Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Wetzel und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde der S in Wien, vertreten durch Dr. Gerd Höllerl, Rechtsanwalt in Wien VI, Mariahilferstraße 95, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. Dezember 1995, Zl. 4.318.852/18-III/13/95, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der "früheren SFRJ" albanischer Nationalität aus dem Kosovo, die am 23. Juni 1991 in das Bundesgebiet eingereist ist und am 25. Juni 1991 den Asylantrag gestellt hat, hat bei ihrer niederschriftlichen Vernehmung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich am 18. Mai 1992 zu ihren Fluchtgründen im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Sie sei in ihrer Heimat nicht Mitglied einer politischen Partei, jedoch Sympathisantin der "Befreiungsbewegung für den Kosovo" gewesen und habe mehrmals an Demonstrationen teilgenommen. Am 28. Jänner 1991 sei eine Demonstration, an der sie teilgenommen habe, von der serbischen Miliz und den Sondereinheiten des Innenministeriums zerstreut und mehrere Personen festgenommen worden. Auch die Beschwerdeführerin sei festgenommen und in die serbische Miliz-Station verbracht worden, wo sie ingesamt sechs Tage angehalten worden sei. Dann sei sie aufgrund ihrer Minderjährigkeit auf freien Fuß gesetzt worden. Während des Gefängnisaufenthaltes sei sie mehrmals verhört worden. Sie sei zwar nicht geschlagen, jedoch unter psychischen Druck gesetzt worden und habe wenig zu essen bekommen. Während dieser Zeit seien mehrere Hausdurchsuchungen in der Wohnung der Mutter der Beschwerdeführerin, wo auch die Beschwerdeführerin gelebt habe, veranlaßt worden. Im Zuge dieser Hausdurchsuchungen sei Propagandamaterial für die "Demokratische Partei für den Kosovo" vorgefunden worden. Nach der Entlassung habe die Beschwerdeführerin eine gerichtliche Vorladung zur Hauptverhandlung für den 21. Mai 1991 erhalten. Diesen Termin habe sie nicht wahrgenommen; sie habe gewußt, daß sie eine Freiheitsstrafe bekommen werde, sich zunächst verborgen gehalten und sei dann geflohen.
Mit Bescheid vom 12. Juni 1992 hat die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich festgestellt, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling sei.
Der Bescheid der belangten Behörde vom 29. September 1993, mit welchem die gegen diesen Bescheid gerichtete Berufung abgewiesen worden war, wurde mit hg. Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. 94/01/0138, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil die belangte Behörde anstelle des anzuwendenden Asylgesetzes (1968) bereits das Asylgesetz 1991 vor Aufhebung des Wortes "offenkundig" in dessen § 20 Abs. 2 durch den Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 1. Juli 1994, G 92, 93/94, angewendet hatte.
Mit Bescheid vom 7. Dezember 1995 hat der Bundesminister für Inneres die Berufung der Beschwerdeführerin neuerlich abgewiesen und festgestellt, daß die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Zunächst ist auszuführen, daß die Feststellung im angefochtenen Bescheid, die Beschwerdeführerin habe in der Berufung die mangelnde Nachvollziehbarkeit des erstinstanzlichen Bescheides gerügt und auf ihre niederschriflichen Angaben verwiesen, schon deshalb nicht aktenwidrig ist, weil sie im Akteninhalt, nämlich im Bescheid der belangten Behörde vom 29. September 1993, welcher die Wiedergabe des Inhaltes der - inzwischen in Verstoß geratenen - Berufung enthält, Deckung findet. Im übrigen bringt die Beschwerdeführerin nicht vor, daß ihre Berufung tatsächlich einen anderen Inhalt hatte.
Hingegen rügt die Beschwerde zu Recht, daß sich die belangte Behörde nicht ausreichend mit dem Gesamtvorbringen der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt habe. Die belangte Behörde vertrat zusammengefaßt die Ansicht, daß weder das Verbot von Demonstrationen und die polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer verbotenen Demonstration noch Hausdurchsuchungen asylrelevante Verfolgungshandlungen darstellten.
Abgesehen davon, daß sich - wie die Beschwerde zu Recht rügt - dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht entnehmen läßt, daß die Demonstration, während der sie verhaftet worden sei, verboten gewesen sei, kann aus der Tatsache, daß die Beschwerdeführerin als Teilnehmerin einer von der Miliz und Sondereinheiten des Innenministers aufgelösten Demonstration verhaftet und sechs Tage festgehalten wurde, nicht ohne weitere Beweisergebnisse der Schluß gezogen werden, es handle sich dabei lediglich um polizeiliche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung, welche nicht auf die bei der Demonstration zum Ausdruck gebrachte politische Gesinnung bzw. die ethnische Zugehörigkeit der Beschwerdeführerin abzielten.
Es ist zwar richtig, daß Hausdurchsuchungen und kurzfristigen Anhaltungen ohne Mißhandlungen in der Regel keine asylbegründende Intensität zukommt, doch hat die Beschwerdeführerin darüber hinaus vorgebracht, daß bei den Hausdurchsuchungen Propagandamaterial für die "Demokratische Partei für den Kosovo" gefunden worden sei und sie in der Folge eine Ladung zu einer gerichtlichen Hauptverhandlung erhalten habe. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt. Dies stellt schon deshalb einen relevanten Verfahrensmangel dar, weil vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Lage der albanischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo nicht ausgeschlossen werden kann, daß das gegen die durch ihre Demonstrationsteilnahme und das bei ihr aufgefundene Propagandamaterial als politisch aktiv bekannte Beschwerdeführerin eingeleitete Gerichtsverfahren und die allenfalls zu erwartende Verurteilung eine politische bzw. ethnisch motivierte Verfolgung durch staatliche Stellen darstellt.
Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010355.X00Im RIS seit
20.11.2000