TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/23 B2123/95

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Veröffentlicht am 23.09.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin, zuhanden ihres bevollmächtigten Vertreters, die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres wurde der Antrag der seit 1989 in Österreich lebenden jugoslawischen Staatsangehörigen auf Verlängerung ihrer Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 AufG, BGBl. 466/1992 idF vor der Novelle BGBl. 351/1995, mit der Begründung abgewiesen, daß die zur Verfügung stehende Wohnung in der Größe von 34,68 m2 für den dauernden Aufenthalt von insgesamt sechs Personen, nämlich der Beschwerdeführerin, ihres früheren Ehemannes sowie ihrer vier Kinder, keine für Inländer ortsübliche Unterkunft darstelle und gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, es erforderlich mache, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der auch die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

3. Der belangte Bundesminister für Inneres legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne weitere Darlegungen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das der Beschwerdeführerin gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - und unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen zu schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird) in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Die belangte Behörde hat im vorliegenden Fall einer bereits seit mehreren Jahren mit ihrer Familie in Österreich lebenden Fremden das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG - ohne jede Bezugnahme auf die familiären und sonstigen privaten Interessen der Antragstellerin - ausschließlich mit der Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung einer weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Damit hat sie die iS des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B2123.1995

Dokumentnummer

JFT_10039077_95B02123_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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