Entscheidungsdatum
12.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G311 2194259-1/18E
Schriftliche Ausfertigung des am 01.08.2019 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.03.2018, Zahl: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.08.2019, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer stellte am 16.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.
Am 19.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers im Asylverfahren statt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, er sei Sunnit und sei wegen der schiitischen Milizen sein Leben in Gefahr. Auch seitens des irakischen Staates würde ihm die Hinrichtung drohen, da jetzt die Schiiten im Irak regieren würden. Seine Eltern hätten ein Bekleidungsgeschäft gehabt, welches er nach deren Tod weitergeführt habe. Er habe gut verdient, jedoch sei die Bevölkerung überwiegend schiitisch gewesen. Wegen des Bürgerkrieges sei er von schiitischen Milizen bedroht worden. Dazu habe er eine schriftliche Drohung in Form einer Liste mit Namensnennungen erhalten, auf welcher auch sein Name gestanden habe sowie, dass für Sunniten kein Platz sei und man ihn töten werde, wenn er nicht wegziehe. Für sein Geschäft habe er dann einen Verkäufer angestellt und sei selbst untergetaucht. Vier oder fünf Monate vor der Ausreise habe er sich an verschiedenen Orten versteckt. Zuletzt habe er das Geschäft sehr günstig verkauft und sei aus dem Irak ausgereist.
Die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fand am 17.11.2017 statt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer zusammengefasst an, dass er zwar Sunnit sei, sich aber nicht viel aus der Konfession gemacht habe. Er habe in seinem Bekleidungsgeschäft Jugendmode verkauft, wie etwa T-Shirts mit Prints oder zerrissene Jeans. Die Ware habe er meist in der Türkei verkauft und teilweise auch selbst aus der Türkei importiert. Stücke, die er aufgrund der konservativen Haltung der schiitischen Milizen nicht habe verkaufen dürfen (es habe aber kein gesetzliches Verbot gegeben), habe er versteckt und nur Kunden verkauft, die konkret danach gefragt hätten. Etwa drei Mal seien unterschiedliche junge Personen unter 30 Jahren und mit Bart in das Geschäft des Beschwerdeführers gekommen und hätten ihn jedes Mal gefragt, weshalb er Kleidung verkaufe, die ihn in Schwierigkeiten bringen könnte, und er dies unterlassen solle. Sie hätten auch nach seiner Konfession gefragt, woraufhin der Beschwerdeführer jedoch nicht geantwortet habe. Er habe nicht damit gerechnet, dass er deswegen tatsächlich gefährdet wäre. Nach einer gewissen Zeit, es sei vielleicht ein Dienstag gewesen, habe er nach einem normalen Arbeitstag von 08:00 Uhr bis 20:00 Uhr, als er um 20:30 Uhr nach Hause gekommen sei, ein Kuvert entdeckt, in welchem sich ein Foto seines Geschäftes mit einem "X"-Zeichen und ein Drohbrief der schiitischen Miliz Asa¿ib Ahl al-Haqq befunden habe. Den Brief habe er wegen der laufenden Kontrollen bei Checkpoints nur fotografiert und nicht im Original mitgenommen. Er habe dann seine Sachen gepackt und sei drei oder vier Tage bei einem Freund in der Nähe untergekommen. Dieser Freund habe ihn dann nach Najaf gebracht, von wo aus der Beschwerdeführer etwa sechs Tage nach der Bedrohung den Irak verlassen habe. Dies sei sein einziger Ausreisegrund; er habe seiner Arbeit nicht mehr nachgehen können. Er habe zu keiner Zeit Probleme mit Behörden, der Polizei oder Gerichten im Irak gehabt und sei auch nicht strafgerichtlich verurteilt oder verhaftet worden. Weder er noch seine Familienangehörigen seien im Irak religiös oder politisch tätig gewesen.
Im Rahmen dieser niederschriftlichen Einvernahme legte der Beschwerdeführer jeweils im Original seinen irakischen Personalausweis und Staatsbürgerschaftsnachweis, Fotos von dem Bekleidungsgeschäft im Irak, eine Kopie des Drohbriefes der Asa-ib Ahl al-Haqq, eine VHS-Kursantrittsbestätigung für Alphabetisierung/Basisbildung, eine Bestätigung der Pfarrgemeinde sowie Kopien der österreichischen Konventionspässe seines Bruders sowie dessen Sohnes (des Neffen des Beschwerdeführers) vor.
Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 29.11.2017, Zahl:
XXXX, wurde das Bundesamt von der Anklageerhebung gegen den Beschwerdeführer wegen versuchten Diebstahls und Verleumdung gemäß §§ 15, 127 und 297 Abs. 1 erster Fall StGB verständigt.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX2018, Zahl: XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB sowie des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), der Antrag bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.), dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Der Rückkehrentscheidung wurde gemäß § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Es wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise nicht besteht (Spruchpunkt VII.) und der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab 29.11.2017 verloren hat (Spruchpunkt VIII.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Identität des Beschwerdeführers feststehe, er irakischer Staatsangehöriger sei und der arabischen Volksgruppe sowie der islamischen Religionsgemeinschaft angehöre. Der Beschwerdeführer behaupte, Sunnit zu sein, jedoch gehe das Bundesamt aufgrund der unglaubwürdigen, widersprüchlichen und absurden Angaben sowie des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers im Asylverfahren davon aus, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Schiit sei, zumal in Al-Nasiriyah mehrheitlich Schiiten leben würden. Selbst wenn der Beschwerdeführer tatsächlich den Sunniten angehören würde, sei dazu festzuhalten, dass Sunniten etwa 30 % der Bevölkerung des Iraks ausmachen würden und eine systematische Sunnitenverfolgung nicht mehr bestehe. Auch wenn es nach wie vor zu Diskriminierungen durch die schiitische Mehrheit käme, bestehe keine Gruppenverfolgung von Sunniten im Irak. Durch die Behauptung, er gehöre den Sunniten an, habe sich der Beschwerdeführer einen Vorteil im Asylverfahren verschaffen wollen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt gewesen sei bzw. eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Er habe keinerlei asylrelevante Bedrohung glaubhaft machen können, da seine Angaben zum Fluchtgrund, unfundiert, unsubstanziiert, inhaltsleer und bloß allgemeiner Natur seien. Der vom Beschwerdeführer vorgelegte Drohbrief sei unglaubwürdig, da jeder mit einem Computer und Drucker in der Lage sei, sich derartiges zusammenzustellen. Außerdem habe er den Brief nicht im Original vorgelegt. Es bestünden auch Widersprüche in zeitlicher Hinsicht sowie bezogen auf die Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung. Es werde festgestellt, dass eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Irak für ihn keine Gefahr darstelle. Eine Rückkehr in die Stadt Al-Nasiriyah sei zumutbar und Rückreise dorthin auch faktisch möglich. Der Beschwerdeführer sei auch in der Lage, aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung seinen Lebensunterhalt im Irak zu sichern. Es könne daher insgesamt davon ausgegangen werden, dass er bei einer Rückkehr in den Irak nicht in eine Notlage gemäß den Art. 2 und 3 EMRK gelangen würde. Den eigenen Angaben des Beschwerdeführers nach habe er in Österreich keine Familienangehörigen im Sinne des Art. 8 EMRK. Es bestünden auch keine sonstigen Abhängigkeiten oder nennenswerte private Anknüpfungspunkte, zumal sich der Beschwerdeführer erst seit kurzem im Bundesgebiet aufhalte. Er führe keine Lebensgemeinschaft oder Familienleben, gehöre keinem Verein oder einer sonstigen Organisation an, spreche kein Deutsch und sei nicht erwerbstätig. Weiters sei gegen den Beschwerdeführer wegen strafbarer Vorsatzdelikte am 29.11.2017 Anklage erhoben worden, sodass er sein Aufenthaltsrecht gemäß § 13 AsylG ex lege verloren habe. Daraus ergebe sich auch, dass iSd § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen würden, dass der Beschwerdeführer eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle, sodass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen sei.
Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.
Mit dem am 30.04.2018 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom 24.04.2018 erhob der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde gegen den ihn betreffenden Bescheid des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, zu Lasten des Beschwerdeführers nicht geltend gemachte Beschwerdegründe von Amts wegen aufgreifen bzw. einen Verbesserungsauftrag erteilen, der Beschwerde stattgeben und dem Beschwerdeführer den Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen sowie den angefochtenen Bescheid bezüglich des Spruchpunktes IV. aufheben, feststellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; feststellen, dass eine Abschiebung in den Irak unzulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise ersatzlos beheben; in eventu den Bescheid zur Gänze beheben und an das Bundesamt zurückverweisen. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, der Beschwerdeführer sei Sunnit und habe in Al-Nasiriyah einen Einzelhandel für Kleidung betrieben, wo er auch dem "westlichen" Kleidungsstil zuordenbare Kleidung (wie etwa zerrissene Jeans, T-Shirts mit Print) verkauft habe. Deswegen seien zwei Mal unbekannte Personen, von denen der Beschwerdeführer vermute, dass sie der Asa¿ib Ahl al-Haqq angehören, in sein Geschäft gekommen und hätten ihn aufgefordert, den Verkauf dieser Kleidung einzustellen; ein drittes Mal sei einer dieser Männer in das Geschäft gekommen, jedoch ohne mit dem Beschwerdeführer zu sprechen. Kurz vor seiner Flucht habe der Beschwerdeführer vor seiner Haustür einen Drohbrief der Asa¿ib Ahl al-Haqq vorgefunden, in welchem im Wesentlichen ausgeführt worden sei, dass der Beschwerdeführer mit seiner Familie den Stadtteil "XXXX" verlassen solle, sonst würde ihn eine schwere Strafe erwarten. Das Bundesamt gehe aus nicht nachvollziehbarer Begründung davon aus, dass der Beschwerdeführer den Schiiten angehöre. Durch Einsicht in den Akt des in Österreich schutzberechtigten Bruders des Beschwerdeführers hätte das Bundesamt auch nachprüfen können, dass auch der Bruder den Sunniten angehöre. Auch die Begründung zur behaupteten Fälschung des Drohbriefes sei mangelhaft. Die im Bescheid herangezogenen Länderberichte zur schiitischen Miliz der Asa¿ib Ahl al-Haqq und relevanten Themenkomplexen seien unzureichend. So hätte die Lage von Personen mit "westlicher Orientierung", welche dem Beschwerdeführer wegen des Verkaufs zerrissener Jeans, die als provokative bzw. unislamische Kleidung angesehen werden würden, unterstellt werde, Berücksichtigung finden müssen. Als arabischem Sunniten stehe dem Beschwerdeführer realistisch nur eine innerstaatliche Fluchtalternative in sunnitisch dominierten Wohngegenden zur Verfügung. Hinsichtlich einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Bagdad hätte das Bundesamt die Möglichkeit zur Einreise und Niederlassung prüfen und aufgrund der Länderberichte verneinen müssen. Der Beschwerdeführer habe auch nur mehr eine Schwester im Irak. Sein Bruder sei seit 2009 in Österreich schutzberechtigt und andere Verwandte seien in andere Länder ausgewandert. Es bestehe kein familiäres Netzwerk im Irak. Der Beschwerdeführer und sein Bruder würden in Österreich engen Kontakt pflegen. Zur im Irak lebenden Schwester habe er jedoch nur sporadisch Kontakt. Die familiären Bindungen in Österreich seien daher stärker als jene im Irak. Der Beschwerdeführer habe auch mehrere Integrationsschritte gesetzt, die gänzlich unberücksichtigt geblieben wären.
Der Beschwerde war ein bereits aktenkundiges Integrationsschreiben der Pfarrgemeinde XXXX in XXXX vom November 2017 beigelegt.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 03.05.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.05.2018, G311 2194259-1/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung wieder zuerkannt.
Mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 05.07.2019 wurden der damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt zu Vorbereitung der mündlichen Verhandlung ein Konvolut von aktuellen und relevanten Länderberichten zum Irak zur Kenntnisnahme übermittelt und zugleich die Möglichkeit der Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung oder der mündlichen Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingeräumt.
Am 19.07.2019 langte die schriftliche Vollmachtsauflösung der bisherigen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Am 23.07.2019 langte die Vertretungsvollmacht der nunmehrigen Rechtsvertretung des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit Schriftsatz vom 24.07.2019, am selben Tag beim Bundesverwaltungsgericht einlangend, nahm der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige bevollmächtigte Rechtsvertretung zu den übermittelten Länderberichten Stellung und führte aus, dass die darin enthaltenen Informationen im Allgemeinen mit seinen persönlichen Wahrnehmungen übereinstimmen würden. Hingegen widerspreche er explizit den Länderfeststellungen zur Sicherheitslage im Südirak (Seiten 7 ff des Konvoluts), worin ausgeführt werde, dass die Sicherheitslage dort insgesamt stabil und südirakischen Provinzen nicht durch die Invasion des sogenannten Islamischen Staates betroffen seien. Den persönlichen Wahrnehmungen des Beschwerdeführers nach seien die südirakischen Provinzen jedoch bezüglich der Sicherheitslage prekär und untermauere seinen Standpunkt mit näher dargelegten Berichten zur Provinz "Diyala" [eine Provinz im Zentralirak nördlich von Bagdad, Anm.]. Weiters gehe aus den näher dargelegten Berichten hervor, dass die Rückkehrer von Personen, die den Sunniten angehören und aus ehemals vom IS besetzten Gebieten stammen würden, mit besonderen Behinderungen, Einschränkungen und einer sehr wahrscheinlichen Verfolgung von Behörden und Milizen wegen unterstellter IS-Unterstützung verbunden wären. Insbesondere Personen, die als unmoralisch angesehen würden (die etwa Alkohol verkaufen oder Künstler seien), würden einer Verfolgungsgefahr durch schiitische Milizen ausgesetzt sein.
Unter einem wurde ein Zertifikat der Volkshochschule vom 29.06.2018 über die Teilnahme des Beschwerdeführers an einem Basisbildungskurs (Lernkompetenz, Mathematik, Englisch, Mehrsprachigkeit) zwischen 25.09.2017 und 29.06.2018 vorgelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 01.08.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.
Auf Befragen durch die erkennende Richterin gab der Beschwerdeführer an:
"[...]
Der BF gibt über Befragen der VR an:
BF: Ich bin in Al-Nasiriyah geboren und aufgewachsen. Ich habe 6 Jahre die Grundschule und 3 Jahre die Hauptschule besucht. Ich habe dann angefangen zu arbeiten, weil meine Mutter gestorben ist und mein Vater schon länger verstorben war. Ich war mit meiner Schwester alleine. Da ich eine Zuneigung zu Textilien habe, hatte ich ein Textilgeschäft aufgemacht. Ich wurde immer wieder provoziert und hatte dadurch Probleme. Ich war damals jung und wollte mich nicht mit der Angelegenheit der Ethnien auseinandersetzen. Mich hat es nicht interessiert.
Als mein Vater gestorben ist, war ich glaube ich 7 Jahre alt und meine Mutter ist 2011 gestorben. Ich war zu diesem Zeitpunkt sehr alleine und fühlte mich einsam und im Stich gelassen. Ich habe dann beschlossen meine Heimatstadt zu verlassen. Mein Bruder hat mir empfohlen, nach Österreich zu gehen. Da kann man seine Rechte genießen. Er sagte, wenn ich erstmal lang genug hier bin, könne ich auch hier arbeiten.
Mein Vater ist XXXX geboren und war sehr alt. Ich habe gearbeitet. Mein Vater war schon tot, als ich aufgewachsen bin. Ich habe meine Mutter unterhalten. Meine Mutter hatte Erspartes, von dem wir leben konnten, bis ich arbeiten gegangen bin.
Meine Schwester ist XXXX geboren, ist verheiratet und lebt im Irak. Wir haben nicht viel Kontakt, deshalb weiß ich nicht genau, wo sie wohnt. Mein Bruder lebt in Österreich und ist schon seit fast 10 Jahren oder länger hier. Er ist XXXX geboren, ich bin mir aber nicht sicher, ich weiß es nicht genau.
Die VR hält dem BF AS 55 vor und verweist, dass diese Person XXXX geboren ist.
BF: Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Wir haben 1 bis 2mal pro Monat Kontakt. Er hat nicht viel Zeit für mich. Wir haben die gleiche Mutter. Unsere Mutter ist XXXX oder XXXX geboren.
Die VR hält dem BF AS 57 vor.
BF: Das ist mein Neffe, der Sohn meines in XXXX lebenden Bruders.
Mein Bekleidungsgeschäft war in der Stadt Al-Nasiriyah. Ich habe bei einem guten Freund angefangen in einem Geschäft zu arbeiten. Ich habe gute Kunden für ihn gemacht. Er schlug mir vor 1/4 vom Umsatz zu bekommen, mit der Bedingung, dass ich dortbleibe und arbeite. Ich habe dann so lange gearbeitet, bis ich es mir leisten konnte, das ganze Geschäft zu übernehmen. Die Mutter meines Freundes war krank und er musste sie behandeln lassen. Dafür brauchte er Geld und konnte das Geschäft nicht mehr führen und bat mich, das Geschäft zu übernehmen. Er kam dann wieder zurück und hat bei mir als Mitarbeiter gearbeitet. Die ersten 6 Monate konnte ich einen Betrag von 1000 Dollar sparen. Wir haben dann vereinbart, für jedes weitere Monat 300 weitere Dollar zu zahlen. Die Beträge haben sich auf 8000 Dollar summiert. Ich habe ca. ein Jahr lang bezahlt.
Auf Vorhalt, dass der Zahlungsplan nicht nachvollziehbar ist, gibt der BF an:
BF: Es war ein Minimum von 300 Dollar ausgemacht. Ich konnte auch manchmal mehr bezahlen und habe dann manchmal 500 Dollar gezahlt.
Auf Vorhalt der Angaben zum Geschäft des BF bei der Erstbefragung gibt der BF an:
BF: Das war ein Missverständnis. Das habe ich nie gesagt.
Ich bin sunnitischer Muslim. Al-Nasiriyah ist eine gemischte Region, es leben hier viele Völker. Der größte Anteil sind aber die Schiiten. Es gab damals keinen Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten. Ich war im Irak noch jung und es hat mich nicht interessiert.
In meinem Geschäft habe ich Kleidungsstücke verkauft, die der Gesellschaft bzw. der Religion nicht gepasst haben zB Jeans mit Löchern und anders geschnittene Kleidungsstücke. Ich wurde immer wieder angesprochen, wie ich dazu komme, solche Kleidungsstücke zu verkaufen. Eines Tages kam ein Kunde zu mir, der mich gefragt hat, warum ich das verkaufe. Das hat mich gestört. Ich habe nicht viel über die Hintergründe nachgedacht. Das hat im Jahr 2013 stattgefunden. Nachdem meine Schwester geheiratet und meine Mutter nicht mehr gelebt hat, war ich auf dem Heimweg vom Geschäft. Ich habe das Gartentor aufgemacht und habe eine Plastiktasche gefunden und wunderte mich, was das sein könnte und habe sie dann aufgemacht. Ich weiß, dass man diese Tasche mit Absicht dort hinterlassen hat, damit es nicht verdächtig aussieht, wenn ein Brief bei einem Haus hinterlassen wird. In der Tasche waren noch Tomaten. Ich habe gedacht, ein Freund hätte mir Gemüse gebracht. In der Tasche habe ich noch einen Brief gefunden. Es war ein Drohbrief. Das war zwischen 2014 und 2015. Ich glaube, sie haben versucht ethnische Säuberungen durchzuführen. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was darin stand. Ich habe es so verstanden, dass man mir mitteilen wollte, dass ich nicht hier bleiben soll. Sie sind zu allem fähig und finden heraus, wer zu welcher Ethnie gehört.
Der RV legt eine Kopie des Drohbriefes vor. Der D übersetzt den Drohbrief.
D: "Ihr Ungläubigen und Gotteslästerer, wir sind hinter euch. Ihr Sunniten in Al-Nasiriyah im Bezirk XXXX, wir kommen, die Armee von Al-Muchtar und wir sagen euch, dass eure Stunde schlägt. Verschwindet mit euren Familien aus diesem Bezirk. Ansonsten erwartet euch eine große Qual. Wir kennen euch alle zusammen. Ihr seid Feinde des heiligen Hauses. Die Folgenden Personen werden genannt: Der Gotteslästerer XXXX, XXXX, XXXX."
BF: Als ich den Brief bekommen habe, versuchte ich mir Gedanken zu machen, was ich machen kann und wohin ich gehen könnte. Ich war alleine und war verzweifelt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich nahm mit einem guten alten Freund Kontakt auf, der in einem anderen Bezirk wohnte. Er hat auch im selben Bezirk gewohnt, aber nicht in meiner Nähe. Ich habe gefragt, ob ich mich bei ihm verstecken kann. Ich war einige Monate bei ihm, wie lange genau kann ich nicht mehr sagen. Ich versuchte mich von dem Ort zu entfernen und eine Lösung zu finden. Mein Freund ist im Geschäft geblieben und ich habe ihn gebeten, das Geschäft zu verkaufen, damit ich zu Geld komme. Er hat das Geschäft auch verkauft, aber ich habe das Geld nicht bekommen. Ich habe ihm gesagt, er kann über das Geschäft verfügen, er soll mir einen Betrag borgen bis ich in Sicherheit bin. Ich hatte etwas Geld auf die Seite gespart. Er hat mir noch 300 oder 400 Dollar gegeben. Ich habe lange gewartet bis ich einen Weg gefunden habe, die Flucht zu ergreifen. Ich habe nicht gedacht, dass er auch Probleme bekommen könnte, weil ich bei ihm war.
Solche Art von Kleidung habe nur ich in meinem Geschäft verkauft. Nachdem ich weggegangen bin, hat mein Freund das Geschäft weitergeführt. Ich habe bereits Bilder vorgelegt, was sie mit ihm gemacht haben. Die Kleidungsstücke habe ich in Bagdad gekauft, ich habe auch Waren aus der Türkei importiert. Ich habe das bestellen können und die Bestellung ist über die Logistik direkt zum Geschäft geliefert worden. Ich habe mehr in Bagdad gekauft. Ich persönlich habe die Kleidung nicht geholt, sie wurden geliefert, wie alle anderen Geschäfte mit Kleidung beliefert worden sind. Ob die Lieferungen kontrolliert wurden, wenn sie über Firmen verschickt wurden, weiß ich nicht. Aber es waren 1000e Geschäfte die beliefert wurden. Ich glaube nicht, dass ein großer LKW immer von den Checkpoints kontrolliert werden. In den anderen Geschäften hat es andere Kleidungsstücke gegeben. Es gab schon andere Geschäfte, die seltene Kleidungsstücke verkauften, aber ich habe diesbezüglich die extremsten Kleidungsstücke verkauft. Ich habe die Kleidungsstücke in Bagdad selbst ausgewählt. In einem Markt für Großhandel bekommt man diese Kleidungsstücke. Ich habe die Sachen gewählt, gekauft und liefern lassen. Nach Bagdad kann jeder reisen. Ich bin mit dem Sammeltaxi nach Bagdad gefahren um die Kleidungsstücke auszuwählen. Die Fahrt hat 20.000 irakische Dinar gekostet, das sind ca. 18 € pro Person (Umrechnung ist Anmerkung des D).
Auf dem einen der heute vorgelegten Fotos sind mein Freund und ich zusehen. Ich bin der Rechtsstehende im Bild. Ich trage heute meine Naturhaarfarbe.
Auf Vorhalt der VR, dass der BF am Bild keine Locken hat und eine hellere Haarfarbe, gibt der BF an:
Ich habe damals meine Haare mit Spray besprüht. Das ist ein normaler Haarschnitt, den ich getragen habe. Allerdings tragen nicht alle so einen Haarschnitt. Ich habe diesen Haarschnitt von einem italienischen Fußballer abgeschaut. Er kommt ursprünglich aus Algerien. Er spielte bei AC Milan und ich war ein Fan von ihm.
Auf dem Foto mit der verletzten Person ist mein Freund zu sehen, er ist mit mir auf dem anderen Foto abgebildet.
Auf Vorhalt, dass es sich nicht um dieselbe Person handelt: Auf dem einem Foto ist er verletzt, deshalb ist das Gesicht anders.
Auf Vorhalt der Tätowierung: Das Foto auf dem wir beide zu sehen sind, ist schon alt. Das Foto mit dem Verletzten ist 6 Monate alt.
RV: Der BF hat mir vor der Verhandlung ein Video auf Facebook gezeigt, wo die verletzte Person zu sehen ist.
Der BF zeigt auf seinem Mobiltelefon eine verletzte, offenbar im Krankenhaus befindliche Person.
BF: Diese Person ist einen Tag nach der Aufnahme verstorben. Er hatte innere Blutungen. ER wollte einkaufen gehen. Sie haben ihn vom
5. Stock runtergeworfen.
Der BF zeigt auf dem Mobiltelefon noch weitere Fotos dieser Person.
Die VR hält fest, dass die auf dem Mobiltelefon gezeigten Fotos ident mit der verletzten Person sein können, nicht jedoch jene Person zeigt, die nach den Angaben des BF mit ihm auf einem Foto zu sehen ist.
BF: Ich bin in die Türkei ausgereist. Ich bin aus der Stadt Najaf nach Istanbul geflogen. Damals gab es Direktflüge nach Istanbul. Ich hatte viele Kunden, die bei mir gekauft haben.
Ich habe die Frage nach den Sprachkenntnissen verstanden, kann aber nicht so gut antworten. Ich habe das Sprachzertifikat über die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme.
VR hält fest, dass demnach der BF zwischen September 2017 und Juni 2018 folgende Schwerpunkte im Kurs besucht hat: Lernkompetenz, Mathematik, Englisch und Mehrsprachigkeit.
BF: Der Alphabetisierungskurs bezieht sich auf die deutsche Sprache und die lateinischen Buchstaben.
Als ich Deutschkurs hatte, habe ich diesen besucht. Ich habe zuhause gekocht und mich mit Freunden getroffen. Derzeit habe ich keinen Deutschkurs. Ich habe ein Monat lang in einem Kindergarten geholfen. Dort waren auch arabischsprechende Kinder. Ich habe die Mauer gestrichen. Derzeit wohne ich in XXXX in XXXX. In der XXXX. Dort lebe ich. Ich habe diesbezüglich eine Bestätigung vorgelegt.
Auf Vorhalt der Fotos auf AS 63-67: Das bin auch ich. Auch auf der AS 51 bin ich zu sehen. Das Foto stammt aus dem Jahr 2015. Ich bin seit 1 Jahr und 6 Monaten mit einer Frau in Österreich zusammen. Sie lebt seit langem in Österreich. Ihr Vater ist Mexikaner und ihre Mutter eine Tschechin. Im Irak habe ich nur geschuftet und gearbeitet. Ich hatte keine Zeit für eine Freundin. Ich musste immer hart arbeiten. Ich hatte nur den einen Freund und keine anderen Freunde. Ich habe außerdem zu Mittag immer ein Schläfchen gemacht und hatte keine Zeit Freundschaften zu pflegen. Ich hatte viele Stammkundschaften. Ich hatte einen Umsatz von durchschnittlich 400 US Dollar pro Woche. Es war jedoch nicht immer gleich.
Auf Vorhalt der VR, dass der BF vom Tod seines Freundes am Ende der Einvernahme gesprochen hat, gibt dieser an: Mein Freund ist vor 6 Monaten gestorben. Das ist lange her. Bei der getöteten Person handelt es sich nicht um den Freund, bei dem ich gewohnt habe und mir Geld geliehen hat. Der getötete Freund hat mit mir das Geschäft gehabt. Der andere war sehr weit weg von mir. Wir haben uns sehr lange gekannt und bis zur Flucht habe ich eher wenig Kontakt mit ihm gehabt.
Auf Vorhalt des im Akt einliegende Strafurteil gibt der BF an: Ich war nur Zeuge. Ich weiß nicht, warum ich eine Strafe bekommen haben soll. Ich wurde von einem Freund gebeten, eine Zeugenaussage zu machen. Als die Polizei damals eingetroffen ist, habe ich gesagt, dass ich nur Begleitperson war, aber sie haben mich anscheinend als Beschuldigten einvernommen. Ich kenne die beiden Mitangeklagten und war mit ihnen am 21.04.2017 im XXXX unterwegs.
Über weiteres Befragen gibt er an:
Ich habe kein Haus und keine Wohnung im Irak, in die ich zurückkehren könnte. Mein Freund wurde vor 6 Monaten getötet. Mein Bruder unterstützt mich ab und zu. Er arbeitet mit seinen Söhnen und hat nicht viel Zeit für mich. Ich glaube, er arbeitet bei der Post. Er ist krank und hat Rückenschmerzen.
Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat:
Die VR verweist auf die übermittelten Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat.
Die VR erklärt die Bedeutung und das Zustandekommen dieser Berichte.
Im Anschluss daran legt die VR die für die Entscheidung wesentlichen Inhalte dieser Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat dar.
Die VR hält fest, dass der BF mit Schriftsatz vom 24.07.2019 bereits eine schriftliche Stellungahme abgegeben hat.
Der RV bringt noch folgendes vor:
RV: Wie in der heutigen Verhandlung betont, wohnt der BF seit einem Jahr bei seiner Freundin XXXX im gemeinsamen Haushalt und haben sie vor zu heiraten. Insgesamt hat sich der BF im sozialen Umfeld in seine Umgebung eingelebt und ist integrationswillig. Da der bekämpfte Bescheid, das in Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben verletzt, wird daher ersucht, das Privat- und Familienleben des BF gem. Art 8 EMRK bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
[...]"
Im Anschluss wurde das gegenständliche Erkenntnis gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet. Daraufhin wurde vom Beschwerdeführer die Vollausfertigung der Entscheidung beantragt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch (vgl etwa Erstbefragung vom 19.09.2015, AS 7 ff; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 30 ff; Kopie irakischer Personalausweis, AS 51 ff;
Kopie irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis, AS 69;
Verhandlungsprotokoll vom 01.08.2019, S 4 ff).
Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er ist in Al-Nasiriyah, Gouvernement Dhi Qar, geboren und aufgewachsen. Nach einem sechsjährigen Besuch der Grundschule sowie weiteren drei Jahren in einer Hauptschule hat der Beschwerdeführer zu arbeiten begonnen. Er war in einem Bekleidungsgeschäft in Al-Nasiriyah tätig. Dass der Beschwerdeführer auch selbst Eigentümer des Geschäftes gewesen ist, wird hingegen nicht festgestellt (vgl etwa Erstbefragung vom 19.09.2015, AS 7 ff; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 28 ff; Verhandlungsprotokoll vom 01.08.2019, S 3 ff; vorgelegte Fotos vom Bekleidungsgeschäft, AS 63 ff und in der Verhandlung vorgelegte Fotos).
Der Vater des Beschwerdeführers verstarb bereits, als er etwa sieben Jahre alt war. Die Mutter des Beschwerdeführers verstarb ungefähr im Jahr 2011. Der Beschwerdeführer hat im Irak noch eine verheiratete Schwester, zu der er sporadisch Kontakt hat. Der Bruder des Beschwerdeführers ist seit mehreren Jahren in Österreich international schutzberechtigt und verfügt über einen Konventionsreisepass. Zum Bruder in Österreich hat der Beschwerdeführer etwa einmal oder zwei Mal im Monat Kontakt. Ein Abhängigkeitsverhältnis zum in Österreich lebenden Bruder oder dessen Familie liegt nicht vor. Seit etwa eineinhalb Jahren hat der Beschwerdeführer eine in Österreich lebende Lebensgefährtin. Dass der Beschwerdeführer mit ihr im gemeinsamen Haushalt lebt oder sie heiraten möchte, konnte hingegen nicht festgestellt werden. Im Irak lebte der Beschwerdeführer im ehemaligen Haus des bereits verstorbenen Großvaters, dass aus zwei voneinander getrennten Wohnungen bestand, in einer der Wohnungen. In der zweiten Wohnung lebte seine Schwester mit ihrem Ehegatten (vgl etwa Erstbefragung vom 19.09.2015, AS 7 ff; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 28 ff; Verhandlungsprotokoll vom 01.08.2019, S 3 ff).
Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig. Es wird festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre (vgl etwa Erstbefragung vom 19.09.2015, AS 7 ff; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 28 ff).
Der Beschwerdeführer reiste Mitte August 2015 mit dem PKW von Al-Nasiriyah nach Al-Najaf und verließ seinen Herkunftsstaat Irak am 15.08.2015 legal über den Flughafen Al-Najaf und reiste mit dem Flugzeug nach Istanbul/Türkei. Nach etwa fünftägigem Aufenthalt in Istanbul reiste er mit einem Reisebus nach Izmir/Türkei und weiter schlepperunterstützt mit einem Schlauchboot nach Griechenland und von dort weiter über Nordmazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich, wo er am 16.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte (vgl etwa Erstbefragung vom 19.09.2015, S 3 ff; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 32).
Gegen den Beschwerdeführer wurde am 29.11.2017 wegen versuchtem Diebstahl gemäß §§ 15, 127 StGB sowie (vorsätzlicher) Verleumdung gemäß § 297 Abs. 1 erster Fall StGB Anklage erhoben (vgl Schreiben der Staatsanwaltschaft XXXX vom 29.11.2017, AS 71).
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom XXXX2018, Zahl: XXXX, wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15, 127 StGB sowie des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei Mittätern am XXXX04.2017 versuchte, Schmuck im Gesamtwert von EUR 77,65 in einem Geschäft in einem Einkaufszentrum zu stehlen und dabei vom Ladendetektiv betreten wurde. Weiters hat er, sowie auch seine beiden Mittäter im Zuge der jeweiligen Vernehmungen vor der Polizei, den Ladendetektiv bezichtigt, er habe sie fälschlich angezeigt und ihn somit einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB, falsch verdächtigt (vgl aktenkundiges Strafurteil vom XXXX2018; darüber hinaus ist das Faktum der Verurteilung des Beschwerdeführers nicht strittig).
Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet seit 12.10.2015 bis zum Entscheidungszeitpunkt Hauptwohnsitzmeldungen auf (vgl Auszug aus dem Zentralen Melderegister vom 01.08.2019).
Der Beschwerdeführer übte bisher im Bundesgebiet keine legale Beschäftigung aus und lebt von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer engagiert sich nicht in einem Verein oder einer Organisation und übt keine ehrenamtlichen Tätigkeiten aus. Er hat zwischen 25.09.2017 und 29.06.2018 an einem Alphabetisierungs-/Basisbildungskurs Deutsch "A2" teilgenommen. Kursinhalte waren weiters Lernkompetenz, Englisch, Mathematik und Mehrsprachigkeit (vgl vorgelegtes Zertifikat vom 29.06.2018). Es wird festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nicht über maßgebliche Deutschkenntnisse verfügt. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich inzwischen über einige Bekanntschaften und hat eine Freundin (vgl Einsicht in die Grundversorgungsdaten des Beschwerdeführers; Sozialversicherungsdatenauszug vom 01.08.2019; Niederschrift Bundesamt vom 17.11.2017, AS 39 ff; aktenkundige Kopie des Zertifikates vom 29.06.2018; Verhandlungsprotokoll vom 01.08.2019, S 7 ff).
Insgesamt wurden keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt.
Ein konkreter Anlass oder Vorfall für das (fluchtartige) Verlassen des Herkunftsstaates wird nicht festgestellt. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt ist oder, dass Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstehen würden.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung mit Schreiben vom 05.07.2019 in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand Juli 2019) auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.
"1. Allgemeine Sicherheitslage:
1.1. Allgemeine Sicherheitslage und Islamischer Staat (IS):
Die allgemeine Sicherheitslage im Irak war seit Oktober 2016 von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, im Genaueren nichtstaatlichen bewaffneten Milizen, den sogenannten Peshmerga der kurdischen Regionalregierung sowie ausländischen Militärkräften, auf der einen Seite und den bewaffneten Milizen der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) auf der anderen Seite um die Kontrolle der - im Zentrum des seit Sommer 2014 bestehenden Machtbereichs des IS gelegenen - Hauptstadt Mossul der Provinz Ninava gekennzeichnet. Diesen Kämpfen ging die sukzessive Zurückdrängung des IS aus den zuvor ebenfalls von ihm kontrollierten Gebieten innerhalb der Provinzen Anbar, Diyala und Salah al-Din im Zentral- und Südirak voraus. Die kriegerischen Ereignisse im Irak seit 2014 brachten umfangreiche Flüchtlingsbewegungen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile sowie umgekehrt Rückkehrbewegungen in befreite Landesteile mit sich. Zahlreiche nationale und internationale Hilfsorganisationen unter der Ägide des UNHCR versorgen diese Binnenvertriebenen in Lagern und Durchgangszentren, mit Schwerpunkten in den drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, in sowie um Bagdad sowie im Umkreis von Kirkuk, im Hinblick auf ihre elementaren Lebensbedürfnisse sowie deren Dokumentation und Relokation, ein geringer Anteil der Vertriebenen sorgt für sich selbst in gemieteten Unterkünften und bei Verwandten und Bekannten. Vor dem Hintergrund einer längerfristigen Tendenz unter den Binnenvertriebenen zur Rückkehr in ihre Herkunftsgebiete waren mit 31.03.2018 noch ca. 2,2 Mio. (seit 2014) Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, diesen standen wiederum ca. 3,6 Mio. Zurückgekehrte gegenüber. Ca. 90% der bis Ende März 2018 in ihre Herkunftsregion zurückgekehrten ca. 124.000 Binnenvertriebenen stammten aus den Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninava und Salah al-Din, 107.000 kehrten alleine in die Provinz Ninava, ca. 77.000 in den Bezirk Mossul zurück.
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), sowie mit Unterstützung alliierter ausländischer Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines "Kalifats" in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze westlich von Mossul. Ab November 2016 wurden sukzessive die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tel Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk. Mit Beginn des Dezember 2017 musste der IS seine letzten territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks aufgeben, am 01.12.2017 erklärte Premier Abadi den gesamtem Irak für vom IS befreit.
Ab dem 03.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 60.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 05.11.2017; BI 13.11.2017). Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer. Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium (Harrer 24.11.2017).
Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 09.-11.2017).
Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor, hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).
Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018).
Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018).
Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018).
Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv, die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).
Der Islamische Staat (IS) ist im Irak weitestgehend auf Zellen von Aufständischen reduziert worden, die meist aus jenen Gebieten heraus operieren, die früher unter IS-Kontrolle standen, d.h., aus den Gouvernements Anbar, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salahaddin. Laut dem Institute for the Study of War (ISW) werden nur die Distrikte Shirqat und Tuz in Salahaddin, Makhmour in Erbil, Hawija und Daquq in Kirkuk, sowie Kifri und Khanaqin in Diyala als umkämpft angesehen (EASO 3.2019). Das ganze Jahr 2018 über führten IS-Kämpfer Streifzüge nach Anbar, Bagdad und Salahaddin durch, zogen sich dann aber im Winter aus diesen Gouvernements zurück. Die Anzahl der verzeichneten Übergriffe und zivilen Todesopfern sank daher im Vergleich zu den Vormonaten deutlich ab (Joel Wing 2.1.2019).
1.2. Allgemeine Sicherheitslage in Kurdistan:
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Am 25.09.2017 hielt die kurdische Regionalregierung ein Referendum für eine mögliche Unabhängigkeitserklärung der Autonomieregion mitzustimmendem Ausgang ab. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk.
Das Verhältnis der Zentralregierung zur kurdischen Autonomieregion, die einen semi-autonomen Status innehat, hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der Autonomieregion und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil umstrittener Gebiete am 25. September 2017 deutlich verschlechtert (AA 12.2.2018). Die Kurden konnten das von ihnen kontrollierte Territorium im Irak in Folge der Siege gegen den IS zunächst ausdehnen. Mit dem Referendum am 25.9.2017 versuchte die kurdische Regional-Regierung unter Präsident Masud Barzani, ihren Anspruch auch auf die von ihr kontrollierten Gebiete außerhalb der drei kurdischen Provinzen zu bekräftigen und ihre Verhandlungsposition gegenüber der Zentralregierung in Bagdad zu stärken (BPB 24.1.2018).
Bagdad reagierte mit der militärischen Einnahme eines Großteils der umstrittenen Gebiete, die während des Kampfes gegen den IS von kurdischen Peshmerga übernommen worden waren, angefangen mit der ölreichen Region um Kirkuk (AA 12.2.2018). Die schnelle militärische Rückeroberung der umstrittenen Gebiete durch die irakische Armee, einschließlich der Erdöl- und Erdgasfördergebiete um Kirkuk, mit massiver iranischer Unterstützung, bedeutete für die kurdischen Ambitionen einen Dämpfer. Präsident Barzani erklärte als Reaktion darauf am 29.10.2017 seinen Rücktritt. Der kampflose Rückzug der kurdischen Peshmerga scheint auch auf zunehmende Differenzen zwischen den kurdischen Parteien hinzudeuten (BPB 24.1.2018).
Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der kurdischen Autonomieregion (AA 12.2.2018).
Im Dezember 2017 forderte die gewaltsame Auflösung von Demonstrationen gegen die Regionalregierung in Sulaymaniya mehrere Todesopfer. Daraufhin hat sich die Oppositionspartei Gorran aus dem kurdischen Parlament zurückgezogen (BPB 24.1.2018). In der Autonomieregion gehen die Proteste schon auf die Zeit gleich nach 2003 zurück und haben seitdem mehrere Phasen durchlaufen. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind jedoch gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018).
Am 30.9.2018 fanden in der kurdischen Autonomieregion Wahlen zum Regionalparlament statt (Tagesschau 30.9.2018). Mit einer Verzögerung von drei Wochen konnte die regionale Wahlkommission am 20.10.2018 die Endergebnisse veröffentlichen. Zahlreiche Parteien hatten gegen die vorläufigen Ergebnisse Widerspruch eingelegt. Gemäß der offiziellen Endergebnisse gewann die KDP mit 686.070 Stimmen (45 Sitze), vor der PUK mit 319.912 Stimmen (21 Sitze) und Gorran mit
186.903 Stimmen (12 Sitze) (ANF 21.10.2018; vgl. Al Jazeera 21.10.2018, RFE/RL 21.10.2018). Die Oppositionsparteien lehnen die Abstimmungsergebnisse ab und sagen, dass Beschwerden über den Wahlbetrug nicht gelöst wurden (Al Jazeera 21.10.2018).
In Nordkurdistan setzte die Türkei ihre Angriffe auf PKK-Stellungen fort. Zwei Treffer durch Luftschläge in Ninewa zogen letztlich einen Protest der irakischen Regierung nach sich. Die Türkei gab jedoch bekannt, ihre Aktionen fortführen zu wollen (Joel Wing 2.1.2019). Als Folge eines Luftangriffs, bei dem mutmaßlich einige Zivilisten ums Leben kamen, stürmte eine aufgebrachte Menge einen Posten der türkischen Armee nahe Dohuk, wobei eine Person ums Leben kam und zehn verletzt wurden (BBC 26.1.2019). Im Dezember 2018 wurden zwölf Luftschläge mit 31 Toten registriert (Joel Wing 2.1.2019), im Jänner 2019 elf mit 35 Toten (Joel Wing 4.2.2019) und im März zwei Vorfälle mit 32 Toten und 10 Verletzten (Joel Wing 3.4.2019). Zusammenstöße zwischen türkischen Soldaten und kurdischen Kämpfern hatten Todesopfer auf beiden Seiten zur Folge (Joel Wing 26.3.2019). Am 30.3.2019 bombardierte die türkische Luftwaffe erneut PKK-Stellungen im Qandil Gebirge (BAMF 1.4.2019).
Der IS rekrutiert in der kurdischen Autonomieregion (ISW 7.3.2019).
Eine Einreise in die Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist aktuell aus Österreich auf dem Luftweg ausgehend vom Flughafen Wien via Amman und via Dubai nach Erbil und auf indirektem Weg via Bagdad möglich.
1.3. Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen:
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte vorerst eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte. Aktuell sind im Gefolge der Vertreibung des IS aus seinem früheren Herrschaftsgebiet im Irak keine maßgeblichen sicherheitsrelevanten Ereignisse bzw. Entwicklungen für die Region bekannt.
Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich der Provinz Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen und bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge (Landinfo 31.5.2018).
In der Provinz Basra kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bewaffneter Gruppierungen. In Basra und den angrenzenden Provinzen besteht ebenfalls das Risiko von Entführungen (AA 1.11.2018).
Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei g