Entscheidungsdatum
12.12.2019Norm
BFA-VG §22aSpruch
W137 2114983-1/23E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Peter HAMMER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch RAin Mag.a Nadja LORENZ, gegen die Festnahme des Beschwerdeführers am 15.08.2015 (03:40 Uhr) und Anhaltung bis 16.08.2015 (23:10 Uhr) zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 iVm 40 Abs. 2 BFA-VG (in der damals geltenden Fassung) stattgegeben und festgestellt, dass die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme rechtswidrig waren.
II. Es wird überdies festgestellt, dass durch die Umstände der Anhaltung der Beschwerdeführer nicht in seinen durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte verletzt worden ist.
III. Der Antrag auf Befreiung von der Eingabegebühr wird als unzulässig zurückgewiesen.
IV. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien. Er kam (gemeinsam mit seiner Familie) am 15.08.2015, kurz nach 01:00 Uhr, mit dem Zug in Wien an und wurde zunächst gemäß § 39 FPG festgenommen. Nach Abklärung, dass 22 Personen (darunter die Familie des Beschwerdeführers) Asylanträge stellen wollen, wurde die Festnahme des Beschwerdeführers gemäß "§ 40 Abs. 2 BFA-VG" verfügt und er wurde mit seiner Familie in eine Familienunterkunft überstellt.
2. Im Zuge eines von ihm gewünschten ärztlichen Untersuchungstermins seiner Tochter in den Morgenstunden des 16.08.2019 wurde eine genauere Untersuchung der Tochter von dieser, dem Beschwerdeführer und seiner Frau verweigert.
3. Kurze Zeit später - am Vormittag desselben Tages - öffnete sich bei der Tochter des Beschwerdeführers eine bereits seit einigen Tagen entzündete Pilonidalzyste (Sinus pilonidalis), wovon die Betreuung der Unterkunft umgehend informiert wurde. Die diesbezügliche Untersuchung fand erst am folgenden Tag (nach Beendigung der Anhaltung) statt.
4. Am 28.09.2015 brachte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertreterin eine Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung ein. Begründend wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die Festnahme in rechtswidriger Weise erfolgt und/oder die diesbezügliche Bestimmung unionsrechtswidrig sei. Überdies sei es durch die mangelnde Versorgung der Pilonidalzyste seiner Tochter zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK durch Unterlassung gekommen.
Beantragt werde a) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Festnahme; b) die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anhaltung;
c) die Feststellung der Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführer; d) die Durchführung einer mündlichen Verhandlung; e) die Befreiung des Beschwerdeführers von der Eingabegebühr; f) die Verpflichtung der Behörde zum Ersatz der Aufwendungen; g) den Ersatz der Dolmetscherkosten und eines allfälligen Aufwandsersatzes.
5. Am 12.11.2015 übermittelte die Landespolizeidirektion (LPD) Wien den Verwaltungsakt und führte aus, dass aufgrund der Festnahme und Anhaltung gemäß § 40 Abs. 2 und 4 BFA-VG diese ausschließlich dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt/BFA) zurechenbar seien.
6. Am 23.09.2016 wurde dem Beschwerdeführer in Deutschland subsidiärer Schutz zuerkannt. Dieser Status ist bis heute aufrecht.
7. Am 21.06.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers statt. Zuvor hatten sowohl die LPD Wien als auch das BFA (die beide als belangte Behörde geladen worden waren) schriftlich ihren Verzicht auf eine Teilnahme an der Verhandlung mitgeteilt und die jeweils andere Behörde gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht als zuständig namhaft gemacht.
Aufgrund der Aktenlage wird folgender Sachverhalt der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien. Er stellte in Österreich am 15.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Während des Verfahrens reiste er mit seiner Familie nach Deutschland weiter, wo er subsidiären Schutz erhielt und nach wie vor lebt.
Der Beschwerdeführer wurde am 15.08.2015, 03:40 Uhr, gemäß "§ 40 Abs. 2 FPG" festgenommen; die Anhaltung wurde am 16.08.2015, 23:10 Uhr, beendet. Die Anordnung der Festnahme erfolgte durch der LPD Wien zuzurechnende Personen aufgrund einer Anweisung seitens des Bundesamtes.
Die Tochter des Beschwerdeführers litt bereits einige Tage vor ihrer Einreise nach Österreich an einer entzündeten Pilonidalzyste. Der Beschwerdeführer hat diese - anders als seine Frau - allerdings nicht selbst in Augenschein genommen. Die Erkrankung der Tochter war bei Ankunft in der Familienunterkunft für den diensthabenden Arzt nicht ersichtlich; eine einschlägige Information seitens des Beschwerdeführers fand nicht statt. Weder die Tochter des Beschwerdeführers noch er selbst haben die Mitarbeiter der Unterkunft am 15.08.2019 auf die konkrete medizinische Problematik aufmerksam gemacht.
Bei dem vom Beschwerdeführer am 16.08.2019 (morgens) erwirkten Arzttermin der Tochter verweigerte diese gemeinsam mit dem anwesenden Beschwerdeführer eine Untersuchung durch den (männlichen) Arzt. Dieser wurde auch in keiner Form über die Zyste oder den Wunsch nach Untersuchung durch eine Person weiblichen Geschlechts in Kenntnis gesetzt, sondern lediglich über das Symptom "Schmerzen", weshalb er auch nur eine diesbezügliche Medikation anordnete.
Am 16.08.2019 (vormittags) öffnete sich die entzündete Fistel, was neben massiven Schmerzen auch mit dem Austritt größerer Mengen an Blut und Eiter verbunden war. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die - weit über bloße "Schmerzen" hinausgehende medizinische Problematik für jeden Laien klar ersichtlich. Seitens der diensthabenden Mitarbeiter der Unterkunft erfolgte jedoch keine Beiziehung eines Arztes (oder allenfalls eine andere adäquate Maßnahme), obwohl eine solche jedenfalls angezeigt gewesen wäre.
Spätestens um 12:00 Uhr dieses Tages hätte die Tochter des Beschwerdeführers bereits die erforderliche ärztliche Hilfe erhalten oder in ein Krankenhaus transferiert werden müssen. Dass dies nicht geschehen ist, beruht auf einer Unterlassung der gebotenen Maßnahmen seitens der Betreuung der Familienunterkunft.
Das Bundesamt und die LPD Wien haben ihr Recht und die Möglichkeit auf Akteneinsicht beim Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren - in dem sie als belangte Behörden geführt wurden - ebenso wenig wahrgenommen wie die Möglichkeit einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Beweiswürdigung:
1.1. Der Verfahrensgang und der Sachverhalt ergeben sich aus dem Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes der LPD Wien zu der Zahl 2949415 (ZAD-Nummer des Beschwerdeführers) sowie dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes. An der syrischen Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers bestanden nie Zweifel und ist diese auch unstrittig. Von der Vertreterin belegt wurde die Statuszuerkennung in Deutschland.
1.2. Der Zeitpunkt der Festnahme und deren Beendigung sowie deren Modalität ergeben sich aus der Aktenlage. Aus der Aktenlage ergibt sich unzweifelhaft (und im Übrigen unbestritten), dass die Festnahme auf Basis des § 40 Abs. 2 BFA-VG angeordnet worden ist. Dies bewirkt - unabhängig von der organisatorischen Zuordnung jener Person, die diese Festnahme vorgenommen hat, eine unmittelbare Involvierung des BFA.
1.3. Das Vorliegen einer entzündeten/geöffneten Pilonidalzyste bei der Tochter des Beschwerdeführers ergibt sich aus den im Akt einliegenden ärztlichen Unterlagen. Die Tochter des Beschwerdeführers hat diesbezüglich auch angegeben, dass ihre Probleme schon in Ungarn (vor der Einreise nach Österreich) bestanden und die Mutter die Zyste in Augenschein genommen habe.
1.4. Zur Verweigerung des Arztes durch die Tochter gab der Beschwerdeführer in der Verhandlung an, dass er diesem weder den Verweigerungsgrund noch das konkrete medizinische Problem (abseits des Symptoms "Schmerzen") dargelegt habe. Auch wenn ihm die Details des medizinischen Problems seiner Tochter nicht bekannt waren, wäre es ihm zumindest zumutbar gewesen, den Arzt über den Wunsch der Befassung einer weiblichen Ärztin in Kenntnis zu setzen.
1.5. Unstrittig ist, dass sich relativ kurze Zeit nach diesem Arztbesuch die Zyste öffnete; dass die Entlassung aus der Anhaltung erst Stunden später erfolgte; und dass die dringend erforderliche medizinische Versorgung der Tochter des Beschwerdeführers erst am folgenden Tag eingeleitet werden konnte. Der Beschwerdeführer und seine Tochter konnten in der Beschwerdeverhandlung glaubhaft darlegen, dass sie sich ab diesem Zeitpunkt - aufgrund des Blut- und Eiteraustritts intensiv um eine medizinische/ärztliche Versorgung bemühten, diese jedoch nicht stattfand. Aus diesen glaubhaften Schilderungen ergibt sich auch, dass die Problematik selbst für medizinische Laien problemlos erkennbar gewesen wäre.
Ausdrücklich ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass diese Darstellungen bereits Gegenstand des Beschwerdeschriftsatzes waren. Weder die LPD Wien noch das Bundesamt haben diese Darstellung je bestritten - beide Behörden haben sich lediglich dahin erklärt, dass sie hinsichtlich der Zuständigkeit auf die jeweils andere Institution verwiesen haben. Mit derselben Begründung haben beide Behörden auch nicht an der Beschwerdeverhandlung teilgenommen.
1.6. Ausgehend von der glaubhaften Öffnung der Zyste am früheren Vormittag (ungefähr zwischen 09:00 und 10:00 Uhr) steht fest, dass die erforderliche ärztliche Hilfe - allenfalls durch Transport in eine Spitalsambulanz - jedenfalls problemlos bis 12:00 Uhr hätte organisiert werden können und müssen. Dass dies nicht erfolgt ist, stellt vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen eine Unterlassung dar.
1.7. Dass weder die LPD Wien noch das Bundesamt ihr Recht auf Akteneinsicht in den Gerichtsakt genutzt haben ergibt sich ebenso aus dem gegenständlichen Gerichtsakt wie deren Verzicht auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung. Erneut haben beide Behörden in diesem Zusammenhang die jeweils andere für zuständig erkannt.
2. Rechtliche Beurteilung:
2.1. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."
2.2. Der mit "Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft" betitelte § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, lautet:
"§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."
Das Bundesverwaltungsgericht ist somit gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG für die Entscheidung der gegenständlichen Beschwerde zuständig.
Zu Spruchteil A)
2.3. Der mit "Festnahme" betitelte § 40 des BFA-VG in der zum Festznahmezeitpunkt geltenden Fassung lautet:
"§ 40. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen,
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1.-gegen den ein Festnahmeauftrag (§ 34) besteht,
2.-wenn dieser Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt oder
3.-der sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Asylwerber oder Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, zum Zwecke der Vorführung vor das Bundesamt festzunehmen, wenn
----------
1.-dieser Fremde nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist,
2.-gegen diesen eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 8. Hauptstück des FPG erlassen wurde,
3.-gegen diesen nach § 27 AsylG 2005 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde,
4.-gegen diesen vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme gemäß dem 8. Hauptstück des FPG erlassen wurde oder
5.-auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.
(3) In den Fällen der Abs. 1 und 2 kann die Festnahme unterbleiben, wenn gewährleistet ist, dass der Fremde das Bundesgebiet unverzüglich über eine Außengrenze verlässt.
(4) Das Bundesamt ist ohne unnötigen Aufschub über die erfolgte Festnahme zu verständigen. Die Anhaltung eines Fremden ist in den Fällen der Abs. 1 Z 2 und 3 und Abs. 2 bis zu 48 Stunden und in den Fällen des Abs. 1 Z 1 bis zu 72 Stunden zulässig; darüber hinaus ist Freiheitsentziehung nur gemäß § 77 Abs. 5 FPG oder in Schubhaft gemäß § 76 FPG möglich. Dem festgenommenen Fremden ist die Vornahme der Festnahme über sein Verlangen schriftlich zu bestätigen.
(5) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)
(6) Während der Zulässigkeit der Sicherung der Zurückweisung im Flughafenverfahren sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, zu verhindern, dass ein zurückgewiesener Asylwerber in das Bundesgebiet einreist, soweit es ihm nicht gestattet ist."
3. Zur Frage der belangten Behörde:
Gemäß § 6 und 40 BFA-VG schreiten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes (hier der LPD Wien) für das Bundesamt ein. Demgemäß ist auch das Bundesamt im gegenständlichen Verfahren die belangte Behörde - wenngleich "nach außen" eine Festnahme (und Anhaltung) durch der LPD Wien zuzurechnende Personen erfolgte. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht erkannt werden, dass in der Beschwerde die belangte Behörde falsch bezeichnet worden wäre.
4. Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Festnahme am 15.08.2015 und der weiteren Anhaltung bis 16.08.2015:
4.1. Der Beschwerdeführer wurde ausweislich der Asylmeldung/Großaufgriff vom 15.08.2015 von Angehörigen der LPD Wien am 15.08.2018, 03:40 Uhr, gemäß § 40 Abs. 2 BFA-VG festgenommen und bis 16.08.2015, 23:10 Uhr, angehalten.
4.2. Die bloße Nennung von § 40 Abs. 2 BFA-VG ohne Angabe eines konkreten Tatbestandes oder Beschreibung des Grundes für die Festnahme in einer der gerichtlichen Nachprüfung zugänglichen Weise reicht aber nicht aus, die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu begründen (vgl. VwGH 16.05.2012, 2010/21/0304).
4.3. Die auf eine untaugliche Grundlage gestützte Festnahme wird auch nicht dadurch zu einer rechtmäßigen Maßnahme, dass allenfalls eine andere (aber nicht herangezogene) Rechtsgrundlage zur Verfügung gestanden wäre (VwGH 20.10.2011, 2009/21/0248; 19.05.2011, 2009/21/0214, 0224).
Die Festnahme und Anhaltung im Rahmen der Festnahme (vgl. VwGH 25.10.2012, 2010/21/0047; 19.09.2012, 2012/01/0017) sind daher für rechtswidrig zu erklären, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
5. Zur Frage der Verletzung von durch Art. 3 EMRK geschützten Rechten:
5.1. Für das Bundesverwaltungsgericht bestehen keinerlei Zweifel daran, dass sich die Tochter des Beschwerdeführers in einem einer Verletzung von Art 3 EMRK gleichzusetzenden Zustand befunden hat (vgl. heutige Entscheidung über die Beschwerde der Tochter), jedoch trifft dies nicht auf den Beschwerdeführer zu, der selbst keine substanziellen gesundheitlichen Probleme zu gewärtigen hatte.
Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer ob des gesundheitlichen Zustandes seiner Tochter in zunehmender Sorge war, doch wurde er dadurch keiner (psychischen) Situation ausgesetzt, die einer unmenschlichen Behandlung gleichkommen würde. Ausdrücklich festzuhalten ist, dass auch der Beschwerdeführer selbst aufgrund eines von einem konservativ-patriarchalischen Weltbild gesteuerten Verhaltens substanziell dazu beigetragen hat, dass seine Tochter in eine derartige Situation geraten ist. Spätestens beim Arzttermin am 16.08.2019, hätte er Kraft seiner Erziehungsgewalt die Untersuchung seiner Tochter erwirken können (und müssen); zumindest aber dem Arzt mitteilen können, dass seine Tochter die Untersuchung durch eine weibliche Ärztin wünscht. Diesfalls hätte darauf reagiert werden können. Da beinahe die gesamte Kommunikation der Familie nach außen ausschließlich über den Vater verlief, wäre es ihm in dieser Konstellation auch zumutbar gewesen, die Gründe für die Verweigerung der Untersuchung zu kommunizieren und dadurch seiner Tochter zu helfen. Bei entsprechend anderem Verhalten des Beschwerdeführers hätte eine geeignete ärztliche Behandlung noch vor Öffnung der Zyste erreicht werden können.
Dem diensthabenden Arzt kann kein Vorwurf gemacht werden, dass er lediglich "Bauchkrämpfe" diagnostizierte, wenn ihm entsprechende Symptome genannt werden, gleichzeitig aber eine genauere Untersuchung der Tochter des Beschwerdeführers durch den Beschwerdeführer verwehrt wird. Im Verfahren ist auch kein Hinweis zu Tage getreten, aus dem sich ergeben würde, dass der Arzt aufgrund einer offenkundigen Notfallsituation auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten eine Untersuchung der Beschwerdeführerin (im Intimbereich) vornehmen hätte müssen.
5.2. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass es in Österreich keinen Rechtsanspruch gibt, ausschließlich von medizinischem Personal desselben Geschlechts behandelt zu werden. Auch nicht für Asylwerberinnen. Darüber hinaus wurde dem medizinischen Personal in der Unterkunft vor Öffnung der Zyste auch nie angezeigt, dass es sich bei den Problemen der Tochter des Beschwerdeführers nicht bloß um Bauschmerzen/-krämpfe handelt, sondern eine Untersuchung im Intimbereich erforderlich wäre. Zumindest dieser Hinweis wäre dem Beschwerdeführer jedenfalls zuzumuten und abzuverlangen gewesen.
6. Kostenersatz
6.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
6.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Im gegenständlichen Fall ist der Beschwerdeführer nicht vollständig obsiegende Partei im gegenständlichen Verfahren. Er hat daher keinen Anspruch auf Kostenersatz, da ein Kostenersatz bei "teilweisem Obsiegen" gesetzlich nicht vorgesehen ist.
6.3. Hinsichtlich der gesondert beantragten Eingabegebühr ist eine Befreiung oder ein Ersatz hingegen nicht vorgesehen.
6.4. Über den beantragten Kostenersatz der LPD Wien war hingegen nicht abzusprechen, weil sich diese ohnehin nicht als belangte Behörde erwiesen hat. Sie ist daher von der Anwendung des § 35 VwGVG gar nicht umfasst. Im Übrigen erscheint nur schwer nachvollziehbar, wieso eine Behörde Kostenersatz in einem Verfahren beantragt, in dem sie eine andere Behörde für zuständig erachtet.
7. Eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung erweist sich angesichts der vorhandenen Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers als nicht erforderlich.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Dies liegt im gegenständlichen Fall nicht vor.
Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Anhaltung, Eingabengebühr, Festnahme, Kostenersatz, medizinischeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W137.2114983.1.00Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020