TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/11 W172 2193392-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.11.2019
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Entscheidungsdatum

11.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W172 2193392-1/18E

Schriftliche Ausfertigung des am 05.11.2018 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin MORITZ als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1989, StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, Seilergasse 16, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.03.2018, Zl. 1081568305-151035760, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.11.2018 zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: "BF") stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 06.08.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 i.d.g.F. (im Folgenden auch: "AsylG 2005").

Am 07.08.2015 erfolgte die Erstbefragung des Beschwerdeführers durch die LPD Oberösterreich.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 11.01.2018 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden auch: "BFA") niederschriftlich einvernommen.

3. Mit oben im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 19.03.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 i.V.m. § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden auch: "BFA-VG") eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (im Folgenden auch: "FPG") erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

4. Gegen alle Spruchpunkte dieses Bescheides wurde vom Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde mit oben im Spruch genannten Schriftsatz vom 18.04.2018 erhoben.

5. Am 05.11.2018 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer als Partei teilnahm. Das BFA verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung.

Weiters wurden in diese Verhandlung Unterlagen und darauf aufbauende aktuelle Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zur politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan eingeführt (s. weiter unten Pkt. II.1.2.).

Ferner wurde der vom Beschwerdeführer beantragte Zeuge Arif AMIRI (geb. 27.02.1992, afghanischer Staatsangehöriger, im Folgenden auch: "Z") einvernommen.

Am Schluss dieser Verhandlung wurde die gegenständliche Entscheidung mündlich verkündet.

6. Im Verfahren wurden neben den vom BFA und vom Bundesverwaltungsgericht eingeführten (s. weiter unten) u.a. folgende entscheidungsrelevante Bescheinigungsmittel vorgelegt, nämlich, zu:

-

Identität (Tazkira);

-

Vorbringen zu den Flucht- bzw. Verfolgungsgründen (Bestätigung der zuständigen Bezirkshauptmannschaft über den Austritt aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft);

-

Deutschsprachkursen (Zeugnis für Level A1, A2 und B1, Teilnahme an B2-Kurs);

-

schulische Ausbildung und/oder sonstige berufsqualifizierende Maßnahmen (Vorbereitungskurse und Teilprüfungszeugnisse für die Pflichtschulabschluss-Prüfung, Bewerbungen, Lebenslauf);

-

ordentlichen Beschäftigungen (Tätigkeit als Küchengehilfe - Saisonarbeitskraft in einem Gastronomiebetrieb inkl. arbeitsrechtlicher Vorvertrag, mehrere Lohnzettel);

-

gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten (u.a. ehrenamtliche Tätigkeit in einem Altenheim, Teilnahme an einem Gartenbauprojekt);

-

Teilnahme an gesellschaftlichen Aktivitäten (Mitgliedschaft bei einem Nachbarschaftshilfeverein und bei einem Fußballverein);

-

sonstigen Integrationsmaßnahmen und -bemühungen (Teilnahme an einem Wertedialog, Zertifikat als Energiebotschafter, zahlreiche Unterstützungsschreiben).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zur Person und zum Vorbringen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den oben im Spruch wiedergegebenen Namen, ist am XXXX .1989 im Dorf Dahmarda, Distrikt Jaghuri in der Provinz Ghazni in Afghanistan geboren, Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der Volksgruppe der Hazara an sowie war dem schiitischen Glaubensbekenntnis zugehörig. Sein Familienstand ist verheiratet und er hat keine Kinder. Seine Muttersprache ist Dari. An Schulausbildung weist er acht Jahre Schulbesuch auf, davon sechs Jahre ein Gymnasium. Er hat keine Berufsausbildung. Er war beruflich zuletzt als Fliesenleger im Iran tätig. In seinem Herkunftsstaat lebte er zuletzt in Ghazni bis zu seiner erstmaligen Ausreise in den Iran im Alter von 21 Jahren, wo er sich ein Jahr lang aufhielt. Danach lebte er wieder ein Jahr in Afghanistan bis zu seiner zweiten Ausreise im Sommer 2011. In der Folge hielt sich der Beschwerdeführer im Iran auf, bis er im Jahr 2015 nach Österreich kam. An Familienangehörigen leben in Afghanistan noch seine Eltern und Geschwister, ein Onkel väterlicherseits, zwei Onkel mütterlicherseits, eine Tante väterlicherseits und eine Tante mütterlicherseits. Seine Ehefrau befindet sich in Pakistan. Der Beschwerdeführer hat keine familiären oder sonstigen vergleichbaren Beziehungen zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen. Der Beschwerdeführer weist keine (relevanten) gesundheitlichen Beschwerden auf. Er hält sich zumindest seit dem August 2015 in Österreich auf und ist hier sowohl verwaltungsstrafrechtlich als auch strafgerichtlich unbescholten.

Das folgende Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Aufenthalt in Österreich (im Wesentlichen) im Rahmen der oben genannten mündlichen Verhandlung vom 05.11.2018 wird nachfolgend in die Feststellungen aufgenommen (nicht-inhaltlich/-sinnändernde Ergänzungen wurden vorgenommen bzw. Schreibfehler korrigiert; Anm. des BVwG).

Dem zufolge halte sich der Beschwerdeführer seit drei Jahren und drei bzw. vier Monaten in Österreich auf. Anfangs sei er in Traiskirchen gewesen, danach habe er sich in Weißenbach in Oberösterreich aufgehalten, zurzeit lebe er in Kremsmünster. Zunächst habe er sich in Asylquartieren aufgehalten, zurzeit, das heißt seit einem Jahr und zwei oder drei Monaten, lebe er privat und zwar mit einem Freund zusammen. Eine Freundin oder eine vergleichbare Beziehung zu einer anderen Person in Österreich habe er nicht. Er habe sehr viele österreichische Freunde, die er in Deutschkursen, bei der Arbeit, in der Schule sowie in der Familie kennengelernt habe, auch beim Fußball- und Volleyball spielen. Mit Familie meine der Beschwerdeführer die Familien seiner Freunde, aber auch die Familie seiner Unterkunftgeberin. In seinem Freundeskreis seien aber nicht nur gleichaltrige, sondern auch jüngere und ältere als er. An Vereinsmitgliedschaften führte der Beschwerdeführer eine solche bei der Nachbarschaftshilfe Kremsmünster an. Auch sei er ehrenamtlich fast ein Jahr lang im Altenheim Kremsmünster für acht Stunden pro Woche tätig gewesen. An Deutschkursen habe der Beschwerdeführer A1-, A2-, B1- und den B2-Kurs besucht, mit Ausnahme des B2-Kurses habe er bei allen anderen Deutschkursen diese auch prüfungsmäßig absolviert. Befragt nach weiteren berufsausbildenden Kursen oder Schulbesuchen führte der Beschwerdeführer an, dass er einen privaten Vorbereitungskurs für die Neue Mittelschule bzw. für den Pflichtschulabschluss besuche. Er habe bereits zwei Prüfungen erfolgreich abgeschlossen, vier Prüfungen würden ihm noch fehlen. Voraussichtlich würde er diesen Vorbereitungskurs im Dezember 2018 abschließen. Auf die Frage, was er für Pläne für die Zukunft habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er früher im Iran als Fliesenleger gearbeitet habe. Er wolle für die nächsten zwei Jahre auf einen Berggasthof arbeiten, man habe ihm eine Einstellungszusage gegeben. Während dieser Zeit würde er die Schule abschließen und den Führerschein machen. Dann würde er sich als Fliesenleger ausbilden lassen und in diesem Beruf arbeiten. Befragt, ob er diesen Beruf dann auch selbstständig ausüben würde, antwortete er mit "selbstverständlich".

Das folgende Vorbringen des Beschwerdeführers sowie des Zeugen zu seinen Fluchtgründen und zu seiner religiösen Einstellung (im Wesentlichen) im Rahmen der oben genannten mündlichen Verhandlung wird nachfolgend ebenfalls in die Feststellungen aufgenommen (nicht-inhaltlich/-sinnändernde Ergänzungen wurden vorgenommen bzw. Schreibfehler korrigiert; Anm. des BVwG).

Dem zufolge habe der Beschwerdeführer immer schon Zweifel an seinem islamischen Glauben gehabt, solange er sich erinnern könne. Befragt, wie lange der Beschwerdeführer in Afghanistan gelebt habe, gab dieser an, dass er Afghanistan Richtung Iran verlassen habe, als er 21 Jahre alt gewesen sei. Er habe sich dann im Iran ca. ein Jahr aufgehalten. Im Herbst 1388 (Anmerkung des Dolmetschers: 2009/Anfang 2010) sei er im Iran angekommen, und ca. ein Jahr später dann nach Afghanistan abgeschoben worden. Befragt, wann der Beschwerdeführer dann (endgültig) aus Afghanistan geflüchtet sei, antwortete er, dies sei im Ramadan 1390 (Anmerkung des Dolmetschers: 2011) gewesen. Dann habe sich der Beschwerdeführer im Iran bis zwei Monate vor seiner Ankunft in Österreich, dies sei im achten Monat des Jahres 2015 gewesen, aufgehalten. Befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er aus einer sehr religiösen Familie stammen würde. Weiters befragt, wann der erste Anlass für seine Zweifel am Islam gewesen sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er eine genaue Zeit nicht anführen könne. Seitdem er ein Kind gewesen sei, habe ihn einiges am Islam gestört, z.B. die Selbstverletzungen während des Muharram, vor allem auch das Fasten, das Beten, Geschichten im Islam, z.B., dass Mohammad auf einem Pferd in den Himmel geritten sei oder sich Ibrahim oder eine andere Person im Bauch eines Wales aufgehalten habe. Nachgefragt, was den Beschwerdeführer an diesen Geschichten stören würde, gab dieser an, dass er nicht daran geglaubt habe. Im Islam müsse er jemanden umbringen, dies wäre ein Weg in das Paradies, dies sei eine sinnlose, unglaubwürdige Sache. Für die Muslime stehe die Religion an erster Stelle. Bei den Muslimen sei das Denken eingegrenzt, man dürfe nicht über alles sprechen.

Befragt, ob es zu Vorfällen wegen der kritischen Haltung des Beschwerdeführers zum Islam gekommen sei, antwortete dieser, zu Hause habe sein Vater ihm das Leben schwergemacht. Man habe ihn zum Fasten gezwungen, er habe aber nicht gewollt, sein Vater habe dann befohlen, er solle das Land verlassen. Es habe aber keinen Vorfall mit seinem Vater gegeben, sondern mit seinem Mullah. Im Ramadan 1390 (Anmerkung des Dolmetschers: 2011) habe der Beschwerdeführer im Bazar etwas zum Essen kaufen wollen, er habe dabei den Mullah getroffen. Dieser habe gleich angefangen zu missionieren und habe den Beschwerdeführer gefragt, warum er nicht faste. Der Beschwerdeführer habe erwidert, dass niemand ihn zum Fasten zwingen könne. Daraufhin habe der Mullah ihm vorgehalten, dass er Muslim sei und fasten müsse. Es habe einen zunächst verbalen Streit gegeben, sodann habe der Mullah dem Beschwerdeführer eine Ohrfeige gegeben, dann sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen. Der Beschwerdeführer habe den Mullah weggeschubst. Schaulustige hätten den Beschwerdeführer festgehalten und dessen Hände an den Rücken gefesselt. Der Vorfall sei um 9 oder 10 Uhr vormittags gewesen. Dann sei er in eine Religionsschule, in ein Zimmer, gebracht worden. Dort sei er ca. drei bis vier Stunden bis zum Mittagsgebet geblieben. Dann seien zwei Personen zu ihm gekommen und hätten ihn nach oben mitgenommen. Dort habe der Beschwerdeführer eine Gruppe von mehr als 13 Personen gesehen, auch sein Vater sei darunter gewesen. Der Mullah habe wieder zum Reden angefangen und habe den Beschwerdeführer gefragt, warum dieser nicht faste und nicht seine Religion ausübe. Der Beschwerdeführer habe geantwortet, niemand dürfe zum Fasten gezwungen werden und er sei kein Moslem und würde nicht daran glauben. Der Vater des Beschwerdeführers habe daraufhin aufstehen und den Beschwerdeführer schlagen wollen, die anderen hätten ihn aber aufgehalten. Man habe den zwei Personen, die ihn zunächst in diesen Raum gebracht hätten, befohlen, ihn wieder in das frühere Zimmer zurückzubringen. Er habe sich dort noch eine halbe Stunde aufgehalten. Dann seien zwei Personen gekommen und hätten den Beschwerdeführer vor die Religionsschule gebracht. Dort seien schon 20 oder 30 Personen anwesend gewesen. Der Mullah habe aus einem Zettel vorgelesen, der in Arabisch und Farsi gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei gesagt worden, dass er von der Religion ausgetreten sei und nicht faste und dass er angegeben habe, kein Moslem zu sein. Man habe dem Beschwerdeführer gesagt, wegen dieser Tat dürfe er nicht mehr bleiben. Es sei ihm weiters gesagt worden, er müsste 100 Peitschenschläge bekommen, das Gebiet verlassen und nicht mehr zurückkommen. Überdies sei ihm gesagt worden, wenn man den Beschwerdeführer am nächsten Tag noch in der Morgendämmerung sehen würde, wäre es erlaubt, ihn umzubringen, man würde nicht bestraft werden. Die Art und Weise des Umbringens würde dabei keine Rolle spielen. Befragt bestätigte der Beschwerdeführer, dass er dann auch 100 Mal gepeitscht worden sei, und zwar auf seinen Fußsohlen. Der Beschwerdeführer fügte hinzu, als man gesagt habe, dass man ihn umbringen könne, dass man auch alles an sich nehmen dürfe, was der Beschwerdeführer besitze. Befragt, was in weiterer Folge geschehen sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er mit seinem Bruder zu seiner Schwester gegangen sei, dort hätten sie eine Nacht verbracht. Am nächsten Tag in der Früh, es sei noch dunkel gewesen, sei er mit seiner Frau nach Pakistan gefahren. Befragt, wie lange er sich in Pakistan aufgehalten habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er sich dort nur vier bis fünf Tage aufgehalten habe. Seine Frau sei in Pakistan geblieben, er habe sich dann weiter in den Iran begeben.

Auf die Frage, ob der Beschwerdeführer wegen seiner kritischen Haltung zum Islam auch im Iran Probleme gehabt hätte, gab der Beschwerdeführer an, dass er die Frage so nicht verstehe. Er habe im Iran illegal gelebt und weder arbeiten noch eine Wohnung mieten dürfen. Er habe nur auf Baustellen gearbeitet und dort auch übernachtet. Nachgefragt, ob der Beschwerdeführer mit seiner religionskritischen Haltung nicht im Iran aufgefallen sei, erwiderte der Beschwerdeführer, dass man nicht darüber geredet habe, man habe immer Angst gehabt. Befragt vom Rechtsvertreter, ob der Beschwerdeführer dort auch gebetet und gefastet habe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er dies natürlich nicht gemacht habe. Er habe auf einer Baustelle gelebt, niemand habe nach seinem Beten oder Fasten gefragt. Der Beschwerdeführer habe den ganzen Tag gearbeitet und auf der Baustelle geschlafen. Befragt, warum der Beschwerdeführer nicht gleich nach seiner Ankunft in Österreich vom Islam ausgetreten sei, gab er an, er habe nicht gewusst, dass so etwas in Österreich möglich sei. Er habe aber gleich nach der Ankunft angegeben, dass er kein Moslem sei. Auf die Frage des Rechtsvertreters, was der Beschwerdeführer auf die Frage auf dem Meldezettel nach seinem Religionsbekenntnis angeführt hätte, gab er an, nichts. Nochmals befragt vom Rechtsvertreter, ob er "ohne Bekenntnis" oder tatsächlich nichts angeführt hätte, gab der Beschwerdeführer an, es habe ihn niemand danach gefragt. Die Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich nach islamischen Vorschriften leben würde, wurde vom Beschwerdeführer verneint. Weiters befragt, ob er sich an islamische Ernährungsvorschriften, wie insbesondere Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch oder des Genusses von Alkohol, halten würde, antwortete der Beschwerdeführer, dass er sogar Schweinefleisch koche. Befragt nach seiner liebsten diesbezüglichen Speise gab der Beschwerdeführer Schweinsbraten an. Auch Alkohol trinke er ab und zu.

Befragt, ob der Beschwerdeführer in Österreich einmal eine Familie gründen wolle, gab er an, wer wolle das nicht? Befragt, wie er sich vorstellen könne, wer zu Hause arbeite oder außerhalb dem Verdienst nachgehe, antwortete der Beschwerdeführer, dass er mit seiner Ehefrau eine sehr schlechte Beziehung habe. Er habe keinen Kontakt mehr, sie solle daher selbst entscheiden, wie sie ihr Leben führen wolle. Nochmals befragt, wie er sich die Rollenverteilung in einer Partnerschaft mit einer Frau vorstellen könne, führte der Beschwerdeführer an, dass er nicht der Meinung sei, dass Frauen nur zu Hause arbeiten und nur Männer einen Beruf ausüben dürften. Befragt, wie sich der Beschwerdeführer die Rollenverteilung bei der Kinderbetreuung in einer Partnerschaft vorstellen könne, gab der Beschwerdeführer an, dass, solange das Kind noch ein Säugling sei, es in erster Linie Aufgabe der Mutter sei, sich um dessen Betreuung zu kümmern. In einem späteren Kindesalter, dann, wenn das Kind in den Kindergarten käme, sollte die Kinderbetreuung selbstverständlich aufgeteilt werden. Zudem, wenn die Frau auch arbeiten würde, könnten sie auch finanziell besser leben.

Befragt, ob sich der Beschwerdeführer eine größere Rolle der Religion in der österreichischen Gesellschaft wünsche oder nicht, führte der Beschwerdeführer an, dass es besser sei, dass die Religion von der Politik getrennt sei. Befragt, ob sich der Beschwerdeführer vorstellen könne, nach seinem Austritt aus dem Islam sich einem anderen Religionsbekenntnis anzuschließen, gab der Beschwerdeführer an, er glaube nur an die Menschlichkeit. Jede Religion bestimme Grenzen, die nicht überschritten werden dürften. Er möchte dies nicht. Auf die Frage des Rechtsvertreters, was nach dem Tod eines Menschen für diesen nach Ansicht des Beschwerdeführers passiere, gab der Beschwerdeführer an, dass die Geschichte eines Menschen damit beendet sei, wie bei allen Lebewesen, so sei der Kreislauf des Lebens. Befragt vom Rechtsvertreter, ob der Beschwerdeführer von Seiten von Muslimen in Österreich Probleme wegen seiner religionskritischen Haltung gehabt habe, gab dieser an, ja leider. Einige würden glauben, dass er "was Dreckiges" wäre, man nicht mit ihm zusammensitzen oder essen solle. Beim Sprechen würden sie "störende" Ausdrücke verwenden. Diesbezüglich nachgefragt vom Rechtsvertreter, um welche Ausdrücke es sich handeln würde, führte der Beschwerdeführer an, dass er "dreckig" und "ungläubig" wäre. Er sei ein "Mortad" oder ein "Kafir" (Anmerkung des Dolmetschers:

Ketzer oder Abtrünniger im Unterschied zum "Kafir", mit welchem Ausdruck man Ungläubige, vornehmlich Angehörige anderer Religionsbekenntnisse, so etwa Christen, bezeichnen würde).

Auf die Frage des Rechtsvertreters, wonach der Beschwerdeführer erwähnt habe, dass er zwar verheiratet sei, aber keinen Kontakt zu seiner Gattin mehr habe, führte der Beschwerdeführer an, dass er bis vor zweieinhalb Jahren oder mehr noch Kontakt zu seiner Frau gehabt habe und immer wieder mit ihr telefoniert habe. Wann genau der Kontakt abgebrochen sei, wisse er aber nicht. Vor ca. zweieinhalb Jahren oder mehr habe der Beschwerdeführer seine Ehefrau angerufen. Sie habe ihm gesagt, er dürfe sie nicht mehr kontaktieren. Als er sie nach dem Grund befragt habe, habe sie ihm gesagt, dass er kein Moslem sei und sie sich schäme, seine Frau zu sein. Der Beschwerdeführer könne aber nicht sagen, ob er deswegen keinen Kontakt mehr mit ihr habe oder dies aus einem anderen Grund resultiere. Befragt, ob die Ehe mit seiner jetzigen Frau ein Hindernis für eine Verehelichung mit einer anderen Frau in Österreich für den Beschwerdeführer wäre, gab dieser an, dass er so mit ihr auch nicht mehr leben könne, sie sollten sich voneinander trennen. Er würde nach einer Trennung eine andere Frau kennenlernen und hier in Österreich eine Familie gründen.

Der Rechtsvertreter merkte an, dass nach islamischem bzw. afghanischem Recht ein Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft eine sogenannte Zwangsscheidung bewirken würde, das heißt, die Ehe wäre dann aufgelöst. Der Rechtsvertreter habe den Beschwerdeführer auf diese Konsequenz hingewiesen, dennoch habe der Beschwerdeführer den Schritt unternommen, aus der islamischen Glaubensgemeinschaft auszutreten.

Befragt, wie lange der Zeuge den Beschwerdeführer schon kenne, gab der Zeuge an, dass er diesen von Anfang an, seit 20.10.2015 kennen würde. Aus Afghanistan würde er ihn aber nicht kennen. Sie hätten sich im Quartier Weißenbach kennengelernt. Weiters befragt gab der Zeuge an, dass sie sich seitdem ständig im Kontakt befinden würden. Er lebe nun auch mit dem Beschwerdeführer an der gleichen Adresse. Befragt, ob der Beschwerdeführer den islamischen Glauben praktiziere bzw. nach diesem leben würde, wurde dies vom Zeugen verneint. Befragt, woran sich das beim Beschwerdeführer zeigen würde, führte der Zeuge an, wie gesagt, sie würden sich schon seit rund drei Jahren kennen und der Beschwerdeführer würde selbst sagen, er sei kein Moslem. Er habe noch nie etwas Islamisches ausgesprochen. Im Gegenteil, er mache Sachen, die ein Moslem nicht machen dürfe und er trinke Alkohol und esse Schweinefleisch. Er esse alles. Die Frage, ob das beim Beschwerdeführer schon immer so gewesen wäre, seitdem der Zeuge ihn kennen würde, wurde vom Zeugen bejaht. Befragt, ob es wegen dieser Haltung des Beschwerdeführers für diesen Probleme mit anderen Afghanen oder Muslimen in Österreich gegeben hätte, gab der Zeuge an, dass der Beschwerdeführer niemals anderen Probleme gemacht hätte, dennoch würden viele ihn aber nicht mögen, weil er nicht nach dem Islam leben würde. Wenn sie in der Unterkunft eine Veranstaltung hätten, bei der er dabei wäre, würden die anderen nicht daran teilnehmen. Befragt vom Rechtsvertreter, ob der Zeuge jemals vom Beschwerdeführer gehört hätte, dass er an einen Gott glauben würde oder nicht, gab der Zeuge an, dass er gar nichts vom Beschwerdeführer gehört habe. Nachgefragt vom Rechtsvertreter, ob der Zeuge jemals vom Beschwerdeführer gehört hätte, dass er an keinen Gott glauben würde, antwortete der Zeuge, das habe er auch nicht gehört. Befragt vom Rechtsvertreter, ob der Beschwerdeführer von jemandem "Kafir" oder "Mortad" genannt worden sei, gab der Zeuge an, ja, einige würden dies sagen, aber nicht vor ihm, sondern hinter ihm. Weiters befragt vom Rechtsvertreter, ob der Zeuge den Beschwerdeführer als Moslem sehe, wurde dies vom Zeugen verneint. Befragt vom Rechtsvertreter, warum der Zeuge umgehend auf die vorherige Frage geantwortet hätte, dass der Beschwerdeführer kein Moslem sei, antwortete der Zeuge, erstens, weil der Beschwerdeführer dies selbst sage, dass er kein Moslem sei, zweitens, weil er sich einfach nicht wie ein Moslem verhalten würde. Der Rechtsvertreter fragte den Beschwerdeführer abschließend, ob er an Gott glaube; der Beschwerdeführer antwortete, natürlich nicht.

1.2. Zur politischen und menschenrechtlichen Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Aufgrund der vom Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

"Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 29.10.2018:

Religionsfreiheit

Etwa 99,7% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon zwischen 84,7 und 89,7% Sunniten (CIA 2017; vgl. USCIRF 2017). Schätzungen zufolge sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 5.2018; vgl. CIA 2017). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 15.8.2017). Der politische Islam behält in Afghanistan die Oberhand; welche Gruppierung - die Taliban (Deobandi-Hanafismus), der IS (Salafismus) oder die afghanische Verfassung (moderater Hanafismus) - religiös korrekter ist, stellt jedoch weiterhin eine Kontroverse dar. Diese Uneinigkeit führt zwischen den involvierten Akteuren zu erheblichem Streit um die Kontrolle bestimmter Gebiete und Anhängerschaft in der Bevölkerung (BTI 2018).

Das afghanische Strafgesetzbuch, das am 15.2.2018 in Kraft getreten ist, enthält keine Definition von Apostasie (vgl. MoJ 15.5.2017). Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt die Konversion vom Islam zu einer anderen Religion als Apostasie. Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtssprechung Proselytismus (Missionierung, Anm.) illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 15.8.2017) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323). Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte (USDOS 15.8.2017).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformerische Muslime behindert (FH 11.4.2018).

Anhänger religiöser Minderheiten und Nicht-Muslime werden durch das geltende Recht diskriminiert (USDOS 15.8.2017; vgl. AA 5.2018); so gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung für alle afghanischen Bürger/innen unabhängig von ihrer Religion (AA 5.2018). Wenn weder die Verfassung noch das Straf- bzw. Zivilgesetzbuch bei bestimmten Rechtsfällen angewendet werden können, gilt die sunnitisch-hanafitische Rechtsprechung. Laut Verfassung sind die Gerichte dazu berechtigt, das schiitische Recht anzuwenden, wenn die betroffene Person dem schiitischen Islam angehört. Gemäß der Verfassung existieren keine eigenen, für Nicht-Muslime geltende Gesetze (USDOS 15.8.2017).

Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten (USDOS 15.8.2017). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind legal, solange das Paar nicht öffentlich ihren nicht-muslimischen Glauben deklariert (HO U.K. 2.2017; vgl. USDOS 10.8.2016). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über die Konfession des/der Inhabers/Inhaberin. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt (USDOS 15.8.2017). Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 15.8.2017).

Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 15.8.2017).

Christen berichteten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die meistens während ihres Aufenthalts im Ausland zum Christentum konvertierten, würden aus Furcht vor Vergeltung ihren Glauben alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern ausüben (USDOS 15.8.2017).

Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (CRS 13.12.2017).

Beobachtern zufolge sinkt die gesellschaftliche Diskriminierung gegenüber der schiitischen Minderheit weiterhin; in verschiedenen Gegenden werden dennoch Stigmatisierungsfälle gemeldet (USDOS 15.8.2017).

Mitglieder der Taliban und des IS töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 15.8.2017; vgl. CRS 13.12.2017, FH 11.4.2018). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 15.8.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 6.6.2018

BTI - Bertelsmann Stiftung (2018): Afghanistan Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/AFG/, Zugriff 6.4.2018

MoJ - Ministry of Justice (15.5.2017): Strafgesetz:

http://moj.gov.af/content/files/OfficialGazette/01201/OG_01260.pdf, Zugriff 12.2.2018

CIA - Central Intelligence Agency (2017): The World Factbook - Afghanistan,

https://www.cia.gov/library/publications/resources/the-world-factbook/geos/af.html, Zugriff 12.2.2018

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 12.2.2018

FH - Freedom House (11.4.2018): Freedom in the World 2018 - Afghanistan

https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/afghanistan, Zugriff 25.5.2018

HO U.K. - Home Office United Kingdom (2.2017): Country Policy and Information Note Afghanistan: Hindus and Sikhs, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/590778/AFG_-_Sikhs_and_Hindus_-_CPIN_-_v3_1__February_2017_.pdf, Zugriff 3.4.2018

USCIRF - U.S. Commission on International Religious Freedom (2017):

2017 Annual Report: Afghanistan Chapter, http://www.uscirf.gov/sites/default/files/Afghanistan.2017.pdf, Zugriff 12.2.2018

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2016 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2016/sca/268924.htm, Zugriff 3.4.2018

USDOS - U.S. Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/irf/religiousfreedom/index.htm?year=2015&dlid=256299, Zugriff 6.6.2018

Christentum und Konversionen zum Christentum

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0.3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen und Bahai-Gemeinschaften sind nicht vorhanden (USDOS 15.8.2017; vgl USCIRF 2017). Die einzige im Land bekannte christliche Kirche hat ihren Sitz in der italienischen Botschaft (USCIRF 2017) und wird von der katholischen Mission betrieben (FT 27.10.2017; vgl AIK o.D.). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung einer katholischen Kapelle unter den strengen Bedingungen, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Form des Proselytismus vermieden werde (vertrauliche Quelle 8.11.2017). Öffentlich zugängliche Kirchen existieren in Afghanistan nicht (USDOS 15.8.2017). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens, da es in Afghanistan keine Kirchen gibt (abgesehen von einer katholischen Kapelle auf dem Gelände der italienischen Botschaft). Zu Gottesdiensten, die in Privathäusern von internationalen NGOs abgehalten werden, erscheinen sie meist nicht oder werden aus Sicherheitsgründen nicht eingeladen (AA 5.2018). Ausländische Christen dürfen ihren Glauben diskret ausüben (FT 27.10.2017).

Berichten zufolge gibt es im Land weiterhin keine christlichen Schulen (USDOS 15.8.2017); ein christliches Krankenhaus ist in Kabul aktiv (NYP 24.4.2014; vgl CNN 24.4.2014, CURE o.D.). Auch gibt es in Kabul den Verein "Pro Bambini di Kabul", der aus Mitgliedern verschiedener christlicher Orden besteht, und eine Schule für Kinder mit Behinderung betreibt (PBK o.D.; vgl FT 27.10.2017). Des Weiteren sind je zwei jesuitische und evangelische Missionare in Afghanistan aktiv (FT 27.10.2017).

Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 5.2018). Christen berichteten von einer feindseligen Haltung gegenüber christlichen Konvertiten und der vermeintlichen christlichen Proselytenmacherei (USDOS 15.8.2017). Zu einer Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die speziell Christen diskriminiert, kommt es in Afghanistan in der Regel nur deshalb nicht, weil sich Christen nicht offen zu ihrem Glauben bekennen. In städtischen Gebieten sind Repressionen gegen Konvertiten aufgrund der größeren Anonymität weniger zu befürchten als in Dorfgemeinschaften (AA 9.2016). Beobachtern zufolge hegen muslimische Ortsansässige den Verdacht, Entwicklungsprojekte würden das Christentum verbreiten und Proselytismus betreiben (USDOS 15.8.2017).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert (AA 5.2018). Quellen zufolge müssen Christen ihren Glauben unbedingt geheim halten. Konvertiten werden oft als geisteskrank bezeichnet, da man davon ausgeht, dass sich niemand bei klarem Verstand vom Islam abwenden würde; im Falle einer Verweigerung, zu ihrem alten Glauben zurückzukehren, können Christen in psychiatrische Kliniken zwangseingewiesen, von Nachbarn oder Fremden angegriffen und ihr Eigentum oder Betrieb zerstört werden; es kann auch zu Tötungen innerhalb der Familie kommen. Andererseits wird auch von Fällen berichtet, wo die gesamte Familie den christlichen Glauben annahm; dies muss jedoch absolut geheim gehalten werden (OD 2018).

Mitglieder der christlichen Gemeinschaft, die oft während ihres Aufenthalts im Ausland konvertierten, üben aus Angst vor Diskriminierung und Verfolgung ihre Religion alleine oder in kleinen Kongregationen in Privathäusern aus (USDOS 15.8.2017). Zwischen 2014 und 2016 gab es keine Berichte zu staatlicher Verfolgung wegen Apostasie oder Blasphemie (USDOS 15.8.2017). Der Druck durch die Nachbarschaft oder der Einfluss des IS und der Taliban stellen Gefahren für Christen dar (OD 2018).

Die im Libanon geborene Rula Ghani, Ehefrau von Staatspräsident Ashraf Ghani, entstammt einer christlich-maronitischen Familie (NPR 19.2.2015; vgl BBC 15.10.2014). Einige islamische Gelehrte behaupten, es gebe keine öffentlichen Aufzeichnungen ihrer Konvertierung zum Islam (CSR 13.12.2017).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (5.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1434081/4598_1528111899_auswaertiges-amt-bericht-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-stand-mai-2018-31-05-2018.pdf, Zugriff 6.6.2018

AA - Auswärtiges Amt (9.2016): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1253781/4598_1478857553_3-deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebu ngsrelevante-lage-in-der-islamischen-republik-afghanistan-19-10-2016.pdf, Zugriff 3.4.2018

AIK - Ambasciata d'Italia Kabul (o.D.): La Cappella, https://ambkabul.esteri.it/ambasciata_kabul/it/ambasciata/la_sede/la-chiesa.html, Zugriff 10.4.2018

BBC (15.10.2014): Afghanistan first lady Rula Ghani moves into the limelight, http://www.bbc.com/news/world-asia-29601045, Zugriff 9.4.2018

CNN (24.4.2014): Afghanistan Violence, http://edition.cnn.com/2014/04/24/world/asia/afghanistan-violence/, Zugriff 9.4.2018

CRS - Congressional Research Service (13.12.2017): Afghanistan:

Post-Taliban Governance, Security, and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdfhttps://www.fas.org/sgp/crs/row/RL30588.pdf, Zugriff 12.2.2018

CURE - CURE International Hospital of Kabul, https://cure.org/afghanistan/, Zugriff 6.4.2018

FT - First Things (27.10.2017): The church in Afghanistan, https://www.firstthings.com/web-exclusives/2017/10/the-church-in-afghanistan, Zugriff 6.4.2018

NPR - National Public Radio (19.2.2015): For The First Time, An Afghan First Lady Steps Into The Spotlight, http://www.npr.org/sections/parallels/2015/02/19/386950128/for-the-first-time-an-afghan-first-lady-steps-into-the-spotlight, Zugriff 12.2.2018

NYP - The New York Post (24.4.2014):

http://nypost.com/2014/04/24/3-foreigners-killed-in-attack-at-afghan-hospital/, 12.2.2018

OD - Open Doors (2018): Weltverfolgungsindex, Afghanistan, https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex/laenderprofile/2018/afghanistan, Zugriff 6.4.2018

PBK - Pro Bamibini di Kabul (o.D.): Chi siamo, http://www.probambinidikabul.org/chi-siamo/, Zugriff 6.4.2018

USCIRF - U.S. Commission on the International Religious Freedom (2017): 2017 Annual Report: Afghanistan Chapter, http://www.uscirf.gov/sites/default/files/Afghanistan.2017.pdf, Zugriff 5.4.5018

USDOS - U.S. Department of State (15.8.2017): 2017 Report on International Religious Freedom - Afghanistan, https://www.state.gov/j/drl/rls/irf/2016/sca/268924.htm, Zugriff 3.4.2018

Vertrauliche Quelle - Vertreter der katholischen Mission in Afghanistan mit Sitz in Kabul (8.11.2017): Informationen zur katholischen Mission in Afghanistan. Antwortschreiben, liegt bei der Staatendokumentation auf"

"Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung zu Afghanistan zur Situation von 1) vom Islam abgefallenen Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen die Kritik am Islam äußern,

4) Personen, die sich nicht an die Regeln des Islam halten und 5) Rückkehrern aus Europa vom 01.06.2017, a-10159:

[...]

Vom Islam abgefallene Personen (Apostaten)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass Apostasie (Arabisch: ridda) in der klassischen Scharia als ‚Weggehen' vom Islam verstanden werde und ein Apostat (Arabisch: murtadd) ein Muslim sei, der den Islam verleugne. Apostasie müsse nicht unbedingt bedeuten, dass sich der Apostat einer neuen Glaubensrichtung anschließe:

[...]

Artikel 2 der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan vom Jänner 2004 legt die ‚heilige Religion des Islam' als Religion Afghanistans fest. Angehörige anderer Glaubensrichtungen steht es frei, innerhalb der Grenzen des Gesetzes ihren Glauben und ihre religiösen Rituale auszuüben. Gemäß Artikel 3 der Verfassung darf kein Gesetz in Widerspruch zu den Lehren und Vorschriften des Islam stehen. Laut Artikel 7 ist Afghanistan indes verpflichtet, die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen, zwischenstaatlicher Vereinbarungen, internationaler Vertragswerke, deren Vertragsstaat Afghanistan ist, sowie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzuhalten. Artikel 130 der Verfassung schreibt vor, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Fällen die Bestimmungen der Verfassung und anderer Gesetze zu berücksichtigen haben. Wenn es jedoch zu einem Fall keine Bestimmungen in der Verfassung oder anderen Gesetzen gibt, so haben die Gerichte entsprechend der (sunnitischen) hanafitischen Rechtssprechungstradition innerhalb der Grenzen der Verfassung auf eine Art und Weise zu entscheiden, welche am besten geeignet ist, Gerechtigkeit zu gewährleisten:

[...]

Bezugnehmend auf den soeben zitierten Artikel 130 der afghanischen Verfassung schreibt Landinfo im August 2014, dass dieser Artikel hinsichtlich Apostasie und Blasphemie relevant sei, da Apostasie und Blasphemie weder in der Verfassung noch in anderen Gesetzen behandelt würden. (Landinfo, 26. August 2014, S. 2). Im afghanischen Strafgesetzbuch existiere keine Definition von Apostasie (Landinfo, 4. September 2013, S. 10; USDOS, 10. August 2016, Section 2). Die US Commission on International Religious Freedom (USCIRF) schreibt, dass das Strafgesetzbuch den Gerichten ermögliche, Fälle, die weder im Strafgesetz noch in der Verfassung explizit erfasst seien, darunter Blasphemie, Apostasie und Konversion, gemäß dem Scharia-Recht der Hanafi-Rechtsschule und den sogenannten ‚hudud'-Gesetzen, die Vergehen gegen Gott umfassen würden, zu entscheiden (USCIRF, 26. April 2017). Die Scharia zähle Apostasie zu den sogenannten ‚hudud'-Vergehen (USDOS, 10. August 2016, Section 2) und sehe für Apostasie wie auch für Blasphemie die Todesstrafe vor (Landinfo, 26. August 2014, S. 2).

Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), eine staatliche Einrichtung der USA zur Beobachtung der Situation hinsichtlich der Meinungs- Gewissens- und Glaubensfreiheit im Ausland, schreibt in ihrem Jahresbericht vom April 2017, dass staatlich sanktionierte religiöse Führer sowie das Justizsystem dazu ermächtigt seien, islamische Prinzipien und das Scharia-Recht (gemäß Hanafi-Rechtslehre) auszulegen. Dies führe zuweilen zu willkürlichen und missbräuchlichen Auslegungen und zur Verhängung schwerer Strafen, darunter der Todesstrafe (USCIRF, 26. April 2017).

Die Internationale Humanistische und Ethische Union (International Humanist and Ethical Union, IHEU), ein Zusammenschluss von über 100 nichtreligiösen humanistischen und säkularen Organisationen in mehr als 40 Ländern, bemerkt in ihrem im November 2016 veröffentlichten ‚Freedom of Thought Report 2016', dass sich die Gerichte bei ihren Entscheidungen weiterhin auf Auslegungen des islamischen Rechts nach der Hanafi-Rechtslehre stützen würden. Das Office of Fatwa and Accounts innerhalb des Obersten Gerichtshofs Afghanistans würde die Hanafi-Rechtsprechung auslegen, wenn ein Richter Hilfe dabei benötige, zu verstehen, wie die Rechtsprechung umzusetzen sei:

[...]

Thomas Ruttig, Ko-Direktor des Afghanistan Analysts Network (AAN), einer unabhängigen, gemeinnützige Forschungsorganisation mit Hauptsitz in Kabul, die Analysen zu politischen Themen in Afghanistan und der umliegenden Region erstellt, bemerkte in einem Expertengespräch vom Mai 2016 (veröffentlicht im Juni 2016) Folgendes bezüglich der Rechtspraxis:

‚Zwar gibt es drei parallele Rechtssysteme (staatliches Recht, traditionelles Recht und islamisches Recht/Scharia), doch letztendlich ziehen sich viele Richter, wenn die Lage irgendwie politisch heikel wird, auf das zurück, was sie selber als Scharia ansehen, statt sich etwa auf die Verfassung zu berufen. Die Scharia ist nicht gänzlich kodifiziert, obwohl verschiedenste Rechtskommentare etc. existieren, und zudem gibt es zahlreiche Widersprüche in den Lehrmeinungen.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Michael Daxner, Sozialwissenschaftler, der das Teilprojekt C9 ‚Sicherheit und Entwicklung in Nordost-Afghanistan' des Sonderforschungsbereichs 700 der Freien Universität Berlin leitet, bemerkte beim selben Expertengespräch vom Mai bezüglich der Auslegung des islamischen Rechts und islamischer Prinzipien:

‚Sehr oft stammen die liberalsten Auslegungen von Personen, die etwa an einer Einrichtung wie der Al-Azhar in Kairo studiert haben und daher mit den Rechtskommentaren vertraut sind. Man kann sich indes kaum vorstellen, wie wenig theologisch und religionswissenschaftlich versiert die Geistlichen auf den unteren Ebenen sind. Wenn ein Rechtsgelehrter anwesend ist, der etwa von der Al-Azhar kommt, kann er die Sache auch ein Stück weit zugunsten des Beschuldigten drehen, denn je mehr glaubwürdige Kommentare dem Scharia-Text zugefügt werden, desto besser sieht es für die Betroffenen aus.' (ACCORD, Juni 2016, S. 10)

Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees, UNHCR) geht in seinen im April 2016 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender wie folgt auf die strafrechtlichen Konsequenzen von Apostasie bzw. Konversion vom Islam ein:

‚Eine Konversion vom Islam wird als Apostasie betrachtet und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tod bestraft. Zwar wird Apostasie im afghanischen Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich als Straftat definiert, fällt jedoch nach allgemeiner afghanischer Rechtsauffassung unter die nicht weiter definierten ‚ungeheuerlichen Straftaten', die laut Strafgesetzbuch nach der islamischen Hanafi-Rechtslehre bestraft werden und in den Zuständigkeitsbereich der Generalstaatsanwaltschaft fallen.

Damit wird Apostasie als Straftat behandelt, obwohl nach der afghanischen Verfassung keine Handlung als Straftat eingestuft werden darf, sofern sie nicht als solche gesetzlich definiert ist.'

(UNHCR, 19. April 2016, S. 61)

Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem im August 2016 veröffentlichten Länderbericht zur internationalen Religionsfreiheit (Berichtsjahr 2015), dass laut Hanafi-Rechtlehre Männer bei Apostasie mit Enthauptung und Frauen mit lebenslanger Haft zu bestrafen seien, sofern die Betroffenen keine Reue zeigen würden. Richter könnten zudem geringere Strafen verhängen, wenn Zweifel am Vorliegen von Apostasie bestünden. Laut der Auslegung des islamischen Rechts durch die Gerichte würde der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion Apostasie darstellen. In diesem Fall habe die betroffene Person drei Tage Zeit, um die Konversion zu widerrufen. Widerruft sie nicht, so habe sie die für Apostasie vorgesehene Strafe zu erhalten. Die genannten Entscheidungsempfehlungen würden in Bezug auf Personen gelten, die geistig gesund und vom Alter her ‚reif' seien. Dieses Alter werde im Zivilrecht mit 18 Jahren (bei Männern) bzw. 16 Jahren (bei Frauen) festgelegt. Gemäß islamischem Recht erreiche eine Person dieses Alter, sobald sie Anzeichen von Pubertät zeige:

[...]

Auch der Bericht von Landinfo vom September 2013 behandelt unter Berufung auf verschiedene Quellen die rechtlichen Folgen von Apostasie. Das Strafrecht sehe gemäß Scharia die Todesstrafe für erwachsene zurechnungsfähige Männer vor, die den Islam freiwillig verlassen hätten. Diese Rechtsauffassung gelte sowohl für die schiitisch-dschafaritische als auch für die (in Afghanistan dominierende) sunnitisch-hanafitische Rechtsschule. Nach einer Einschätzung in einer Entscheidung des britischen Asylum and Immigration Tribunal aus dem Jahr 2008 sei das Justizwesen in Afghanistan mehrheitlich mit islamischen Richtern besetzt, die den Doktrinen der hanafitischen bzw. dschafaritischen Rechtssprechung folgen würden, welche die Hinrichtung von muslimischen Konvertiten empfehlen würden. Die Strafen für Frauen im Falle von Apostasie seien indes weniger schwer: sie würden ‚gefangen gehalten'. Die sunnitisch-hanafitische Rechtslehre sehe dabei eine mildere Bestrafung vor als die schiitisch-dschafaritische. Während letztere vorsehe, dass (weibliche) Apostatinnen täglich jeweils zu den Gebetszeiten ausgepeitscht würden, sehe die hanafitische Lehre vor, dass sie jeden dritten Tag geschlagen würden, um sie zu zur Rückkehr zum Islam zu bewegen. Neben Frauen seien auch Kinder, androgyne Personen und nichtgebürtige Muslime im Fall von Apostasie von der Todesstrafe ausgenommen. Bezüglich der Anwendung der Scharia und der strafrechtlichen Konsequenzen für Apostasie liege kein Erfahrungsmaterial speziell zu Afghanistan vor. Zugleich sei Landinfo der Auffassung, es gebe Grund zur Annahme, dass etwaige gerichtliche Entscheidungen in diesem Bereich unterschiedlich ausgefallen seien, jedoch den soeben beschriebenen Richtlinien entsprechen würden, wobei die Variationen eventuell weniger ausgeprägt sein könnten. Dies gelte auch für die zivilrechtlichen Folgen von Apostasie. Wie Landinfo bemerkt, könne in Afghanistan gemäß Verfassung und religiösen Rechtsmeinungen die Todesstrafe verhängt werden, wenn ein Fall von Konversion vor Gericht komme. Dies gelte sowohl für das staatliche als auch für das traditionelle Rechtssystem:

[...]

Dem USDOS zufolge seien aus dem Berichtsjahr 2015 keine Fälle von tätlichen Übergriffen, Inhaftierungen, Festnahmen oder Strafverfolgung wegen Apostasie bekannt (USDOS, 10. August 2016, Section 2).

UNHCR schreibt in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender Folgendes über zivilrechtliche und gesellschaftliche Folgen einer (vermeintlichen) Apostasie bzw. Konversion:

‚Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren und weibliche Bürger über 16 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grund und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren.

Berichten zufolge herrscht in der öffentlichen Meinung eine feindliche Einstellung gegenüber missionarisch tätigen Personen und Einrichtungen. Rechtsanwälte, die Angeklagte vertreten, denen Apostasie zur Last gelegt wird, können Berichten zufolge selbst der Apostasie bezichtigt und mit dem Tod bedroht werden. [...]

Darüber hinaus besteht für Personen, denen Verstöße gegen die Scharia wie Apostasie, Blasphemie, einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen oder Ehebruch (zina) vorgeworfen werden, nicht nur die Gefahr der strafrechtlichen Verfolgung, sondern auch der gesellschaftlichen Ächtung und Gewalt durch Familienangehörige, andere Mitglieder ihrer Gemeinschaften, die Taliban und andere regierungsfeindliche Kräfte (AGEs).' (UNHCR, 19. April 2016, S. 61-62)

Landinfo schreibt in einem Bericht vom September 2013, dass die Situation von Apostaten, die hin zu einer anderen Religion konvertieren, eine andere sei als jene von Atheisten oder säkular eingestellten Personen. Mit dem Negieren bzw. Bezweifeln der Existenz Gottes würden keine Erwartungen an ein bestimmtes Verhalten im Alltag einhergehen. Eine Konversion zu einer Religion hingegen sei mit Verhaltensvorschriften, kirchlichen Traditionen und Ritualen zu verbinden, die schwieriger zu verbergen seien:

[...]

Die IHEU bemerkt in ihrem Bericht vom November 2016, dass nur sehr wenige Fälle von ‚Ungläubigen' bzw. Apostaten verzeichnet würden, was wahrscheinlich jedoch bedeute, dass viele Konvertiten und Andersgläubige zu viel Angst davor hätten, ihren Glauben öffentlich kundzutun. Der Übertritt vom Islam werde selbst von vielen Personen, die sich allgemein zu demokratischen Werten bekennen würden, als Tabu angesehen. (IHEU, 1. November 2016)

Laut einem Artikel von BBC News vom Jänner 2014 stelle Konversion bzw. Apostasie in Afghanistan nach islamischem Recht eine Straftat dar, die mit der Todesstrafe bedroht sei. In manchen Fällen würden die Leute jedoch die Sache selbst in die Hand nehmen und einen Apostaten zu Tode prügeln, ohne dass die Angelegenheit vor Gericht gelange:

[...]

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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