TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/10 W186 2226250-2

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Veröffentlicht am 10.01.2020
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Entscheidungsdatum

10.01.2020

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W186 2226250-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith Putzer als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Marokko, gegen die weitere Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF) reiste illegal in Österreich ein und stellte am 30.11.2015 und am 13.06.2019 je einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Über den Antrag vom 30.11.2015 wurde mit Wirkung vom 22.06.2016 rechtskräftig negativ entschieden.

1.3. Am 13.06.2019 erfolgte die erste Rücküberstellung des BF aus Deutschland. Am selben Tage stellte der BF den unter 1.1. erwähnten Asylfolgeantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) vom 02.07.2019 als unbegründet abgewiesen und eine Rückehrentscheidung ausgesprochen wurde. Die darauffolgende Beschwerde wurde mit Wirkung vom 02.08.2019 durch das BVwG als unbegründet abgewiesen.

1.4. Bereits am 11.07.2019 tauchte der BF unter und wurde er am 14.08.2019 (2. Rücküberstellung) von Deutschland nach Österreich gebracht.

1.5. Der BF wurde unmittelbar nach seiner Rücküberstellung am 14.08.2019 festgenommen, einvernommen und es wurde schließlich über ihn die gegenständliche Schubhaft verhängt.

Dabei wurde im Wesentlichen ausgeführt, der BF sei nicht österreichischer, sondern marokkanischer Staatsbürger und somit Fremder im Sinne des Fremdenrechtes. Er habe keinerlei familiäre Bezugspunkte zu Österreich und sei hier weder beruflich noch sozial verankert. Er leide nicht an lebensbedrohenden Krankheiten und sei mittellos. Gegen den BF bestehe eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung nach Marokko in Verbindung mit einem befristeten Einreiseverbot. Zudem bestehe seit 05.08.2019 gegen ihn auch ein gültiges Einreise- und Aufenthaltsverbot den Schengenraum betreffend. Der BF sei seit 2015 illegal im Lande und sei während der Anhängigkeit der Asylanträge ohne Abmeldung in die Anonymität abgetaucht. Er habe sich dadurch den zuständigen Behörden entzogen und sei nicht gewillt, seiner gesetzlichen Ausreiseverpflichtung (in den Herkunftsstaat) nachzukommen. Familienangehörige seien nicht im Bundesgebiet. Durch sein Vorverhalten habe der BF die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3, 8 und 9 erfüllt und sei seine Anhaltung in Schubhaft auch in Hinblick auf die fehlende Verankerung im Inland verhältnismäßig. Durch das Vorverhalten des BF sei dieser nicht vertrauenswürdig und die Behörde ging in der Folge davon aus, dass zur Sicherung der Abschiebung ein gelinderes Mittel mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend sei. Die Inschubhaftnahme sei daher rechtmäßig.

1.6. Am 06.12.2019 legte das BFA den gesamten Verfahrensakt dem BVwG zur Entscheidung nach § 22 a Abs. 4 BFA-VG hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer über die gesetzliche Dauer von vier Monaten dauernden Schubhaftfortführung vor. Mit gleichzeitig überreichter Stellungnahme wurde näher ausgeführt, dass im vorliegenden Fall weiterhin Fluchtgefahr sowie Haftfähigkeit des BF bestehe. Ein Heimreisezertifikatsverfahren sei bereits seit 12.07.2016 anhängig und werde seit 19.08.2019 regelmäßig die Ausstellung eines Heimreisezertifikates urgiert. Die Identität des BF stehe noch nicht eindeutig fest und seien noch Nachforschungen im Heimatland im Gange. Der BF habe sich aktuell nicht kooperationswillig gezeigt und unter Hinweis darauf, dass er in seinem Herkunftsland gefährdet sei, die erfolgreiche Beschaffung identitätsbezeugender Dokumente aus dem Heimatstaat abgelehnt.

1.7. Auf Ersuchen des Gerichtes wurde der BF am 10.12.2019 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache zu seinen persönlichen Verhältnissen und den laufenden Haftbedingungen einvernommen. Dabei führte dieser im Wesentlichen aus, es habe sich in Bezug auf seine persönlichen Verhältnisse nichts geändert. Zu seinem Gesundheitszustand befragt gab der BF an, dass er ständige Kopfschmerzen, Zahnschmerzen als auch Magenschmerzen habe. Die diesbezügliche Behandlung sei seiner Ansicht nach nicht ausreichend, da er nur unregelmäßig und zu wenige Schmerztabletten erhalte. Er verlange immer nach einem ordentlichen Arzt. Die Ärzte hätten keine geeigneten Geräte und würden ihm nur anschauen und ihm Tabletten geben. Er könnte nicht verstehen, weshalb er in Schubhaft sei. Er habe in Österreich keine Probleme gemacht, sei nicht vorbestraft und nehme keine Drogen.

1.8. Am 30.12.2019 legte die Behörde neuerlich den Verfahrensakt dem BVwG zur Entscheidung nach § 22 a Abs. 4 BFA-VG hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit vor; die Behörde gab dazu die folgende Stellungnahme ab:

"Mit Mandatsbescheid des BFA, Regionaldirektion Salzburg, vom 14.08.2019, Zl. 1097357208/190835023, wurde über XXXX gemäß § 76 Abs. 2 Ziffer 2 FPG Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet.

Seit der letzten Aktenvorlage des BFA, EASt-West, am 12.12.2019 an das BVwG (1. Verhältnismäßigkeitsprüfung gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG) wurden folgende relevanten Schriftstücke dem Verfahrensakt-Sicherungsmaßnahme hinzugefügt, folgende Verfahrensschritte gesetzt bzw. folgende Ermittlungsergebnisse erzielt:

04.12.2019:

Einzelurgenz an die marokkanische Botschaft übermittelt.

06.12.2019:

Urgenzliste an die marokkanische Botschaft übermittelt.

06.12.2019:

Übermittlung des Verfahrens an BVwG zur weiteren Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Sinne des § 80 Abs. 6 FPG zur Anhaltung im Stande der Schubhaft.

09.12.2019:

Ersuchen seitens BVwG zur Abklärung von drei an den BF gestellte Fragen durch ein geschultes Organ des BFA.

10.12.2019:

Einvernahme durch BFA zur Abklärung BVwG.

12.12.2019

Erkenntnis des BVwG Zl.: W171 2226250-1/4E, dass die die weitere Anhaltung im Stande der Schubhaft verhältnismäßig ist.

Die weitere Anhaltung des betroffenen Fremden im Stande der Schubhaft stellt sich - in Anbetracht der Gesamtheit der individuellen Kriterien in diesem Einzelfall - nach Ansicht des BFA EAST-West zum gegenwärtigen Zeitpunkt unverändert als verhältnismäßig und als ultima - ratio - Situation dar, nachdem die bereits bei der Anordnung der Schubhaft festgestellten Fakten betreffend akuter Fluchtgefahr auch weiterhin vorliegen. Des Weiteren und im Besonderen darf auch auf Nichtmitwirkung zur Beschaffung von Identitätsdokumenten durch den Fremden hingewiesen werden. Bei der Einvernahme zur Identifikation am 30.09.2019 wurde der Fremde nachweislich aufgefordert Dokumente zur Identifikation der ho. Behörde zu übermitteln, bis dato ist jedoch kein solches Dokument eingelangt.

XXXX kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt deshalb noch nicht abgeschoben werden, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 80 Abs. 4 Ziffer 1 FPG (Identität ist bislang noch nicht letztgültig geklärt, demzufolge die Erlangung eines Ersatzreisedokumentes noch nicht möglich) vorliegen.

Um Veranlassung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der Rechtsnorm nach § 22a Abs. 4 BFA-VG wird höflich gebeten."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Betreffend den Beschwerdeführer liegt eine (aktuelle) rechtskräftige Rückkehrentscheidung hinsichtlich Marokko vor. Die marokkanische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ist zumindest wahrscheinlich; ein Verfahren zur Ausstellung eines Heimreisezertifikats (HRZ) ist anhängig.

Der Beschwerdeführer wurde beim Versuch, sich (illegal) nach Deutschland abzusetzen, festgenommen. Er beabsichtigt die illegale Ausreise in einen Drittstaat im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft.

1.2. Der Beschwerdeführer hat sich im Verlauf seiner Asylverfahren und des Aufenthalts in Österreich als insgesamt nicht kooperativ und nicht vertrauenswürdig erwiesen.

1.3. Die realistische Möglichkeit einer Überstellung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat (innerhalb der gesetzlich normierten Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft) besteht nach wie vor. An der bisherigen Dauer trifft das Bundesamt keine Schuld. Diese ergibt sich aus den erforderlichen administrativen Abläufen im Zusammenhang mit der HRZ-Ausstellung. Diese wiederum sind erforderlich, weil der Beschwerdeführer über keine Personaldokumente verfügt.

1.4. Der Beschwerdeführer ist nicht Asylwerber; es kommt ihm kein faktischer Abschiebeschutz zu. Er ist in Österreich in keiner Form integriert, verfügt nur über geringfügige Deutschkenntnisse und keine substanziellen sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet. Er verfügt über eine Unterkunft im Bundesgebiet. Gegenwärtig ist er praktisch mittellos. Der Beschwerdeführer ist grundsätzlich gesund und arbeitsfähig sowie jedenfalls haftfähig. Er erhält laufend Schubhaftbetreuung und hatte sowohl nach Anordnung der Schubhaft als unmittelbar nach der Erlassung der erstinstanzlichen Rückkehrentscheidung sowie nach Abweisung der diesbezüglichen Beschwerde (mehrere) Rechtsberatungstermine.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren - insbesondere der rechtskräftigen Entscheidungen bezüglich Rückkehrentscheidung und Einreiseverbot. Der derzeit absehbare Zeithorizont für die HRZ-Ausstellung ergibt sich aus dem Gerichtswissen hinsichtlich derartiger Überprüfungen, die bei dem hier betroffenen Staat allenfalls einige Monate dauern können.

2.2. Die Feststellungen zum Verhalten des Beschwerdeführers ergeben sich aus der Aktenlage.

2.3. Die realistische Möglichkeit der Rücküberstellung ergibt sich aus der diesbezüglich grundsätzlich problemlosen Zusammenarbeit mit den Vertretungen und Behörden des (mutmaßlichen) Herkunftsstaates wie auch der beiden allfälligen potenziellen Herkunftsstaaten. Zudem liegt bereits eine rechtskräftige und durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor.

Der Grund für die Länge der Anhaltedauer liegt im Kern in der vom Beschwerdeführer verursachten Notwendigkeit der Erlangung eines Heimreisezertifikats und insbesondere der erforderlichen Identitätsprüfung. Würde der Beschwerdeführer über ein Personaldokument verfügen, hätte die Schubhaft wahrscheinlich schon (durch Abschiebung/freiwillige Ausreise) beendet werden können. Diese Umstände sind jedenfalls dem Bundesamt nicht vorzuwerfen; die Verantwortung dafür der Beschwerdeführer.

2.4. Der rechtskräftige Abschluss des Verfahrens betreffend eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot, der fremdenrechtliche Status des Beschwerdeführers und die Feststellungen zu seiner fehlenden Integration ergeben sich aus der Aktenlage. Diese Umstände wurden vom Beschwerdeführer auch nie bestritten. Seine Meldeadressen ergibt sich aus einer rezenten Nachschau im Zentralen Melderegister (ZMR). Das Barvermögen des Beschwerdeführers ist in der Anhaltedatei ersichtlich. Hinweise für ein Fehlen der Haftfähigkeit sind im Verfahren nicht hervorgetreten. Die Rechtsberatungstermine sind in der Anhaltedatei aufgelistet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 - FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

"§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde."

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 14.08.2019 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 - FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. f EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

f) wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."

§ 80 FPG ("Dauer der Schubhaft") lautet:

"§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz "liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 - immer noch - vor, da "bestimmte Tatsachen", nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer nach Entlassung einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Eine eigenständige Beschwerde gegen den Bescheid oder die Anhaltung in Schubhaft hat bisher nicht stattgefunden. Hinsichtlich des HRZ-Verfahrens ist eine unverhältnismäßige Länge ebenfalls nicht feststellbar. Die übliche Ermittlungszeit von einigen Monaten (bezüglich des in Frage kommenden Herkunftsstaates) muss der Beschwerdeführer gegen sich gelten lassen, weil er sie selbst erforderlich gemacht hat.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann dementsprechend weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Neben der dafür erforderlichen hinreichenden persönlichen Vertrauenswürdigkeit (, der BF hat nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens wegen Antrag auf internationalen Schutz versucht, in einen anderen Mitgliedstaat weiterzureisen) gebricht es dem Beschwerdeführer überdies an hinreichenden finanziellen Mitteln für einen nunmehr erforderlichen Aufenthalt von mehreren Wochen (allenfalls wenigen Monaten), weshalb eine Sicherheitsleistung auch aus diesem Grund nicht in Betracht kommt.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorliegen und sich diese zudem weiterhin als verhältnismäßig erweist.

Zu Spruchpunkt II. (Revision):

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot, Fluchtgefahr, Fortsetzung der Schubhaft, Identität,
Mittellosigkeit, öffentliche Interessen, Rückkehrentscheidung,
Schubhaft, Sicherungsbedarf, Überprüfung, Untertauchen,
Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W186.2226250.2.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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