Entscheidungsdatum
16.01.2020Norm
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1Spruch
G310 2213899-1/7E
G310 2213894-1/7E
G310 2213898-1/7E
G310 2213897-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des 1) XXXX, geb. am XXXX, der 2) XXXX, geb. am XXXX, der 3) XXXX, geb. am XXXX und des
4) XXXX, geb. am XXXX alle StA.: Kosovo, der Minderjährige gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX, alle vertreten durch Mag. Wolfgang AUNER, Rechtsanwalt, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 11.01.2019, Zahl 1) XXXX,
2) XXXX und vom 14.01.2019, 3) XXXX und 4) XXXX zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide
dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt IV. zu lauten hat:
"Gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BVA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Den Beschwerdeführern wird gemäß §§ 55 Abs. 1 iVm 58 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" iSd § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG erteilt."
Der Spruchpunkt V. wird ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Verfahrensgang:
Der Erstbeschwerdeführer (BF1) stellte am 29.12.2012 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, worin er vorbrachte, dass bei seiner Tochter XXXX (nunmehr XXXX) XXXX ein Tumor im Arm vermutet werde und sie im Herkunftsstaat keine Heilungschancen hätte. Nach der am 20.06.2013 erfolgter niederschriftlicher Einvernahme vor dem Bundesasylamt wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2013, Zahl XXXX, der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG abgewiesen, dem BF1 der Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs.3 AsylG zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 bis zum 19.07.2014 erteilt.
Am 23.05.2014 stellte der BF1 einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes, welcher ihm mit Beschied des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 07.07.2014, Zahl XXXX, erneut bis zum 19.07.2016 gewährt wurde.
Am 08.08.2014 stellte die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) für sich und die damals minderjährige Drittbeschwerdeführerin (BF3) und den noch minderjährigen Viertbeschwerdeführer (BF4) einen Einreiseantrag gemäß § 35 AsylG. Dem Einreiseantrag wurde stattgegeben.
Am 29.12.2014 fand eine niederschriftliche Einvernahme des BF1 vor dem BFA im Zuge des Familienverfahrens gemäß § 35 AsylG statt.
Die Erstbefragung der BF2 erfolgte nach legaler Einreise am 06.03.2015 und die niederschriftliche Ersteinvernahme vor dem BFA am 18.02.2016.
Der BF1 stellte am 15.04.2016 einen Antrag auf Verlängerung, dem mit Bescheid des BFA vom 29.07.2016, Zahl XXXX, stattgegeben und die Aufenthaltsberechtigung bis zum 19.07.2018 erteilt wurde.
Mit Bescheiden des BFA vom 15.01.2018, Zahl XXXX, und vom 17.01.2018, Zahl XXXX und Zahl XXXX, wurde der Antrag der BF2, der BF3 und des BF4 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ihnen wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigen gemäß § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 34 Abs.3 AsylG zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 bis zum 19.07.2018 erteilt.
Am 07.05.2018 stellten die BF einen Antrag auf Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigen. Am 11.09.2018 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem BFA zur möglichen Aberkennung bzw. Prüfung der Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.
Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des BFA wurde den BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), die erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Kosovo gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen für eine freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Dagegen richtet sich die wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde, welche sich ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte IV. (Erlassung einer Rückkehrentscheidung) und V. (Zulässigkeit der Abschiebung in den Kosovo) richtet, mit den Anträgen, die angefochtenen Bescheide des BFA aufzuheben; eine mündliche Verhandlung durchzuführen; in eventu die Angelegenheit zur Sanierung der Verfahrensmängel und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen; in eventu die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung in den Kosovo aufzuheben und den BF einen Aufenthaltstitel zu verleihen.
Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) vom BFA vorgelegt, wo sie am 31.01.2019 einlangten.
Mit am 28.02.2019 eingelangten und datierten Schreiben des BFA, erstattete dieses eine Nachreichung zur Beschwerdevorlage mit der Mitteilung, dass die Bezugsperson für den subsidiären Schutz der gesamten Familie freiwillig ausgereist und in den Kosovo zurückgekehrt sei.
Am 17.05.2019 erstatteten die BF durch den Verein ZEIGE eine Urkundenvorlage zur Integration der BF und legten Arbeitsverträge und Dienstzettel des BF1, der BF2 und der BF3, sowie eine Beurteilung der Deutschkenntnisse der BF3 vor.
Entsprechende weitere Unterlagen zur Integration mitsamt einer Stellungnahm wurden von der nunmehrigen Rechtsvertretung mit Eingaben vom 29.10.2019, 05.11.2019 sowie vom 19.12.2019 erstattet.
Feststellungen:
Die BF führen die im Spruch angegebenen Identitäten, sind Staatsangehörige der Republik Kosovo und Angehörige des moslemischen Glaubens. Die Muttersprache der BF ist Albanisch und verfügen die BF über Deutschsprachkenntnisse, wobei der BF1 über das Niveau B1 und die BF2 über das Niveau A2 verfügt. Über die Deutschkenntnisse der BF3 und des BF4 liegen keine Zertifikate eines bestimmten Niveaus, jedoch Jahreszeugnisse, Schulnachrichten und Schulbesuchsbestätigungen vor. Der BF1 und die BF2 verfügen außerdem noch über Türkisch und Serbisch Kenntnisse.
Der BF1 reiste erstmalig im Dezember 2012 in das österreichische Bundesgebiet ein. BF2, BF3 und BF4 reisten nach Stattgabe ihres Einreiseantrages und Antrages auf Familienzusammenführung am 03.03.2015 legal in das Bundesgebiet ein.
Die BF sind in Österreich strafrechtlich unbescholten und weisen seit ihrer Einreise durchgehende Wohnsitzmeldungen in Österreich auf, wobei sie alle gemeinsam seit XXXX.03.2015 an einem gemeinsamen Wohnsitz in XXXX gemeldet sind.
Der BF1 ist ein körperlich gesunder, arbeitsfähiger Mann mit hinreichender Ausbildung in der Schule und Arbeitserfahrung in der Gastronomie. Die BF2 ist eine körperlich gesunde, arbeitsfähige Frau mit umfassender Schulbildung und Berufserfahrung als Friseurin. Keiner der BF leidet an einer schweren oder unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung.
Der BF1, die BF 2 und die BF3 gehen im Bundesgebiet einer nicht nur geringfügigen Beschäftigung nach. Der BF1 ging seit 2016 verschiedenen Erwerbstätigkeiten als (geringfügig beschäftigter) Arbeiter bzw. Angestellter im Bundesgebiet nach. Dabei war er innerhalb folgender Zeitspannen erwerbstätig: 07.07.2015-15.07.2015 (Arbeiter), 17.02.2016-08.05.2016 (Arbeiter), 22.03.2016-09.04.2016 (geringfügige Beschäftigung), 09.05.2016-21.05.2016 (Arbeiter), 08.06.2016-12.06.2016 (Arbeiter), 01.04.2017-31.10.2017 (Arbeiter), 06.11.2017-15.05.2018 (Angestellter), 23.05.2018-30.04.2019 (Angestellter). Aktuell ist der BF1 seit 06.05.2019 als Angestellter in einer Bäckerei Teilzeit tätig und verdient monatlich EUR 1.067,28 brutto.
Die BF2 geht seit 02.03.2018, bis auf wenige Tage Unterbrechung, durchgehend einer Beschäftigung im Bundesgebiet nach.
Die BF3 besuchte zuerst die Kooperative Neue Mittelschule und war seit 2018 innerhalb folgender Zeitspannen erwerbstätig:
15.02.2018-30.07.2018 (Angestellte), 06.08.2018-02.09.2018 (Angestellte), 06.09.2018-30.09.2018 (Angestellte), 02.11.2018-26.07.2019 (Angestellte) und zuletzt seit 01.08.2019 als Angestellte mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von EUR 1.179,00.
Der BF4 besucht derzeit die 3. Klasse der öffentlichen Neuen Mittelschule und hat im Schuljahr 2017/18 am Kurs "Legasthenie" teilgenommen.
Die BF pflegen die üblichen sozialen Kontakte, leben in einer privaten Unterkunft und beziehen aktuell, außer für den minderjährigen BF4, keine Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber.
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens und des Gerichtsakts des BVwG.
Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität (Namen und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit und Familienstand der BF getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheiden getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Die Albanischkenntnisse der BF sind aufgrund ihrer Herkunft plausibel, die Deutschkenntnisse des BF1 durch das vorgelegte A2-Zertifikat vom 22.06.2015 und B1-Zertifikat vom 16.04.2018 und der BF2 über das Niveau A2 vom 19.04.2016 belegt. Die Deutschkenntnisse der BF3 und BF4 ergeben sich aus den vorgelegten Schulzeugnissen.
Der durchgehende Aufenthalt des BF1 im Bundesgebiet seit 19.12.2012 und der BF2, der BF3 und des BF4 seit 03.03.2015 erschließt sich aus dem widerspruchsfrei gebliebenen Vorbringen der BF1 und BF2 im Verfahren vor der belangten Behörde, sowie den im Zentralen Melderegister (ZMR) ersichtlichen Wohnsitzmeldungen der BF. Dem Datenbestand des ZMR kann auch die gemeinsame Haushaltsführung der BF entnommen werden und vermochte der BF1 den Bestand der Mietwohnung durch die Vorlage eines Mietvertrages nachzuweisen.
Die Erteilung der befristeten Aufenthaltsberechtigungen und Verlängerung dieser ergibt sich aus dem Zentralen Fremdenregister, sowie den vorliegenden Verwaltungsakten.
Die Erwerbstätigkeiten des BF1, der BF2 und der BF3 in Österreich, sowie der Schulbesuch von BF4 beruhen auf dem Inhalt der auf die Namen der BF lautenden Sozialversicherungsauszüge und vorgelegten Jahreszeugnissen, Schulnachrichten und einer Schulbesuchsbestätigung.
Rechtliche Beurteilung:
Mit der gegenständlichen Beschwerde wurden die Spruchpunkte IV. und V. des im Spruch angeführten Bescheides angefochten. Die übrigen Spruchpunkte blieben unangefochten und erwuchsen damit in Rechtskraft.
Zu Spruchteil A):
Zu Spruchpunkt IV. der angefochtenen Bescheide:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Der Aufenthalt der BF ist nicht geduldet. Sie sind nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Erfüllung der Voraussetzungen des § 57 AsylG liegen nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn diesem der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 9 Abs. 1 BFA-VG). Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (§ 9 Abs. 2 BFA-VG).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
§ 58 AsylG regelt das Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltstiteln gemäß §§ 55 ff AsylG. Laut § 58 Abs. 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG vor, ist gemäß § 55 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen.
Eine "Aufenthaltsberechtigung plus" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG). Eine "Aufenthaltsberechtigung" berechtigt gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem AuslBG Voraussetzung ist.
Die Anwendung dieser Rechtslage auf den hier maßgeblichen Sachverhalt ergibt Folgendes:
Die BF sind als Staatsangehörige des Kosovo Fremde iSd § 2 Abs. 4 Z 1 FPG und Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein (EGMR in Cruz Varas). Da im Falle einer Rückkehrentscheidung die BF gleichermaßen davon betroffen wären, liegt diesbezüglich kein Eingriff in das Familienleben vor.
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua gg Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, mwN).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die nach Art. 8 EMRK durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. etwa VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078; 15.3.2016, Ra 2016/19/0031; jeweils mwN).
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG ist allerdings nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2018/19/0289).
Der BF1 ist seit über sieben Jahren und die BF2, der BF3 und der BF4 seit fast fünf Jahren im Bundesgebiet aufhältig. Den BF wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 19.07.2018 erteilt. Mit der Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten liegt kein rechtmäßiger Aufenthalt vor.
Trotz des zuletzt unrechtmäßigen Aufenthalts und des nur knapp fünfjährigen Aufenthalts der BF2, der BF3 und des BF4 überwiegt unter Berücksichtigung der Integrationsbemühungen der BF im Ergebnis das Interesse der BF an einem Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung. Die BF haben ihren Aufenthalt in Österreich zur sozialen, schulischen, beruflichen und sprachlichen Integration genutzt. Alle BF sind strafrechtlich unbescholten und aufgrund ihrer Anstellungen selbsterhaltungsfähig.
Die Anordnung einer Rückkehrentscheidung würde sohin eine Verletzung der Rechte der BF nach Art. 8 EMRK nach sich ziehen, und erweist sich eine solche sohin aufgrund des nicht nur vorübergehenden Wesens der dieser Verletzung zugrundeliegenden Umstände, als iSd. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig. Es wird dabei nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist in diesem konkreten Einzelfall in einer Gesamtschau und in einer gewichteten Abwägung aller Umstände das Interesse an der Fortführung des Familien- und Privatleben der BF in Österreich höher zu bewerten als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.
Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 sind im Falle der BF in Folge des Ausspruches der dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung gegeben.
Der BF1 und die BF2 konnten sowohl Sprachdiplome auf dem Niveau B1 bzw. A2, als auch Nachweise über eine Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird, vorlegen. Die BF3 ging nach erfolgter Schulausbildung ohne wesentlichen Unterbrechungen diversen Erwerbstätigkeiten nach und ist seit 01.08.2019 durchgehend als Angestellte beschäftigt. Sie geht somit ebenso einer nicht bloß geringfügigen Beschäftigung nach. Der BF4 besucht im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht die Neue Mittelschule und wird durch die vorliegenden Jahreszeugnisse und Schulnachrichten belegt, dass er im Unterrichtsgegenstand Deutsch positiv beurteilt wurde. Dadurch erfüllt er das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG), welches laut § 9 Abs. 4 letzter Satz IntG die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung beinhaltet.
Den Beschwerden war somit stattzugeben und spruchgemäß festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig und den BF gemäß §§ 55 Abs. 1 iVm. § 58 Abs. 2 AsylG eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen ist.
Die Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen an die Beschwerdeführer bedingt den Entfall des ebenfalls mit der Beschwerde angefochtenen Spruchpunkt V. des gegenständlichen Bescheides.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Eine Beschwerdeverhandlung, von der keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, entfällt gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde einwandfrei festgestellt werde konnte und das Gericht von den im Verwaltungsverfahren hervorgekommenen und in der Beschwerde behaupteten privaten Anknüpfungen der BF im Bundesgebiet ausgeht.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus, Behebung der Entscheidung,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G310.2213899.1.00Zuletzt aktualisiert am
10.03.2020