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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Böhm, über den Antrag der Mag. MS in G, vertreten durch Mag. Helmut Schmid, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 8, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 VwGG wegen Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur hg. Zl. 97/08/0658 protokollierten Beschwerde, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird keine Folge gegeben.
Begründung
Mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Jänner 1998 wurde der Antragstellerin zur Einbringung der Beschwerde die Verfahrenshilfe durch Beigebung eines Rechtsanwaltes bewilligt. Dem bestellten Verfahrenshelfer wurde die Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Jänner 1998 zugestellt, mit der der Antragstellerin die von ihr selbst verfaßte Beschwerde gemäß § 34 Abs. 2 VwGG zur Behebung näher umschriebener Mängel zurückgestellt wurde. Dieser Auftrag enthielt auch den Hinweis, daß die zurückgestellte Beschwerde (einschließlich der angeschlossen gewesenen, gesetzlich vorgeschriebenen Beilagen) auch dann wieder vorzulegen ist, wenn zur Ergänzung ein neuer Schriftsatz - in dreifacher Ausfertigung - eingebracht wird, und die Versäumung der Frist als Zurückziehung der Beschwerde gilt. Ebenso wurde die Antragstellerin aufgefordert, zwei weitere Ausfertigungen der von ihr selbst verfaßten Beschwerde vorzulegen.
Innerhalb der gesetzten Frist brachte die Antragstellerin, vertreten durch den bestellten Verfahrenshelfer, in dreifacher Ausfertigung einen als "Verbesserung" bezeichneten Schriftsatz ein, der den Vermerk enthielt "einfach 2 GS 5 Beilagen 2-fach". Die von der Antragstellerin selbst verfaßte Beschwerde wurde lediglich in zwei Ausfertigungen (nämlich die Urbeschwerde und eine Ausfertigung) vorgelegt.
Daraufhin wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 1998 das Beschwerdeverfahren eingestellt. Dieser Beschluß wurde dem Vertreter der Antragstellerin am 20. Mai 1998 zugestellt.
Mit dem am 27. Mai 1998 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Antrag begehrte die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der zur hg. Zl. 97/08/0658 protokollierten Beschwerde. Darin wird ausgeführt, der Vertreter der Antragstellerin habe nach Zustellung des Einstellungsbeschlusses feststellen müssen, daß sämtliche Beilagen, also auch die ursprüngliche Beschwerde der Antragstellerin, zweifach vorgelegt worden seien. Aufgrund des Diktatzeichens habe der Vertreter der Antragstellerin feststellen können, daß der Verbesserungsschriftsatz von dem bei ihm tätigen Rechtsanwaltsanwärter konzipiert worden sei. Dieser habe in seiner Tätigkeit bereits mehrere Beschwerden für den Vertreter der Antragstellerin vorbereitet und habe dabei niemals die Vorlagen aller notwendigen Unterlagen übersehen. Der Vertreter der Antragstellerin könne sich den einmaligen Lapsus seines Konzipienten nur dadurch erklären, daß dieser zum Zeitpunkt der Verfassung der Verbesserung seine am 1. April 1998 eingereichte Dissertation finalisiert und parallel dazu an einer wissenschaftlichen Publikation gearbeitet habe. Da sich der Vertreter der Antragstellerin voll und ganz auf seinen Mitarbeiter hinsichtlich der formal korrekten Ausarbeitung der Verbesserung verlassen habe können, könne ihm das Überlesen der entsprechenden Anzahl an Beilagen wohl im schlimmsten Fall nur als culpa levissima zum Vorwurf gemacht werden. Dazu komme noch, daß der Vertreter der Antragstellerin am Tag der Unterfertigung des Verbesserungsschriftsatzes durch eine schwere fiebrige Erkältung beeinträchtigt gewesen sei.
Diesem Antrag war eine eidesstättige Erklärung des beim Vertreter der Antragstellerin tätigen Rechtsanwaltsanwärters angeschlossen.
Bei einem gemäß § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Mängelbehebungsauftrag wird die Frist zur Verbesserung nicht nur dann versäumt, wenn diesem Auftrag innerhalb der Frist überhaupt nicht, sondern auch dann, wenn ihm nur unvollständig entsprochen wurde. Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung dieser Frist ist daher zulässig.
Nach § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Das Verschulden des Vertreters einer Partei ist einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Das gilt nicht nur für gesetzliche Vertreter und Bevollmächtigte der Partei, sondern auch für ihren Verfahrenshelfer (Beschluß eines verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, VwSlg. N.F. 9226/A).
Der in § 46 Abs. 1 VwGG gebrauchte Begriff des minderen Grades des Versehens wird als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber bzw. sein Vertreter darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei Anwendung des bei beruflichen rechtskundigen Parteienvertretern gebotenen strengeren Maßstabes hätte es die dem Rechtsanwalt obliegende Sorgfaltspflicht erfordert, sich bei der Unterfertigung des Schriftsatzes zur Mängelbehebung von der ordnungsgemäßen und richtigen Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages zu vergewissern (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 19. Mai 1994, Zl. 94/18/0226, vom 14. Jänner 1997, Zl. 96/08/0353, und vom 13. März 1997, Zl. 97/18/0107). Die Ausführungen des Vertreters der Antragstellerin, er habe sich auf die korrekte Ausarbeitung des bei ihm tätigen Rechtsanwaltsanwärters verlassen dürfen, genügen daher nicht. Bei Erfüllung der dem Rechtsanwalt obliegenden Pflicht hätte ihm auffallen müssen, daß die Übermittlung der von der Antragstellerin selbst verfaßten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof lediglich in zweifacher Ausfertigung vorbereitet wurde. Das Außerachtlassen der gegebenenfalls erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt ist als ein den Grad minderen Versehens überschreitendes Verschulden des Vertreters der Antragstellerin zu werten (vgl. auch hiezu die oben zitierten Beschlüsse).
Die Antragstellerin meint, ihrem Vertreter könne das "Überlesen der entsprechenden Anzahl an Beilagen" nur als culpa levissima zum Vorwurf gemacht werden, weil er am Tag der Unterfertigung des Verbesserungsschriftsatzes durch eine schwere fiebrige Erkältung beeinträchtigt gewesen sei.
Das Vorliegen von Wiedereinsetzungsgründen ist nur in jenem Rahmen zu untersuchen, der durch die Behauptungen des Wiedereinsetzungswerbers innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gesteckt ist (vgl. etwa den hg. Beschluß vom 29. Juni 1993, Zl. 93/08/0140). Nach den obigen Ausführungen oblag dem Vertreter der Antragstellerin die Pflicht, den Verbesserungsschriftsatz dahingehend zu kontrollieren, ob dem Mängelbehebungsauftrag richtig und vollständig entsprochen wurde. Der Vertreter der Antragstellerin konnte sich daher bei Unterfertigung des Verbesserungsschriftsatzes nicht darauf verlassen, daß die erforderliche Anzahl der Beilagen vom Rechtsanwaltsanwärter beigeschlossen wurde, sondern er hätte sich vielmehr persönlich von der Vollständigkeit der Beilagen überzeugen müssen. Daß er dies getan hätte, kann dem Wiedereinsetzungsschriftsatz nicht entnommen werden. Die Antragstellerin ist demnach der sie treffenden Behauptungs- und Bescheinigungspflicht im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG nicht nachgekommen.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1998080150.X00Im RIS seit
20.11.2000