TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/8 W147 2214037-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.01.2020
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Entscheidungsdatum

08.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53

Spruch

W147 2214037-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Volkshilfe, 4020 Linz, Stockhofstraße 40, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27. Dezember 2018, Zl. 1077668604-170767287, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis IV. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm §§ 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 144/2013, und §§ 46, 52 und 53 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100 jeweils in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Erstes Verfahren:

1. Die Beschwerdeführerin gelangte unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 13. Juli 2015 ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der Einvernahme am 14. September 2015 führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei vollkommen gesund. Sie gab an, dass zwei ihrer Schwestern sowie ein Bruder in Österreich aufhältig seien. In der Russischen Föderation verfüge sie über ein Haus mit zwei getrennten Wohneinheiten, das von ihrer Mutter und ihrem weiteren Bruder bewohnt würde. Ihr Inlandspass wäre in Polen. Eine Kopie des Inlandspasses legte die Beschwerdeführerin dem Bundesamt vor. Zu den Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates gab die Beschwerdeführerin an, sie habe schon längere Zeit Probleme mit Kadyrov-Anhängern. Sie seien in ihr Geschäft gekommen und hätten Waren mitgenommen, ohne zu bezahlen. 2015 seien sie fünf Mal bewaffnet zur Beschwerdeführerin gekommen und hätten sie über ihren Bruder befragt. Sie habe Angst bekommen und habe ihr Herkunftsland verlassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 1. Oktober 2015 wurde die Beschwerdeführerin nach Polen ausgewiesen. Es wurde festgestellt, dass Polen für die Führung ihres Asylverfahrens zuständig sei. Mit Erkenntnis zur Zahl: W 144 2115971-1/3E vom 20.10.2015 wurde die Entscheidung des Bundesamtes durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Zweites Verfahren:

2. Am 10. Juli 2016 stellte die Beschwerdeführerin in Österreich einen weiteren Asylantrag. Im Rahmen der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gaben sie an, sie wäre seit dem Jahre 1996 verwitwet. Zum Beweis ihrer Identität legte die Beschwerdeführerin nunmehr ein Identitätsdokument (nationaler Aufenthaltstitel Polen) vor.

Am 27. Juni 2016 gab die Beschwerdeführerin im Zuge einer weiteren Befragung an, sie hätte sich im Zeitraum vom 9. Februar 2016 bis 9. Juni 2016 in Polen aufgehalten. Sie führte aus, sie wäre dorthin abgeschoben worden. Als Grund für die neuerliche Einreise nach Österreich gab die Beschwerdeführerin an, sie wolle aus zwei Gründen nicht zurück nach Polen. Einerseits seien dort einige Tschetschenen aufhältig und seien die polnischen Leute nicht so nett wie die Österreicher. Sie hätte Angst vor den Tschetschenen in Polen. In Österreich lebe einer ihrer Schwestern.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 27. Jänner 2017 wurde der Asylantrag neuerlich gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass Polen für die Führung des Asylverfahrens zuständig sei. Diese Entscheidung wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt und erwuchs am 11. Februar 2017 in Rechtskraft.

Drittes (verfahrensgegenständliches) Verfahren:

3. Am 2. Juli 2017 brachte die Beschwerdeführerin gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein. In der Erstbefragung am selben Tag führte sie aus, sie sei im Zeitraum 15. Februar 2016 bis 2. Juli 2017 wieder in der Heimat Tschetschenien aufhältig gewesen, wohin sie nach dem zweiten erfolglosen Asylverfahren freiwillig zurückgekehrt sei. Zu den Asylgründen befragt, gab die Beschwerdeführerin an, es hätte sich diesbezüglich (im Vergleich zum ersten Asylantrag) keine Änderung ergeben.

Im weiteren Verfahren wurde die Beschwerdeführerin am 20. November 2017 und am 3. Dezember 2018 niederschriftlich einvernommen.

4. Mit nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom "13.07.2015" [sic] gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.) Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt, sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde gegen die Beschwerdeführerin ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahre erlassen. (Spruchpunkt IV.). Schließlich wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 1 Z 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.).

5. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom selben Tag wurde der Beschwerdeführerin für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt wird.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die rechtzeitig bei der belangten Behörde eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

7. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2019, W147 2214037-1/3Z, wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Begründend wurde darin ausgeführt, im vorliegenden Fall sei die Beschwerdeführerin im Zuge ihrer nunmehrigen Antragstellung ua. auch am 20. November 2017 einvernommen worden. Im Zuge dieser Einvernahme habe die Beschwerdeführerin einen weiteren Grund für ihre Furcht bei einer allfälligen Rückkehr angegeben, nämlich sie habe einen Mord an einer Frau beobachtet, sei der Täter ein Polizist und fühle sie sich dadurch bedroht. Die belangte Behörde habe es entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unterlassen, diese Einvernahme ihrer Entscheidung zugrunde zu legen. Weder im Verfahrensgang noch in den Feststellungen, der Beweiswürdigung und rechtlichen Beurteilung werde die Einvernahme vom 20. November 2017 berücksichtigt. Auch sei dies der Beschwerdeführerin in der Einvernahme am 3. Dezember 2018 nicht vorgehalten worden. Es bestehe daher Verhandlungspflicht vor dem Bundesverwaltungsgericht, da der Sachverhalt durch Außerachtlassung dieser Einvernahme ergänzungsbedürftig sei.

8. Am 17. Oktober 2019 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die Beschwerdeführerin im Beisein ihrer Rechtsvertreterin zu ihrem Fluchtgrund, ihrem Gesundheitszustand, ihrem Leben im Heimatland sowie ihrem Familienleben in Österreich und Alltag befragt wurde.

Die wesentlichsten Aussagen der Beschwerdeführerin lauteten in dieser Verhandlung wie folgt:

"RI: Wo waren Sie denn?

BF: Ich war in Tschechien.

RI: Von wann bis wann waren Sie in Tschechien?

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

RI: Dem Akt ist zu entnehmen, dass Sie nach Tschetschenien zurückgefahren sind, besser gesagt in die Russische Föderation zurückgereist sind. Ist das korrekt?

BF: Nein.

RI: Es liegt hier wohl eine Verwechslung zwischen Tschetschenien und Tschechien vor, kann das sein?

BF: Ja, wahrscheinlich.

RI: Wann sind Sie wieder nach Österreich gekommen?

BF: Ich kann mich nicht mehr erinnern.

RI: Kann es sein, dass das im Jahr 2017 war?

BF: Das kann sein.

.....

RI: Das heißt für mich als Richter, es gab vor dieser Reise nach Baku für Sie persönlich keinen Grund, zu fliehen. Ist das richtig?

BF: Als ich das Problem hatte, bin ich gleich hierhergekommen, am gleichen Tag.

RI wiederholt die Frage.

BF: Ja, das ist richtig. Es gab vor der Reise nach Baku für mich keinen Grund, meine Heimat zu verlassen. ....

RI: Wie finanzieren Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?

BF: Jetzt zahlt mir das der Staat.

RI: Was kriegen Sie da?

BF: 90 EUR, einmal in zwei Wochen.

RI: Wo wohnen Sie, privat oder in einer Asylunterkunft?

BF: Ich wohne in einem Flüchtlingsheim der Caritas.

RI. Haben Sie zwischenzeitig Kontakt zu irgendwelchen Verwandten in Österreich?

BF: Ja, als ich in Polen war.

RI: Ich habe jetzt gemeint.

BF: Jetzt habe ich keinen Kontakt zu Familienangehörigen in Österreich. Sie glauben, dass ich schuld bin.

RI: Woran sollten Sie schuld sein?

BF: An dem, was ich gemacht habe.

RI: Ich entnehme dem Akt, dass Sie noch zahlreiche Familienangehörige in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation haben. Ist das richtig?

BF: Ja.

RI: Haben Sie Familienangehörige außerhalb von Tschetschenien, innerhalb der Russischen Föderation?

BF: Ich habe mütterlicherseits Cousins bzw. Cousinen zweiten Grades, auch außerhalb Tschetscheniens, etwa in XXXX , in XXXX und auch in Moskau.

RI: Haben Sie Kontakt zu denen?

BF: Nein.

RI: Zu wem haben Sie noch Kontakt in Ihrer Heimat?

BF: Ich hatte dort eine Freundin. Ich selbst habe ihre Nummer gelöscht. Sie wollte wissen, wo ich bin. Ich stehe mit niemandem in Kontakt.

RI: Ich weise Sie darauf hin, dass in dem gesamten Akt des BFA davon ausgegangen wird, dass Sie in die Russische Föderation gereist sind, nach Ihrem ersten Antrag auf Asyl, nicht nach Tschechien.

BF: Nein.

RI: Haben Sie damals die Unwahrheit gesagt, oder ist das falsch protokolliert?

BF: Ich konnte nicht hinfahren, weil ich kein Dokument hatte. Ich bin nicht hingefahren.

Die D wird ersucht, Auszüge der Erstbefragung vom 02.07.2017 rückzuübersetzen.

RI: Diese Angaben sind nicht wahr, ich war in Tschechien und nicht in der Russischen Föderation. Ich bin nicht nach Russland gefahren. Sonst müsste ein Eintrag vorhanden sein, dass ich, Frau XXXX , eingereist und wieder ausgereist bin. Die Pässe sind dort abgenommen worden und das Auto wurde kontrolliert.

RI: Sie haben ja damals gar keinen Pass gehabt.

BF: Ja, das ist richtig, der ist ja in Polen.

RI: Deshalb haben Sie ja bei der Erstbefragung gesagt, dass Sie illegal ausgereist und illegal in die Russische Föderation eingereist sind.

BF: Ich weiß, dass ich nicht in der Russischen Föderation war, ich war in Tschechien. .....

RI: Sind Sie derzeit in psychotherapeutischer oder psychologischer Betreuung?

BF: Ja, ich habe mich dorthin gewandt.

RI: Was macht man dort mit Ihnen?

BF: Ich gehe hin und bekomme dort Arzneimittel. Auch der Blutdruck wird dort gemessen. Das ist aber alles.

RI: Das heißt, Sie bekommen einfach Medikamente?

BF: Ich nehme in der Früh und am Abend die mir verschriebenen Arzneimittel ein.

RI: Ist es richtig, dass Ihre Familie in Tschetschenien ein Haus besitzt?

BF: Ja.

RI: Wohnen dort noch Brüder?

BF: Ja, ein Bruder. ....

RI: Dem Akt entnehme ich, dass Sie zwischenzeitig in der Russischen Föderation pensionsberechtig sind und durch Ihre Einzahlungen auch Pension beziehen würden. Ist das richtig?

BF: Ja. Ich habe zu Hause eine Pension. Aber ich kann nicht hin, ich kann nicht zurück. ...

RI: Dem Akt entnehme ich, dass der Grund für Ihre Ausreise aus der Russischen Föderation Ihre beiden abgebrannten Geschäfte waren?

BF: Ja.

RI: Gab es sonst noch einen Grund?

BF: Ja. Als ich nach Baku fuhr, habe ich Ware gebracht und ich war schon so müde. Dann saß ich in meinem Geschäft und war so müde. Wir haben ja die Ware gebracht und dann musste die Ware ausgeladen werden. Ich war so müde und wollte mich 20 Minuten hinsetzen. Dann bin ich dort gesessen und habe gewartet. Dann dachte ich mir: "Warum tust du dir das an, warum arbeitest du so viel?" Ich habe zu Hause Glashäuser gehabt, für Tomaten und so.

Dann mache ich die Tür auf und es sind fünf Männer dort gestanden und eine Frau. Als ich die Tür aufgemacht habe, hat ein Auto ein Lichtzeichen gegeben. Da habe ich diese Frau und diese fünf Männer gesehen. Die Frau hat einen Schlag mit einem Gummiknüppel abbekommen und ich habe die Tür gleich wieder zugemacht. Dann habe ich gewartet. Sie wurde umgebracht.

RI: Warum wissen Sie das?

BF: Ich habe das mit meinen eigenen Augen gesehen, aber ich habe geschwiegen, ich habe das niemandem gesagt. Wir Frauen haben uns dann versammelt und es wurde darüber gesprochen, dass sie ein leichtes Mädchen gewesen sei. Es wurde dann gesagt, dass ihre Verwandten sie umgebracht haben. Es war damals ein Feiertag, an dem normalerweise Schafe abgestochen werden. Ich kann diesen Feiertag zwar nicht nennen, aber zu diesem Feiertag hat sich das ereignet. Ich habe das damals nicht gesagt, weil ich Angst hatte.

RI: Wovor hatten Sie denn Angst?

BF: Alle haben geschwiegen und ich habe auch geschwiegen.

RI: Warum haben Sie das nicht beim Bundesamt gesagt?

BF: Ich habe das niemandem gesagt.

RI: Doch, Sie haben das gesagt.

BF: Ich habe ihn dann gesehen.

RI: Wen haben Sie dann gesehen?

BF: Diesen Mann, der sie umgebracht hat. Ich habe mit dem Finger gezeigt: "Der hat sie umgebracht." Ich habe der Frau neben mir mit dem Finger gezeigt, dass dieser Mann die Frau umgebracht hat.

RI: Wann war das?

BF: Im März oder so, 2015. Im März oder April 2015. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann das war, aber ich glaube, dass das in dieser Zeit war. Dann hat die Frau weitererzählt, dass ich gesagt hätte, dass er die Frau umgebracht hat. Es ist dann nicht einmal eine Woche vergangen, dann bin ich zusammengeschlagen worden. Ich erzähle Ihnen nur die reine Wahrheit. Kein Wort von mir ist eine Lüge. Sie haben mich an den Haaren gehalten und gezerrt und mit meinem Kopf an die Wand geschlagen. Ich kenne mich mit Mathematik sehr gut aus, ich war Lehrerin. Ich habe ein ganz schlechtes Gedächtnis. Man hat mit meinem Kopf an die Wand geschlagen. Ich habe mein Gesicht mit meinen Händen geschützt und habe noch Narben an meinen Handflächen. Ich weiß nicht, warum ich damals nicht gestorben bin. Ich kann mich nicht erinnern, wann das war. Ich weiß nicht, ob ein oder zwei Tage vergangen sind, aber ich bin aufgestanden und ich bin zu meiner Freundin XXXX gegangen. Sie wollte mich nicht zu sich lassen. Sie dachte, dass ich mit irgendwem ein Verhältnis hatte. Ich hatte blutende Wunden. Ich kann mich auch nicht mehr erinnern, was in dieser Zeitspanne passiert ist. Als ich aufwachte, war ich in einem Keller. Dann ist sie zu mir gekommen und sagte: " XXXX , geh weg, ich habe Angst, weil ein Mann nach mir gefragt hat." Meine Freundin fragte mich, warum ich zu ihr gekommen sei und sie meine Probleme nicht brauche. Ich habe sie gebeten, dass ich zumindest eine Zeit lang dort bleiben kann, bis die blauen Flecken nicht mehr sichtbar sind. Als ich dann zu mir kam, bin ich in mein Haus gegangen, in der Nacht. Alles lag auf dem Boden. Ich weiß nicht, was sie bei mir gesucht wurde. Ich hatte große Angst und dann wurde ich wieder angerufen, aber ich habe nicht abgehoben und dann bekam ich eine SMS. Dort ist gestanden, dass das Geschäft von mir brennt. Alles hat gebrannt. Dort hatte ich Geld. Ich konnte das Geld nicht zu Hause lassen. Alles hat gebrannt. Dort gab es einen großen Baum. Ich habe mich angelehnt und habe von ganzem Herzen geweint. Ich habe zu Allah gesagt: "du hat es mir gegeben und du hast es mir weggenommen." Das War mein Schicksal. Dann habe ich meine Tasche genommen und dann bin ich ausgereist. Ich weiß jetzt nicht, was noch weiter vorgefallen. Das weiß ich nicht, bzw. erinnere ich mich nicht.

RI: Wie haben Sie so schnell einen Schlepper gefunden?

BF: Österreich, Deutschland, dort stehen die Autos Marke "Gazelle."

In Grozny stehen Taxis herum, mit Tafeln, wohin die Reise geht. Dort war auch eine Tafel mit "Österreich" dabei. Da habe ich mich dann mit dem Fahrer besprochen. Der war nicht einverstanden, er hat das abgelehnt. Der Zug ist auch weggefahren. Ich wollte es niemandem zeigen. Ich wollte flüchten. Ich wollte niemandem auffallen.

RI: Wann haben Sie einen Schlepper gefunden?

BF: An dem Tag.

RI: Was haben Sie da zahlen müssen?

BF: Ich glaube, 15.000 Rubel.

RI: Wo hatten Sie 15.000 Rubel her?

BF: Ich hatte eine Tasche, ich habe ja gehandelt. Ich habe in einem Geschäft gearbeitet.

RI: Sie tragen 15.000 Rubel in der Tasche?

BF: Ich hatte ca. 18.000 Rubel in der Handtasche und habe es dem Schlepper bezahlt.

RI: Waren das alle Ihre Fluchtgründe?

BF: Das ist der Grund.

RI: Der einzige?

BF: Allah sieht mich und hört mich. Ich wäre sonst nicht hierhergekommen, wenn ich nicht dieses Unglück hätte.

RI: Warum sind Sie nicht nach XXXX , XXXX oder Moskau gefahren?

BF: Ich wollte nicht. Die Russen und Tschetschenen stehen miteinander in Verbindung. Ich war Zeugin. Ich weiß, dass man mich umgebracht hätte.

RI: Was würde passieren, wenn Sie jetzt zurückkehren würden?

BF: Ich werde leiden müssen.

RI: Warum haben Sie diesen Vorfall nicht zur Anzeige gebracht?

BF: Ich sage es Ihnen: Ich bin der Teufel, ich sage das. Man wird sagen, dass ich der Teufel bin, dass das nicht stimmt und dass die Frau nicht umgebracht worden ist. ..."

9. Mit Schriftsatz vom 25. November 2019 wurde ein ärztlicher Befundbericht vom 14. November 2019 vorgelegt, wonach bei der Beschwerdeführerin eine Posttraumatische Belastungsstörung und eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert wurden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage des Verwaltungsaktes der belangten Behörde, den Ergebnissen der Beschwerdeverhandlung und der in diesem Verfahren herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation, wird seitens des Bundesverwaltungsgerichts Folgendes festgestellt:

1.1. Die Beschwerdeführerin, deren Identität feststeht, ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte drei Anträge auf internationalen Schutz.

Am 13. Juli 2015 stellte die Beschwerdeführerin ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 1. Oktober 2015 wurde die Beschwerdeführerin nach Polen ausgewiesen. Es wurde festgestellt, dass Polen für die Führung ihres Asylverfahrens zuständig sei. Mit Erkenntnis zur Zahl: W 144 2115971-1/3E vom 20.10.2015 wurde die Entscheidung des Bundesamtes durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt.

Am 10. Juli 2016 stellte die Beschwerdeführerin in Österreich einen weiteren Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 27. Jänner 2017 wurde der Asylantrag neuerlich gemäß § 5 AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass Polen für die Führung des Asylverfahrens zuständig sei. Diese Entscheidung wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt und erwuchs am 11. Februar 2017 in Rechtskraft.

Am 2. Juli 2017 brachte die Beschwerdeführerin nach neuerlicher unrechtmäßiger Einreise gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin ihren Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass diese konkret Gefahr liefe, in ihrem Herkunftsstaat der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Die Beschwerdeführerin leidet an einer Posttraumatische Belastungsstörung und einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion, jedoch an keinen chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden, ihr ist eine Teilnahme am Erwerbsleben prinzipiell möglich und ist sie in der Russischen Föderation pensionsberechtigt.

Die Beschwerdeführerin lebt nunmehr seit 2017 wieder in Österreich. Zu den in Österreich aufhältigen Familienangehörigen besteht nur gelegentlicher bzw. kein Kontakt und besteht auch kein gemeinsamer Haushalt. Die Beschwerdeführerin beherrscht die deutsche Sprache kaum, ist in keinen Vereinen oder ehrenamtlich aktiv tätig und verfügt über einen Freundeskreis in ihrer Unterkunft. Seit ihrer Einreise ging sie keiner legalen Beschäftigung nach.

Gesamtbetrachtend konnten, auch vor dem Hintergrund der Aufenthaltsdauer, keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt werden. In ihrem Herkunftsstaat verfügt die Beschwerdeführerin noch über familiäre Anknüpfungspunkte.

1.2. Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden folgende Feststellungen getroffen:

1. Vergleichende Länderkundliche Analyse (VLA) i.S. §3 Abs 4a AsylG

Erläuterung

Bei der Erstellung des vorliegenden LIB wurde die im §3 Abs 4a AsylG festgeschriebene Aufgabe der Staatendokumentation zur Analyse "wesentlicher, dauerhafter Veränderungen der spezifischen, insbesondere politischen Verhältnisse, die für die Furcht vor Verfolgung maßgeblich sind", berücksichtigt. Hierbei wurden die im vorliegenden LIB verwendeten Informationen mit jenen im vorhergehenden LIB abgeglichen und auf relevante, im o.g. Gesetz definierte Verbesserungen hin untersucht.

Als den oben definierten Spezifikationen genügend eingeschätzte Verbesserungen wurden einer durch Qualitätssicherung abgesicherten Methode zur Feststellung eines tatsächlichen Vorliegens einer maßgeblichen Verbesserung zugeführt (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt II). Wurde hernach ein tatsächliches Vorliegen einer Verbesserung i.S. des Gesetzes festgestellt, erfolgte zusätzlich die Erstellung einer entsprechenden Analyse der Staatendokumentation (siehe Methodologie der Staatendokumentation, Abschnitt IV) zur betroffenen Thematik.

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 16.3. Zeugen Jehovas).

Änderungen seit Mai 2018:

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden. Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

Quellen:

-

ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 19. Bewegungsfreiheit bzw. 19.2. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens).

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

-

ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit heutigem Datum in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz / Justizwesen).

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

0. "Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5.2018b).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5.2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (5.2018b): Russische Föderation - Außen- und Europapolitik,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederation/201534, Zugriff 1.8.2018

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CIA - Central Intelligence Agency (12.7.2018): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 1.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 1.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 1.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (7.2018c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 1.8.2018

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OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report,

https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 29.8.2018

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Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen",

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 1.8.2018

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Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident,

https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 1.8.2018

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Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 1.8.2018

1. Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

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BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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