Entscheidungsdatum
09.01.2020Norm
ASVG §410Spruch
W164 2225691-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über den Antrag des DI XXXX , geb. XXXX , vom 05.11.2019 auf Bewilligung der Verfahrenshilfe in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend die Haftung des Beschwerdeführers nach § 67 Abs 10 ASVG beschlossen:
A) Dem Antrag wird gemäß § 8a Abs 1 VwGVG keine Folge gegeben und
die Verfahrenshilfe nicht bewilligt.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (im Folgenden BF) war ab 07.10.2009 handelsrechtlicher Geschäftsführer der XXXX GmbH mit Sitz in Wien, mit dem Geschäftszweig Entwicklung und Vermarktung von Verfahrenstechnik für Sensorapplikationen sowie Entwicklung von Lärmschutzsegmenten. Über das Vermögen dieser GmbH wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien, GZ XXXX vom 04.09.2018 der Konkurs eröffnet.
Ab 05.09.2018 wurde die genannte Gesellschaft von einer Masseverwalterin abgewickelt. Nach Verteilung an die Massegläubiger wurde der Konkurs mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 11.06.2019, GZ XXXX , aufgehoben. Die Firma wurde mit 31.08.2019 infolge Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG amtswegig gelöscht.
Die Österreichische Gesundheitskasse, Wien, vormals Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden ÖGK) stellte mit Bescheid GZ 11-2019-BE-VER10-00020 vom 04.10.2019 fest, dass der BF als Geschäftsführer der genannten GmbH gemäß § 67 Abs 10 ASVG iVm 83 ASVG die aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Jänner 2017 bis April 2018 zu entrichten gewesenen Beiträge iHv € 24.450,98 zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe aus € 22.640,22 schulde. Zur Begründung führte die ÖGK aus, sämtliche Einbringungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Dem BF sei mit Schreiben vom 23.01.2019 Gelegenheit geboten worden, darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei (§ 45 Abs 3 AVG). Der BF habe jedoch keine entsprechenden Unterlagen zum Nachweis der Gleichbehandlung vorgelegt. Daher sei im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (2008/15/0085; 2007/13/0063) seine Haftung auszusprechen. Die ÖGK hat diesem Bescheid einen Rückstandsausweis angeschlossen, mit dem der von der genannten GmbH geschuldete Betrag aufgeschlüsselt wird.
Der Bescheid der ÖGK vom 04.10.2019 war dem BF am 09.10.2019 nachweislich zugestellt worden. Der BF gab am 5.11.2019, somit innerhalb der Beschwerdefrist den nun verfahrensgegenständlichen Antrag auf Verfahrenshilfe bei der ÖGK persönlich ab.
Rechtliche Beurteilung:
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A)
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und in das Firmenbuch zu FN XXXX
§ 8a Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) lautet:
"(1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden. Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.
(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.
(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.
(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs. 2 genannten Anträge beziehen.
(8) Die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter erlischt mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten.
(9) In Verfahrenshilfesachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig.
(10) Der Aufwand ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit handelt."
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der "Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse"; in jenen Fällen, in denen es "unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde," müsse ein solcher beigestellt werden.
Maßgeblich sind die Vermögensverhältnisse der Partei, ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden, weiters ihre Erfolgsaussichten und die Komplexität des Falles bzw. die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (vgl 1255 der Beilagen XXV. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen zu § 8a VwGVG).
Verfahrenshilfe gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist somit nur dann vorgesehen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten und die Verfahrenshilfe - im konkreten Verfahren - geboten ist.
Gemäß § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO umfasst die Verfahrenshilfe die unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwaltes nur in solchen Fällen, in denen die Vertretung durch einen Rechtsanwalt gesetzlich geboten ist oder es nach der Lage des Falles erforderlich erscheint. Eine Erforderlichkeit ist nur dann gegeben, wenn der Rechtsfall besondere Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht erwarten lässt. Dabei kommt es einerseits auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers an, wie etwa über den Grad von Verständnis und Intelligenz bzw. an Rechtskenntnissen dieser verfügt. In Einzelfällen kann auch die besondere Trageweite des Rechtsfalles für den Antragsteller von Relevanz sein. Weiters kommt es auch auf die Komplexität der Rechtssache an (vgl. M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 64 ZPO, Rz 16).
Die Beigebung eines Rechtsanwalts in Verfahren ohne Anwaltspflicht soll eine Ausnahme darstellen. OLG Linz 2 R 65/03x und LGZ Wien 42 R 226/03a EFSlg 105.674. Sie ist vor allem erforderlich, wenn die Partei nur über einen geringen Grad von Rechtsverständnis und Rechtskenntnis verfügt und damit auch der richterlichen Anleitung nach § 432 ZPO Grenzen gesetzt sind. LGZ Wien 31. 1. 1995 EFSlg 79.168; LGZ Wien 9. 4. 1997 EFSlg 85.252; LGZ Wien 20. 10. 1998 MietSlg 50.710; LGZ Wien 29. 12. 1999 EFSlg 90.866; LGZ Wien 42 R 122/01d EFSlg 98.128; LGZ Wien 43 R 420/02m EFSlg 101.846-101.848; OLG Linz 2 R 65/03x ua EFSlg 105.676 (vgl. Klauser/Kodek, JN - ZPO18 § 64 ZPO, E 16 (Stand 1.9.2018, rdb.at)).
In dem vom BF angestrebten Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht besteht keine Anwaltspflicht. Es haben sich weiters keine Hinweise darauf ergeben, dass der BF nicht in der Lage wäre, mit Behörden und Gerichten in Kontakt zu treten und seine Sache selbst zu vertreten. Der BF führt einen akademischen Titel und hatte nahezu neun Jahre lang die Funktion des Geschäftsführers der nunmehrigen Beitragsschuldnerin inne. Es kann vorausgesetzt werden, dass der BF in der Lage ist, sich über die hier relevanten Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge einen Überblick zu verschaffen, Auskunft zu geben und die entsprechenden Beweismittel vorzulegen. Unter Berücksichtigung dessen ist die vorliegende Rechtssache auch nicht als außergewöhnlich komplex anzusehen. Die von BF beantragte Verfahrenshilfe ist im vorliegenden Verfahren somit nicht geboten.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig. Trotz des Fehlens einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8a VwGVG liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, da die Rechtslage zur Gewährung von Verfahrenshilfe sowohl durch den EGMR als auch durch den EuGH hinreichend geklärt ist (vgl. dazu VwGH 20.12.2016, Ro 2014/03/0049). Zudem ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 40 VwGVG sowie zu den einschlägigen Bestimmungen der ZPO auf die Prüfung der Erforderlichkeit der Beigebung eines Verfahrenshelfers nach § 8a Abs. 2 VwGVG iVm § 64 Abs. 1 Z 3 ZPO übertragbar. Letztlich handelt es sich bei der Entscheidung über die Bewilligung der Verfahrenshilfe stets um eine einzelfallbezogene Beurteilung.
Schlagworte
Rechtsvertreter, VerfahrenshilfeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W164.2225691.2.00Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020