TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/9 W103 1255399-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.01.2020
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Entscheidungsdatum

09.01.2020

Norm

AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W103 1255399-2/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. AUTTRIT als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2019, Zl. 740157808-190538835, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 4, 8, 57

AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit reiste gemeinsam mit ihrem damaligen Ehegatten und ihrem minderjährigen Sohn illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 31.01.2004 einen Antrag auf Asylerstreckung, dem im Berufungsverfahren mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.10.2006, Zl. 255.399/14-II/04/06, stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 Asyl durch Erstreckung (bezogen auf das Verfahren ihres damaligen Ehegatten) gewährt wurde.

2. Mit Beschluss eines Bezirksgerichts vom 19.06.2012 wurde die Ehe zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem damaligen Ehegatten im Einvernehmen geschieden.

Mit rechtskräftigem Urteil eines Landesgerichts vom XXXX wurde die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, welche ihr unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

3. Mit Aktenvermerk vom 27.05.2019 leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Verfahren zur Aberkennung des Status der Asylberechtigten wegen geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat ein.

Am 23.07.2019 wurde die Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst an, sie sei gesund und nehme keine Medikamente ein. Sie sei in Tschetschenien geboren und aufgewachsen und habe dort bis zu ihrem 25. Lebensjahr gelebt. Im Dezember 2003 habe sie Tschetschenien gemeinsam mit ihrem Sohn und Ehemann verlassen. Seitdem sei sie dreimal in den Herkunftsstaat (Moskau) zurückgekehrt. Sie habe sich jeweils für zwei Wochen mit ihrer Tochter in Moskau aufgehalten, zuletzt vor rund drei Jahren. Die Einreisen seien legal mit ihrem russischen Reisepass erfolgt, welchen sie bei sich zu Hause hätte. Diesen hätte sie jeweils bei der russischen Botschaft in Österreich verlängern lassen; auch ihre Kinder besäßen russische Auslandsreisepässe. Nach Tschetschenien sei sie nicht zurückgekehrt, da sie ein behindertes Kind hätte und die Reise zu beschwerlich gewesen wäre. Sie habe sich im Jahr 2012 von ihrem damaligen Ehemann getrennt, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn und eine gemeinsame Tochter hätte. Sie lebe mit ihren beiden Kindern in einem gemeinsamen Haushalt und habe keinen Kontakt mehr zu ihrem Ex-Mann. Sie habe diesen zuletzt vor rund zwei Jahren kurz gesehen. Im Heimatland hielten sich noch die Mutter, die drei Schwestern und der Bruder der Beschwerdeführerin auf. Im Falle einer aktuellen Rückkehr nach Tschetschenien hätte sie Angst um ihre Tochter, da diese krank sei und es dort keine entsprechende medizinische Versorgung gebe. Befragt nach persönlichen Befürchtungen erklärte die Beschwerdeführerin, sie sei damals wegen der Probleme ihres Mannes ausgereist. Aufgrund dessen hätte sie womöglich immer noch Schwierigkeiten. Sie könne sich überhaupt nicht vorstellen, mit ihren Kindern in ihr Heimatland zurückzukehren. Die Beschwerdeführerin habe hier ständig verbale Bedrohungen aufgrund ihrer damaligen Ausreise erhalten. Auch ihr Ex-Mann sei bedroht worden. Nach der letzten verbalen Bedrohung gegen sie bzw. ihre Familienangehörigen aufgrund der damaligen Probleme gefragt, gab die Beschwerdeführerin an, ihre Ex-Schwägerin hätte ihr gesagt, dass Leute zum Zuhause ihres Ex-Mannes in Tschetschenien gekommen wären und gesagt hätten, dass sie sie finden würden.

In Österreich habe die Beschwerdeführerin Deutschkurse besucht und arbeite seit Anfang Juni 2019 zwölf Stunden in der Woche bei einer Leihfirma als Reinigungskraft.

Der Beschwerdeführerin wurden in der Folge die aktuellen Länderfeststellungen zu ihrem Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht. Weiters wurde sie darüber informiert, dass in ihrem Fall ein Endigungsgrund eingetreten sei und im Falle einer Rückkehr keine reale Gefahr für ihr Leben oder ihre Gesundheit bestünde. Diese würde im Herkunftsstaat zumutbare Lebensbedingungen vorfinden und könnte auf die Unterstützung ihrer Familienmitglieder zurückgreifen. Die Beschwerdeführerin verzichtete auf die Abgabe einer Stellungnahme.

4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31.07.2019 wurde der Beschwerdeführerin in Spruchteil I. der ihr mit Erkenntnis vom 04.10.2006 zuerkannte Status der Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 idgF aberkannt. Gemäß § 7 Abs. 4 AsylG wurde festgestellt, dass dieser die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme. In Spruchteil II. wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, weiters wurde ihr in Spruchteil III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Darüber hinaus wurde in Spruchteil IV. ausgesprochen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei und der Beschwerdeführerin gemäß § 58 Abs. 2 und 3 AsylG iVm § 55 AsylG eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG erteilt werde.

Die Entscheidung über die Aberkennung des Status der Asylberechtigten wurde darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihr Heimatland keine Gefährdungs- oder Bedrohungslage zu befürchten hätte und sie eine aktuelle Furcht vor Verfolgung in der Russischen Föderation nicht habe glaubhaft machen können. Diese habe keine glaubhaften sie selbst betreffenden Rückkehrbefürchtungen geäußert, sondern sich in erster Linie auf eine Angst um ihre körperlich beeinträchtigte Tochter berufen. Soweit sich die Beschwerdeführerin - erst nach einer entsprechenden Suggestivfrage - in auffallend vager Weise auf angebliche verbale Bedrohungen in Zusammenhang mit den ursprünglichen Fluchtgründen ihres Ex-Mannes berufen hätte, sei auf die Ausführungen ihres Ex-Gatten zu verweisen, der anlässlich einer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl davon gesprochen hätte, dass er seit dem Verlassen seines Heimatlandes keine Konsequenzen mehr zu befürchten gehabt hätte. Es sei demnach nicht ersichtlich, weshalb gerade die Beschwerdeführerin nach wie vor einer Bedrohung ausgesetzt sein sollte. Weiters habe sich die Beschwerdeführerin eigenen Angaben zufolge wiederholt problemlos in den Herkunftsstaat für zweiwöchige Aufenthalte zurückbegeben, wozu sie sich im Falle einer tatsächlich befürchteten Verfolgung kaum bereit gezeigt hätte. Überdies habe diese freiwillig Kontakt mit den Behörden ihres Herkunftsstaates zwecks Verlängerung ihres russischen Reisepasses aufgenommen. Von einer Verfolgung durch ihr Heimatland könne somit keinesfalls mehr ausgegangen werden. Im Falle der Beschwerdeführerin, welcher der Status der Asylberechtigten im Wege der Erstreckung zuerkannt worden wäre, seien zu keinem Zeitpunkt individuelle Fluchtgründe festgestellt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich durch das geschilderte Verhalten freiwillig wieder dem Schutz ihres Heimatlandes unterstellt, zudem seien die Umstände aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden wäre, weggefallen. Da sie durch ein Landesgericht rechtskräftig verurteilt worden wäre, sei die in § 7 Abs. 3 AsylG genannte Frist von drei Jahren nicht zu berücksichtigen.

Die Beschwerdeführerin habe keine glaubhaften Gründe vorgebracht, die ein Leben in der Russischen Föderation für sie unzumutbar darstellen würden. Diese könnte ihren Lebensunterhalt in der Russischen Föderation als gesunde Frau im erwerbsfähigen Alter bestreiten und würde ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Auch könnte sie auf Unterstützung durch ihre zahlreich in Tschetschenien lebenden Angehörigen zurückgreifen. Diese sei mit der Sprache, den Gebräuchen und Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut, weshalb ihr eine Wiedereingliederung problemlos möglich sein werde. Die Beschwerdeführerin leide an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen und sei arbeitsfähig. Es hätten seitens der Behörde keine exzeptionellen Umstände erkannt werden können, die einer in Art. 2 und/oder Art. 3 EMRK genannten Gefährdung gleichzuhalten wären und es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin im Herkunftsstaat einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein werde. Demnach sei der Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen.

Gründe für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG hätten sich im Verfahren nicht ergeben.

Die Beschwerdeführerin lebe in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren beiden minderjährigen Kindern. Ihre Tochter benötige aufgrund einer Muskelschwäche einen Rollstuhl sowie ein Beatmungsgerät und sei auf Betreuung durch die Beschwerdeführerin angewiesen. Die Beschwerdeführerin arbeite geringfügig für eine Leiharbeitsfirma und spreche ein wenig Deutsch. Aufgrund der vorliegenden Aufenthaltsverfestigung und des bis dahin ordentlichen Lebenswandels stünde die vorliegende strafgerichtliche Verurteilung der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 AsylG 2005 fallgegenständlich nicht entgegen.

Der dargestellte Bescheid wurde der Beschwerdeführerin am 06.08.2019 durch Hinterlegung zugestellt.

5. Mit am 28.08.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eingelangtem Schriftsatz wurde durch die nunmehr bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis

III. des dargestellten Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften eingebracht. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, es sei zutreffend, dass sich die Beschwerdeführerin nach der Asylgewährung in Österreich einen russischen Auslandsreisepass habe ausstellen lassen, allerdings habe diese sich niemals dem Schutz des Heimatlandes unterstellen wollen und auch nicht beabsichtigt, die Beziehungen zu ihrer Heimat zu normalisieren. Unter Zugrundelegung des Akteninhalts lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführerin sich freiwillig unter den Schutz des Heimatstaates gestellt hätte. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte die Behörde zum Ergebnis kommen müssen, dass der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten weiterhin zu gewähren sei bzw. ihr zumindest der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zukomme, da sie aufgrund der fehlenden Anknüpfungspunkte in der Russischen Föderation kein menschenwürdiges Leben führen könnte.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 04.09.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Russischen Föderation, welche aus der Teilrepublik Tschetschenien stammt und sich zum moslemischen Glauben bekennt. Die Beschwerdeführerin reiste im Jahr 2004 gemeinsam mit ihrem damaligen Ehegatten und ihrem minderjährigen Sohn (nunmehriger Beschwerdeführer zu Zl. W103 1268962-2) illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 31.01.2004 einen Antrag auf Asylerstreckung. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 04.10.2006, Zl. 255.399/14-II/04/06, wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 11 AsylG 1997 im Wege der Erstreckung (bezogen auf das Verfahren ihres damaligen Ehegatten) der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Der Status des Asylberechtigten des Ex-Ehegatten der Beschwerdeführerin (IFA-Zahl: 740158108) wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2019 aberkannt.

1.2. Die Beschwerdeführerin verfügt über einen im Dezember 2015 ausgestellten russischen Auslandsreisepass und ist nach Zuerkennung des Status der Asylberechtigten dreimal für jeweils zweiwöchige Aufenthalte legal auf dem Luftweg in den Herkunftsstaat (Moskau) gereist. Während ihrer Aufenthalte war sie, auch im Zuge der Sicherheitskontrollen bei den Ein- und Ausreisen auf dem Luftweg, von keinen Problemen betroffen.

Nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführerin in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Die Beschwerdeführerin liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführerin, welcher bis zum 25. Lebensjahr in Tschetschenien gelebt hat und mit der Sprache und den Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut ist, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen und ist zu einer eigenständigen Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in der Lage. In Tschetschenien halten sich unverändert die Mutter und vier volljährige Geschwister der Beschwerdeführerin auf.

1.3. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 und Abs. 4 StGB sowie des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, welche ihr unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.4. Mit dem - unangefochten in Rechtskraft erwachsenen - Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklärt und der Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt.

1.5. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zu Grundversorgung und Wirtschaft sowie zur Lage von Rückkehrern in der Russischen Föderation wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

...

Änderungen seit Mai 2018:

Erstens wurde weitere, die Zeugen Jehovas betreffende Literatur in die "Föderale Liste extremistischer Materialien" des Justizministeriums der RF

(http://minjust.ru/ru/extremist-materials?field_extremist_content_value) aufgenommen. Es handelt sich dabei um die Positionen 4471, 4472, 4485 bis 4488 und 4502, die aufgrund der Entscheidungen diverser russischer Gerichte am 5.7.2018 bzw. am 31.8.2018 in die Liste aufgenommen wurden. Zweitens wurde der Erlass N 11 "Über die gerichtliche Praxis in Strafsachen zu Verbrechen mit extremistischer Ausrichtung" des Plenums des Obersten Gerichts vom 28.6.2011 am 20.9.2018 novelliert, die Definition der Z 20 Abs. 2, was unter einer Teilnahme an einer extremistischen Organisation iSd Art. 282.2 russ. StGB zu verstehen ist, ist aber ebenso unverändert geblieben wie der Art. 282.2 russ. StGB ("Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation") selbst. Auch die Entscheidung des Obersten Gerichts der RF N AKPI 17-238 vom 20. April 2017, mit der das "Leitungszentrum der Zeugen Jehovas in Russland" als extremistische Organisation eingestuft und verboten wurde, ist unverändert gültig.

Unter dem Link http://gorod-che.ru/new/2018/10/10/58877 findet sich ein Artikel vom 10.10.2018, wonach fünf Bewohner der Kirowsker Oblast festgenommen wurden wegen des Versuches, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen Jehovas weiterverbreitet, wieder aufzunehmen. Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20.4.2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung - in der Zeit vom 16.8.2017 bis zum 29.9.2018 beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Unter Beachtung aller konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden.

Art. 282.3 des russ. StGB

(http://www.consultant.ru/document/cons_doc_LAW_10699/51346ce1f845bc43ee6f3eadfa69f65119c941fa/) stellt die Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit unter gerichtliche Strafe. Er lautet:

"Art. 282.3 Finanzierung einer extremistischen Tätigkeit

1. Die Zurverfügungstellung oder Sammlung von Mitteln oder die Erbringung finanzieller Dienstleistungen, wissentlich bestimmt für die Finanzierung der Organisation, der Vorbereitung und Begehung zumindest eines der Verbrechen extremistischer Ausrichtung oder für die Sicherstellung der Tätigkeit einer extremistischen Vereinigung oder extremistischen Organisation wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 3 bis 8 Jahren.

2. Diese Taten, begangen von einer Person unter Ausnutzung ihrer Amtsstellung wird mit einer Geldstrafe in der Höhe von 300.000 bis 700.000 RUB bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder ohne eine solche oder mit Zwangsarbeiten für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit einer Beschränkung der Freiheit mit einer Frist von 1 bis zu 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 5 bis 10 Jahren.

Anmerkung: Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortlichkeit frei, wenn sie mittels rechtzeitiger Benachrichtigung der Behörden oder auf andere Weise die Verhinderung des Verbrechens, das sie finanziert hat, sichergestellt hat, ebenso wenn sie die Verhinderung der Tätigkeit der extremistischen Gesellschaft oder der extremistischen Organisation sichergestellt hat, für deren Sicherstellung der Tätigkeit sie Mittel zur Verfügung gestellt oder gesammelt oder finanzielle Dienstleistungen erbracht hat, wenn in ihren Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist."

Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen Jehovas) werden also von den russischen Behörden im Lichte der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts, des Auslegungserlasses und der Extremismus-Liste des russischen Justizministeriums im Rahmen der russischen Strafgesetze weiterhin verfolgt.

Eine nochmalige Internetrecherche der ÖB Moskau hat aber weiterhin keine Hinweise erbracht, dass einfache Gläubige der Zeugen Jehovas, die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären.

Quellen:

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ÖB Moskau (23.10.2018): Information per Email

Bewegungsfreiheit bzw. Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens.

Bekanntlich werden innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten innerhalb Russlands seitens renommierter Menschenrechtseinrichtungen meist unter Verweis auf die Umtriebe der Schergen des tschetschenischen Machthabers Kadyrow im ganzen Land in Abrede gestellt. Der medialen Berichterstattung zufolge scheint das Netzwerk von Kadyrow auch in der tschetschenischen Diaspora im Ausland tätig zu sein. Dem ist entgegenzuhalten, dass renommierte Denkfabriken auf die hauptsächlich ökonomischen Gründe für die Migration aus dem Nordkaukasus und die Grenzen der Macht von Kadyrow außerhalb Tschetscheniens hinweisen. So sollen laut einer Analyse des Moskauer Carnegie-Zentrums die meisten Tschetschenen derzeit aus rein ökonomischen Gründen emigrieren: Tschetschenien bleibe zwar unter der Kontrolle von Kadyrow, seine Macht reiche allerdings nicht über die Grenzen der Teilrepublik hinaus. Zur Förderung der sozio-ökonomischen Entwicklung des Nordkaukasus dient ein eigenständiges Ministerium, das sich dabei gezielt um die Zusammenarbeit mit dem Ausland bemüht (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Rechtsschutz / Justizwesen

Die russischen Behörden zeigen sich durchaus bemüht, den Vorwürfen der Verfolgung von bestimmten Personengruppen in Tschetschenien nachzugehen. Bei einem Treffen mit Präsident Putin Anfang Mai 2017 betonte die russische Ombudsfrau für Menschenrechte allerdings, dass zur Inanspruchnahme von staatlichem Schutz eine gewisse Kooperationsbereitschaft der mutmaßlichen Opfer erforderlich sei. Das von der Ombudsfrau Moskalkova gegenüber Präsident Putin genannte Gesetz sieht staatlichen Schutz von Opfern, Zeugen, Experten und anderen Teilnehmern von Strafverfahren sowie deren Angehörigen vor. Unter den Schutzmaßnahmen sind im Gesetz Bewachung der betroffenen Personen und deren Wohnungen, strengere Schutzmaßnahmen in Bezug auf die personenbezogenen Daten der Betroffenen sowie vorläufige Unterbringung an einem sicheren Ort vorgesehen. Wenn es sich um schwere oder besonders schwere Verbrechen handelt, sind auch Schutzmaßnahmen wie Umsiedlung in andere Regionen, Ausstellung neuer Dokumente, Veränderung des Aussehens etc. möglich. Die Möglichkeiten des russischen Staates zum Schutz von Teilnehmern von Strafverfahren beschränken sich allerdings nicht nur auf den innerstaatlichen Bereich. So wurde im Rahmen der GUS ein internationales Abkommen über den Schutz von Teilnehmern im Strafverfahren erarbeitet, das im Jahr 2006 in Minsk unterzeichnet, im Jahr 2008 von Russland ratifiziert und im Jahr 2009 in Kraft getreten ist. Das Dokument sieht vor, dass die Teilnehmerstaaten einander um Hilfe beim Schutz von Opfern, Zeugen und anderen Teilnehmern von Strafverfahren ersuchen können. Unter den Schutzmaßnahmen sind vorläufige Unterbringungen an einem sicheren Ort in einem der Teilnehmerstaaten, die Umsiedlung der betroffenen Personen in einen der Teilnehmerstaaten, etc. vorgesehen (ÖB Moskau 10.10.2018).

Quellen:

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ÖB Moskau (10.10.2018): Information per Email

Politische Lage

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Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (28.8.2018a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise,

https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 28.8.2018

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BmeiA (28.8.2018): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 28.8.2018

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Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden,

https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 29.8.2018

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EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (28.8.2018): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 28.8.2018

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GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2018d): Russland, Alltag,

https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

1. Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 21.5.2018). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff "low level insurgency" umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sogenannten IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaya Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015). Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich in den vergangenen Jahren die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren (ÖB Moskau 12.2017). Offiziell kämpfen bis zu 800 erwachsene Tschetschenen für die Terrormiliz IS. Die Dunkelziffer dürfte höher sein (DW 25.1.2018).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Während in den Republiken Inguschetien und Kabardino-Balkarien auf einen Dialog innerhalb der muslimischen Gemeinschaft gesetzt wird, verfolgen die Republiken Tschetschenien und Dagestan eine konsequente Politik der Repression radikaler Elemente (ÖB Moskau 12.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es im ganzen Nordkaukasus 175 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 134 Todesopfer (82 Aufständische, 30 Zivilisten, 22 Exekutivkräfte) und 41 Verwundete (31 Exekutivkräfte, neun Zivilisten, ein Aufständischer) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es im gesamten Nordkaukasus 27 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 20 Todesopfer (12 Aufständische, sechs Zivilisten, 2 Exekutivkräfte) und sieben Verwundete (fünf Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

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Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics. Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

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DW - Deutsche Welle (25.1.2018): Tschetschenien: "Wir sind beim IS beliebt",

https://www.dw.com/de/tschetschenien-wir-sind-beim-is-beliebt/a-42302520, Zugriff 28.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Tschetschenien

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

Quellen:

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Caucasian Knot (29.1.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus for 2017 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/42208/, Zugriff 28.8.2018

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Caucasian Knot (21.6.2018): Infographics.Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2018 under the data of the Caucasian Knot, http://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/43519/, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:

Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 28.8.2018

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SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 28.8.2018

Rechtsschutz / Justizwesen

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (21.5.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation

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AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425086.html, Zugriff 2.8.2018

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EASO - European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 2.8.2018

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FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1428824.html, Zugriff 1.8.2018

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ÖB Moskau (12.2017): Asylländerbericht Russische Föderation

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US DOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices for 2017 - Russia, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430116.html, Zugriff 2.8.2018

2. Tschetschenien

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tsc

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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