TE Vfgh Erkenntnis 1996/9/23 B925/96

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Veröffentlicht am 23.09.1996
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art90 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
DSt 1990 §19 Abs3 Z1 litb

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch den einstweiligen Entzug der Vertretungsbefugnis eines Rechtsanwaltes vor bestimmten Gerichten wegen eines gegen ihn anhängigen Strafverfahrens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Wien. Mit Beschluß des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. Oktober 1994 wurde ihm als einstweilige Maßnahme gemäß §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien und allen diesem Gericht in Strafsachen unterstellten Bezirksgerichten sowie vor den diesen Gerichten beigeordneten Strafverfolgungsbehörden und vor dem Verwaltungsgerichtshof vorläufig entzogen. Begründet wurde dies im wesentlichen damit, daß beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen den Beschwerdeführer auf Grund einer Anzeige des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes ein Strafverfahren wegen §146 StGB und anderer Delikte eingeleitet wurde. Es bestehe der Verdacht, daß er an der in seiner Kanzlei in Verwendung befindlichen Freistempeldruckanlage Datenmanipulationen vorgenommen hat. Auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof vorgelegten umfangreichen Beilagen bestehe der Verdacht, daß der Beschwerdeführer bei diesen Manipulationen entweder mitgewirkt hat oder keine geeigneten Maßnahmen ergriffen hat, sie zu verhindern.

2. Gegen diesen Bescheid wurde vom Beschwerdeführer Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) erhoben, der jedoch mit Bescheid vom 16. Oktober 1995 nicht Folge gegeben wurde.

Die OBDK begründet die Entscheidung im wesentlichen wie folgt:

"Vorliegend steht fest, daß gegen den Beschuldigten beim Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 24 a Vr 3078/92 ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Betruges und anderer Delikte (§156 bzw §159 StGB) im Stadium von Vorerhebungen anhängig ist. Der Beschuldigte steht im Zusammenhang mit der Anzeige des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1993 und der Nachtragsanzeige vom 14. Mai 1994 im Verdacht, er habe im Zuge der Einbringung (einer Vielzahl) von Säumnisbeschwerden beim Verwaltungsgerichtshof Manipulationen an der in seiner Kanzlei in Verwendung stehenden Porto-Freistempeldruckanlage vorgenommen bzw. veranlaßt. Nach dem Inhalt dieser Anzeigen weisen in einer Anzahl von Fällen die auf Postsendungen des Beschuldigten an den Verwaltungsgerichtshof angebrachten Freistempelabdrucke Postaufgabedaten auf, die nach der gewöhnlichen Erfahrung des Postlaufes innerhalb Wiens zeitlich unerklärbar lang vor den Daten des Einlangens der Sendungen beim Verwaltungsgerichtshof liegen, wobei zudem auffällt, daß in einigen Fällen der Zeitpunkt der Zustellung des in der Säumnisbeschwerde dann als ausstehend monierten Bescheides vor dem Datum des Einlangens der Säumnisbeschwerde beim Verwaltungsgerichtshof, aber nach dem mittels Freistempelabdruck beurkundeten Tag ihrer Postaufgabe lag. Die vom Untersuchungsrichter auf Grund der Anzeigen des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes angeordneten Sachverhaltserhebungen durch die Polizei sind noch nicht abgeschlossen. Daß im Rahmen der Vorerhebungen im übrigen (Verdacht der betrügerischen bzw fahrlässigen Krida) die Erstattung des Gutachtens eines Buchsachverständigen veranlaßt wurde, sei in diesem Zusammenhang noch der Vollständigkeit halber angeführt.

Mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Beschuldigten wegen seiner den Gegenstand des (auf Grund der Anzeigen des Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes eingeleiteten) Strafverfahrens bildenden Verfehlungen zur Last zu legenden Disziplinarvergehens ist die beschlossene einstweilige Maßnahme aber auch wegen der zu besorgenden schweren Nachteile, besonders für die Interessen der rechtssuchenden Bevölkerung und das Ansehen des Standes, erforderlich. Liegt es doch auf der Hand, daß der Beschuldigte vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien, bei welchem gegen ihn die Vorerhebungen geführt werden, und bei den diesem unterstellten Bezirksgerichten sowie den beigeordneten Strafverfolgungsbehörden, vor allem aber auch vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht mit voller Unbefangenheit seinen ihm im Interesse seiner Partei auferlegten Pflichten (§19 RAO) nachkommen kann.

Damit sind aber alle im §19 Abs1 DSt normierten Voraussetzungen für die Anordnung der bekämpften einstweiligen Maßnahme gegeben. Daß die Maßnahme - wie der Beschuldigte in der Beschwerde vermeint - allenfalls auch schon zu einem früheren Zeitpunkt hätte beschlossen werden können, vermag daran nichts zu ändern. Vom Beschwerdeführer vermißte (weitere) eigenständige Erhebungen des Disziplinarrates hätten nur eine unvertretbare Verfahrensverzögerung ohne realistische Aussicht auf ein für den Beschwerdeführer günstigeres Ergebnis bewirkt, zumal der Nachweis einer zugleich ein Disziplinarvergehen verwirklichenden gerichtlich strafbaren Handlung keine Prämisse für die Zulässigkeit einer einstweiligen Maßnahme gemäß §19 DSt darstellt. §19 Abs1 DSt läßt im übrigen den Zeitpunkt, zu welchem eine einstweilige Maßnahme zu verhängen ist, offen und räumt dem Disziplinarrat die Möglichkeit zu deren Verhängung während der gesamten Dauer des anhängigen Strafverfahrens ein. Insoweit ist allein entscheidend, ob im Zeitpunkt der Beschlußfassung die Voraussetzungen für die Anordnung der einstweiligen Maßnahme vorliegen. Dies war nach dem Gesagten hier der Fall, liegt es doch auf der Hand, daß während der Anhängigkeit des Strafverfahrens schon die theoretische Möglichkeit, daß ein Rechtsanwalt, gegen den vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien selbst ein Strafverfahren wegen eines nicht bloß geringfügigen Deliktes anhängig ist, einen Klienten vor eben diesem Strafgericht oder einem unterstellten Bezirksgericht bzw einer beigeordneten Strafverfolgungsbehörde zu verteidigen hat, schwere Nachteile für die rechtssuchende Bevölkerung aber auch für das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes nach sich zu ziehen geeignet ist, weil zu besorgen ist, daß ein solcher Rechtsanwalt im Hinblick auf wahrzunehmende Interessen in eigener Sache der ihm obliegenden Verpflichtung, in der Sache des Klienten alles erforderliche unumwunden vorzubringen, nicht uneingeschränkt nachkommt, und es dem Ansehen des Standes abträglich ist, wenn der Rechtsanwalt vor eben demselben Gericht einmal in eigener Sache als Beschuldigter und einmal als Parteienvertreter agiert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob zwischenzeitig tatsächlich schwere Nachteile für die rechtssuchende Bevölkerung oder für das Ansehen des Rechtsanwaltsstandes eingetreten sind, genügt doch für die Anordnung der Maßnahme die Besorgnis derartiger Nachteile im Fall einer weiteren Tätigkeit des Beschuldigten als Parteienvertreter vor den genannten Gerichten und Strafverfolgungsbehörden (vgl hiezu VfGH 28.9.1992, B1380/91; AnwBl 1992, 4218)."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

4. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

5.1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken ob ihrer Verfassungsmäßigkeit vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde somit nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

5.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet jedoch eine Verletzung des nach seiner Meinung aus Art90 Abs2 B-VG erfließenden verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, daß einem Disziplinarbeschuldigten bei einstweiligen Maßnahmen im Rahmen des Disziplinarrechtes "unmißverständlich zur Kenntnis gebracht werden muß, weswegen er diszipliniert wird".

Hiezu bringt er vor:

"In unserer Verfassungsordnung ist der Anklagegrundsatz festgelegt. Dies kann nur im Ergebnis bedeuten, daß bei allen Zwangsmaßnahmen, wohl auch bei Maßnahmen im Rahmen des Disziplinarrechtes den hier Disziplinarbeschuldigten unmißverständlich zur Kenntnis gebracht werden muß, weswegen er diszipliniert wird. Das kann konkret nur bedeuten, daß mir von der Disziplinarbehörde mitzuteilen ist, worin der genaue Verdacht gelegen ist, der die verfügte Maßnahme erfordert hat. Es ist mE zuwenig mir mitzuteilen, daß 14 Fälle eines Verdachtes einer Manipulation mit der Freistempelmaschine vorliegen, ohne dies zu präzisieren."

Es kann dahingestellt bleiben, ob sich ein solches Recht aus Art90 Abs2 B-VG, der nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes festlegt, daß im Strafverfahren der Anklageprozeß gilt (vgl. zu diesem VfSlg. 9950/1984, 11829/1988 und 11923/1988), ableiten läßt, da die für die Erlassung des angefochtenen Bescheides notwendige Konkretisierung des Sachverhaltes, selbst wenn die vom Beschwerdeführer vertretene Ansicht zuträfe, hinlänglich erfüllt ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat - im Hinblick auf das Vorbringen - weiters erwogen, ob der angefochtene Bescheid willkürlich erlassen wurde; auch dies trifft offenkundig nicht zu. Als materiell-rechtliche Grundlage stützt sich der angefochtene Bescheid auf §19 Abs1 Z1 DSt. Danach kann der Disziplinarrat gegen einen Rechtsanwalt einstweilige Maßnahmen beschließen, wenn gegen ihn ein gerichtliches Strafverfahren anhängig ist und die einstweilige Maßnahme mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des dem Rechtsanwalt zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile, insbesondere für die Interessen der rechtssuchenden Bevölkerung oder das Ansehen des Standes, erforderlich ist. Im vorliegenden Verfahren ist es unstreitig, daß gegen den Beschwerdeführer ein gerichtliches Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien anhängig ist. Nach den - vom Beschwerdeführer nicht bestrittenen - Sachverhaltsfeststellungen der OBDK werden gegen den Beschwerdeführer Vorhebungen wegen des Verdachts des Betruges nach §146 StGB geführt, wobei der Verdacht besteht, daß der Beschwerdeführer im Zuge der Einbringung einer Vielzahl von Säumnisbeschwerden beim Verwaltungsgerichtshof Manipulationen an einer in seiner Kanzlei in Verwendung stehenden Porto-Freistempeldruckanlage vorgenommen bzw. veranlaßt hat. Ausgehend von dieser Sachlage vermag der Verfassungsgerichtshof eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit durch den angefochtenen Bescheid nicht zu erkennen.

5.2.2. Der Beschwerdeführer behauptet weiters die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsbetätigung.

Hiezu führt er aus:

"Durch die Maßnahme meiner Disziplinarbehörde, der es - wie ausgeführt - an der entsprechenden Grundlage fehlt, wird mir die Möglichkeit des Erwerbes als Rechtsanwalt zu großen Teilen genommen, da mir der komplette Bereich der Vertretung in Strafsachen im Land Wien einerseits und vor dem Verwaltungsgerichtshof andererseits zur Gänze genommen wird, was naturgemäß zu großen Einkommenseinbußen meinerseits geführt hat.

Dabei ist der Verlauf der Zeit mitzubeachten. Anzeige im Dezember 1993 und bis dato (11.3.1996 !!!) keinerlei Untersuchungshandlungen, was im Ergebnis bedeutet, daß ich mit weiteren Jahren von Einkommensminderungen, die ruinös sind, zu rechnen habe. ..."

Angesichts der Unbedenklichkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften und angesichts des unbestrittenen Sachverhaltes könnte der Beschwerdeführer im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung nur dann verletzt sein, wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides eine unverhältnismäßige Maßnahme gesetzt hätte. Hiezu ist zunächst darauf zu verweisen, daß dem Beschwerdeführer das Vertretungsrecht nicht generell, sondern nur vor dem Gericht und vor diesem unterstellten Gerichten sowie diesen beigeordneten Anklagebehörden, bei dem das Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde, und vor dem Verwaltungsgerichtshof, dessen Präsident den dem Strafverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt zur Anzeige brachte, entzogen wurde. Die OBDK hat im angefochtenen Bescheid auch ausführlich und sorgfältig begründet, warum die angeordnete einstweilige Maßnahme hinsichtlich dieser Behörden erforderlich ist. Der Beschwerdeführer ist diesen Ausführungen der belangten Behörde inhaltlich nicht entgegengetreten. Bei der somit gegebenen Sach- und Rechtslage ist nach Meinung des Verfassungsgerichtshofes der Beschwerdeführer durch die Verhängung der einstweiligen Maßnahme auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung offenkundig nicht verletzt worden.

Wenn der Beschwerdeführer geltend macht, daß die im Oktober 1994 verhängte Maßnahme noch 1996 aufrecht ist, so übersieht er, daß im Rahmen dieses Verfahrens lediglich zu prüfen ist, ob die Verfügung der einstweiligen Maßnahme den Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Verhängung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt hat.

5.2.3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.

Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5.3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war abzuweisen, da eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes, über die Rechtswidrigkeit von Bescheiden der OBDK zu erkennen, nicht besteht, da es sich bei der OBDK um eine Behörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG handelt und die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausdrücklich für zulässig erklärt ist.

5.4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, Erwerbsausübungsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B925.1996

Dokumentnummer

JFT_10039077_96B00925_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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