Entscheidungsdatum
09.01.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W196 2164394-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Maga. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch den Verein LegalFocus und RA Mag. E. VELIBEYOGLU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.06.2017, Zl. 1077158905-150818316/BMI-BFA_OEO-RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 3 Abs.
1 AsylG als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 08.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 09.07.2015 wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zu seiner Person angab, er sei im Dorf XXXX (bei Marka in Somalia) geboren, gehöre der Volksgruppe der Sheikhal an und habe moslemischen Glauben. Er habe keine Ausbildung erhalten und sei traditionell verheiratet. Im Herkunftsland würden seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester sowie seine Ehefrau leben.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, schilderte der Beschwerdeführer, dass er Somalia bereits im Jänner 2014 verlassen habe. Sein Vater sei von der Terroristengruppe Al Shabaab getötet worden und die Sheikhal würden in Somalia diskriminiert. Wegen Al Shabaab sei die Lage im Herkunftsstaat nicht sicher, er habe es aus Angst um sein Leben verlassen.
Am 11.05.2017 wurde der Beschwerdeführer unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen und gab dabei zunächst an, gesund zu sein. Er habe immer in XXXX gelebt und dort in einem Restaurant gearbeitet. Er gehöre dem Clan der Sheikhal, Subclan XXXX an. Er könne somalisch schreiben und lesen. Sein Vater sei 2010 getötet worden. Seine Mutter, sein psychisch kranker Bruder und seine Schwester lebten noch im Herkunftsstaat. Ebenso seine Ehefrau. Er habe den Lebensunterhalt seiner Familie erwirtschaftet, dies mache nun seine Schwester, welche als Hausmädchen arbeite. Mit seiner Mutter habe er regelmäßig telefonischen Kontakt.
Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte er vor, zwei Gründe zu haben. Einerseits sei er diskriminiert worden, weil seine Frau zum Hawgeedir Clan gehöre und bei ihrer Tante gelebt habe. Nach ihrer Eheschließung habe die Tante deren Familie verständigt, worauf der Vater und zwei Brüder seiner Ehefrau zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen seien und ihn bedroht hätten, dass er umgebracht würde, wenn er sich nicht scheiden lasse. Sie hätten seine Frau nach Mogadischu gebracht. Sein zweiter Grund sei, dass er in seiner Eigenschaft als Koch bzw. Kellner eines Restaurants eines Tages ein Essen habe zustellen müssen. Am folgenden Tag habe er in der Arbeit gehört, dass das Haus, in welches er das Essen geliefert habe, von der Regierung gestürmt worden sei. Dabei seien Festnahmen erfolgt und Sprengstoff gefunden worden. Er sei so gegen 23 Uhr nach der Arbeit auf dem Weg nach Hause von einem Unbekannten angerufen worden, welcher ihm vorgeworfen habe, die Kämpfer an die Regierung verraten zu haben, und dass er zum Dank dafür getötet werden würde. Er habe große Angst gehabt und seiner Mutter davon erzählt. Als er es auch dem Restaurantbesitzer erzählt habe, hätte dieser ebenfalls von einem Anruf und einer Bedrohung berichtet. Drei Tage danach habe der Beschwerdeführer Schüsse gehört und ein bewaffneter Mann sei in die Küche des Restaurants gestürmt. Der Beschwerdeführer habe das Fenster geöffnet, sei hinausgesprungen und weggelaufen. Er sei zu einem Freund gelaufen und habe seine Mutter angerufen, welche ihm erzählt habe, dass der Restaurantbesitzer und ein Arbeiter getötet worden seien. Der Besitzer des Restaurants sei (jedoch nur) verletzt worden. Am folgenden Tag habe ihm seine Mutter Kleidung und Geld gebracht und ihm gesagt, er solle weggehen, deshalb habe er das Land verlassen. Andere Gründe gebe es nicht. Im Zuge der Rückübersetzung änderte er sein Vorbringen hinsichtlich der genauen Örtlichkeit seines Arbeitsplatzes ab und ergänzte, dass ein Vater durch die Al Shabaab getötet worden sei, weil diese sein Auto hätten haben wollen. Auf Befragen brachte er ferner vor, dass seine Frau in Mogadishu geboren sei und sie am 21.09.2013 geheiratet hätten - ohne die Zustimmung ihrer Eltern eingeholt zu haben. Er werde diskriminiert, weil sie nicht demselben Clan angehörten. Auf Befragen berichtete er weitere Umstände des Überfalls im Restaurant. Er sei arbeitsfähig und wolle hier in Sicherheit leben. Er arbeite in Österreich im Alten- und Pflegeheim, wo er monatlich € 110.- verdiene, und besuche Deutschkurse in der Unterkunft. In Österreich habe er keine Schule besucht und auch keine Probleme mit den Behörden gehabt. Er sei in keinem Verein aktiv. Er wolle nicht freiwillig ausreisen. Auf die Aushändigung der Länderberichte verzichtete der Beschwerdeführer. Nach einer vorgelegten Bestätigung arbeitet der Beschwerdeführer seit 23.06.2016 regelmäßig 2 Tage in der Woche als Helfer in der Küche eines Alten- und Pflegeheims. Außerdem wurden ihm ehrenamtliche Tätigkeiten in seiner Wohngemeinde bescheinigt.
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Unter Spruchpunkt IV. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
In seiner Begründung stellte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen fest, dass seine Eheschließung in Somalia nicht glaubhaft sei und seine Identität mangels Vorlage von Dokumenten nicht feststehe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er in Somalia auf Grund seiner Clanzugehörigkeit Probleme vor allem mit der Volksgruppe der Hawgeedir gehabt habe. Eine persönliche Verfolgung und Bedrohung durch die Al Shabaab sei ebenfalls nicht festzustellen gewesen und er habe keine gegen ihn persönlich gerichteten Verfolgungshandlungen glaubhaft machen können. Es habe also keine Verfolgung aus den in der GFK genannten Gründen festgestellt werden können. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass er im Fall der Rückkehr in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, da sich seine Familie nach wie vor im Heimatort befinde und ihren Lebensunterhalt aus den Erwerbseinkünften seiner Schwester als Hausmädchen bestreiten könne. Er habe regelmäßig telefonischen Kontakt zu seiner Mutter und eine Bedrohung seiner Familie habe er verneint. Es sei ihm daher eine (Re)integration in das Sozial- und Arbeitssystem im Heimatland zumutbar. Er habe nach eigenen Angaben tagsüber als Kellner und abends als Koch in einem Restaurant im Heimatort gearbeitet und den Lebensunterhalt seiner Familie damit bestritten. In seinem Heimatort befänden sich größere Garnisonen der AMISOM, auch in Merka, welches bereits 2012 von der Al Shabaab befreit worden sei. Er sei weder vorbestraft, noch in Somalia inhaftiert gewesen und habe keine Probleme auf Grund seiner Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit gehabt. Er habe auch keine Probleme mit Privatpersonen gehabt. Es sei ihm möglich und zumutbar, den Herkunftsort unter Einhaltung der EMRK (sicher) zu erreichen. Beweiswürdigend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seine Eheschließung weder durch ein Dokument habe bescheinigen können, noch die angeblich heimliche Eheschließung nach islamischem Recht de facto im Wohnort erfolgen hätte können, demnach also nicht glaubhaft sei. Während seines Asylverfahrens habe er verschiedene Fluchtgründe vorgebracht, weshalb ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen gewesen sei. Insbesondere entbehre seine vorgebrachte Diskriminierung wegen seiner Clanzugehörigkeit zu den Sheikhal, welche wegen ihres religiösen Status traditionell respektiert und von anderen Clans, bei welchen sie leben, geschützt werden, jeglicher Glaubwürdigkeit. Sein Vorbringen, dass sein Vater 2010 von der Al Shabaab getötet worden sei und das Land nicht vor ihr sicher sei, stehe nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Ausreise im Jänner 2014 bzw. befänden sich in seinem Heimatort größere Garnisonen der AMISOM und sei Merka als Hauptstadt von Lower Shabelle bereits 2012 von der Al Shabaab befreit worden. Eine Furcht vor persönlicher Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Al Shabaab sei nicht festzustellen gewesen. Sein Vorbringen vom 11.05.2017 über eine Diskriminierung infolge seiner Eheschließung mit einer Hawgeedir durch den Clan Hawgeedir, welche glauben würden, dass er einem minderwertigen Clan angehöre, erweise sich angesichts des Länderinformationsblattes vom 13.02.2017 zu Somalia als nicht glaubhaft, weil die Hawgeedir danach als Subclan der Hawiye eng mit dem Clan der traditionell respektierten Sheikhal assoziiert seien, sodass sein Vorbringen gänzlich unglaubwürdig sei. Auch sein Vorbringen über seine Verfolgung durch einen bewaffneten Mann wegen einer Zustellung von Essen in einem später von der Regierung gestürmten Haus werde als nicht glaubhaft erachtet, weil dies offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche und nicht geeignet sei, internationalen oder subsidiären Schutz zu begründen.
Mit Verfahrensanordnung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2017 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.
Mit Schreiben vom 11.07.2017 erhob der Beschwerdeführer im Wege seines bevollmächtigen Vertreters vollumfänglich Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens.
Am 18.09.2018 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somalisch statt, an der der Beschwerdeführer sowie seine rechtsfreundliche Vertretung teilnahmen.
Der Befragung des Beschwerdeführers sind folgende Passagen zu entnehmen:
"BF: Ich bin am XXXX in XXXX , Somalia, geboren. Bin von Volksgruppenzugehörigkeit Sheikhal und Moslem. Meine Eltern sind XXXX . Meine Mutter lebt noch. Mein Vater ist 2010 gestorben. Derzeit weiß ich nichts von meiner Mutter. Der letzte Kontakt war im April 2017. Ich habe nur 2 Jahre Koranschule besucht, sonst keine Ausbildung gemacht. Ich habe dann als Koch gearbeitet.
Ich habe meine Frau am XXXX geheiratet. Sie heißt XXXX .
Wir haben heimlich geheiratet aus Liebe. Sie hat bei Ihrer Tante väterlicherseits gelebt. Ihre Eltern waren nicht einverstanden, weil ich dem Clan Sheikhal angehöre, und die Tochter ist (Hawiye). Habr Gedir Nachdem ich sie geheiratet habe, ist Ihre Tante draufgekommen und hat Ihrem Bruder (dem Vater der Frau), das erzählt. Dann ist ihr Vater und zwei Brüder von ihr nach Hause nach Shalambod gekommen. Sie sagte mir, dass ich Ihre Tochter nicht heiraten darf, weil ich wegen meiner Clanzugehörigkeit nicht zu ihnen passe. Sie haben gewaltsam meine Frau mitgenommen, die bei mir wohnte. Dann haben Sie mich bedroht, mich zu töten, wenn ich mich von meiner Frau nicht scheiden lassen. Sie haben die Frau nach Mogadischu gebracht, seitdem konnte ich die Frau nicht kontaktieren.
RI: Wieso haben Sie Somalia verlassen?
BF: Ich habe nach diesem Problem mit meiner Ehefrau weiter in Somalia gelebt und habe als Koch gearbeitet. Dann bei uns hat ein Mann drei Mal gegessen. Er war neu in unserem Dorf Shalambod und war unbekannt. Am vierten Tag ist er wieder essen gekommen und hat sehr viel bestellt. Er hatte gegessen und wollte das, was er zu viel bestellt hat, mitnehmen. So hat der Restaurantbesitzer mich gebeten mitzugehen und ihm tragen helfen. Ich bin mitgegangen. Als wir in die Nähe von seinem Haus gekommen sind, hat er mich gebeten, dass ich das Essen in das Haus hineintrage, weil er noch etwas besorgen wollte. Ich habe an die Tür geklopft. Eine Frau hat aufgemacht und ich habe ihr das bestellte Essen gegeben. Sie hat gleich danach die Tür zugemacht. Ich bin dann zum Restaurant zurückgegangen. Ich habe dann an dem Tag normal gearbeitet. Am nächsten Tag bin ich wieder früh arbeiten gegangen. Dann habe ich von anderen Mitarbeitern und Kollegen gehört, dass in der Nacht, das Haus, wo ich das Essen hingebracht habe, von Regierungssoldaten angegriffen wurde. Männer wurden festgenommen und es wurden Waffen gefunden. Ich habe dann normal an dem Tag gearbeitet. Drei Tage später am Abend nach der Arbeit, als ich auf dem Weg nach Hause war, hatte mich eine unbekannte Person angerufen. Der Anrufer war ein Mann. Er sagte mir, dass ich diese Leute an die Regierung verraten habe und deshalb getötet gehöre. Danach hatte der Anrufer die Verbindung abgebrochen. Am nächsten Tag in der Früh habe ich meiner Mutter von diesem Anruf erzählt, dass sie behaupten, dass ich ein Verräter bin und dieses Haus verraten habe. Die Mutter hatte Angst bekommen und sagte mir, ich soll an dem Tag zu Hause bleiben, aber ich habe auf Sie nicht gehört. Ich bin arbeiten gegangen und ich habe dann meinen Chef, dem Besitzer des Restaurants von dem Anruf und dem Vorwurf erzählt. Er hat erzählt, dass er auch so einen Drohanruf bekommen hat. Man hat ihn bedroht, dass er und sein Mitarbeiter getötet werden sollen, weil sie Verräter sind. Er sagte mir, dass ich weiter arbeiten gehen soll und hat gemeint, es wird schon nichts passieren.
Und dann drei Tage später hat man uns im Restaurant angegriffen. Es waren vermummte Männer. Wahrscheinlich waren Sie Al Shabaab. Sie haben geschossen. Ich war in der Küche. Ein bewaffneter Mann ist zu mir in die Küche gekommen. Er hat auch Schüsse abgegeben. Ich bin durch das Fenster geflüchtet. Ich bin zum Haus eines Freundes von mir gegangen, weil ich hatte Angst, dass man mich zu Hause sucht. Eineinhalb Stunden, nachdem ich im Haus des Freundes angekommen bin, habe ich meine Mutter angerufen. Die Mutter hat geweint, weil Sie dachte, dass die Männer mich mitgenommen haben. Sie erzählte mir, dass der Besitzer des Restaurants XXXX und ein Kollege namens XXXX dabei gestorben sind. Ein Kunde wurde verletzt. Meine Mutter sagte mir, ich soll bei meinem Freund bleiben. Sie wird am nächsten Tag in der Früh kommen. Die Mutter hatte einen Sack mit meiner Kleidung. Sie hat auch Geld mitgebracht. Dann sagte mir die Mutter, ich muss flüchten, bevor ich getötet werde. Meine Kollegen wurden meinetwegen getötet. Die Männer haben nach mir gesucht. Dann bin ich aus dem Land geflüchtet und nach Äthiopien, Jigjiga gekommen. Ich bin dann aus dem Auto ausgestiegen in Jigjiga. Ich wollte das Geld wechseln. Ich wollte an einen anderen Ort namens Addis Abeba fahren. Dort in der Haltestelle hat mich die äthiopische Polizei kontrolliert und mich nach dem Aufenthalt gefragt. Dann haben Sie gesehen, dass ich keine Papiere habe und mich in Haft genommen. Sie haben mich dann ins Gefängnis gesteckt, wo ich sieben Monate lang war. Ich wurde nicht vor ein Gericht gestellt. Ich bin nicht mehr nach Somalia zurück.
RI: Was glauben Sie würde passieren, wenn Sie nach Somalia zurückkehren würden?
Ich kann nicht nach Mogadischu zurückkehren, weil das Problem dort besteht, dass mich die Al Shabaab als Verräter verurteilt hat. Egal wohin ich in Somalia gehe, Al Shabaab wird dieses Urteil umsetzen, wenn sie mich erwischen. Ich habe meine Frau gegen den Willen Ihrer Familie geheiratet. Sie können diese Ehe nicht akzeptieren, weil ich einer Minderheit angehöre. Sie haben gewaltsam meine Frau von mir weggenommen und werden mich nicht in Ruhe lassen.
RI: Die Familie Ihrer Ex-Frau hat sie allerdings vorher schon in Ruhe gelassen, deshalb ist eine Verfolgung durch diese nicht wahrscheinlich.
BF: Sie haben mich immer bedroht und sagten, dass Sie die Scheidung von mir wollen. Ja, aber die Frau sollte zustimmen und sie hat nicht zugestimmt.
RI: Welchem Unterclan gehören Sie an?
BF: Mein Unterclan heißt XXXX ."
Im Zuge der mündlichen Verhandlung legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:
• Bestätigung vom 25.04.2017 über die Verrichtung von Hilfsdiensten durch den Beschwerdeführer in der Küche des Bezirksaltenheimes;
• Unterstützungsschreiben der Wohngemeinde und Bestätigung vom 20.06.2017 über ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers;
In der Stellungnahme vom 03.12.2018 führte die bevollmächtigte Vertreterin aus, dass sich in den internationalen Medien die Berichte über gewalttätige Übergriffe der Al Shabaab in der Heimatregion des Beschwerdeführers häuften. Merka sowie das benachbarte Shalan Bood seien massiv von Gewaltvorfällen zwischen Al Shabaab und AMISOM betroffen. Ebenso würden sich in dieser Gegend Clankämpfe häufen. Zudem gehöre der Beschwerdeführer dem Minderheitenclan Sheikhal an und könne wegen der in der Verhandlung vorgebrachten Bedrohungen im Zusammenhang mit seiner Clanzugehörigkeit auch auf Grund der allgemein schlechten Sicherheitslage der Heimatregion des Beschwerdeführers nicht in seine Heimatstadt zurückkehren. Sodann wurde aus Berichten aus 2018 zitiert, wonach nach dem Rückzug der AMISOM die Al Shabaab die Kontrolle in Städten in Konfliktgebieten wiedererlangte. Zur innerstaatlichen Fluchtalternative in Mogadishu wurde aus der Anfragebeantwortung vom 11.05.2018 zitiert, wonach die Situation dort ein Ausmaß erreiche, welches für einen großen Teil der Bevölkerung temporäre oder ständige Unterversorgung bedeute. Zwar hätten ergiebige Regenfälle die Situation entspannt, jedoch sei nach wie vor eine hungernde bzw. mangelernährte Bevölkerungsschicht vorhanden. Der Beschwerdeführer habe keine Erfahrung in der Arbeitsumwelt von Mogadishu. Die Anfragebeantwortung vertrete eine unrealistische Meinung zur Verdienstmöglichkeit für einen jungen Rückkehrer. Es stünde im Fall der Rückkehr wegen Überfüllung auch kein Platz in einem Flüchtlingslager für den Beschwerdeführer zur Verfügung. Zwar sei nach dem Erkenntnis des VwGH vom 16.07.2006, Zl. 2004/01/0059, für einen gesunden Erwachsenen, der nur in einem beheizbaren Zelt Unterkunft finden kann, eine Abschiebung zulässig. Für den Beschwerdeführer sei eine ausreichende Unterkunft allerdings nicht verfügbar. Weder aus dem aktuellen LIB noch aus der Anfragebeantwortung gehe hervor, dass in Mogadishu ausreichende Unterkunft und Nahrung für den Beschwerdeführer tatsächlich erreichbar wäre. Er wäre auf sich allein gestellt und würde in eine ausweglose Lage geraten, die Art. 3 EMRK widerspräche. Er hätte bei einer Rückkehr nach Somalia kein familiäres Netzwerk, das ihn unterstützen könnte. Viele Familien und Clan-Netzwerke würden sich nach dem Länderinformationsblatt nicht mehr in der Lage sehen, die Bedürfnisse vertriebener [oder zurückkehrender] Verwandter zu erfüllen. Zudem bestehe die reale Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung auf Grund der ausgesprochen schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Somalia. Es sei im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung darauf hinzuweisen, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich bereits integriert habe.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, Zugehöriger zum Clan der Sheikhal und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er stammt aus einem Ort in der Nähe der Stadt Merka in Lower Shabelle, Somalia, wo er geboren und aufgewachsen ist bis er im Jänner 2014 nach Äthiopien gereist ist, von wo er schlepperunterstützt nach Österreich gelangte. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 08.07.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Angehörigen (Mutter, Geschwister) besteht kein Kontakt mehr.
Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben des Beschwerdeführers zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia.
Insbesondere wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Gefährdung, die von der Al-Shabaab ausgeht, ausgesetzt ist. Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft gemacht.
Nicht festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Somalia aus Gründen seiner Clanzugehörigkeit bzw. seiner Glaubensrichtung oder aus sonst in seiner Person gelegenen Gründen (etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung) einer asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt wäre. Auch eine drohende asylrelevante Verfolgung aus anderen Gründen ist nicht hervorgekommen und zwar weder aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers noch aus amtswegiger Wahrnehmung.
Festgestellt wird, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der prekären Lage in Somalia infolge der allgemeinen problematischen Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten Staatsgebiet, sowie aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat nicht mehr über familiäre bzw. soziale Kontakte verfügt, bei einer Rückkehr nach Somalia die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK droht bzw. ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes treffen würde.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten, hat an mehreren Deutschkursen teilgenommen und verrichtete gemeinnützige Hilfstätigkeiten.
Zur verfahrensrelevanten Situation in Somalia:
[...]
0. Politische Lage
Das Gebiet von Somalia ist de facto in drei unterschiedliche administrative Einheiten unterteilt: a) Somaliland, ein 1991 selbstausgerufener unabhängiger Staat, der von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird; b) Puntland, ein 1998 selbstausgerufener autonomer Teilstaat Somalias; c) das Gebiet südlich von Puntland, das Süd-/Zentralsomalia genannt wird (EASO 8.2014). Im Hinblick auf fast alle asylrelevanten Tatsachen ist Somalia in diesen drei Teilen zu betrachten (AA 1.1.2017).
Im Jahr 1988 brach in Somalia ein Bürgerkrieg aus, der im Jahr 1991 im Sturz von Diktator Siyad Barre resultierte. Danach folgten Kämpfe zwischen unterschiedlichen Clans, Interventionen der UN sowie mehrere Friedenskonferenzen (EASO 8.2014). Seit Jahrzehnten gibt es keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler, regionaler oder zentralstaatlicher Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft, hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clan-Strukturen) vergeben (AA 1.1.2017).
Im August 2012 endete die Periode der Übergangsregierung (BS 2016). Seit damals gibt es eine politische Entwicklung, die den Beginn einer Befriedung und Stabilisierung sowie eines Wiederaufbaus staatlicher Strukturen markiert. Am 1.8.2012 wurde in Mogadischu eine vorläufige Verfassung angenommen. Seitdem ist die Staatsbildung kontinuierlich vorangeschritten. Das im Dezember 2016 gewählte Parlament stellt dabei auch einen deutlichen demokratischen Fortschritt gegenüber dem 2012 gewählten Parlament dar. Während 2012 135 Clanälteste die Zusammensetzung bestimmten (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017), waren es 2016 über 14.000 Clan-Repräsentanten (UNHRC 6.9.2017) bzw. 13.000. Während die 54 Mitglieder des Oberhauses von den Parlamenten der Bundesstaaten gewählt wurden, wählten die o.g. Clan-Repräsentanten die 275 auf Clan-Basis ausgewählten Abgeordneten des Unterhauses (UNSC 9.5.2017).
Auch wenn es sich um keine allgemeine Wahl gehandelt hat, ist diese Wahl im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen ein Fortschritt gewesen (DW 10.2.2017). Allerdings war auch dieser Wahlprozess problematisch, es gibt zahlreiche Vorwürfe von Stimmenkauf und Korruption (SEMG 8.11.2017). Im Februar 2017 wählte das neue Zweikammerparlament Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmaajo" zum Präsidenten; im März bestätigte es Hassan Ali Kheyre als Premierminister (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, SEMG 8.11.2017). Das Parlament bestätigte am 29.3.2017 dessen 69-köpfiges Kabinett (UNSC 9.5.2017).
Die Macht wurde friedlich und reibungslos an die neue Regierung übergeben (WB 18.7.2017). Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein fragiler Staat (AA 1.1.2017). Die Regierung stellt sich den Herausforderungen, welche Dürre und Sicherheit darstellen. Überhaupt hat die Regierung seit Amtsantritt gezeigt, dass sie dazu bereit ist, die Probleme des Landes zu beheben (UNSC 5.9.2017). Dabei mangelt es der Bundesregierung an Einkünften, diese sind nach wie vor von den wenigen in Mogadischu erzielten Einnahmen abhängig (SEMG 8.11.2017).
Außerdem wird die Autorität der Zentralregierung vom nach Unabhängigkeit strebenden Somaliland im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen al Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Außerdem gibt es aber keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind fragil und schwach (AA 1.1.2017). Die föderale Regierung hat es bislang kaum geschafft, sich außerhalb Mogadischus durchzusetzen (ÖB 9.2016).
Allgemeine Wahlen sind für das Jahr 2020 (UNSC 9.5.2017) bzw. 2021 vorgesehen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNNS 13.9.2017). Deren Durchführung wird aber maßgeblich davon abhängen, wie sich die Sicherheitslage entwickelt, ob sich Wahlkommissionen auch in den Bundesstaaten etablieren können und ob ein Verfassungsgericht eingerichtet wird (UNSC 5.9.2017).
Neue föderale Teilstaaten (Bundesstaaten)
Generell befindet sich das föderalistische System Somalias immer noch in einer frühen Phase und muss in den kommenden Jahren konsolidiert werden (UNSC 9.5.2017). Zwar gibt es in manchen Gebieten Verbesserungen bei der Verwaltung und bei der Sicherheit. Es ist aber ein langsamer Prozess. Die Errichtung staatlicher Strukturen ist das größte Problem, hier versucht die internationale Gemeinschaft zu unterstützen (BFA 8.2017).
Kaum ein Bundesstaat ist in der Lage, das ihm zugesprochene Gebiet tatsächlich unter Kontrolle zu haben. Bei den neu etablierten Entitäten reicht die Macht nur wenige Kilometer über die Städte hinaus (BFA 8.2017; vgl. NLMBZ 11.2017).
Während im Norden bereits die Gliedstaaten Somaliland und Puntland etabliert waren, begann mit dem international vermittelten Abkommen von Addis Abeba von Ende August 2013 der Prozess der Gliedstaatsgründung im weiteren Somalia, der nach der Gründung der Bundesstaaten Jubaland, South West State (SWS), Galmudug und Hirshabelle 2016 seinen weitgehenden Abschluss fand (AA 4.2017a). Offen ist noch der finale Status der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (AA 4.2017a; vgl. UNSC 5.9.2017, BFA 8.2017).
Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clan-Balance.
Rein technisch bedeutet dies: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir (BFA 8.2017).
Die Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der Bundesstaaten sind angespannt, da es bei der Sicherheitsarchitektur und bei der Ressourcenverteilung nach wie vor Unklarheiten gibt (SEMG 8.11.2017). Außerdem hat der Schritt zur Föderalisierung zur Verschärfung von lokalen Clan-Spannungen beigetragen und eine Reihe gewalttätiger Konflikte ausgelöst. Die Föderalisierung hat zu politischen Kämpfen zwischen lokalen Größen und ihren Clans geführt (BS 2016). Denn in jedem Bundesstaat gibt es unterschiedliche Clankonstellationen und überall finden sich Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden. Sie fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
Im Zuge der Föderalisierung Somalias wurden mehrere Teilverwaltungen (Bundesstaaten) neu geschaffen: Galmudug Interim Administration (GIA); die Jubaland Interim Administration (JIA); Interim South West State Administration (ISWA). Keine dieser Verwaltungen hat die volle Kontrolle über die ihr unterstehenden Gebiete (USDOS 3.3.2017). Außerdem müssen noch wichtige Aspekte geklärt und reguliert werden, wie etwa die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern, die Verteilung der Einkünfte oder die Verwaltung von Ressourcen. Internationale Geber unterstützen den Aufbau der Verwaltungen in den Bundesstaaten (UNSC 5.9.2017).
1) Jubaland (Gedo, Lower Juba, Middle Juba): Im Jahr 2013 kam es zu einem Abkommen zwischen der Bundesregierung und Delegierten von Jubaland über die Bildung des Bundesstaates Jubaland. Im gleichen Jahr wurde Ahmed Mohamed Islam "Madobe" zum Präsidenten gewählt (USDOS 3.3.2017). Der JIA ist es gelungen, zumindest in Kismayo eine Verwaltung zu etablieren. Die Machtbalance in Jubaland wurde verbessert, seit die Ogadeni auch mit anderen Clans kooperieren und diese in Strukturen einbinden (BFA 8.2017).
2) South West State (SWS; Bay, Bakool, Lower Shabelle): Nach einer Gründungskonferenz im Jahr 2014 formierte sich im Dezember 2015 das Parlament des Bundesstaates South West State. Dieses wählte Sharif Hassan Sheikh Adam zum Übergangspräsidenten (USDOS 3.3.2017). Insgesamt befindet sich der SWS immer noch im Aufbau, die Regierungsstrukturen sind schwach, Ministerien bestehen nur auf dem Papier. Es gibt kaum Beamte, und in der Politik kommt es zu Streitigkeiten. Die Region Bakool ist besser an den SWS angebunden, als dies bei Lower Shabelle der Fall ist. Die Beziehungen von Lower Shabelle zur Bundesregierung und zum SWS sind kompliziert, der SWS hat dort kaum Mitsprache (BFA 8.2017).
3) HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle): Bei der Bildung des Bundesstaates HirShabelle wurde längere Zeit über gestritten. Beide Regionen (Hiiraan und Middle Shabelle) haben erklärt, dass sie genügend Einwohner hätten, um jeweils einen eigenen Bundesstaat gründen zu können. Trotzdem wurden die Regionen fusioniert (BFA 8.2017). Im Jänner 2016 fand eine Konferenz zur Bildung eines Bundesstaates aus Hiiraan und Middle Shabelle statt. In der Folge wurde im Oktober 2016 der Bundesstaat Hirshabelle eingerichtet: Ein Parlament wurde zusammengestellt und ein Präsident - Ali Abdullahi Osoble - gewählt. Anführer der Hawadle haben eine Teilnahme verweigert (USDOS 3.3.2017). Das Kabinett wurde Mitte März 2017 vom Parlament bestätigt (BFA 8.2017; vgl. UNSC 9.5.2017). Der Großteil der Regierung von HirShabelle befindet sich in Mogadischu. Die Bildung des Bundesstaates scheint alte Clan-Konflikte neu angeheizt zu haben, die Hawadle fühlen sich marginalisiert (BFA 8.2017).
4) Galmudug (Galgaduud, Teile von Mudug): 2015 wurde eine Regionalversammlung gebildet und Abdikarim Hussein Guled als Präsident gewählt hat (EASO 2.2016). Die Regionalversammlung war von der Bundesregierung eingesetzt worden. Ausgewählt wurden die 89 Mitglieder von 40 Ältesten, welche wiederum 11 Clans repräsentierten. Die Gruppe Ahlu Sunna wal Jama'a (ASWJ), die Teile der Region Galgaduud kontrolliert, hat den Prozess boykottiert und eine eigene Verwaltung eingerichtet (USDOS 3.3.2017). Die GIA wird von Hawiye/Habr Gedir/Sa'ad dominiert (EASO 2.2016). Am 25.2.2017 trat der Präsident von Galmudug, Abdikarim Hussein Guled, zurück (UNSC 9.5.2017). Am 3.5.2017 wurde Ahmed Duale Geele "Xaaf" vom Regionalparlament von Galmudug zum neuen Präsidenten gewählt (UNSC 5.9.2017). Auch der neue Präsident hat noch keine Lösung mit der ASWJ herbeigeführt (UNSOM 13.9.2017).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
* AA - Auswärtiges Amt (4.2017a): Somalia - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Somalia/Innenpolitik_node.html, Zugriff 13.9.2017
* BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
* BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
* DW - Deutsche Welle (10.2.2017): Kommentar: Farmajo, der neue Präsident Somalias - Wie viele Löcher hat der Käse? http://www.dw.com/de/kommentar-farmajo-der-neue-pr%C3%A4sident-somalias-wie-viele-l%C3%B6cher-hat-der-k%C3%A4se/a-37496267, Zugriff 24.11.2017
* EASO - European Asylum Support Office (2.2016): Somalia Security Situation,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1457606427_easo-somalia-security-feb-2016.pdf, Zugriff 21.12.2017
* EASO - European Asylum Support Office (8.2014): South and Central Somalia: Country Overview,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412334993_easo-2014-08-coi-report-somalia.pdf, Zugriff 21.11.2017
* NLMBZ - (Niederlande) Ministerie von Buitenlandse Zaken (11.2017):
Algemeen Ambtsbericht Zuid- en Centraal- Somalië, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1512376193_correctie-aab-zuid-en-centraal-somalie-2017-def-zvb.pdf, Zugriff 10.1.2018
* ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi (9.2016): Asylländerbericht Somalia
* SEMG - Somalia and Eritrea Monitoring Group (8.11.2017): Report of the SEMG on Somalia,
https://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=S/2017/924, Zugriff 14.11.2017
* UNHRC - UN Human Rights Council (6.9.2017): Report of the independent expert on the situation of human rights in Somalia http://www.refworld.org/docid/59c12bed4.html, Zugriff 11.11.2017
* UNNS - UN News Service (13.9.2017): Somalia facing complex immediate and long-term challenges, UN Security Council told, http://www.refworld.org/docid/59bfc8b34.html, Zugriff 11.11.2017
* UNSC - UN Security Council (5.9.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1505292097_n1726605.pdf, Zugriff 8.11.2017
* UNSC - UN Security Council (9.5.2017): Report of the Secretary-General on Somalia,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1496910356_n1712363.pdf, Zugriff 10.11.2017
* UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (13.9.2017):
SRSG Keating Briefing to the Security Council, https://unsom.unmissions.org/srsg-keating-briefing-security-council-1, Zugriff 11.11.2017
* USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
* WB - World Bank (18.7.2017): Somalia Economic Update, http://documents.worldbank.org/curated/en/552691501679650925/Somalia-economic-update-mobilizing-domestic-revenue-to-rebuild-Somalia, Zugriff 20.11.2017
0.1. Puntland
Der so genannte Puntland State of Somalia hat sich 1998 mit internationaler Unterstützung konstituiert. Er strebt keine Unabhängigkeit von Somalia an. Es konnten einigermaßen stabile staatliche Strukturen etabliert werden (AA 1.1.2017; vgl. BS 2016). Die staatlichen Organe in Puntland sind insgesamt weniger fragil als die zentralstaatlichen (AA 1.1.2017). Dabei konnte Puntland die Verwaltungskapazitäten weiter ausbauen. Gleichzeitig ist Puntland auf Bundesebene ein wichtiger Akteur. Grundlegende staatliche Dienste (z.B. Infrastruktur, Behörden) sind in Puntland gegeben. Das Verwaltungssystem ist aber urban konzentriert und reicht nicht bis in entlegene Gebiete (BS 2016).
Im Jänner 2014 kam es zum dritten Mal zu einem friedlichen Machtwechsel an der Spitze von Puntland. Allerdings fand dieser Machtwechsel nicht auf der Grundlage einer allgemeinen Wahl statt (AA 1.1.2017). Zwar war eine solche geplant, doch wurde die Wahl aufgrund gewaltsamer Proteste abgesagt. Gewählt wurde Präsident Abdiweli Mohamed Ali "Gaas" im Prinzip von Ältesten (BS 2016). Das Parlament, das den Präsidenten wählte, war unter Einbeziehung traditioneller Strukturen mit Clan-Bezug von einem durch den vorherigen Präsidenten eingesetzten Auswahlausschuss ernannt worden (AA 1.1.2017). Dabei folgte die Wahl von Präsident Gaas dem Rotationsprinzip der drei Hauptclans von Puntland (BS 2016).
Obwohl das Parlament schon im Jahr 2012 eine Verfassung beschlossen hat, die ein Mehrparteiensystem vorsieht (USDOS 3.3.2017), hat Puntland noch keine wirklich demokratischen Strukturen geschaffen. Präsident und Parlament werden durch den Beschluss von Ältesten entschieden (BS 2016).
Politische Auseinandersetzungen werden in der Regel zwar nicht gewaltsam ausgetragen, aber die Sicherheitslage ist im Umfeld der Wahlen sehr angespannt. Staatliche Sicherheitskräfte agieren mit Sondervollmachten (AA 1.1.2017).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
* BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
* USDOS - US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Somalia, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2016&dlid=265300, Zugriff 13.9.2017
1. Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten
Vergleicht man die Areas of Influence der Jahre 2012 und 2017, hat es kaum relevante Änderungen gegeben. Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben. Folglich befinden sich Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss der al Shabaab (BFA 8.2017).
Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden - etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BFA 8.2017).
Hinsichtlich der Lesbarkeit untenstehender Karte sind die folgenden Kommentare zu berücksichtigen:
Eine vollständige und inhaltlich umfassende Darstellung kann nicht gewährleistet werden; die
Gebietsgrenzen sind relativ, jedoch annähernd (z.B. Problematik der unterschiedlichen Einflusslage bei Tag und Nacht; der Fluktuation entlang relevanter Nachschubwege). Um die Karten übersichtlich zu gestalten, wurde eine Kategorisierung der auf somalischem Boden operierenden (Konflikt-)Parteien vorgenommen (BFA 8.2017):
a) Alle auf irgendeine Art und Weise mit der somalischen Regierung verbundenen und gleichzeitig gegen al Shabaab gestellten Kräfte wurden als "anti-al-Shabaab Forces" zusammengefasst. Diese Kategorie umfasst neben Bundeskräften (SNA) auch Kräfte der Bundesstaaten (etwa Jubaland, Galmudug, Puntland) sowie AMISOM und bi-lateral eingesetzte Truppen (und damit de facto auch die Liyu Police).
b) Die ASWJ wurde nicht in diese Kategorie aufgenommen, da sie zwar gegen al Shabaab kämpft, die Verbindung zur Bundesregierung aber momentan unklar ist.
c) Einige Clans verfügen über relative Eigenständigkeit, die auch mit Milizen abgesichert ist. Dies betrifft in erster Linie die Warsangeli (Sanaag), Teile der Dulbahante (Sool) und die Macawusleey genannte Miliz in Hiiraan. Keine dieser Milizen ist mit Somaliland, einem somalischen Bundesstaat, mit der somalischen Bundesregierung oder al Shabaab verbunden; sie agieren eigenständig, verfügen aber nur über eingeschränkte Ressourcen.
Operational Areas
d) Operationsgebiete, in welchen die markierten Parteien über relevanten Einfluss verfügen (einfarbig): Dort können die Parteien auf maßgebliche Mittel (Bewaffnung, Truppenstärke, Finanzierung, Struktur, Administration u.a.) zurückgreifen, um auch längerfristig Einfluss zu gewährleisten. Es sind dies die Republik Somaliland;
Puntland; teilweise auch Galmudug; AMISOM in Tandem mit der somalischen Regierung bzw. mit Bundesstaaten; äthiopische Kräfte im Grenzbereich; al Shabaab; Ahlu Sunna Wal Jama'a in Zentralsomalia;
e) Einige Gebiete (schraffiert) - vorwiegend in Süd-/Zentralsomalia - unterliegen dabei dem Einfluss von zwei dermaßen relevanten Parteien.
f) Alle in der Karte eingetragenen Städte und Orte wurden einer der o. g. Parteien zugeordnet. Sie gelten als nicht schraffiert, die Kommentare unter 4.1.2 sind zu berücksichtigen. Soweit bekannt wurden den Städten AMISOM-Stützpunkte oder Garnisonen bi-lateral eingesetzter Truppen zugeordnet. In den Städten ohne eine derartige Präsenz gibt es eine SNA-Präsenz, oder aber Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten; oder Somalilands.
g) Operationsgebiete, in welchen kleinere Parteien über eingeschränkten Einfluss verfügen (strichliert): Dort sind neben den o. g. relevanten Parteien noch weitere Parteien mit eingeschränkter Ressourcenlage aktiv. Ihr Einfluss in diesen Operationsgebieten ist von wechselnder Relevanz und hängt von den jeweiligen verfügbaren Ressourcen und deren Einsatz ab (BFA 8.2017).
Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2016; vgl. ACLED 2017).
Quellen:
* ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2017): Africa Data, Version 8 (1997-2017), https://www.acleddata.com/data/, Zugriff 10.1.2018
* ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project/University of Sussex (2016): Africa Data, Version 7 (1991-2016), http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 21.12.2017
* BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
* 1.1. Süd-/Zentralsomalia
Die Präsenz von AMISOM in Somalia bleibt auch mittelfristig essentiell, um die Sicherheit in Somalia zu gewährleisten. Sollte AMISOM überhastet abziehen oder die Verantwortung zu früh an somalische Sicherheitsbehörden übergeben, besteht das Risiko von Rückschritten bei der Sicherheit (UNSC 5.9.2017; vgl. ICG 20.10.2017).
AMISOM hat große Erfolge erzielt, was die Einschränkung der territorialen Kontrolle der al Shabaab anbelangt (ICG 20.10.2017). Weite Teile des Landes wurden durch AMISOM und durch die somalische Armee aus den Händen der al Shabaab zurückgeholt (UNHRC 6.9.2017), und AMISOM hat al Shabaab weitgehend zurückgedrängt (ÖB 9.2016). AMISOM und die somalische Regierung konnten ihre Kontrolle in zurückgewonnenen Gebieten etwas konsolidieren (AI 22.2.2017). Es ist aber kaum zur Einrichtung von Verwaltungen gekommen (BFA 8.2017).
Gleichzeitig hat AMISOM ihre Kräfte überdehnt. Die Mission tut sich schwer dabei, nunmehr den Kampf gegen eine Rebellion führen zu müssen, welche sich von lokalen Konflikten nährt. Die al Shabaab ist weiterhin resilient (ICG 20.10.2017). Außerdem beherrschen einige der neu errichteten Bundesstaaten nicht viel mehr, als ein paar zentrale Städte. Der effektive Einfluss von AMISOM und den somalischen Verbündeten bleibt jedoch in vielen Fällen auf das jeweilige Stadtgebiet konzentriert, auch wenn es teils zu weiteren Exkursionen kommt. In einigen Städten ist es in jüngerer Vergangenheit zu Verbesserungen gekommen. Dies gilt mehrheitlich auch für Mogadischu (BFA 8.2017).
Seit Beginn des Bürgerkrieges 1991 gab es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden. In Süd-/Zentralsomalia herrscht weiterhin in vielen Gebieten Bürgerkrieg. Die somalischen Sicherheitskräfte kämpfen mit Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) gegen die radikalislamistische Miliz al Shabaab. Die Gebiete sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen (AA 1.1.2017; vgl. ÖB 9.2016) oder sind von AMISOM Offensiven betroffen (ÖB 9.2016). Kämpfe - vor allem unter Beteiligung von al Shabaab, aber auch unter Beteiligung von Clans - sowie Zwangsräumungen haben zu Vertreibungen und Verlusten geführt (HRW 12.1.2017). Dabei haben AMISOM und die somalische Armee seit Juli 2015 keine großen Offensive mehr geführt (SEMG 8.11.2017). Im Jahr 2016 gab es zwar Kämpfe zwischen AMISOM/Regierung und al Shabaab, es kam aber kaum zu Gebietswechseln (AI 22.2.2017). Im Jahr 2017 ist es zu weniger direkten militärischen Auseinandersetzungen zwischen al Shabaab und AMISOM gekommen. Die am meisten vom militärischen Konflikt betroffenen Gebiete sind die Frontbereiche, wo Ortschaften und Städte wechselnder Herrschaft unterworfen sind; sowie das Dreieck Mogadischu-Afgooye-Merka (BFA 8.2017).
Die reduzierten Kapazitäten der al Shabaab haben dazu geführt, dass sich die Gruppe auf Guerilla-Taktik und asymmetrische Kriegsführung verlegt hat. Al Shabaab begeht verübt komplexe Angriffe, Selbstmordattentate, und gezielte Attentate auf Einzelpersonen (UKHO 7.2017). Die Gruppe setzt den Guerillakampf im ländlichen Raum Süd-/Zentralsomalias fort. Regelmäßig kommt es zu Angriffen auf somalische und AMISOM-Truppen, die sich auf Verbindungsstraßen bewegen (UNSC 5.9.2017; vgl. UNSC 9.5.2017).
Al Shabaab kontrolliert weiterhin wichtige Versorgungsrouten und hält gegen Städte unter Kontrolle von AMISOM und Regierungskräften Blockaden aufrecht (HRW 12.1.2017). Durch Guerilla-Aktivitäten isoliert al Shabaab mehrere Städte, die teils als Inseln im Gebiet der Gruppe aufscheinen (BFA 8.2017). AMISOM muss an vielen Einsatzorten von UNSOS aus der Luft versorgt werden, da die Überlandrouten nicht ausreichend abgesichert sind (UNSC 5.9.2017).
Es hat mehrere Fälle gegeben, wo internationale Truppen Gebiete in Bakool, Galgaduud, Hiiraan und Lower Shabelle ohne große Ankündigung geräumt haben. In der Folge ist al Shabaab unmittelbar in diese Gebiete zurückgekehrt und hat an der lokalen Bevölkerung zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter, Entführung, Vernichtung humanitärer Güter, Zwangsrekrutierung) begangen (SEMG 8.11.2017). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass eben jene Orte, aus denen die ENDF oder AMISOM rasch abgezogen sind, am meisten unter dem Konflikt leiden. Sobald die Regierungskräfte abziehen, füllt nämlich al Shabaab das entstandene Vakuum auf. Vergeltungsmaßnahmen gegen Zivilisten folgen umgehend. Es gibt regelmäßig Berichte darüber, dass AS mutmaßliche Kollaborateure hingerichtet hat. Die Menschen dort leben unter ständiger Bedrohung (BFA 8.2017).
Im September 2017 überrannte al Shabaab mehrere Stützpunkte der somalischen Armee, namentlich in Bulo Gaduud, Belet Xawo, Ceel Waaq und Bariire (19.12.2017 VOA).
Eine Infiltration von unter Kontrolle der Regierung stehenden Städten mittels größerer Kampfverbände der al Shabaab kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure der al Shabaab kommt in manchen Städten vor (BFA 8.2017). Al Shabaab ist dadurch nach wie vor in der Lage, auch auf die am schwersten bewachten Teile von Mogadischu oder anderer Städte tödliche Angriffe zu führen (AI 22.2.2017).
Die Unsicherheit in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, einschließlich Mogadischu, sowie politische Machtkämpfe behindern Fortschritte im Bereich der Justiz und die Reform des Sicherheitssektors (ÖB 9.2016). Politische Anstrengungen zur Etablierung bzw. Stärkung von Bundesländern verstärkten Clankonflikte in manchen Bereichen (ÖB 9.2016; vgl. BS 2016, BFA 8.2017). Auch dabei kommen Zivilisten zu Schaden (HRW 12.1.2017).
Auch Regierungstruppen und Clanmilizen geraten regelmäßig aneinander. Dadurch werden viele Zivilisten schwerverletzt bzw. getötet. In solchen Fällen bleibt Zivilisten nichts andres übrig als die Flucht zu ergreifen, da weder Clan- noch staatlicher Schutz gegeben ist (ÖB 9.2016).
Gezielte Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur mittels Selbstmordattentätern und anderen Sprengstoffanschlägen durch die al Shabaab haben weiterhin gravierende Folgen (HRW 12.1.2017). Zivilisten kommen im Kreuzfeuer, bei gezielten Attentaten, durch Sprengsätze oder Handgranaten und bei komplexen Anschlägen ums Leben oder werden verwundet (AI 22.2.2017). Generell hat al Shabaab vermehrt Gewalt gegen Zivilisten angewandt, nötigt oder bestraft in den Gebieten unter ihrer Kontrolle ganze Gemeinden. Aufgrund der durch die Dürre verstärkten Ressourcenknappheit hat al Shabaab Dörfern niedergebrannt und Älteste enthauptet, um ihre Steuerforderungen durchzusetzen - so z.B. im Raum Xaradheere im November 2016 (SEMG 8.11.2017). Im ersten Trimester 2017 wurden von al Shabaab 36 Personen entführt, davon wurden 15 später wieder freigelassen (UNSC 9.5.2017).
NSOM hat für den Zeitraum 1.1.2016-14.10.2017 insgesamt 2.078 getötete zivile Opfer in Somalia dokumentiert; hinzu kommen 2.507 Verletzte. Für 60% der Opfer ist die al Shabaab verantwortlich (UNHRC 10.12.2017a).
(UNHRC 10.12.2017b)
Für das Jahr 2016 berichtet das UN Mine Action Service von 267 durch Sprengstoffanschläge getötete und 727 verletzte Personen. Bei Kämpfen kamen zwischen Jänner und August 2016 492 Zivilisten ums Leben (USDOS 3.3.2017). Andererseits beruft sich die SEMG auf Zahlen von ACLED. Demnach seien im Zeitraum Jänner 2016 bis Mitte August 2017 bei 533 Zwischenfällen mit improvisierten Sprengsätzen insgesamt 1.432 Zivilisten zu Schaden gekommen, 931 davon wurden getötet (SEMG 8.11.2017). Das Rote Kreuz wiederum berichtet, dass im Jahr 2016 ca. 5.300 durch Waffen verletzte Personen in vom IKRK unterstützten Spitälern eine Behandlung erhalten haben; v.a. in Mogadischu, Baidoa und Kismayo (ICRC 23.5.2017). Es ist offenbar schwierig, die genaue Zahl festzustellen (AI 22.2.2017).
Im ersten Trimester 2017 wurden 646 Zivilisten getötet oder verletzt (UNSC 9.5.2017), im zweiten Trimester waren es 582 (ca. die Hälfte der letztgenannten Zahl ist al Shabaab zuzuschreiben, 12 Opfer der AMISOM, 41 den staatlichen Sicherheitskräften; bei durch die Dürre verschärften Ressourcenkonflikten kamen 175 Zivilisten zu Schaden) (UNSC 5.9.2017). Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 11 Millionen Einwohnern (CIA 6.11.2017) liegt die Quote getöteter Zivilisten:Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia im ersten Trimester 2017 bei ca. 1:17.000, im zweiten Trimester bei 1:18.900.
Auch wenn die Zahl von Gewalt gegen Zivilisten seit dem Jahr 2013 relativ konstant bleibt, so hat sich die Letalität - etwa aufgrund der Proliferation von destruktiveren Methoden - erhöht. Im Durchschnitt kommen bei jedem Vorfall also mehr Menschen zu Schaden (SEMG 8.11.2017). Absolutes Beispiel dieses Trends ist der Anschlag vom 14.10.2017 in Mogadischu, bei welchem mehr als 500 Menschen getötet wurden - wiewohl sich al Shabaab bislang nicht zu dem Anschlag bekannt hat (DS 2.12.2017).
Dahingegen ist bei den staatlichen Sicherheitskräften ein positiver Trend zu erkennen. Sie sind in keine größeren Angriffshandlungen gegen Zivilisten verwickelt (SEMG 8.11.2017).
Im zweiten Trimester 2017 kam es in ganz Somalia zu 16 Luftangriffen, die meisten davon in den Regionen Gedo (8), Lower Shabelle (4) und Lower Juba (3). Insgesamt kamen dabei 18 Zivilisten zu Schaden (UNSC 5.9.2017). Eine andere Quelle nennt als Gesamtzahl für die ersten beiden Trimester 2017 32 Luftangriffe durch Kenia, die USA und nicht identifizierte Kräfte (SEMG 8.11.2017). Insgesamt sollen alleine die USA im Jahr 2017 30 Luftschläge in Somalia durchgeführt haben (BBC 22.12.2017). Jedenfalls haben die USA ihre Angriffe verstärkt: Während sie im gesamten Jahr 2016 nur dreizehn Luftschläge führte, waren es alleine im Zeitraum Juni-September 2017 neun. Seit 2016 haben sich die Auswirkungen von Luftschlägen auf Zivilisten aufgrund gezielterer Angriffe verringert. Insgesamt wurden im Zeitraum Jänner 2016 bis Juni 2017 bei 58 Luftschlägen 36 zivile Opfer dokumentiert (SEMG 8.11.2017).
Quellen:
* AA - Auswärtiges Amt (1.1.2017): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia
* AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/336580/479258_de.html, Zugriff 14.9.2017
* BBC (22.12.2017): Who are Somalia's al-Shabab?
http://www.bbc.com/news/world-africa-15336689, Zugriff 5.1.2018
* BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Somalia. Sicherheitslage in Somalia. Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, http://www.bfa.gv.at/files/berichte/FFM%20Report_Somalia%20Sicherheitslage_Onlineversion_2017_08_KE_neu.pdf, Zugriff 13.9.2017
* BS - Bertelsmann Stiftung (2016): BTI 2016 - Somalia Country Report,
https://www.bti-project.org/fileadmin/files/BTI/Downloads/Reports/2016/pdf/BTI_2016_Somalia.pdf, Zugriff 20.11.2017
* CIA - Central Intelligence Agency (6.11.2017): The World Factbook - Somalia,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/so.html, Zugriff 10.11.2017
* DS - Der Standard (2.12.2017): Neue Bilanz: Mehr als 500 Tote bei verheerendem Anschlag in Mogadischu, http://derstandard.at/2000068930378/Neue-Bilanz-Mehr-als-500-Tote-bei-verheerendem-Anschlag-in?ref=rec, Zugriff 21.12.2017
* HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Somalia, http://www.ecoi.net/local_link/334750/476503_de.html, Zugriff 14.9.2017
* ICG - International Crisis Group (20.10.2017): Managing the Disruptive Aftermath of Somalia's Worst Terror Attack , http://www.refworld.org/docid/59e9b7e74.html, Zugriff 11.11.2017
* ICRC - International Committee of the Red Cross (ICRC) (23.5.2017): Annual Report 2016 - Somalia, http://www.refworld