TE Vwgh Beschluss 1998/6/23 98/08/0084

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Veröffentlicht am 23.06.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über den Antrag des HA in H, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Dr. Roland Gerlach, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Köllnerhofgasse 6/2, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur Zl. 98/08/0084 eingebrachten Beschwerde, den Beschluß gefaßt:

Spruch

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird stattgegeben.

Begründung

Mit Berichterverfügung vom 1. April 1998, Zl. 98/08/0084-3, wurde die zur genannten Zahl eingebrachte Beschwerde dem Rechtsvertreter des Antragstellers gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Beibringung einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde samt Abschriften der Beilage für den Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales (§ 24 Abs. 1 und 29 VwGG) zurückgestellt. Zur Behebung dieses der Beschwerde anhaftenden Mangels wurde eine Frist von zwei Wochen bestimmt.

Innerhalb der gesetzten Frist langte beim Verwaltungsgerichtshof ein Schriftsatz des Rechtsvertreters des Antragstellers vom 6. April 1998 mit dem Wortlaut ein:

"In obiger Angelegenheit retourniere ich die Beschwerde samt den gewünschten Bundesstempelmarken."

Weitere Schriftstücke waren diesem Schreiben nicht angeschlossen.

Mit dem am 26. Mai 1998 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag begehrt der Antragsteller die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Wiedervorlage der Beschwerde samt Anschluß einer weiteren Gleichschrift. Darin führt der Antragsteller aus, die Berichterverfügung vom 1. April 1998 sei seinem Vertreter am 6. April 1998 zugestellt worden. An eben diesem Tag sei ihm die Aufforderung vom 3. April 1998 zugekommen, S 2.500,-- an Bundesstempelmarken nachzubringen. Die Kanzlei des Vertreters sei diesen Aufträgen bereits am 7. April 1998 nachgekommen. Es sei eine weitere Gleichschrift der Beschwerde hergestellt sowie die Bundesstempelmarken zur Überreichung beim Verwaltungsgerichtshof ausgefertigt worden.

In der Kanzlei des Vertreters des Antragestellers sei ein Student (der Rechtwissenschaften) angestellt, der an Dienstagen und Donnerstagen jeder Woche vormittags hauptsächlich Kommissionen erledige. Am Dienstag dem 7. April 1998 sei dieser Student beauftragt worden, die Gleichschriften der Beschwerde sowie die Bundesstempelmarken und das dazugehörige kurze Begleitschreiben in der Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes zu überbringen. Tatsächlich habe dieser Student noch am selben Tag mit dem Handakt und den inliegenden zur Überreichung vorbereiteten Unterlagen die Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes aufgesucht. Nach Rückkehr in die Kanzlei habe der Student das Rubrum des Begleitschreibens, das mit der entsprechenden Eingangsstampiglie des Verwaltungsgerichtshofes versehen war, in der Kanzlei abgegeben. Dadurch sei die Erfüllung des Auftrages dokumentiert gewesen und sei der Akt vom Sekretariat abgelegt und routinemäßig mit fünf Wochen kalendiert worden.

Entsprechend dieser Kalendierung sei der Akt am Dienstag dem 12. Mai 1998 den Rechtsanwälten zur Postbesprechung vorgelegt worden. Hiebei habe sich herausgestellt, daß zwar das Rubrum des Begleitschreibens mit der Eingangsstampiglie des Verwaltungsgerichtshofes im Akt gewesen sei, daneben aber auch noch der Bescheid, die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde und zwei Gleichschriften derselben. Der Student sei noch am selben Tag über den Vorgang in der Einlaufstelle des Verwaltungsgerichtshofes befragt worden. Er habe sich nicht erklären können, warum er anläßlich dieser Kommission den Bescheid, die Beschwerde und die Gleichschriften nicht überreicht hatte, obwohl diese in einem vorbereiteten Kuvert und in das gefaltete Begleitschreiben vom 7. April 1998 eingeschlagen gewesen seien.

Für die Vertreter des Antragstellers sei es ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, daß der mit der Durchführung der Kommission beauftragte Student die ihm aufgetragene Weisung nur teilweise befolgt habe.

Bei einem gemäß § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Mängelbehebungsauftrag wird die Frist zur Verbesserung nicht nur dann versäumt, wenn diesem Auftrag innerhalb der Frist überhaupt nicht, sondern auch dann, wenn ihm nur unvollständig entsprochen wurde. Auch in diesen Fällen ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig; im vorliegenden Fall ist der Antrag auch begründet:

Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, nicht jedoch ein Verschulden anderer Personen. Führt das Fehlverhalten anderer Personen, etwa das von Angestellten, zu einer Fristversäumung, so ist zu prüfen, ob der Parteienvertreter bzw. die Partei selbst dadurch ein schuldhaftes Verhalten gesetzt hat, daß er bzw. sie eine ihr auferlegte Sorgfaltspflicht außer Acht gelassen hat (z.B. Auswahlverschulden, mangelnde Überwachungstätigkeit oder sonstiges Organisationsverschulden; vgl. etwa das

hg. Erkenntnis vom 10. März 1998, Zlen. 97/08/0405, 0406). Lediglich rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken kann der Rechtsanwalt ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 29. September 1992, Zl. 92/08/163, vom 22. November 1994, Zl. 94/08/0251, und vom 28. September 1995, Zl. 95/18/1243).

Im vorliegenden Fall ist, ausgehend vom (durch die Vorlage einer eidesstättigen Erklärung) glaubhaft gemachten Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag, dem Rechtsvertreter des Antragstellers keine die Versäumung der Frist bewirkende Verletzung der Überwachungspflicht anzulasten. Der Rechtsanwalt ist dem Verbesserungsauftrag nachgekommen und hat die Übergabe der vorbereiteten Unterlagen einem verläßlichen Angestellten überlassen. Von diesem wurde der Auftrag nur teilweise und zwar weisungswidrig durchgeführt. Dieses Versehen ist dem Angestellten im Zuge der Beförderung der Unterlagen zum Verwaltungsgerichtshof unterlaufen. Die Kontrolle, ob eine zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, ist dem Rechtsanwalt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zumutbar (vgl. auch hiezu die oben zitierten Beschlüsse). Das weisungswidrige Verhalten von Angestellten eines Rechtsanwaltes ist der Partei jedoch unter diesen Umständen nicht zuzurechnen.

Da dem Antragsteller und seinen bevollmächtigten Vertretern ein Verschulden an der Versäumung der Frist somit nicht vorgeworfen werden kann, war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattzugeben.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1998080084.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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