TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/29 W123 2211411-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.10.2019
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Entscheidungsdatum

29.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §34 Abs5
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch

W123 2211411-1/13E

W123 2211413-1/13E

W123 2211414-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael ETLINGER über die Beschwerden

1. der XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, 1105126706-160216500 (W123 2211411-1),

2. des mj. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, 1105017102-160216542 (W123 2211413-1),

3. der XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.11.2018, 1105127006-160216488 (W123 2211414-1),

alle StA. Afghanistan, nach Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung

A)

beschlossen:

I. Das Verfahren hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird eingestellt.

und zu Recht erkannt:

II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. bis VI. der angefochtenen Bescheide wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass es zu lauten hat:

"1. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

2. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

3. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

wird gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 (zu 3.) bzw. § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 (zu 1. Und 2.) der Status der subsidiär Schutzberechtigten (3.) bzw. des subsidiär Schutzberechtigten (zu 1. und 2.) in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird

1. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

2. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

3. XXXX (alias XXXX ), geb. XXXX ,

eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte (3.) bzw. als subsidiär Schutzberechtigter (zu 1. und 2.) bis zum 29.10.2020 erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Drittbeschwerdeführerin ist die Mutter der Erst und Zweitbeschwerdeführer sowie gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers.

2. Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin stellten am 10.02.2016 für sich und die Drittbeschwerdeführerin für den Zweitbeschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz. Am 11.02.2016 erfolgte die Erstbefragung der Erst- und Drittbeschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

3. Am 18.01.2018 erfolgte die Einvernahme der Drittbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde; die Einvernahme des Erstbeschwerdeführers erfolgte am 26.02.2018.

4. Die belangte Behörde wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 15.11.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

5. Am 14.12.2018 brachten die Beschwerdeführer - fristgerecht - Beschwerde gegen die Bescheide der belangten Behörde im vollen Umfang ein.

6. Am 09.10.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zu den Beschwerdeführern:

Die belangte Behörde wies mit den angefochtenen Bescheiden vom 15.11.2018 die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen werde (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 09.10.2019 zogen die Beschwerdeführer die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide zurück.

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, Schiiten und gehören der Volksgruppe der Hazara an. Sie sind in Kabul geboren und aufgewachsen und haben bis zu ihrer Flucht nach Europa in Kabul gelebt. Der Ehegatte der Drittbeschwerdeführerin ist seit einigen Jahren verschollen. Ein Sohn der Drittbeschwerdeführerin ist bei der Flucht verschwunden. Die Drittbeschwerdeführerin verfügt über keine Schulbildung und war Zeit ihres Lebens Hausfrau. Der Erstbeschwerdeführer ist drei Jahre in Kabul zur Schule gegangen und arbeitete als Teppichknüpfer. In Kabul lebt noch ein Bruder der Drittbeschwerdeführerin mit seiner Frau und insgesamt sechs Kindern in schlechten finanziellen Verhältnissen.

Die Drittbeschwerdeführerin leidet an Diabetes Mellitus Typ II, welche mit einer konventionellen Insulin-Therapie bzw. mit Medikamenten behandelt wird (vgl. Arztbrief vom 23.06.2017 des Ordensklinikum Linz, AS 105). Ferner wurde bei der Drittbeschwerdeführerin eine Anpassungsstörung und "verlängerte depressive Reaktion" diagnostiziert (vgl. Befund Dr. XXXX vom 12.08.2019, Beilage zu 2211411-1/12).

Der Zweitbeschwerdeführer leidet an einem schweren Schädel-Hirn-Trauma aufgrund eines Sturzes im Alter von ca. zwei Jahren. Als Folge dieses Sturzes wurden beim Beschwerdeführer symptomatische Epilepsie und ein schwerer generalisierter Entwicklungsrückstand, vor allem kognitiv, festgestellt (Erstuntersuchung der Caritas für Menschen mit Behinderungen, Dr. XXXX vom 12.10.2016, AS 51, bzw. Arztbrief vom 29.09.2017 des Kepler-Universitätsklinikum, AS 119 sowie Befund Dr. XXXX vom 25.01.2018 bzw. Ambulanzbericht Kepler-Universitätsklinikum vom 12.02.2018, für beide Beilage zu 2211413-1/12. Der Zweitbeschwerdeführ lebt seit 28.11.2017 in einer Wohngruppe der Caritas für Menschen mit Behinderungen in St. XXXX und besucht die Landessonderschule. Der Zweitbeschwerdeführer muss regelmäßig Medikamente einnehmen und bedarf erhöhter Betreuung (vgl. OZ 2 zu 2211413-1).

1.2. Zum Herkunftsstaat:

Auszug aus einer Auskunft der SFH-Länderanalsyse vom 05.04.2017 zum Thema: "Afghanistan: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung":

"[...] 2 Psychische Erkrankungen

Posttraumatische Belastungsstörung und andere psychische Krankheiten weit verbreitet.

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände, die durch den Krieg hervorgerufen wurden, stellen gemäss mehreren Quellen eine "verborgene Epidemie" in Afghanistan dar. Laut der letzten verfügbaren Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation von 2004, zitiert in einem Bericht von Samuel Hall, litten 68 Prozent der Befragten an einer Depression, 72 Prozent an Angstzuständen und 42 Prozent an einer posttraumatischen Belastungsstörung. 2005 litten gemäss Guardian 16,5 Prozent der Afghaninnen und Afghanen an psychischen Krankheiten. Seither dürfte sich die Zahl psychisch leidender Menschen höchstwahrscheinlich noch erhöht haben.

Stigmatisierung von psychisch Kranken.

Während alle Provinzspitäler inzwischen psychische Beratung anbieten, kämpfen die Beraterinnen und Berater selbst in der Hauptstadt Kabul gegen lange Traditionen und eine Kultur der Stigmatisierung von psychisch Kranken an. Gemäss einem Bericht von Disability World vom Februar 2005, der in den UNHCR-Richtlinien vom 19. April 2016 zitiert wird, ergibt sich diese Stigmatisierung daraus, dass psychische Erkrankungen von der Gesellschaft oft als Bestrafung für Sünden angesehen würden. So sei es üblich, psychisch kranke Fami-lienmitglieder aus der Öffentlichkeit fernzuhalten.7

Kaum Kapazitäten zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Gemäss Samuel Hall wurden psychosoziale Probleme und psychische Erkrankungen in Afghanistan bisher stark unterschätzt und daher kaum angegangen, wenn nicht sogar ignoriert. Obwohl die Bedürfnisse nach Behandlung wegen der weiten Verbreitung solcher Erkrankungen akut seien, herrsche weiterhin ein Mangel an ausgebildetem Personal, namentlich an Psychiaterinnen und Psychiater, Sozialarbeitenden, Psychologinnen und Psychologen sowie an angemessener Infrastruktur. Das Bewusstsein, dass psychische Erkrankungen dringend behandelt werden müssen, fehle. Verglichen mit seinen Nachbarstaaten ist Afghanistan gemäss den von Samuel Hall zitierten Informationen der WHO von 2014 mit nur einer einzigen tertiären Gesundheitseinrichtung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (Kabul Mental Health Hospital) sowie ungefähr drei ausgebildeten Psychiaterinnen und Psychiatern und zehn Psychologinnen und Psychologen für eine Bevölkerung von mehr als 30 Millionen Menschen sehr schlecht ausgerüstet.

"Behandlung" durch Drogen oder an Schreinen aus Tradition oder wegen niedriger Kosten üblich.

Viele Afghaninnen und Afghanen greifen bei psychischen Krankheiten aus Tradition oder Kostengründen auf Drogen oder abergläubische Praktiken an Schreinen ("ziyarats") zurück, die oft mehr schaden als nutzen. Beispielsweise ist eine "Behandlung" am Schrein Mia Ali Baba mit umgerechnet 20 Dollar günstiger als Arzneimittel oder der Transport zum nächsten Spital. Die lange Dauer einer psychischen Behandlung im Spital schreckt in erster Linie Patientinnen und Patienten aus entlegenen ländlichen Gebieten wegen der hohen Kosten ab. Psychische Beratung wird ausserdem mit Skepsis betrachtet, da das Mitteilen von persönlichen Themen und Familiengeheimnissen in kultureller Hinsicht als nicht angemessen gilt.

3 Gesundheitsversorgung

Keine staatliche Krankenversicherung, private Gesundheitsdienstleistungen unerschwinglich, auch in staatlichen Einrichtungen müssen Medikamente oft selbst bezahlt werden. Gemäss dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt es in Afghanistan keine staatliche Krankenversicherung. Private Gesundheitseinrichtungen bieten Behandlungen an, sind jedoch für einheimische Patientinnen und Patienten unerschwinglich. Behandlungen, Labortests und Routineuntersuchungen in öffentlichen Krankenhäusern sind kostenlos. Medikamente sind dort allerdings oft nicht verfügbar, so dass Patientinnen und Patienten diese in privaten Apotheken selbst kaufen und bezahlen müssen.

Afghanistan als Markt für Medikamente schlechter Qualität und für gefälschte Medikamente wegen laxer Import- und Qualitätskontrollen und Korruption. Gemäss einem im Oktober 2014 publizierten Bericht des von der afghanischen Regierung unabhängigen Independent Joint Anti-Corruption Monitoring and Evaluation Committee (MEC) werden laut Informationen des afghanischen Gesundheitsministeriums mindestens die Hälfte aller nach Afghanistan importierten Medikamente illegal eingeführt. Der gesamte Importprozess sei höchst anfällig für Korruption. Enorme finanzielle Anreize für die illegale Einfuhr von Arzneimitteln haben zu einem Anstieg des Schmuggels geführt sowie eine gesamte Industrie für die Produktion und den Import von Arzneimitteln von schlechter Qualität sowie gefälschten Medikamenten nach Afghanistan gefördert. Beispielsweise werden schätzungsweise bis zu 60 Prozent aller nach Afghanistan importierten Medikamente in Pakistan speziell für den afghanischen Markt produziert. Diese Medikamente sind oft von schlechter Qualität, da die Produktion kaum einer Aufsicht und einer Qualitätskontrollen unterliegt. Dies führt zu sehr hohen Profitmargen, denn die produzierenden Firmen müssen nicht einmal pakistanische Qualitätsstandards erfüllen, solange die produzierten Medikamente ausschliesslich für den Export nach Afghanistan bestimmt sind.

Gemäss MEC gibt es für Importeure darüber hinaus nur wenige Anreize, dem existierenden Prozess zur Vergabe von Importlizenzen im Pharmabereich zu folgen. Dieser sei lang, sehr kompliziert und leicht durch Bestechungsgelder oder Kontakte mit hohen Amtsträgern im und ausserhalb des afghanischen Gesundheitsministeriums zu umgehen. Die meisten Firmen importieren Arzneimittel illegal oder beschaffen sich Lizenzen, ohne den vorgeschriebenen Prozess zu beachten. Viele von MEC interviewte Kontaktpersonen gaben an, die Importe bestimmter stark nachgefragter Arzneimittel würden von mächtigen Gruppierungen kontrolliert. In diesen Gruppierungen seien hohe Staatsvertreter einschliesslich von Parlamentariern und Ministern sowie produzierende und importierende Firmen vertreten. Der Registrierungsprozess für ausländische Pharmafirmen sei zudem mangelhaft, da es den Mitarbeitenden der dafür verantwortlichen Abteilung im Gesundheitsministerium an der nötigen Integrität und Qualifikation fehle und da keine wirksamen Abläufe zur Qualitätskontrolle von Medikamenten existierten, welche durch ausländische Pharmafirmen produziert werden.

Im Juli 2016 rief das afghanische Gesundheitsministerium eine neue Institution zur Kontrolle von Qualität und Preisen von Arzneimitteln ins Leben, die National Medicine and Healthcare Products Regulatory Authority. Gesundheitsminister Ferozuddin Feroz kritisierte die schlechte Qualität und die hohen und sehr unterschiedlichen Preise von Medikamenten in verschiedenen Apotheken. Die neue Institution habe die Aufgabe, die aktuelle Situation zu verbessern.

Korruption im afghanischen Gesundheitssystem weit verbreitet. Gemäss einem Medienartikel vom Januar 2015 durchdringt Korruption das öffentliche Gesundheitssystem in Afghanistan bis hin zu den Beschaffungsabteilungen der Spitäler. Pharmafirmen würden Ärztinnen und Ärzte dafür bezahlen, Medikamente von schlechter Qualität zu verkaufen. Eine von der humanitären NGO Médécins sans Frontières durchgeführte und im Februar 2014 publizierte Studie zeigt darüber hinaus auf, dass öffentliche Gesundheitsdienstleistungen nicht immer kostenlos sind, obwohl dies in der afghanischen Verfassung so vorgesehen sei. In der Praxis müssten Patientinnen und Patienten oft selbst für die Kosten von Medikamenten und auch für Behandlungskosten aufkommen. Es gebe auch versteckte Kosten und korruptes Verhalten: Befragte Personen berichteten, dass Ärzte, die im öffentlichen Gesundheitssystem tätig sind, sie zu Behandlungen in den ebenfalls von ihnen geleiteten Privatpraxen bewegen wollten.

[...]

4.2 Verfügbarkeit von Behandlungen

Verfügbarkeit von ambulanten und stationären Behandlungen in zwei staatlichen Spitälern in Kabul. Laut einer am Kabul Mental Health and Drug Addicts Hos-pital (KMHH) lehrenden Fachperson bietet dieses Spital ambulante psychiatrische Behandlungen an. Es ist das einzige staatliche Spital in Afghanistan, das spezialisierte Behandlungen für eine grössere Zahl von Patientinnen und Patienten einschliesslich medikamentöser Behandlung, Psychotherapie (Gruppen-, individuelle und kognitive Verhaltenstherapie), Ergotherapie sowie Beratungen anbietet. Ausserdem hat dieses Spital 100 Betten. Durchschnittlich bietet es psychiatrische Behandlungen in Form von Operationalisierter Psychodynamischer Diagnostik (OPD) für 100 Patientinnen und Patienten pro Tag an. Patientinnen und Patienten, die stationär aufgenommen werden müssen, bleiben für mindestens zwei Wochen in diesem Spital. In Kabul gibt es ausserdem ein zweites staatliches Spital, Ali Abad, das ebenfalls psychiatrische Behandlungen anbietet, allerdings in kleinerem Rahmen als das KMHH.

Bedarf übersteigt die Kapazität der beiden staatlichen Spitäler in Kabul.

Diese beiden staatlichen Spitäler können den Bedarf an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen bei weitem nicht decken. Im KMHH wird versucht, Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen einen Spitalaufenthalt zu ermöglichen. Patientinnen und Patienten ohne suizidale Symptome und Personen, die keine Gefahr für andere darstellen, werden ambulant und durch Familien-therapie behandelt. Ihre Familien werden informiert, wie sie mit den Patientinnen und Patienten umgehen und wann sie sie ins Spital bringen sollen. Gemäss dem Direktor des privaten Shefa Curative Hospital ist die Anzahl der Betten für stationäre Behandlungen in den staatlichen Spitälern begrenzt. Diese könnten daher nicht viele stationäre Patientinnen und Patienten behandeln. Weitere staatliche Spitäler in Afghanistan haben zwar eine psychiatrische Abteilung, allerdings stellen entsprechende Behandlungen dort keine Priorität dar.

Mehrere private Einrichtungen in Kabul bieten psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an; nur wenige Personen können sich private Behandlungen leisten. In Kabul gibt es eine Reihe von lizenzierten Fachpersonen mit Spezialisierung im Bereich Psychiatrie, die psychiatrische Medikamente sowie ambulante psychotherapeutische Behandlungen in ihren Privatkliniken verschreiben. Die Kosten für privat verschriebene Medikamente und Behandlungen müssen vollständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden. Gemäss einer im afghanischen Gesundheitsministerium tätigen Fachperson belaufen sich beispielsweise die Kosten für eine Psychotherapie zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome in einer privaten Einrichtung auf monatlich ungefähr 1000 AFN (14,04 EUR). Die meisten psychiatrischen Patientinnen und Patienten wenden sich an staatliche Einrichtungen in Kabul, da eine Behandlung dort kostenlos ist.

Das private Shefa Curative Hospital bietet psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an. Es gibt in Kabul zwei weitere private Spitäler im Bereich Psychiatrie: Nademi Hospital und Syed Jamaludin Hospital. Im privaten French Medical Institute for Children (FMIC) in Kabul gibt es nur eine Fachperson, die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen anbietet. Die Kosten müssen vollständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden. Sehr arme und arbeitslose Personen sowie Personen mit finanziellen Schwierigkeiten können beim FMIC einen Kostenerlass beantragen. In diesem Fall schätzt das FMIC basierend auf einem Gespräch die finanzielle Situation der Person ein. Möglich sind Kostenerlässe von bis zu 30 Prozent, in sehr seltenen Fällen von bis zu 80 Prozent der Gesamtkosten. [...]"

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben mittels Durchführung einer öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor dieser und dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes sowie in die von den Beschwerdeführern vorgelegten Urkunden.

Die Feststellungen zu Identität, Familienverhältnissen, Herkunft und Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer gründen sich auf die diesbezüglich gleichbleibenden und daher glaubhaften Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, der belangten Behörde, in dem Beschwerdeschriftsatz und in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Es ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das Zweifel an der Richtigkeit dieser Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer aufkommen lässt.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der Zweit- und Drittbeschwerdeführer ergeben sich aufgrund der vorgelegten medizinischen Befunde.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide:

3.1. Aufgrund der rechtswirksamen Zurückziehung der verfahrensgegenständlichen Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide durch die Beschwerdeführer, war das Beschwerdeverfahren daher in dieser Hinsicht mit Beschluss einzustellen (vgl. VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt II. bzw. I. der angefochtenen Bescheide:

3.2. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur EMRK betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 leg.cit. offen steht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf subsidiären Schutz abzuweisen, wenn in einem Teil des Herkunftsstaates des Asylwerbers vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und dem Asylwerber zugemutet werden kann, sich in diesem Teil aufzuhalten (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates die Voraussetzungen für den subsidiären Schutz nicht vorliegen.

In ständiger Rechtsprechung führt der Verwaltungsgerichtshof zur Prüfung der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Folgendes aus (vgl. etwa VwGH 23.01.2018, Ra 2017/20/0361):

"Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036, und VwGH 8.9.2016, Ra 2016/20/0063, jeweils mwN).

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. dazu VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137, mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR und EuGH).

In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht für den Antragsteller nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist nämlich nicht so gelagert, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. VwGH 25.4.2017, Ra 2016/01/0307, mwN)."

Der Verwaltungsgerichtshof sprach in Bezug auf das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative Folgendes aus (vgl. VwGH 23.01.2018, Ra 2018/18/0001):

"Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits erkannt, dass eine schwierige Lebenssituation (bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht), die ein Asylwerber bei Rückführung in das als innerstaatliche Fluchtalternative geprüfte Gebiet vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. Mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan wurde ausgeführt, es könne zutreffen, dass ein alleinstehender Rückkehrer ohne familiären Rückhalt und ohne finanzielle Unterstützung in der afghanischen Hauptstadt Kabul (anfangs) mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sei. Soweit es sich aber um einen jungen und gesunden Mann, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge, handle, sei - auf der Grundlage der allgemeinen Länderfeststellungen zur Lage im Herkunftsstaat - nicht zu erkennen, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben (vgl. VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118). Auch der Verfassungsgerichtshof hat in einem jüngst ergangenen Erkenntnis vom 12. Dezember 2017, E 2068/2017, ausgesprochen, dass einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er - wie im entschiedenen Fall - nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei. Dem ist lediglich hinzuzufügen, dass bei dieser Sichtweise dem Kriterium der ‚Zumutbarkeit' neben jenem der Gewährleistung von Schutz vor Verhältnissen, die Art. 3 EMRK widersprechen, durchaus Raum gelassen wird. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr - im Sinne des bisher Gesagten - möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. dazu nochmals VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0118, mwN)."

3.3. Zur Drittbeschwerdeführerin:

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben sind:

Für die Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen bzw. die Unzumutbarkeit der Ansiedelung im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative bewirken würden. Solche Umstände bzw. Merkmale haben die Beschwerdeführer im Verfahren dargetan:

Die Drittbeschwerdeführerin ist bereits über 50 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern, wobei sich zwei Söhne gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin in Österreich aufhalten. Sie verfügt über keine Schulbildung und kann auf keine Berufserfahrung zurückgreifen. Sie kümmerte sich ausschließlich um den Haushalt und ihre Kinder. Es wurde Zeit ihres Lebens hauptsächlich von männlichen Familienmitgliedern für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Ferner ist in Berücksichtigung zu ziehen, dass die Drittbeschwerdeführerin nicht gesund ist (vgl. Feststellungen) und lediglich über einen Bruder in Kabul verfügt, der jedoch selbst eine große Familie zu versorgen hat und daher die Drittbeschwerdeführerin (bzw. die anderen Beschwerdeführer) im Falle einer Rückkehr nach Kabul nicht unterstützten könnte.

Besonders schwerwiegend stellt sich im vorliegenden Fall jedoch der Gesundheitszustand des Zweitbeschwerdeführers dar: Beim Zweitbeschwerdeführer besteht ein generalisierter weitgehend harmonischer Entwicklungsrückstand entsprechend einem 28- bis 31- Monate alten Kind, wobei der größte Rückstand in der Kognition liegt (vgl. Befund Dr. XXXX vom 12.10.2016; siehe auch Befund Dr. XXXX vom 25.01.2018 bzw. Ambulanzberichte des Kepler-Universitätsklinikum vom 29.09.2017 und 12.02.2018). Die Ausführungen im Befund von Dr. XXXX , wonach der Zweitbeschwerdeführer sehr verzögert reagiert, häufig unmotiviert lächelt und immer wieder mit dem Oberkörper wippt, konnten vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung bestätigt werden (vgl. Seite 8 Verhandlungsprotokoll). Es war dem erkennenden Richter nicht einmal ansatzweise möglich, ein normales Gespräch mit dem Zweitbeschwerdeführer zu führen, wie man es von einem gesunden 12-jährigen Jungen erwarten könnte. In diesem Zusammenhang ist auch auf den erhöhten Betreuungsbedarf des Zweitbeschwerdeführers hinzuweisen.

Zudem ist aufgrund der Länderfeststellungen davon auszugehen, dass eine adäquate medizinische Betreuung für den Zweitbeschwerdeführer nicht sichergestellt ist, abgesehen vom Umstand, dass geistig Behinderten in Afghanistan häufig von Stigmatisierung betroffen sind. Zwar verfügt Kabul über zwei Spitäler, die eine ambulante psychiatrische Behandlung anbieten, jedoch können diese beiden Spitäler den Bedarf an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlung bei Weitem nicht decken.

Es kann im vorliegenden Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die Drittbeschwerdeführerin als Mutter eines behinderten Kindes in der Lage ist, den unbedingt notwendigen Unterhalt für sich und ihr behindertes Kind zu erwirtschaften.

Auch kann nicht angenommen werden, dass der Erstbeschwerdeführer für den Lebensunterhalt seiner Mutter bzw. seines behinderten Bruders aufkommen könnte. Der älteste Sohn wäre de facto als "Familienoberhaupt" in Afghanistan verpflichtet, für ein ausreichendes Einkommen für seine Familie aufzukommen und könnte sich demnach nicht in der geforderten Intensität um seinen geistig zurückgebliebenen Bruder kümmern, wie dies aber, insbesondere aufgrund des Umstandes, dass die Drittbeschwerdeführerin selbst therapiebedürftig ist, erforderlich wäre.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 8 Abs. 3 iVm § 11 AsylG 2005, etwa in den als verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen, zB Herat oder Mazar-e-Sharif, würde der Drittbeschwerdeführerin unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Umstände und des Fehlens eines unterstützenden sozialen oder familiären Netzwerks ihrerseits in Afghanistan derzeit ebenfalls nicht zur Verfügung stehen. In den verhältnismäßig sicher eingestuften Regionen müsste die Drittbeschwerdeführerin nach einem - wenn auch nur vorläufigen - Wohnraum suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten zu verfügen.

Folglich kann daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der die Drittbeschwerdeführerin betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall der Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse der Drittbeschwerdeführerin und der derzeit in Afghanistan vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde.

Da somit in Afghanistan für die Drittbeschwerdeführerin die reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation iSd oben dargestellten Anforderungen besteht, ist der Drittbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der belangten Behörde oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden von der belangten Behörde für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

Folglich ist der Drittbeschwerdeführerin die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

3.4. Zum Erst- und Zweitbeschwerdeführer:

Gemäß § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Erkenntnis den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist;

3. gegen den Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 9) und

4. dem Familienangehörigen nicht der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat, sowie der gesetzliche Vertreter der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, wenn diese minderjährig und nicht verheiratet ist, sofern dieses rechtserhebliche Verhältnis bereits im Herkunftsland bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.

Der Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind die ledigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin, wobei der Zweitbeschwerdeführer nach wie vor minderjährig ist und der Erstbeschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung (Februar 2016) minderjährig war.

Der Erst- und Zweitbeschwerdeführer, welchen der Status der Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist (siehe rechtliche Beurteilung) sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten bzw. strafunmündig.

Der Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind daher Familienangehörige der Erstbeschwerdeführerin iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005.

Der Drittbeschwerdeführerin wird mit diesem Erkenntnis der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

Dem Erst- und Zweitbeschwerdeführer ist daher gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 iVm Abs. 5 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen. Folglich ist dem Der Erst- und Zweitbeschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen (siehe dazu insbesondere die unter A) zitierte Judikatur). Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung, Familienverfahren, subsidiärer
Schutz, teilweise Beschwerderückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W123.2211411.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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