TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/18 G303 2214167-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.12.2019
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Entscheidungsdatum

18.12.2019

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G303 2214167-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, vom 20.08.2018, OB: XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

II. Der Grad der Behinderung beträgt 50 (fünfzig) v.H. (von Hundert). Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 26.02.2018 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Kärnten, (im Folgenden: belangte Behörde) einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Der Antrag auf Ausstellung eines Parkausweises gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass. Dem Antrag waren medizinische Beweismittel, ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 07.11.2017, welches seitens des Bundesverwaltungsgerichtes in einem Vorverfahren eingeholt wurde, sowie die gekürzte Ausfertigung des am 18.01.2018 mündlich verkündeten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.02.2018 angeschlossen.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurden fachärztliche Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Facharzt für Orthopädie, vom 14.05.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF am 09.05.2018; und von Dr. XXXX, Fachärztin für Neurologie, vom 18.06.2018, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des BF am 15.06.2018; sowie ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten, das aufgrund der Aktenlage von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, am 26.06.2018 erstellt wurde, eingeholt.

In einer medizinischen Gesamtbeurteilung vom 28.06.2018 wurde unter Berücksichtigung der oben angeführten fachärztlichen Sachverständigengutachten der Fachgebiete der Orthopädie und der Neurologie sowie des allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens, von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, festgestellt, dass der Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H. betrage.

3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 03.07.2018 wurde dem BF die Möglichkeit eingeräumt zum oben angeführten Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme binnen drei Wochen ab Zustellung der Verständigung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen und neue Beweismittel beizulegen.

4. Mit Schreiben vom 16.07.2018 teilte der BF im Rahmen seines Parteiengehörs mit, dass der nachgebrachte augenfachärztliche Befund vom 15.5.2018 in die Gesamtbeurteilung nicht einbezogen worden sei. Bezüglich des Fibromyalgiesyndroms seien Gutachten von Dr. XXXX als Rheumaspezialist bei Antragstellung beigelegt worden; daher wäre für die Beurteilung dieses Leides die Beiziehung eines Facharztes für Rheumatologie erforderlich gewesen; die beurteilende Sachverständige Dr. XXXX sei jedoch Fachärztin für Neurologie, Geriatrie und Psychotherapie. Auch das Krankheitsbild der Osteoporose sei nicht berücksichtigt worden. Zudem führte der BF an, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.01.2018 der anwesende Sachverständige MR Dr. XXXXbezüglich des Fibromyalgiesyndroms erklärt habe, dass dieses Krankheitsbild ein erhebliches zusätzliches Leiden wäre, welches einen Einfluss auf den Grad der Behinderung hätte.

5. Aufgrund der im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Einwendungen des BF beauftragte die belangte Behörde erneut die Amtssachverständige Dr. XXXX mit der Beantwortung von medizinischen Fragestellungen. Insbesondere führte die Sachverständige zu den gemachten Einwendungen des BF in zwei Stellungnahmen vom 20.07.2018 sowie vom 02.08.2018 aus, dass sich aufgrund des vorgelegten augenfachärztlichen Befundes vom 05.2018, bei brillenkorrigiertem Visus von rechts 0,7 und links 0,8, nach den Kriterien der Einschätzungsverordnung kein Grad der Behinderung ergebe. Des Weiteren sei das erstattete Gutachten schlüssig. Neue Befunde seien nicht vorgelegt worden. Daher sei derzeit eine Änderung der Einschätzung nicht möglich.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 20.08.2018 wurde der Grad der Behinderung des BF mit 40 % festgesetzt und festgestellt, dass der BF damit die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht erfülle, weswegen sein Antrag vom 26.02.2018 abgewiesen wurde. Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf die Ergebnisse des ärztlichen Begutachtungsverfahrens. Diese wurden dem angefochtenen Bescheid als Beilage angeschlossen und zum Bestandteil der Begründung des Bescheides erklärt. In der rechtlichen Begründung wurden die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes angeführt.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schreiben vom 21.09.2018 fristgerecht Beschwerde und brachte betreffend den Fibromyalgiesyndrom einen aktuellen Befund des LKH XXXX, Spezialambulanz für Rheumatologie, vom 07.09.2018, in Vorlage. Weiters wiederholte der BF sein Vorbringen in der oben unter Punkt I.4. angeführten Stellungnahme, wonach laut MR Dr. XXXX das Krankheitsbild der Fibromyalgie wesentlich sei, da dies ein erhebliches zusätzliches Leiden wäre, welches jedenfalls einen Einfluss auf den Grad der Behinderung hätte.

8. Im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung holte die belangte Behörde ein fachärztliches Sachverständigengutachten von Prim. Dr. XXXX, Facharzt für Innere Medizin, vom 29.01.2019, welches auf einer persönlichen Untersuchung des BF am 23.01.2019 basiert, sowie ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 31.01.2019, welches aufgrund der Aktenlage erstellt wurde, ein.

In der medizinischen Gesamtbeurteilung der Sachverständigen Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 04.02.2019, wird auf Grundlage der oben angeführten Sachverständigengutachten aus dem Gebiet der Allgemeinmedizin vom 31.01.2019 und dem Fachgebiet der Inneren Medizin vom 29.01.2019, folgender Grad der Behinderung eingeschätzt:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer bzw. des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Varusgonarthrose rechts, retropatellare Chondropathie Grad III-IV links Oberer Rahmensatzwert bei vorliegendem Bewegungsumfang und geringgradiger Einschränkung in Arbeit und Alltag

02.05.19

30 v. H.

2

Generalisierte Erkrankungen des Bewegungsapparates mit funktionellen Auswirkungen mittleren Grades Unterer Rahmensatz bei Fibromyalgiesyndrom mit geringer Krankheitsaktivität und Schmerzen im Stütz- und Bewegungsapparat

02.02.02

30 v.H.

3

Endokrine Störungen leichten Grades Unterer Rahmensatz bei Struma diffusa et nodosa mit entsprechender Therapie bei stabiler Stoffwechsellage

09.01.01

10 v.H.

4

Partialriss der Supraspinatussehne links, AC-Gelenksarthrose rechts, Teilruptur des Supraspinatus rechts, fettige Degeneration des Infraspinatus rechts in einem Stadium III. Fixer Rahmensatzwert bei vorliegendem Bewegungsumfang und mittelgradiger Einschränkung in Arbeit und Alltag

02.06.04

30 v.H.

5

Cervicolumbalgie Oberer Rahmensatz bei geringgradigen Einschränkungen in Arbeit und Alltag, ohne neurologische Reiz- oder Ausfallssymptomatik die Diagnose ist nicht steigerungswürdig

02.01.01

20 v. H.

 

6

Dysthymie bei chronischen Schmerzen Eine Stufe über dem unteren Rahmensatz bei sozialer Integration, kein Medikationsbedarf

03.06.01

20 v. H.

7

Rhizarthrose beidseits Unterer Rahmensatzwert bei vorliegendem Bewegungsumfang und geringgradiger Einschränkung in Arbeit und Alltag

02.06.26

10 v. H.

 

Gesamtgrad der Behinderung

 

50 v.H.

Zum Gesamtgrad der Behinderung wurde ausgeführt, dass laut dem orthopädischen Fachgutachten die degenerative Veränderung im Bereich des Kniegelenkes führend sei, diese werde durch ungünstige Interaktion mit den Veränderungen im Bereich der Schultergelenke sowie den Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule in Kombination um eine Stufe gesteigert.

Das Fibromyalgiesyndrom (dieses umfasse Schmerzen in mehreren Körperregionen wechselnd, zusätzlich gestörter Schlaf, Müdigkeit, vermehrte Erschöpfbarkeit, häufig Depression) sei im Rahmen des internistischen Fachgutachtens mit 30 % beurteilt worden. Diesbezüglich wurde noch angemerkt, dass laut der Anamnese die Therapie (das Behandlungskonzept für die Fibromyalgie sei eine multimodale Schmerztherapie, Psychotherapie, Entspannungsmethoden, Sport und Funktionstraining) auf jeden Fall noch erweiterungsfähig sei.

In Kombination würde somit das unter der analogen Position 02.02.02 mit 30 % beurteilte Syndrom gemeinsam mit der Dysthymie, ohne erforderlicher spezifischer Therapie, auch wenn Überschneidungen in Bezug auf die orthopädischen Gesundheitsschädigungen vorliegen würden, den Gesamtgrad der Behinderung um eine weitere Stufe steigern.

9. Eine Beschwerdevorentscheidung wurde nach der vorliegenden Aktenlage nicht erlassen. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde vorgelegt und sind am 07.02.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingegangen.

10. Das Ergebnis des medizinischen Beweisverfahrens, welches noch seitens der belangten Behörde im Rahmen des Verfahrens zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durchgeführt wurde, wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 17.06.2019 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.

11. Die belangte Behörde erstattete dazu keine Stellungnahme beziehungsweise Äußerung. Der BF erstattete mit Schreiben vom 11.10.2019 eine Stellungnahme zum oben angeführten Ergebnis der Beweisaufnahme. Danach sei es dem BF nicht möglich, in ein öffentliches Verkehrsmittel ein- und auszusteigen, da er an erheblichen Einschränkungen der oberen Extremitäten leide. Dadurch sei auch der sichere Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht gewährleistet. Zudem müsse er nach einer Wegstrecke von 100 Metern aufgrund der Funktionseinschränkungen in beiden Kniegelenken eine Steh- oder Sitzpause einlegen. Die Belastbarkeit des BF sei durch das Fibromyalgiesyndrom erheblich eingeschränkt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF hat einen Wohnsitz im Inland.

Beim BF liegen folgende behinderungsrelevante Gesundheitsschädigungen vor:

-

Varusgonarthrose rechts und retropatellare Chondropathie Grad III-IV links

(Grad der Behinderung: 30 %).

-

Fibromyalgiesyndrom (Grad der Behinderung: 30 %)

-

Endokrine Störung leichten Grades (Grad der Behinderung: 10 %)

-

Partialriss der Supraspinatussehne links, AC-Gelenksarthrose rechts, Teilruptur des Supraspinatus rechts sowie fettige Degeneration des Infraspinatus rechts in einem Stadium III. (Grad der Behinderung: 20 %)

-

Cervicolumbalgie (Grad der Behinderung: 20 %)

-

Dysthymie bei chronischen Schmerzen (Grad der Behinderung: 20 %)

-

Rhizarthrose beidseits (Grad der Behinderung: 10 %)

Der Gesamtgrad der Behinderung ergibt sich aus dem führenden Leiden Varusgonarthrose rechts (degenerative Veränderung im Bereich des Kniegelenkes) und wird durch die weiteren orthopädischen Funktionseinschränkungen im Bereich der Schultergelenke sowie der Lendenwirbelsäule um eine Stufe gesteigert. Das Fibromyalgiesyndrom sowie die Dysthymie führen gemeinsam zu einer weiteren Steigerung des Grades der Behinderung um insgesamt eine Stufe.

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt somit 50 (fünfzig) von v.H. (von Hundert).

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.

Die Feststellung zum Wohnsitz des BF ergibt sich aus einem eingeholten Datenauszug des Zentralen Melderegisters und den Angaben des BF bei der Antragstellung.

Der Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert wurde aufgrund der medizinischen Gesamtbeurteilung der ärztlichen Sachverständigen Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 04.02.2019, unter Berücksichtigung ihres allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 31.01.2019 und des fachärztlichen Sachverständigengutachtens von Prim. Dr. XXXX, Facharzt für Innere Medizin, vom 29.01.2019, festgestellt.

Diese medizinische Gesamtbeurteilung ist schlüssig, vollständig, weist keine Widersprüche auf und steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen im Einklang. Es wurde dabei auf die Art der einzelnen Leiden des BF, deren Ausmaß und Wechselwirkungen zueinander ausführlich eingegangen. Die seitens des BF vorgelegten medizinischen Unterlagen stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis der Beweisaufnahme und wurden im Rahmen der Begutachtungen mitberücksichtigt.

Die festgestellten behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen und deren korrekte und nachvollziehbare Einschätzung bezüglich des Grades der Behinderung gemäß der anzuwendenden Einschätzungsverordnung samt Anlage ergeben sich daraus.

Die Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zum Vorgutachten von Dr. XXXX vom 28.06.2018, wurde nachvollziehbar begründet, da nunmehr das vorgebrachte Leiden Fibromyalgiesyndrom seitens des fachärztlichen Sachverständigen Prim. Dr. XXXX im Rahmen der medizinischen Begutachtung mit einem Grad der Behinderung in der Höhe von 30 % erstmals eingeschätzt wurde. Des Weiteren wurde seitens der Sachverständigen Dr. XXXX ausgeführt, dass durch das Fibromyalgiesyndrom gemeinsam mit der Dysthymie mit chronischen Schmerzen eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung bewirkt werde.

Es wurde damit ein Grad der Behinderung von insgesamt 50 v.H. objektiviert.

Der Inhalt der oben angeführten Sachverständigengutachten wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichtes im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. Die Stellungnahme des BF bezieht sich im Wesentlichen zusammengefasst darauf, dass ihm die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sei. Die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" ist jedoch nicht verfahrensgegenständlich, daher wird auf dieses Vorbringen nicht näher eingegangen. Ansonsten wurden weder seitens des BF noch seitens der belangten Behörde Einwendungen gegen das Gesamtgutachten von Dr. XXXX vom 04.02.2019 erhoben.

Dieses wird daher der gegenständlichen Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 VwGVG).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idgF) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.

Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die entscheidungswesentliche internistische Begutachtung basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Gesamtsachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht entscheidungswesentlich beeinsprucht.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen.

Im vorliegenden Fall wurde darüber hinaus seitens beider Parteien eine mündliche Verhandlung nicht beantragt.

Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.

3.2. Zu Spruchteil A)

Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist;

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen;

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten;

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. I Nr. 22/1970in der geltenden Fassung, angehören.

Nach § 35 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG 1998), BGBl. I Nr. 400/1998 in der geltenden Fassung, sind die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:

-

Der Landeshauptmann bei Empfängern einer Opferrente (§ 11 Abs. 2 des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 183/1947).

-

Die Sozialversicherungsträger bei Berufskrankheiten oder Berufsunfällen von Arbeitnehmern.

-

In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des BBG, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 leg. cit. genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz,

BGBl. I Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010 in der geltenden Fassung) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen;

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 leg. cit. vorliegt.

Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß § 45 Abs. 1 BBG nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:

Im Rahmen des Beschwerdevorentscheidungsverfahrens führte die belangte Behörde ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch, in dem sie drei medizinische Sachverständigengutachten einholte und eine persönliche fachärztliche Begutachtung des BF durchgeführt wurde. Die Beschwerdevorentscheidung wurde durch die belangte Behörde jedoch nicht erlassen, da die Beschwerdevorentscheidungsfrist gemäß § 46 BBG von zwölf Wochen vor Ablauf des Ermittlungsverfahrens endete. Daher wurden die gegenständliche Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Die seitens der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten wurden im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vom erkennenden Gericht als nachvollziehbar, schlüssig und widerspruchfrei gewertet, sodass die Einholung von weiteren Gutachten nicht notwendig war. Nach diesen Gutachten wurde ein Gesamtgrad der Behinderung in der Höhe von 50 von Hundert objektiviert und festgestellt.

Alle Gesundheitsschädigungen des BF wurden dabei berücksichtigt; für jedes einzelne behinderungsrelevante Leiden wurde ein Grad der Behinderung nach der anzuwendenden Anlage zur Einschätzungsverordnung korrekt eingeschätzt.

Dem Beschwerdevorbringen, wonach das Krankheitsbild "Fibromyalgiesyndrom" wesentlich und ein erhebliches zusätzliches Leiden sei, somit Einfluss auf den Grad der Behinderung hätte, wurde entsprechend berücksichtigt. Es wurde als eigenständiges Leiden mit einem Grad der Behinderung von 30% eingeschätzt und bewirkt gemeinsam mit der bestehenden Dysthymie auch eine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung.

Die Gesamteinschätzung ist auch unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vorzunehmen (vgl. VwGH 19.11.1997, Zl. 95/09/0232; 04.09.2006, Zl. 2003/09/0062).

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert und einem Wohnsitz im Inland sind die Voraussetzungen gemäß § 40 Abs. 1 BBG für die Ausstellung eines Behindertenpasses erfüllt.

Der Beschwerde war daher spruchgemäß stattzugeben und festzustellen, dass der Grad der Behinderung des BF 50 (fünfzig) v.H. (von Hundert) beträgt.

Die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" und der vom BF beantragte Parkausweis gemäß § 29b StVO sind nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens, da der Prüfungsumfang des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß § 27 VwGVG auf den angefochtenen Bescheid beschränkt ist und gegenständlich in diesem lediglich über die Ausstellung eines Behindertenpasses abgesprochen wurde. Die belangte Behörde wird, da nunmehr die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses vorliegen, auch über die noch offenen Anträge des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass und auf Ausstellung eines Parkausweises gemäß § 29b StVO zu entscheiden haben.

3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Behindertenpass, Grad der Behinderung, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G303.2214167.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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