TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/10 W234 2199107-1

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Veröffentlicht am 10.01.2020
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Entscheidungsdatum

10.01.2020

Norm

AsylG 2005 §57
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W234 2199107-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Thomas HORVATH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Georgien, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.05.2018, Zl. XXXX :

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens und hielt sich jedenfalls seit 27.02.2018 im österreichischen Bundesgebiet auf.

2. Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 22.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt I). Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II) sei. Gemäß § 53 Abs. 3 Z 1 FPG 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III). Weiters wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grund der Beschwerde, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem und das Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1. Feststellungen:

1.1. Zum Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Georgiens und hielt sich jedenfalls seit 27.02.2018 im österreichischen Bundesgebiet auf.

2. Mit Schreiben vom 05.03.2018 verständigte das Landesgericht für Strafsachen XXXX das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) über die Verhängung der Untersuchungshaft über den Beschwerdeführer wegen §§ 127, 130 StGB.

3. Mit Schreiben vom 19.03.2018, welches dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in Untersuchungshaft in der Justizanstalt

XXXX am 21.03.2018 zugestellt wurde, verständigte das Bundesamt den Beschwerdeführer darüber, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot, die Erlassung eines Festnahmeauftrages, eventuell die Anordnung der Schubhaft sowie seine Abschiebung in Aussicht genommen sei und dazu eine Beweisaufnahme stattgefunden hätte.

In diesem Schreiben wurde dem Beschwerdeführer als Ergebnis der Beweisaufnahme bekanntgegeben, dass er seit 28.02.2018 in der Justizanstalt XXXX inhaftiert sei und mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu XXXX die Untersuchungshaft über ihn verhängt worden sei. Er stehe im dringenden Verdacht, strafrechtliche Delikte nach §§ 127 und 130 StGB (gewerbsmäßiger Diebstahl und Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung) begangen zu haben. Im Zuge der Beschuldigteneinvernahme im Strafverfahren sei festgehalten worden, dass sich der Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers in XXXX , Georgien, befinde. Der Beschwerdeführer sei zudem im Besitz eines georgischen Reisepasses, der bis 14.03.2018 gültig sei. Der Beschwerdeführer sei volljährig, ledig und Staatsangehöriger von Georgien. Er sei visumfrei in das österreichische Bundesgebiet eingereist und sei hier unterstands- und mittellos. Er habe seine visumfreie Einreise nach Österreich dazu missbraucht, hier strafrechtliche Delikte im Bereich der Eigentumskriminalität zu begehen. Für den Fall seiner rechtskräftigen Verurteilung hätte er seinen Aufenthalt zur Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen missbraucht, wobei durch die Art des Deliktes vom Beschwerdeführer eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehen würde. Liege ein rechtskräftiges Strafurteil gegen den Beschwerdeführer vor, werde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum erlassen werden. Ferner sei beabsichtigt, nach Strafhaftende eventuell die Schubhaft anzuordnen bzw. einen Festnahmeauftrag zu erlassen und den Beschwerdeführer sodann bei Vorliegen eines Passersatzdokumentes in sein Heimatland abzuschieben. Da sein georgischer Reisepass nur bis 14.03.2018 gültig sei, müsse ein Heimreisezertifikat beantragt werden.

In diesem Schreiben wurde der Beschwerdeführer zur schriftlichen Beantwortung einer Reihe von Fragen und der Übersendung entsprechender Belege dazu aufgefordert. Die an den Beschwerdeführer gerichteten Fragen betreffen den Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich, den Zweck seiner Einreise, die Dauer seines durchgehenden Aufenthalts in Österreich, die Bekanntgabe seiner persönlichen und familiären Verhältnisse im Heimatland und in Österreich, den zuletzt ausgeübten Beruf des Beschwerdeführers, den Nachweis einer Krankenversicherung, den Nachweis ausreichender Existenzmittel und ausreichenden Einkommens zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes, Bindungen zum Herkunftsstaat und ob im Heimatland Verfolgungen aus politischen, religiösen oder rassischen Gründen bestehe. Dem Beschwerdeführer wurde eine Frist von zwei Wochen für eine schriftliche Äußerung zu den Beweisergebnissen und der schriftlichen Beantwortung dieser Fragen eingeräumt. Für den Fall, dass der Beschwerdeführer keine Stellungnahme erstatte, kündigte das Bundesamt im Schreiben an, davon auszugehen, dass er in Österreich über keine familiären, beruflichen oder sonstigen Bindungen verfüge und im Heimatland keinerlei Verfolgung zu befürchten habe; ohne Stellungnahme - so das Bundesamt weiter - werde nach Einlangen eines rechtskräftigen Strafurteils ohne weitere Anhörung eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gegen den Beschwerdeführer erlassen werden. Dieses Schreiben war in deutscher Sprache abgefasst. Eine Übersetzung des Schreibens oder eine Belehrung in einer Fremdsprache waren dem Schreiben nicht angeschlossen.

4. Eine Stellungnahme des Beschwerdeführers wurde nicht erstattet.

5. Mit Urteil vom XXXX des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX zu

XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1 erster Fall, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von XXXX , davon XXXX mit einer Probezeit von drei Jahren, rechtskräftig verurteilt.

Im Zuge der Strafbemessung erkannte das Gericht eine einschlägige Vorabstrafung in der Bundesrepublik Deutschland als erschwerend. Als mildernd wurden das letztlich erstattete Geständnis, das allerdings nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hatte, sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, gewertet.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.05.2018 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt I). Unter einem wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt II). Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG 2005, wurde gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III). Weiters wurde einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV).

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer während seiner Anhaltung in der Justizanstalt XXXX am 23.05.2018 zugestellt.

6. Gegen den Bescheid des Bundesamtes erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 14.06.2018 Beschwerde, welche beim Bundesamt am selben Tag per E-Mail einlangte. Darin wurde der Bescheid in vollem Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen mangelhafter Ermittlungen, angefochten. Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass ihm zwar mit Schreiben vom 19.03.2018 schriftlich Parteiengehör zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot gewährt worden sei, er jedoch die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrsche, um den Inhalt des Schreibens zu verstehen. Ihm sei auch kein Rechtsberater zur Seite gestellt worden. Er habe somit faktisch keine Möglichkeit gehabt, sein Parteiengehör wirksam zu wahren. Der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folenden EuGH) habe im Urteil zur Rs Boudjilida, C-249/13, vom 11.12.2014 festgehalten, dass im Anwendungsbereich der Rückführungs-RL ein Anspruch auf Parteiengehör bestehe. Im vorliegenden Fall wäre die Behörde dazu angehalten gewesen, dem Beschwerdeführer mündlich Parteiengehör unter Heranziehung eines Dolmetschers zu gewähren. Somit seien auch zum Teil unrichtige Feststellungen getroffen worden. So lebe die Schwester des Beschwerdeführers nicht in Frankreich, sondern in Tschechien. In Österreich lebe der Cousin des Beschwerdeführers mit seiner Familie. Zu beiden bestehe regelmäßiger Kontakt. Einen weiteren wesentlichen Verfahrensmangel stelle dar, dass nicht festgestellt worden sei, dass der Beschwerdeführer über einen gültigen polnischen Aufenthaltstitel verfüge.

Ferner sei der Bescheid mit aktenwidrigen Feststellungen belastet, wie beispielsweise, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen serbischen Staatsangehörigen handeln würde und er wegen Delikten nach dem SMG und dem WaffG zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden wäre. Auch dies zeige die mangelhafte Vorgehensweise der Behörde.

Eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG setze voraus, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen als rechtswidrig zu qualifizieren sei. Der Beschwerdeführer sei jedoch mit einem gültigen Reisepass nach Österreich eingereist und verfüge zudem über einen polnischen Aufenthaltstitel. Er sei folglich legal eingereist. Im Bescheid werde das Vorliegen der Voraussetzungen von § 52 Abs. 1 Z 1 FPG damit argumentiert, dass der Beschwerdeführer nicht ausschließlich zu touristischen Zwecken nach Österreich eingereist sei; dadurch würde der grundsätzlich rechtmäßige Aufenthalt zu einem unrechtmäßigen. Die belangte Behörde verkenne aber, dass durch eine strafrechtliche Verurteilung ein rechtmäßiger Aufenthalt nicht unrechtmäßig werde. Die Verfügbarkeit ausreichender finanzieller Mittel werde im Bescheid nicht in Abrede gestellt. Überdies verfüge der Beschwerdeführer über ein Bankkonto und eine Bankomatkarte und könne jederzeit auch von seiner in Tschechien lebenden Schwester und seinem in Österreich lebenden Cousin unterstützt werden.

Selbst wenn man von der Unrechtmäßigkeit des Aufenthalts des Beschwerdeführers ausgehe, sei ein Drittstaatsangehöriger, der über einen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedsstaates verfügt, gemäß § 52 Abs. 6 FPG anzuweisen, sich in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaates zu begeben. Der Beschwerdeführer verfüge über einen polnischen Aufenthaltstitel, weshalb er anzuweisen gewesen wäre, sich selbstständig nach Polen zu begeben. Davon ausgenommen wäre nur der Fall, dass die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers aufgrund der öffentlichen Ordnung und Sicherheit geboten wäre. Laut dem Urteil des EuGH 11.06.2015, C-554/13, Rs. Zh. und O., stelle eine strafrechtliche Verurteilung für sich genommen jedoch keine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar. Die belangte Behörde sei im Bescheid nicht auf die Thematik des § 52 Abs. 6 FPG eingegangen. Der Beschwerdeführer habe jedenfalls angegeben, dass er bereit sei, freiwillig nach Polen auszureisen.

Nicht behandelt worden sei auch der aktenkundige Antrag auf internationalen Schutz, den der Beschwerdeführer in Deutschland gestellt habe. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, Konsultationen iSd Dublin III-VO einzuleiten. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wäre nur bei Ausübung des Selbsteintrittsrechtes gemäß Art. 17 der Dublin III-VO in Frage gekommen; in diesem Fall hätte Österreich aber auch über den Antrag auf internationalen Schutz entscheiden müssen. Dies sei jedoch nicht geschehen. Auch vor diesem Hintergrund erweise sich die Rückkehrentscheidung als rechtswidrig.

Unklar sei weiters, auf welche Sachverhaltsgrundlage die Verhängung des Einreiseverbots gestützt werde. Hier sei im Bescheid aktenwidrig angeführt, dass der Beschwerdeführer wegen Delikten nach dem SMG und dem WaffG verurteilt worden wäre. Der Beschwerdeführer sei aber am 13.04.2018 nur wegen Diebstahlsdelikten verurteilt worden. Da somit die Grundlage des Einreiseverbots nicht klar sei, könne der Behörde nicht gefolgt werden, wenn sie argumentiere, der Beschwerdeführer stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Zudem sei auch nur das Privat- und Familienleben in Österreich, nicht jedoch in anderen Mitgliedsstaaten berücksichtigt worden.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Hergang ergibt sich unzweifelhaft aus dem Verwaltungsakt und einem Auszug aus dem Fremdenregister. Dass sich der Beschwerdeführer jedenfalls seit dem 27.02.2018 Bundesgebiet aufhält, folgt aus dem ebenso dem Akt zu entnehmenden Umstand, dass er an diesem Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen wurde (AS 51 ff).

3. Rechtliche Beurteilung:

1. Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 23.05.2018 zugestellt. Die am 14.06.2018 beim Bundesamt per E-Mail eingelangte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu A)

2. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen und die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungs-gericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

3.1. Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren2 [2018] § 28 VwGVG, Anm. 11).

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich bereits wiederholt mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze heraus-gearbeitet (VwSlg 18.886 A/2014, 19.154 A/2015):

* Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungs-gericht kommt nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungs-behördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammen-schau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

* Der Verfassungsgesetzgeber hat sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist.

* Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz leg.cit. bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 leg.cit. verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 leg.cit. insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

3.3. In inhaltlicher Hinsicht erweist sich der Bescheid in Bezug auf den ermittelten Sachverhalt als gravierend mangelhaft:

Wie die hier zu erledigende Beschwerde zutreffend rügt, wurden die Ermittlungen des Bundesamts zu den persönlichen Umständen des Beschwerdeführers, welche insbesondere mit Blick auf Art. 2, 3 und vor allem 8 EMRK (iVm §§ 50 und 53 FPG 2005 sowie § 9 BFA-VG) für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm der Feststellung der Zulässigkeit seiner Abschiebung und der Verhängung eines Einreiseverbots maßgeblich gewesen wären, nur ansatzweise durchgeführt und sind daher oberflächlich geblieben.

Denn anlässlich der schriftlichen Verständigung des Beschwerdeführers von den Ergebnissen der Beweisaufnahme mit Schreiben des Bundesamts vom 19.03.2018 konnten diesem als gewonnene Beweisergebnisse lediglich mitgeteilt werden, dass über ihn die Untersuchungshaft verhängt worden und er dringend verdächtig sei, näher genannte strafbare Handlungen begangen zu haben, und er georgischer Staatsbürger sei und seine Identität feststehe. Es war dem Bundesamt offenbar nicht einmal bekannt, wie lange sich der Beschwerdeführer in Österreich aufhielt. Trotz dieser nur rudimentären Beweisergebnisse zum maßgeblichen Sachverhalt und trotz des dem Bundesamt bekannten Aufenthaltsorts des Beschwerdeführers in der Justizanstalt sah dieses davon ab, den Beschwerdeführer mündlich einzuvernehmen, sondern forderte ihn zur schriftlichen Beantwortung einer Reihe von Fragen innerhalb von zwei Wochen auf, wodurch offenbar sämtliche erforderlichen Sachverhaltsangaben gewonnen werden sollten. Bei der Bewertung dieser Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme ist zunächst zu berücksichtigen, dass das betreffende Schreiben ausschließlich in deutscher Sprache abgefasst war und diesem keine fremdsprachlichen Ergänzungen - etwa eine Belehrung über die Qualität und wesentliche Bedeutung des Schreibens - angeschlossen wurden. Ferner wurde die Aufforderung zur Stellungnahme an den Beschwerdeführer gerichtet, für den es mit Blick auf seine Herkunft nahelag, dass er der deutschen Sprache nicht mächtig ist, und von dem bekannt war, dass er die Stellungnahme während einer Freiheitsentziehung in einer Justizanstalt würde abgeben müssen. Diese Umstände lassen die für die Abgabe der schriftlichen Stellungnahme eingeräumte Frist von zwei Wochen überaus kurz erscheinen, zumal der Beschwerdeführer auch dazu aufgefordert wurde, seine Angaben durch die Übersendung schriftlicher Nachweise zu belegen.

Schließlich ist für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots - abgesehen von der Bewertung des vorangegangenen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039). Für das Bundesamt wäre die Verschaffung dieses persönlichen Eindrucks durch eine Einvernahme des Beschwerdeführers auch deshalb essenziell gewesen, zumal es diesen schon vor seiner strafgerichtlichen Verurteilung und mithin zu einer Zeit zur schriftlichen Stellungnahme aufforderte, als dessen Fehlverhalten noch gar nicht strafgerichtlich festgestellt war.

Mit Blick auf den skizzierten Hergang des Ermittlungsverfahrens geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass das Bundesamt den Sachverhalt, welchen es für die Erlassung sämtlicher Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids als maßgeblich feststellte, im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bloß ansatzweise ermittelt hat. Denn trotz nur ansatzweise vorliegender Beweisergebnisse sah das Bundesamt davon ab, den Beschwerdeführer mündlich einzuvernehmen und den Sachverhalt so zu klären. Dieser gravierende Ermittlungsmangel wird durch die im Verfahren sonst gesetzten Ermittlungsschritte nicht geheilt. Dem Beschwerdeführer, für den es nicht naheliegt, dass er der deutschen Sprache mächtig ist, wurde lediglich eine - zur Beantwortung sämtlicher Fragen notwendigerweise umfangreiche - schriftliche Stellungnahme während eines Freiheitsentzuges innerhalb von nur zwei Wochen schriftlich aufgetragen. Diesem Auftrag war auch keinerlei fremdsprachlicher Hinweis auf seine Bedeutung angeschlossen.

Mit Blick auf diese Vorgangsweise geht das Bundesverwaltungsgericht von nur ansatzweisen Sachverhaltsermittlungen des Bundesamts aus, zumal diesem der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers in der Justizanstalt bekannt war, sodass dieser ohne weiteres hätte einvernommen werden können, um die umfangreichen Ermittlungslücken zu schließen.

3.4. Der angefochtene Bescheid ist sohin gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufzuheben und die Rechtssache wird zur Erlassung eines neuen Bescheids an das Bundesamt zurückverwiesen.

3.5. Anzumerken ist zudem, dass der angefochtene Bescheid aus offensichtlich unveränderten Textblöcken anderer Erledigungen zusammengesetzt wurde, die auf den Beschwerdeführer nicht zutreffen, weil einerseits die Staatsangehörigkeit bzw der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers mehrfach unterschiedlich angenommen wurde (S. 11 und S. 54 des angefochtenen Bescheides), sowie auch gänzlich andere Verurteilungen als jene des Beschwerdeführers für die Begründung des Einreiseverbots angeführt wurden (S. 54 des angefochtenen Bescheides). Zudem werden auch verschiedene Länderberichte zu Staaten angeführt, die nicht der Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind (S. 11 des angefochtenen Bescheides). Insgesamt lässt es der angefochtene Bescheid daher fraglich erscheinen, welche Ermittlungsergebnisse das Bundesamt letztlich zugrunde legte.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. für viele VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 30.06.2015, Ra 2014/03/0054) ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelle
Verhältnisse, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W234.2199107.1.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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