TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/16 W237 2213190-2

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Veröffentlicht am 16.01.2020
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Entscheidungsdatum

16.01.2020

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W237 2213190-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Martin WERNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 31.10.2019, Zl. 73124902-190577130, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 58 Abs. 10 AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 07.06.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 24.06.2019 zur Beantwortung von insgesamt 38 näheren Fragen auf. Dazu nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 08.07.2019 schriftlich Stellung und übermittelte dem Bundesamt mehrere Dokumente in Kopie, darunter den Mutter-Kind-Pass seiner Lebensgefährtin, wonach diese einen Sohn zum voraussichtlichen Geburtstermin 10.07.2019 erwarte.

2. Mit Bescheid vom 31.10.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 07.06.2019 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurück. Begründend führte es aus, dass dem Beschwerdeführer gegenüber mit Bescheid vom 23.11.2018 bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und sich seit Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheids am 05.03.2019 keine maßgeblichen Änderungen in Bezug auf sein Privat- und Familienleben ergeben hätten.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer die gegenständliche Beschwerde, in welcher er im Wesentlichen darauf hinwies, dass die ihm im verwaltungsbehördlichen Verfahren eingeräumte Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Beurteilung der Intensität seiner privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet keinesfalls ausreichend sei. Er kenne seine nach islamischem Ritus geehelichte Frau bereits seit sehr langer Zeit und habe mit ihr ein vier Monate altes Kind. Die belangte Behörde habe das Familienleben des Beschwerdeführers - insbesondere mit seinem Kind - völlig unberücksichtigt gelassen.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte die Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt am 07.01.2020 dem Bundesverwaltungsgericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein russischer Staatsangehöriger, dem im Juli 2003 im Wege der Erstreckung Asyl gewährt wurde. Er lebte seither durchgehend in Österreich und wuchs hier auf.

1.2. Nach mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 23.11.2018 den Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation fest, bemaß die Frist für seine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen und erließ ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

Dieser Bescheid wurde an der Zustelladresse des Beschwerdeführers am 30.11.2018 hinterlegt. Der Beschwerdeführer erhob am 21.12.2018 eine Beschwerde, die das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 05.03.2019 als verspätet zurückwies.

1.3. Der Beschwerdeführer lebt mit seiner nach islamischem Ritus geehelichten Lebensgefährtin, seiner Mutter und zwei Geschwistern im gemeinsamen Haushalt. Die Lebensgefährtin verfügt über den Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU", seine Mutter und die Geschwister sind asylberechtigt und haben einen Konventionsreisepass. Mit seiner Lebensgefährtin hat der Beschwerdeführer einen fünf Monate alten Sohn, der im Familienverband lebt.

1.4. Den am 07.06.2019 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit dem angefochtenen Bescheid vom 31.10.2019 mit der Begründung zurück, dass sich seit Eintritt der Rechtskraft des Bescheids vom 23.11.2018 keine maßgeblichen Änderungen in Bezug auf das vom Beschwerdeführer entfaltete Privat- und Familienleben ergeben hätten. Diesem Bescheid ging keine persönliche Befragung des Beschwerdeführers voraus. Er legte seiner Stellungnahme vom 08.07.2019 eine Kopie des für seine Lebensgefährtin angelegten Mutter-Kind-Passes bei, in dem der 10.07.2019 als voraussichtlicher Geburtstermin des gemeinsamen Kindes vermerkt ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren und dem angefochtenen Bescheid. Auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging im Bescheid vom 23.11.2018 davon aus, dass der Beschwerdeführer entsprechend seinen Angaben seit dem Jahr 2003 durchgehend in Österreich lebte. Dieser Bescheid liegt dem Bundesverwaltungsgericht vor. Dass er an der Zustelladresse des Beschwerdeführers am 30.11.2018 hinterlegt wurde, stellte das Bundesverwaltungsgericht bereits im Beschluss vom 05.03.2019 fest. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers beruhen auf seinen Angaben in der schriftlichen Stellungnahme vom 08.07.2019, deren Glaubhaftigkeit auch durch die belangte Behörde nicht in Zweifel gezogen wurde. Dass der Beschwerdeführer mit seiner Lebensgefährtin einen fünf Monate alten Sohn hat, ergibt sich unzweifelhaft aus seiner Angabe in der gegenständlichen Beschwerde, die sich mit der im Verfahren vor der belangten Behörde vorgelegten Kopie des Mutter-Kind-Passes, in welchem das errechnete und voraussichtliche Geburtsdatum sowie das männliche Geschlecht des Kindes vermerkt ist, deckt. Die Eruierung des tatsächlichen Geburtsdatums war für die vorliegende Entscheidung nicht erforderlich. Die Feststellungen zum Verfahren sind unstrittig aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlich. Eine mündliche Verhandlung zur Ermittlung des festgestellten und entscheidungswesentlichen Sachverhalts war sohin nicht notwendig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der angefochtene Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 08.11.2019 zugestellt. Die am 06.12.2019 dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per Fax übermittelte Beschwerde ist gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG rechtzeitig.

Zu A)

3.1. Der begehrte Aufenthaltstitel ist in § 55 AsylG 2005 normiert:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

§ 58 AsylG 2005 enthält nähere Bestimmungen über das Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltstitel nach den §§ 55 bis 57 AsylG 2005. § 58 Abs. 10 AsylG 2005 lautet:

"Antragstellung und amtswegiges Verfahren

§ 58. (1) - (9) [...]

(10) Anträge gemäß § 55 sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht. Anträge gemäß §§ 56 und 57, die einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag (Folgeantrag) oder einer rechtskräftigen Entscheidung nachfolgen, sind als unzulässig zurückzuweisen, wenn aus dem begründeten Antragsvorbringen ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(11) - (14) [...]"

3.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Bestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste. Vielmehr liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nur dann nicht vor, wenn die geltend gemachten Umstände von vornherein keine solche Bedeutung aufweisen, die eine Neubeurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK gebieten. In einem solchen Fall ist eine - der Sache nach der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildete - Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zulässig (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0102; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, mwN).

Da das Verfahren nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jenem der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, ist Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den Antrag auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels zurückgewiesen hat, die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts (in Hinblick auf das begründete Antragsvorbringen) zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zur rechtskräftig entschiedenen Rückkehrentscheidung keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände in Hinblick auf Art. 8 EMRK eingetreten ist.

3.3. Im vorliegenden Fall wurde gegen den Beschwerdeführer mit dem den Status des Asylberechtigten aberkennenden Bescheid der belangten Behörde vom 23.11.2018 eine Rückkehrentscheidung erlassen. Dieser Bescheid wurde durch Hinterlegung am 30.11.2018 zugestellt; die Frist zur Erhebung eines Rechtsmittels betrug zwei Wochen und lief mit Ablauf des 14.12.2018 aus, womit die erlassene Rückkehrentscheidung in Rechtskraft erwuchs. Die am 21.12.2018 verspätet erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 05.03.2019 dementsprechend zurück.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte daher zu prüfen, ob sich seit 14.12.2018 eine maßgebliche Veränderung im Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK ergab.

3.4. Eine solche maßgebliche Änderung zeigte der Beschwerdeführer im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens auf: So wurde im Sommer 2019 sein Sohn geboren, der im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung zumindest drei Monate alt war. Dies stellt schon für sich betrachtet jedenfalls eine maßgebliche Änderung seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung dar, weil der Beschwerdeführer ipso iure ein Familienleben mit seinem Kind führt. Davon abgesehen führt die Existenz dieses Kindes dazu, dass im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 auch zu beurteilen ist, inwiefern durch die Nichterteilung dieses Aufenthaltstitels dessen Kindeswohl beeinträchtigt wird.

Auf den Sohn des Beschwerdeführers und das Familienleben mit diesem ging die belangte Behörde mit keinem Wort ein, obwohl der Beschwerdeführer in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 08.07.2019 auf die Schwangerschaft seiner Lebensgefährtin hinwies und einen Mutter-Kind-Pass mit dem voraussichtlichen Geburtsdatum 10.07.2019 in Kopie vorlegte.

3.5. Aufgrund eines sohin maßgeblich geänderten Sachverhalts seit Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ist der angefochtene Bescheid aufzuheben.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird in weiterer Folge den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 inhaltlich zu prüfen und dabei eine (aktuelle) Interessenabwägung in Hinblick auf das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 EMRK iVm § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung des Kindeswohls seines Sohnes durchzuführen haben. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts wird zu diesem Zweck eine persönliche Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen einer Einvernahme notwendig sein, weil ein bloß schriftliches Parteiengehör in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht ausreichend scheint.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der Beschwerdestattgabe insbesondere auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage des Bestehens eines Familienlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK ipso iure mit dem Sohn des Beschwerdeführers und der Berücksichtigung des Kindeswohls bei einer Interessenabwägung sowie zur Verfahrensbestimmung des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 (inklusive der Vorgängerbestimmung) stützen, die unter der Begründung zu Spruchteil A auszugsweise wiedergegeben ist.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung, Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W237.2213190.2.00

Zuletzt aktualisiert am

10.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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