TE Bvwg Beschluss 2020/1/2 L501 2224270-1

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Veröffentlicht am 02.01.2020
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Entscheidungsdatum

02.01.2020

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

L501 2224270-1/4E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Vorsitzende und den Richter Mag. Hermann LEITNER sowie den fachkundigen Laienrichter Reg. Rat. Johann PHILIPP als Beisitzer über die Beschwerde von Frau XXXX , VSNR XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice vom 29.08.2019, OB XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

Mit dem am 11.06.2019 beim Sozialministeriumservice (in der Folge belangte Behörde) eingelangten Schreiben beantragte die beschwerdeführende Partei (in der Folge bP) unter Beifügung eines Befundkonvolutes die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass.

In dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Gutachten vom 07.08.2019 wird von einem näher bezeichneten Sachverständigen aus dem Gebiert der Chirurgie und Allgemeinmedizin, basierend auf einer persönlichen Untersuchung am 01.08.2019, im Wesentlichen

Folgendes ausgeführt:

Derzeitige Beschwerden: Sie berichtet, dass sie auf dem linken Ohr taub sei und Gleichgewichtsstörungen habe (Schwankschwindel). Eine Gehstrecke von 300-400 m kann sie langsam gehen-1 Stockwerk kann sie langsam überwinden. Außerdem berichtet sie, dass sie Wirbelgleiten hätte. Weiters habe sie ein Spannungsgefühl an beiden Unterschenkeln und Vorfüßen bei massiven Lymphödem und bräunlicher Verfärbung der Haut.

Lfd. Nr.

Funktionseinschränkung

Position

GdB

01

Depression. Einstufung der Erkrankung mit dem unteren Wert des Rahmensatzes von 50 %-Derzeit mittelgradige Episode mit sozialem Rückzug und Antriebslosigkeit.

03.06.02

50

02

Lipödem an beiden Unterschenkeln-Dermato-Liposklerose-Rezidivvarikositas-Adipositas permagna. Einstufung der Erkrankung mit dem oberen Wert des Rahmensatzes von 40 %-Aufgrund der massiven Schwellung an beiden Unterschenkeln mit Hautverfärbung ist die Einstufung mit 40 % gerechtfertigt.

01.01.02

40

03

Taubheit linkes Ohr (100 %)-Hörminderung rechtes Ohr (20 %). Einstufung der Erkrankung mit 30 % laut dem vorliegenden Audiogramm.

12.02.01

30

04

Arterielle Hypertonie. Einstufung der Erkrankung mit dem Fixsatz laut EVO von 20 %-Mehrfachtherapie zur Erzielung einer Normotonie ist notwendig.

05.01.02

20

Gesamtgrad der Behinderung

 

 

70 vH

Die im Hinblick auf die Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gestellte Frage wurde wie folgt beantwortet: Die derzeit bestehenden Erkrankungen - Adipositas permagna/Lipödem der Unterschenkel-schränken die Mobilität zwar ein, jedoch nicht in einem erheblichen Ausmaß. Kurze Wegstrecken von 300- 400 m können ohne erhebliche Einschränkungen zu Fuß zurückgelegt werden (Anamnese: 300-400 m). Gehbehelfe werden nicht verwendet. Niveauunterschiede von 20-30 cm können ohne erhebliche Einschränkungen überwunden werden. Das Gehen und Stehen in einem öffentlichen Verkehrsmittel ist bei ausreichender Kraft und Standsicherheit möglich - Haltegriffe können benützt werden. Erhöhte Sturzgefahr liegt nicht vor. Erheblich vermehrte Schmerzen sind bei unterschiedlichen Beschleunigungen (Anfahren/Bremsen) in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu erwarten. Auch von kardio-pulmonaler Seite, liegt ebenfalls keine Indikation zur Eintragung der Unzumutbarkeit vor.

Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens wurden der bP gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern. Mit Schreiben vom 16.08.2019 wandte die bP ein, dass sie nicht in der Lage sei, 300 bis 400 Meter ohne Gehilfe und ohne Pause zu gehen, da sie neben den im Gutachten genannten Leiden zusätzlich auch noch unter Gleichgewichtsstörungen, verursacht durch ihre Kopfoperation sowie starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule (vermutlich Wirbelgleiten) leide. Beim Gehen verspüre sie starke Schmerzen in den Knien und im Bereich der Lendenwirbelsäule und werde auch ihr Schwindel durch die Anstrengung mit jedem gegangenen Meter mehr. Sie werde dann immer unsicherer und habe permanente Angst zu stürzen. Ihre starken Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und den Knien könne sie derzeit durch keinen Arztbrief belegen, da sie aufgrund ihrer letzten schweren Erkrankung aus Angst vor weiteren schlechten Nachrichten nicht zu einem Orthopäden gegangen sei. Sie habe sich aber von ihrem Hausarzt Schmerzmittel verschreiben lassen. Sie sei jederzeit bereit, sich untersuchen zu lassen. Wegen ihrer Gleichgewichtsstörungen traue sie sich nicht mit dem Bus zu fahren, da sie Angst habe zu stürzen. Aufgrund ihres schlechten psychischen Zustandes verspüre sie auch eine Art Platzangst in einem überfüllten öffentlichen Verkehrsmittel.

Der Sachverständige aus dem Bereich der Allgemeinmedizin und Chirurgie nahm zu den Ausführungen der bP wie folgt Stellung:

"Die von der Patientin angeführten Beschwerden in der Lendenwirbelsäule bzw. in beiden Kniegelenken sind durch keinerlei Befunde bzw. bildgebende Diagnostik belegt. Die nunmehr angeführte Gehstrecke von 100 m wurde bei der klinischen Untersuchung mit 300-400 m angegeben. Ebenso waren die Gleichgewichtsstörungen (Schwankschwindel) bei der klinischen Untersuchung nicht evaluierbar. Auch die nunmehr angegebene "Platzangst" wurde bei der klinischen Untersuchung nicht thematisiert- diesbezügliche fachärztliche Behandlungen liegen nicht vor. Die nicht Gewährung der Unzumutbarkeit bzw. Ausstellung eines Parkausweises bleibt nach Durchsicht des Gutachtens und der vorliegenden Befunde bzw. der klinischen Untersuchung aufrecht."

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid wies die belangte Behörde ohne Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab. Neben der Zitierung der rechtlichen Grundlagen wurde festgehalten, dass gemäß den dem Bescheid beiliegenden und einen Teil der Begründung bildenden Ergebnissen des ärztlichen Begutachtungsverfahrens (Gutachten vom 07.08.2019 samt Stellungnahme zu den Einwendungen, sohin Gutachten vom 26.08.2019) die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.

Mit Schreiben vom 03.09.2019 legte die bP einen orthopädischen Befundbericht vom 20.08.2019 vor, welcher bildgebende Befunde berücksichtigt. Folgende Diagnosen scheinen auf: Wirbelgleiten L4/5, Osteochondrose L5/S1, Gonarthrose bds. Re deutl., bds. deutl. femoro-patellare Arthrose, Rotatorenmanschetten-Ruptur re, Senk-Spreizfuß bds., St. P. Kleinhirnbrückenwinkeltu.

In ihrer fristgerecht erhobenen Beschwerde gegen den verfahrensgegenständlichen Bescheid moniert die bP ein Nichteingehen auf ihre Einwendungen im Rahmen des Parteiengehörs und des orthopädischen Befundberichts.

Mit Schreiben vom 10.10.2019 legte die belangte Behörde ohne weitere Verfahrensschritte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Im gegenständlichen Verfahren wurden die notwendigen Ermittlungen bzw. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes unterlassen.

Beim ho. Verwaltungsgericht geht laufend eine Vielzahl von Rechtssachen ein, in denen die belangte Behörde die Gewährung des Parteiengehörs unterlässt, nachdem aufgrund erhobener Einwendungen des/der Antragstellers/Antragstellerin im Beweisverfahren eine neuerliche gutachterliche Stellungnahme eingeholt worden war. Der/die Antragsteller/in wird vom Ergebnis dieses Ermittlungsverfahrens erst durch das/die dem Bescheid beigefügte/n Gutachten in Kenntnis gesetzt wurde.

II.2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Verfahrensakt der belangten Behörde sowie des Bundesverwaltungsgerichtes.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Zu A) Aufhebung und Zurückverweisung

II.3.1 zu ermittelnder Sachverhalt/gebotene Vorgehensweise

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist in den Behindertenpass auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Die zur Rechtslage vor Erlassung der Verordnung BGBl. II Nr. 495/2013 ergangene Rechtsprechung ist zur Beurteilung der Voraussetzungen der Zusatzeintragung nach § 1 Abs. 4 Z 3 unverändert von Bedeutung. Zu prüfen ist daher, ob die bP an einer dauerhaften Mobilitätseinschränkung leidet und wie sich diese nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt.

Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien in diesen Verfahren Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich hierzu zu äußern. Die gegenständlich anzuwendenden Rechtsvorschriften sehen keine Ausnahme von dieser Obliegenheit vor. Die Möglichkeit der Partei, sich durch Akteneinsicht Kenntnis von den relevanten Tatsachen zu verschaffen, entbindet die Behörde nicht von ihrer Verpflichtung Parteiengehör zu gewähren. Im Verwaltungsverfahren ist zudem das Überraschungsverbot zu beachten, d. h. es ist der Behörde verwehrt, in ihrer rechtlichen Würdigung Sachverhaltselemente einzubeziehen, die der Partei unbekannt sind (vgl. VwGH vom 29.10.2015, Ro 2015/07/0032 mwN).

II.3.2. Kassation

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt insbesondere dann in Betracht, wenn diese jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinne einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Nach der Rechtsprechung genügt es nicht, in den ärztlichen Sachverständigengutachten bloß die dauernde Gesundheitsschädigung darzustellen, vielmehr müssen in dem Gutachten die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt werden. Das Gutachten enthält jedoch - ohne auf die konkret festgestellten Funktionseinschränkungen auch nur ansatzweise einzugehen - die Standardformulierung, dass die bP eine Strecke von 300 - 400m ohne erhebliche Einschränkungen zurücklegen, übliche Niveauunterschiede bewältigen könne, Standsicherheit gegeben sei, erhöhte Sturzgefahr nicht vorliege und erheblich vermehrte Schmerzen bei unterschiedlichen Beschleunigungen des Verkehrsmittels nicht zu erwarten seien.

Es wurde aber verabsäumt darzulegen, warum es im öffentlichen Verkehrsmittel bzw. beim Zurücklegen einer Wegstrecke nicht - wie von der bP in ihrer Stellungnahme vom 16.08.2019 ausgeführt - zu einer eine erhöhte Sturzgefahr bedingende Verstärkung der im Befund vom 14.03.2019 angeführten Gleichgewichtsstörungen (Akustikusneurinom) kommt; vielmehr wird in der Stellungnahme vom 26.08.2019 nur festgehalten, dass die Gleichgewichtsstörungen bei der klinischen Untersuchung nicht evaluierbar gewesen seien. Gleichfalls wird nicht schlüssig dargelegt, warum entgegen dem Vorbringen der bP, sie spüre bereits nach 50 bis 100 Meter starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule (Wirbelgleiten) und in den Knien, keine durch diese Problematik eingeschränkte Wegstrecke vorliegt. Die gutachterlichen Ausführungen vom 26.08.2019 beschränken sich diesbezüglich auf den Hinweis, es lägen keine Befunde bzw. keine bildgebende Diagnostik vor; der erhobene eigene Befund wird 01.08.2019 wird nicht diskutiert.

Der verfahrensgegenständliche Bescheid erging sodann ohne Wahrung des Parteiengehörs gemäß § 45 AVG, sodass der u.a. ein Wirbelgleiten, Spondylose, femoro-patellare Arthrosezeichen bestätigende orthopädische Befundbericht, der nur ein paar Tage nach Bescheiderlassung bei der belangten Behörde einging, nicht mehr in die Beurteilung des Sachverständigen einbezogen werden konnte.

Gemäß ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Mangel des Parteiengehörs im Beschwerdeverfahren durch die mit der Beschwerde gegebenen Möglichkeit der Stellungnahme zu einem Beweismittel saniert. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch beachtlich, dass seitens der belangten Behörde in vielen Fällen auf die Einhaltung dieses fundamentalen Verfahrensgrundsatzes verzichtet wird. Die Verwaltungsbehörde unterlässt letztlich offensichtlich gezielt und systematisch Ermittlungen, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden müssen (vgl. das bereits zitierte Erk. d. VwGH vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063). Es kommt zu einer wesentlichen Verlagerung des Ermittlungsverfahrens auf die Verwaltungsgerichte, zumal den Parteien zu Kenntnis gebrachte Sachverständigengutachten in der Regel umfangreiche Stellungnahmen nach sich ziehen und das Verwaltungsgericht sodann nicht bloß Ergänzungen von bereits im behördlichen Verfahren eingeholten - wenn auch unvollständigen - Sachverständigengutachten vorzunehmen, sondern vielmehr weitere, neue Gutachten einzuholen hat.

Durch das beschriebene Vorgehen der belangten Behörde konnte gegenständlich der orthopädische Befundbericht vom Sachverständigen nicht in die Beurteilung einbezogen werden. Das Verwaltungsgericht hätte daher nicht nur Ergänzungen des im behördlichen Verfahren erhobenen Sachverhalts vorzunehmen, sondern sehr viel weitreichendere Erhebungen zu pflegen, insbesondere ein weiteres Gutachten einzuholen. Der für eine rechtlich einwandfreie Entscheidung notwendige maßgebliche Sachverhalt ist daher in der erforderlichen Gesamtschau als nur im Ansatz ermittelt anzusehen und wurden verpflichtende Verfahrensschritte bewusst nicht gesetzt, sondern an das Verwaltungsgericht delegiert.

Eine Heranziehung des § 28 Abs. 2 Z 2 VwGVG verbietet sich des Weiteren unter Effizienzgesichtspunkten, zumal die Verwaltungsbehörde die erforderlichen Ermittlungsschritte und damit die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes im Sinne des Gesetzes zumindest mit der gleichen Raschheit und mit niedrigeren Kosten als das Verwaltungsgericht bewerkstelligen wird können. Es ist vielmehr sogar davon auszugehen, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht keinesfalls mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre, zumal die belangte Behörde über einen auf die Einholung von ärztlichen Gutachten geschulten sowie spezialisierten Verwaltungsapparat verfügt, welcher sowohl bei der Auswahl der Fachrichtung der Sachverständigen als auch bei auftretenden medizinischen Fragestellungen sowie allenfalls erforderlichen Zusammenfassungen von Gutachten auf das Fachwissen des in die Behörde integrierten sowie unmittelbar im Haus lokalisierten ärztlichen Dienst zurückgreifen kann. Bei der Beurteilung der Kostenersparnis und Raschheit kommt es darüber hinaus nicht auf die Auswirkungen auf das Gesamtverfahren, sondern nur auf die Ersparnis an Zeit und Kosten für die jeweilige konkrete Amtshandlung an. Dass die Zurückverweisung den gesamten Verfahrensverlauf verlängert, ist bei der Zeit- und Kostenersparnis nicht in Rechnung zu stellen, weil ansonsten eine kassatorische Entscheidung nie in Frage käme (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG [2007], § 66 Rz 20 mwN).

Ausgehend von diesen Überlegungen ist daher im gegenständlichen Fall das dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren an die belangte Behörde zurückzuverweisen, welches das Ermittlungsverfahrens unter Beachtung obiger Ausführungen (Vorliegen / Auswirkungen der Gleichgewichtsstörungen, Vorliegen / Auswirkungen der Schmerzen aufgrund orthopädischer Leiden, Vorliegen / Auswirkungen der Platzangst) durchzuführen und sodann neuerlich in der Sache zu entscheiden hat.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Absehen von einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist. Der Entfall der mündlichen Verhandlung ergibt sich somit unmittelbar aus dem Gesetz.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Parteiengehör, Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L501.2224270.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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