Er engagiert sich in seiner Kirchengemeinde. Er konnte alle grundsätzlichen Fragen bezüglich des christlichen Glaubens umfassend beantworten.

In Österreich hat der Beschwerdeführer die Integrationsprüfung bestanden und bereitet sich für den Pflichtschulabschluss vor. Er arbeitet freiwillig in der Straßenreinigung und ehrenamtlich im XXXX . Er hat österreichische Freunde und spielt Fußball.

Seine Mutter weiß darüber Bescheid, dass der Beschwerdeführer sich dem christlichen Glauben zugewandt hat und hat den Kontakt zum ihm abgebrochen.

Der Beschwerdeführer ist vom islamischen Glauben abgefallen und Mitglied der Freikirche "Internationale Baptistengemeinde".

Der Beschwerdeführer ist laut Strafregisterauszug mit 26.03.2019 (Eintritt der Rechtskraft) wegen § 27 (1) Z 1 2. Fall SMG straffällig geworden. Die Freiheitstrafe bedingt betrug 3 Monate, die Probezeit 3 Jahre.

1.2 Zu Afghanistan wird folgendes Verfahrensbezogen festgestellt:

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl. USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl. AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl. CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl. FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl. BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-undabschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05- 2018.pdf, Zugriff 6.6.2018

-

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschlandauswaertiges-amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebu ngsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan- 19-10-2016.pdf, Zugriff 3.4.2018

-

AIK - Ambasciata d'Italia Kabul (o.D.): La Cappella, https://ambkabul.esteri.it/ambasciata_kabul/it/ambasciata/la_sede/la-chiesa.html, Zugriff 10.4.2018

-

BBC (15.10.2014): Afghanistan first lady Rula Ghani moves into the limelight, http://www.bbc.com/news/world-asia-29601045, Zugriff 9.4.2018

-

CNN (24.4.2014): Afghanistan Violence, http://edition .cnn .com/ 2014/ 04/ 24/ world/ asia/ afghani stan-violence/ , Zugriff 9.4.2018

-

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdfhttps://www.fas.org/sgp/crs/row/ RL30588.pdf, Zugriff 12.2.2018

-

CURE - CURE International Hospital of Kabul, https://cure.org/afghanistan/, Zugriff 6.4.2018

-

FT - First Things (27.10.2017): The church in Afghanistan, https://www.firstthings.com/web-exclusives/2017/10/the-church-in-afghanistan, Zugriff 6.4.2018

-

NPR - National Public Radio (19.2.2015): For The First Time, An Afghan First Lady Steps Into The Spotlight, http://www.npr.org/sections/parallels/2015/02/19/386950128/for-the-first-time-anafghan-first-lady-steps-into-the-spotlight, Zugriff 12.2.2018

-

NYP - The New York Post (24.4.2014):

http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-inattack-at-afghan-hospital/, 12.2.2018

-

OD - Open Doors (2018): Weltverfolgungsindex, Afghanistan, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/2018/ afghanistan, Zugriff 6.4.2018

-

PBK - Pro Bamibini di Kabul (o.D.): Chi siamo, http://www.probambinidikabul.org/chi-siamo/, Zugriff 6.4.2018

-

USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter, http://www.uscirf.gov/sites/default/files/Afghanistan.2017.pdf, Zugriff 5.4.5018

-

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2017 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2016/sca/268924.htm, Zugriff 3.4.2018

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Vertrauliche Quelle - Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf

Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2017 mehr als 34.1 Millionen Menschen (CIA Factbook 18.1.2018). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. CIA Factbook 18.1.2018). Schätzungen zufolge, sind: 40% Pashtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch, iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4 % der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2018; vgl. CIA Factbook 18.1.2018).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai,

Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet." (BFA Staatendokumentation 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art.

sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 20.4.2018).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 5.2018). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 20.4.2018).

Hazara

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus (CIA Factbook 18.1.2018; CRS 12.1.2015). Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt und unter der Bezeichnung Hazaradschat (azarajat) bekannt ist. Das Kernland dieser Region umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Wardak. Es können auch einzelne Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul dazugerechnet werden. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind einerseits ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild, woraus gern Schlussfolgerungen über eine turko-mongolische Abstammung der Hazara gezogen werden (BFA Staatendokumentation 7.2016); andererseits gehören ethnische Hazara hauptsäch dem schiitischen Islam an (mehrheitlich Zwölfer-Schiiten) (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. AJ 27.6.2016, UNAMA 15.2.2018). Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradschat leben, sind Ismailiten (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Ausführliche Informationen zu Angriffen auf schiitische Gedenkstätten, sind dem Kapitel Sicherheitslage zu entnehmen; Anmerkung der Staatendokumentation.

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Familie bzw. dem Klan. Die sozialen Strukturen der Hazara werden manchmal als Stammesstrukturen bezeichnet; dennoch bestehen in Wirklichkeit keine sozialen und politischen Stammesstrukturen. Das traditionelle soziale Netz der Hazara besteht größtenteils aus der Familie, obwohl gelegentlich auch politische Führer einbezogen werden können (BFA Staatendokumentation 7.2016).

Nicht weniger wichtig als Religion und Abstammung ist für das ethnische Selbstverständnis der Hazara eine lange Geschichte von Unterdrückung, Vertreibung und Marginalisierung. Jahrzehntelange Kriege und schwere Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (BFA Staatendokumentation 7.2016). Dennoch hat sich die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, grundsätzlich verbessert (AA 5.2018; vgl. IaRBoC 20.4.2016); vornehmlich aufgrund von Bildung und vor allem auf ökonomischem und politischem Gebiet (CRS 12.1.2015; vgl. GD 2.10.2017). Hazara in Kabul gehören jetzt zu den am besten gebildeten Bevölkerungsgruppen und haben auch eine Reihe von Dichtern und Schriftstellern hervorgebracht (BFA Staatendokumentation 7.2016). Auch wenn es nicht allen Hazara möglich war diese Möglichkeiten zu nutzen, so haben sie sich dennoch in den Bereichen Bildung, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft etabliert (GD 2.10.2017).

So haben Hazara eine neue afghanische Mittelklasse gegründet. Im allgemeinen haben sie, wie andere ethnische Gruppen auch, gleichwertigen Zugang zum Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz, sind sie von einer allgemein wirtschaftlichen Verschlechterung mehr betroffen als andere, da für sie der Zugang zu Regierungsstellen schwieriger ist - außer ein/e Hazara ist selbst Abteilungsleiter/in. Einer Quelle zufolge existiert in der afghanischen Gesellschaft die Auffassung, dass andere ethnische Gruppierungen schlecht bezahlte Jobs Hazara geben. Einer weiteren Quelle zufolge, beschweren sich Mitglieder der Hazara-Ethnie über Diskriminierung während des Bewerbungsprozesses, da sie anhand ihrer Namen leicht erkennbar sind. Die Ausnahme begründen Positionen bei NGOs und internationalen Organisationen, wo das Anwerben von neuen Mitarbeitern leistungsabhängig ist. Arbeit für NGOs war eine Einnahmequelle für Hazara - nachdem nun weniger Hilfsgelder ausbezahlt werden, schrauben auch NGOs Jobs und Bezahlung zurück, was unverhältnismäßig die Hazara trifft (IaRBoC 20.4.2016). So berichtet eine weitere Quelle, dass Arbeitsplatzanwerbung hauptsächlich über persönliche Netzwerke erfolgt (IaRBoC 20.4.2016; vgl. BFA/EASO 1.2018); Hazara haben aber aufgrund vergangener und anhaltender Diskriminierung eingeschränkte persönliche Netzwerke (IaRBoC 20.4.2016).

Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben lokal in unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018); soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten finden ihre Fortsetzung in Erpressungen (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Festnahmen (USDOS 20.4.2018).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 25.5.2017).

Ausführliche Informationen zu den Hazara, können ebenso dem Dossier der Staatendokumentation (7.2016) entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 7.6.2018

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AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 11.5.2018

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AJ - Al Jazeera (27.6.2016): the Hazaras are primarily Shia Muslims,

https://www.aljazeera.com/indepth/features/2016/06/afghanistan-hazaras-160623093601127.html, Zugriff 8.2.2018

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Brookings - The Brookings Institution (25.5.2017): Afghanistan Index,

https://www.brookings.edu/wp-content/uploads/2016/07/21csi_20170525_afghanistan_index.pdf, Zugriff 15.2.2018

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BFA/EASO - BFA Staatendokumentation / European Asylum Support Office (1.2018): BFA-Arbeitsübersetzung des EASO Berichts "Afghanistan - Networks",

https://www.ecoi.net/en/file/local/1424706/5818_1518791562_afgh-easo-bericht-netzwerke-2018-02-15-ke.pdf, Zugriff 21.2.2018

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BFA Staatendokumentation (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur,

https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf, Zugriff 21.2.2018)

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Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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