TE Vwgh Erkenntnis 1998/6/23 94/08/0151

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Veröffentlicht am 23.06.1998
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §228 Abs1 Z3;
ASVG §502 Abs6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten in 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 17/16, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 20. Mai 1994, Zl. MA 15-II-D 10/93, betreffend Begünstigung nach den §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: E D in P C, I, vertreten durch Dr. Karl Zerner, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Taborstraße 10/2), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf die Entscheidungsgründe des Erkenntnisses vom 22. Juni 1993, Zl. 90/08/0112, verwiesen. Mit dem genannten Erkenntnis wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 4. Mai 1990 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. In den Entscheidungsgründen vertrat der Verwaltungsgerichtshof im wesentlichen die Auffassung, daß aufgrund der vorliegenden Angaben des damaligen Inhabers eines Schönheitspflegeinstitutes ("Pessl-Schule für moderne Kosmetik") nicht ausreichend beurteilt werden könne, ob bei der Mitbeteiligten die Voraussetzungen eines angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses gegeben gewesen seien. Ferner sei § 502 Abs. 6 ASVG noch in der Fassung der 44. Novelle anzuwenden gewesen. Die gegenteilige Auffassung der belangten Behörde erweise sich daher als inhaltlich rechtswidrig. Bei Anwendung der genannten Bestimmung idF der 44. Novelle wäre von der belangten Behörde aber auch zu prüfen gewesen, ob die Mitbeteiligte vor ihrer Auswanderung aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, keine Beitrags- bzw. Ersatzzeiten zurückgelegt habe. Im Beschwerdeverfahren sei die belangte Behörde aufgrund ihrer verfehlten Auffassung, daß § 502 Abs. 6 ASVG idF der 48. Novelle anzuwenden wäre, auf diese Frage nicht näher eingegangen.

Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz)Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß §§ 413 und 414 iVm § 355 ASVG fest, daß für die Mitbeteiligte die Zeit vom 13. November 1938 bis 22. November 1941 aufgrund von § 502 Abs. 1 iVm § 502 Abs. 6 sowie die Zeit vom 23. November 1941 bis 31. März 1959 aufgrund von § 502 abs. 4 iVm § 502 Abs. 6 ASVG in der Pensionsversicherung der Angestellten beitragsfrei begünstigt anzurechnen sei.

Nach der Begründung habe die belangte Behörde die Mitbeteiligte im fortgesetzten Verfahren durch die österreichische Botschaft in Tel Aviv zum strittigen Beschäftigungsverhältnis befragen lassen. Aufgrund der Angaben der Mitbeteiligten sei folgender Sachverhalt als erwiesen angenommen worden: Die am 11. November 1922 geborene Mitbeteiligte habe in der Zeit vom 15. November 1936 bis 20. Jänner 1937 einen Schönheitspflegekurs der Helene Pessl besucht und in der Folge bis 13. Oktober 1938 dort als Volontärin gearbeitet. Sie habe für ihre Tätigkeit keinen Lohn, sondern nur Trinkgelder von den Kunden erhalten. Aufgrund der vom österreichischen Konsulat in Haifa ausgestellten Bescheinigung gemäß § 506 Abs. 3 ASVG sei ferner als erwiesen anzunehmen, daß die Mitbeteiligte aus religiösen Gründen bzw. aus Gründen der Abstammung in der Zeit vom 23. November 1939 bis nach dem gesetzlichen Stichtag am 31. März 1959 emigriert und in der Zeit vom 13. Oktober 1938 bis 22. November 1941 im In- und Ausland arbeitslos gewesen sei.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen die Auffassung, daß die Voraussetzungen eines angestelltenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses der Mitbeteiligten nicht vorlägen, da diese im genannten Schönheitspflegeinstitut lediglich als Praktikantin ohne Lohn, d.h. als Volontärin, gearbeitet habe und anderen Mitarbeitern des Betriebes nicht gleichgestellt gewesen sei. Die Mitbeteiligte habe auch aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, keine Beitrags- bzw. Ersatzzeiten zurückgelegt und damit die Voraussetzungen des § 502 Abs. 6 ASVG idF der 44. Novelle erfüllt. Sie habe nämlich in ihrer Eingabe vom 7. Februar 1994 erklärt, daß es aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktsituation der damaligen Zeit für sie nicht möglich gewesen sei, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen. Sie sei erst im November 1937 15 Jahre alt geworden und habe infolge ihrer Abstammung bis zum Anschluß im März 1938 nur vier Monate zur Verfügung gehabt, um überhaupt Versicherungszeiten erwerben zu können. Sie habe auch nicht freiwillig ohne Lohn gearbeitet, sondern nur deshalb, weil der Dienstgeber nicht bereit gewesen sei, Dienstnehmer mit Lohn anzustellen.

In der weiteren Folge ihrer Begründung vertrat die belangte Behörde ferner die Auffassung, daß das von der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. November 1988, Zl. 88/08/0253, einen anderen Sachverhalt betroffen habe: Die damalige, am 23. August 1922 geborene Begünstigungswerberin habe in der Zeit vor der verfolgungsbedingten Auswanderung freiwillig im Rahmen einer familienhaften Mithilfe im elterlichen Betrieb gearbeitet und niemals geltend gemacht, aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, am Erwerb von Beitrags- oder Ersatzzeiten gehindert gewesen zu sein. Die Mitbeteiligte habe jedoch angegeben, nach Absolvierung eines dreimonatigen Kurses im genannten Schönheitspflegeinstitut lediglich deshalb als Praktikantin ohne Lohn in das Institut eingetreten zu sein, weil sie aufgrund der in der damaligen Zeit bekanntermaßen schlechten Arbeitsmarktsiutation keine entgeltliche Beschäftigung habe finden können. Dies sei nach Auffassung der belangten Behörde zweifellos ein Grund, auf den man keinen Einfluß haben könne, weshalb die Voraussetzungen des § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung der 44. Novelle vorlägen. Dies auch deswegen, weil die Mitbeteiligte, wäre sie nur vier Monate später geboren worden, schon altersbedingt dem Personenkreis des § 502 Abs. 6 ASVG zuzurechnen wäre. Daß sie in der Zeit nach Vollendung des 15. Lebensjahres am 11. November 1937 bis 12. März 1938 keine versicherungspflichtige Tätigkeit habe finden können, könne ihr nicht zur Last gelegt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die Mitbeteiligte - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom 4. März 1933 bis 9. Mai 1945 aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.

Nach § 502 Abs. 1 erster Halbsatz ASVG idF der 44. Novelle, BGBl. Nr. 609/1987, gelten Zeiten einer aus den Gründen des § 500 veranlaßten Untersuchungshaft, Verbüßungen der Freiheitsstrafe, Anhaltung oder Arbeitslosigkeit, ferner Zeiten der Ausbürgerung (§ 501 Abs. 1) für Personen, die vorher in der Zeit seit dem 1. Juli 1927 Beitragszeiten gemäß § 226, Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz, BGBl. Nr. 290/1961, erworben haben, als Beitragszeiten mit der höchstzulässigen Beitragsgrundlage, und zwar in der Pensions(Renten)Versicherung, in der der Versicherte vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit oder Ausbürgerung zuletzt Beitrags- oder Ersatzzeiten nachweist.

Nach dem letzten Satz der genannten Bestimmung gelten Zeiten der Auswanderung gemäß Abs. 4 bis 31. März 1959 ab Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person als Ersatzzeiten, wenn ihnen eine Beitrags- oder Ersatzzeit vorangeht oder nachfolgt, und zwar in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt, bzw. beim Fehlen einer solchen in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die erste nachfolgende Beitrags- oder Ersatzzeit vorliegt.

Diese Bestimmung sowie jene des Abs. 4 gilt nach § 502 Abs. 6 ASVG idF der 44. Novelle auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am 12. März 1938 seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, zu diesem Zeitpunkt älter als 14 Jahre war.

In der Beschwerde wird - wie bereits im Verwaltungsverfahren - unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 10. November 1988, Zl. 88/08/0253, die Auffassung vertreten, die Anwendung des § 502 Abs. 6 ASVG komme auch im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Dem genannten Erkenntnis sei ein Sachverhalt zugrundegelegen, in dem eine Begünstigungswerberin eine Tätigkeit im Betrieb des Vaters geltend gemacht habe, die nicht zur Anerkennung einer Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG geführt habe, da sie ohne Entgelt vor dem vollendeten 17. Lebensjahr ausgeübt worden sei. Dieser Sachverhalt sei vom Landeshauptmann von Wien dahingehend gewertet worden, daß die Begünstigungswerberin nicht aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß gehabt habe, vor der Schädigung keine Versicherungszeiten erworben habe. Der Verwaltungsgerichtshof habe in dem genannten Erkenntnis diese Auffassung vollinhaltlich bestätigt und dazu ausgeführt, daß von den Behauptungen der Begünstigungswerberin auszugehen sei, im Betrieb der Eltern beschäftigt gewesen zu sein. Wenn aber die Voraussetzungen des § 502 Abs.1 oder 4 ASVG vorlägen, könne § 502 Abs. 6 ASVG nicht zum Tragen kommen. Der vorliegende Beschwerdefall betreffe keinen anderen Sachverhalt. In Wahrheit seien beide Fälle gleichgelagert und unterschieden sich lediglich darin, daß in dem einen Fall (Vorerkenntnis) eine Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 4 lit. a ASVG und im anderen Fall (Beschwerdefall) eine Ersatzzeit gemäß § 229 Abs. 1 Z. 2 lit. a ASVG geltend gemacht worden sei.

An diesem Vorbringen erweist sich lediglich als zutreffend, daß in beiden Fällen von den Begünstigungswerberinnen Ersatzzeiten gemäß § 229 Abs. 1 ASVG - im Fall des Vorerkenntnisses nach Z. 4 lit. a und im Beschwerdefall nach Z. 2 lit. a - geltend gemacht worden sind. Während jedoch im Fall des Vorerkenntnisses aufgrund der Behauptungen der Begünstigungswerberin davon auszugehen war, daß diese im Betrieb der Eltern beschäftigt gewesen ist, womit aber die Voraussetzungen des § 502 Abs. 1 bzw. 4 ASVG vorlägen, weshalb § 502 Abs. 6 ASVG nicht zum Tragen kommen konnte, hat die belangte Behörde im Beschwerdefall - von der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt unbestritten - festgestellt, daß die Mitbeteiligte nach dem Besuch eines Schönheitspflegekurses lediglich als Praktikantin ohne Lohn (Volontärin) in dem genannten Schönheitspflegeinstitut gearbeitet hat. Ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis wurde damit nicht begründet. Ein solches sollte auch nach dem Willen der Inhaber des Institutes nicht begründet werden. Da dies nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde nicht dem freien Willen der Mitbeteiligten entsprach, sondern diese die Tätigkeit nur ausübte, um sich überhaupt gewisse Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, kann im Beschwerdefall nicht davon die Rede sein, daß der vorliegende Sachverhalt dem des Vorerkenntnisses vom 10. November 1988 gleichgelagert ist. Aufgrund der Feststellungen der belangten Behörde ist daher davon auszugehen, daß die Mitbeteiligte aus Gründen, auf die sie keinen Einfluß hatte, nicht in der Lage war, vor dem 12. März 1938 Beitrags- oder Ersatzzeiten zu erwerben (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom 20. Dezember 1994, Zl. 94/08/0115). Für die Frage, ob die Mitbeteiligte in der damaligen Zeit am Erwerb von Versicherungszeiten gehindert war, kann es nicht darauf ankommen, nach welcher Gesetzesstelle diese heute (zunächst) eine Beschäftigung geltend macht. Die Nichtanerkennung einer geltend gemachten Ersatzzeit bedeutet jedenfalls nicht ipso iure die Nichtanerkennung im Sinne des § 502 Abs. 6 ASVG, worauf die Mitbeteiligte in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist.

Als unzutreffend erweist sich aber auch das Argument der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt, die belangte Behörde bleibe jede Begründung dafür schuldig, warum es der Mitbeteiligten nicht möglich gewesen sei, Ersatzzeiten gemäß § 228 ASVG zu erwerben. Es wäre der Mitbeteiligten doch möglich gewesen, statt der Privatschule bzw.der Volontärstätigkeit eine mittlere oder höhere öffentliche Schule oder eine mit Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule zu besuchen und hiedurch eine Ersatzzeit gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 (allenfalls in Verbindung mit § 502 Abs. 7) ASVG zu erwerben.

Dem steht schon entgegen, daß der Erwerb von Schulzeiten als Ersatzzeiten nur für volle Schuljahre möglich ist, die nach Vollendung des 15. Lebensjahres begonnen haben (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 21. April 1986, Zl. 86/18/0072, sowie das bereits genannte Erkenntnis vom 20. Dezember 1994). Die am 11. November 1922 geborene Mitbeteiligte hätte daher im Schuljahr 1937/38 gar keine Ersatzzeiten gemäß § 228 Abs. 1 Z. 3 ASVG erwerben können.

Aufgrund dieser Erwägungen erweist sich die vorliegende Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1994080151.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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