TE Bvwg Erkenntnis 2019/1/17 G304 2203419-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 17.01.2019
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Entscheidungsdatum

17.01.2019

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

G304 2203419-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Beatrix LEHNER als Vorsitzende, sowie den Richter Ing. Mag. Franz SANDRIESSER und den fachkundigen Laienrichter Rudolf KRAVANJA als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark, vom 09.07.2018, Sozialversicherungsnummer: XXXX, betreffend die Feststellung, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" nicht vorliegen, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 40, 41 Abs. 1, 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990, sowie § 1 Abs. 2 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, in der jeweils geltenden Fassung, stattgegeben.

Die Voraussetzungen für die Eintragung des Zusatzes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 06.02.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Steiermark (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass samt Beilagen ein.

2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 09.05.2018 eingeholt.

In diesem Gutachten wurde hinsichtlich Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel Folgendes ausgeführt (Name des Beschwerdeführers durch BF ersetzt):

"Das sichere Ein- und Aussteigen ist möglich. Aus objektiver Sicht verfügt der BF über die erforderliche Kraft bzw. über die erforderliche Beweglichkeit (aktive- und passive Gelenksfunktionen, zielgerichtete Durchführung wiederkehrender Bewegungen, ausreichend koordinative Fähigkeiten), um öffentliche Verkehrsmittel (Hingehen zur Haltestelle, sicheres Einsteigen, Anhalten an Einsteigegriffen und Haltestangen und sicheres Aussteigen) zu benützen. Es bestehen keine Platzangst, keine schwere Immunerkrankung und keine schwere psychiatrische Krankheit. Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung bedarf noch keiner Sauerstofftherapie. Der Antragsteller verwendet einen Gehstock aufgrund von Hüftschmerzen links bei liegendem Hüftgelenksersatz links. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke ist dem Patienten unter Verwendung eines Gehstockes zumutbar."

3. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.07.2018 wurde der Antrag des BF auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" gem. §§ 42 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. 283/1990, idgF, abgewiesen.

Begründend wurde ausgeführt, dass das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten vom 09.05.2018 als schlüssig erkannt und in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden sei. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter der Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung des erforderlichen Behelfs die Benützung des öffentlichen Transportmittels in hohem Maß erschweren würde. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauerhafte Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieses Verkehrsmittels angegebenen Bedingungen auswirke. Wie dem Sachverständigengutachten jedoch zu entnehmen sei, lägen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung derzeit nicht vor.

4. Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Beschwerde erhoben. Dabei wurde vorgebracht, dass der BF Belastungsschmerzen in beiden Hüftgelenken habe und deshalb seit zwei Jahren einen Gehstock verwende und schmerzbedingt nach ca. 30 Metern Pausen einlegen müsse.

5. Am 14.08.2018 langten der gegenständliche Verwaltungsakt und die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) ein.

6. Mit Schreiben des BVwG vom 12.10.2018, Zl. G304 2203419-1/2Z, wurde Dr. XXXX, Arzt für Allgemeinmedizin, ersucht, ein Sachverständigengutachten aufgrund der Einschätzungsverordnung zu erstellen und dieses "binnen sechs Wochen ab Begutachtung dieser Anordnung" dem BVwG zu übermitteln.

Mit weiterem Schreiben des BVwG vom 12.10.2018, Zl. G304 2203419-1/2Z, wurde der BF aufgefordert, sich am 21.11.2018 um 15:00 Uhr bei Dr. XXXX zur ärztlichen Begutachtung einzufinden.

7. Am 22.11.2018 langte beim BVwG ein Sachverständigengutachten von Dr. XXXX vom 21.11.2018 ein, in welchem folgende Stellungnahme abgegeben wurde:

"Von Seiten der chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) ist eine ausreichende Wegstrecke sicherlich umsetzbar. Es besteht keine Ruhedyspnoe und auch ist unter normaler Ganggeschwindigkeit keine Belastungsdyspnoe zu erwarten. Bezüglich der Schmerzen, im Bereich der linken Hüfte sind diese glaubhaft, wobei Schmerzen subjektiv zu bewerten sind, und eine zeitweise Bedarfsschmerzmedikation nach WHO Stufe 1 angegeben. Eine Claudicatio spinalis wie von Dr. XXXX erwähnt kann absolut nicht objektiviert werden und ist auch nicht subjektiv angegeben. Eine relevante Wegstrecke ist unter Benutzung von Hilfsmitteln und Pausen umsetzbar. Dies wird auch angegeben. Der sichere Transport scheint ebenso gewährleistet, dies wird auch im Rahmen der Anamnese angegeben, keine relevante Hantierfunktionseinschränkungen sind gegeben. Aufgrund der Bewegungseinschränkung beim Heben des linken Beines können Stufen nur langsam überwunden werden und meines Erachtens nur unter Anhalten."

8. Mit Verfügung des BVwG vom 27.11.2018, Zl. G304 2203419-1/4Z, dem BF zugestellt am 04.12.2018, wurde dem BF das eingeholte Sachverständigengutachten vom 21.11.2018 übermittelt und ihm zur Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Verfügung Stellung zu nehmen.

9. Eine Stellungnahme dazu ist bis dato beim BVwG nicht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist im Besitz eines Behindertenpasses.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung ist nicht zumutbar" liegen vor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Basierend auf der ständigen Rechtsprechung des VwGH bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in einen Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, das die Auswirkungen der Gesundheitsschädigung auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilt, sofern diese Frage nicht in einem unmittelbar zuvor durchgeführten Verfahren gemäß § 14 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz im Rahmen der ärztlichen Begutachtung ausreichend behandelt wurde oder die Unzumutbarkeit aufgrund der Art der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt (VwGH vom 20.03.2001, GZ 2000/11/0321).

Nach der ständigen Judikatur des VwGH muss ein Sachverständigengutachten einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteiles (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen lässt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (VwGH vom 17.02.2004, GZ 2002/06/0151).

Hat eine Partei grundlegende Bedenken gegen ein ärztliches Gutachten, dann ist es nach Ansicht des VwGH an ihr gelegen, auf gleichem fachlichen Niveau diesem entgegenzutreten oder unter Anbietung von tauglichen Beweismitteln darzutun, dass die Aussagen des ärztlichen Sachverständigen mit dem Stand der medizinischen Forschung und Erkenntnis nicht vereinbar sind (VwGH vom 20.10.1978, 1353/78).

Eine Partei kann ein Sachverständigengutachten nur dann erfolgreich bekämpfen, wenn sie unter präziser Darstellung der gegen die Gutachten gerichteten sachlichen Einwände ausdrücklich erklärt, dass sie die Einholung eines weiteren Gutachtens bestimmter Fachrichtung zur vollständigen Ermittlung des Sachverhaltes für erforderlich halte und daher einen Antrag auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen stellt (VwGH vom 23.11.1978, GZ 0705/77).

Der Verwaltungsgerichtshof führte aber in diesem Zusammenhang auch aus, dass keine Verletzung des Parteiengehörs vorliegt, wenn einem Antrag auf Einholung eines zusätzlichen Gutachtens nicht stattgegeben wird (VwGH vom 25.06.1987, 87/06/0017).

Im von Amts wegen eingeholten Gutachten des Amtssachverständigen Dr. XXXX vom 21.11.2018 wurde ausgeführt:

"Von Seiten der chronischen obstruktiven Atemwegserkrankung (COPD) ist eine ausreichende Wegstrecke sicherlich umsetzbar. Es besteht keine Ruhedyspnoe und auch ist unter normaler Ganggeschwindigkeit keine Belastungsdyspnoe zu erwarten. Bezüglich der Schmerzen, im Bereich der linken Hüfte sind diese glaubhaft, wobei Schmerzen subjektiv zu bewerten sind, und eine zeitweise Bedarfsschmerzmedikation nach WHO Stufe 1 angegeben. Eine Claudicatio spinalis wie von Dr. XXXX erwähnt kann absolut nicht objektiviert werden und ist auch nicht subjektiv angegeben. Eine relevante Wegstrecke ist unter Benutzung von Hilfsmitteln und Pausen umsetzbar. Dies wird auch angegeben. Der sichere Transport scheint ebenso gewährleistet, dies wird auch im Rahmen der Anamnese angegeben, keine relevante Hantierfunktionseinschränkungen sind gegeben. Aufgrund der Bewegungseinschränkung beim Heben des linken Beines können Stufen nur langsam überwunden werden und meines Erachtens nur unter Anhalten."

In diesem Sachverständigengutachten wurden "momentane Beschwerden" des BF folgendermaßen wiedergegeben:

"Ich habe Schmerzen beim Gehen im Bereich der linken Hüfte. Alle 20 bis 30 Meter bleibe ich wegen einem punktuellen Schmerz im Bereich der linken Hüfte stehen. Ich gehe zurzeit mit einem Stock, bei Bedarf nehme ich Novalgin wegen der Schmerzen. Stufen steigen ist möglich. Ich kann 8 Stufen im Haus mit Anhalten am Geländer bewältigen. (...)."

Unter "status somaticus" wurde ausgeführt:

"(...) Untere Extremitäten: Beinlängenverkürzung links um 2 cm, diese durch entsprechendes Schuhwerk aufgedoppelt. Im Bereich der linken Hüfte außenseitig an typischer Stelle eine blande Narbe nach Hüft-TEP Implantation. Bei der Funktionsprüfung zeigt die linke Hüfte maximale Beugung 60 Grad, die Drehbewegung deutlich eingeschränkt. Die Streckung ist vollständig möglich. Im Bereich der rechten Hüfte Beugung bis 90 Grad möglich. Drehbewegung altersentsprechend, Streckung voll.

Kniegelenke: rechts deutliche retropatellare Reibezeichen, Kniestrumpf wird getragen. Linke geringe Reibezeichen. Der Zehen- und Fersenstand links nur eingeschränkt umsetzbar. Das linke Bein kann ungefähr 10 ca. vom Boden gehoben werden. Das Rechte ca. 25 cm.

(...)."

Das Gangbild bzw. die Mobilität" des BF wurde wie folgt beschrieben:

"Das Gehen ist frei im Raum möglich. Es zeigt sich bei Beinlängenverkürzung ein Verkürzungshinken linksseitig geringen Ausmaßes. Keine Hilfe oder Hilfsmittel - Der Zehen- und Fersenstand links nur eingeschränkt umsetzbar. Das linke Bein kann ungefähr 10 cm vom Boden gehoben werden, rechts ca. 25 cm."

In einem aktenmäßigen ärztlichen Entlassungsbericht vom 16.04.2003 wurde folgender "orthopädischer Konsiliarbefund" wiedergegeben:

"Pertrochantäre Fraktur li. Femur die zunächst mittels Osteosynthese behandelt wird, die allerdings nicht hält, sodass im August 2002 eine Hüfttotalendoprothese implantiert wird. Anfangs war der Pat. relativ gut gehfähig und beschwerdearm. Bei der letzten Kontrolle im Jänner d. J. wurde bei der Bewegungsprüfung ein Schmerz ausgelöst, der seither penetrant weiterbesteht: massiver Spontan- und Druckschmerz im Bereich des großen Trochanters li. Die Hüfte ist mit der Beweglichkeit Extension, Flexion 0/0/80° sehr eingeschränkt. Der Pat. weist sowohl ein Insuffizienz- als auch ein Schonhinken auf."

In einem dem Verwaltungsakt einliegenden Befundbericht eines Orthopäden, das am 28.03.2018 einem Arzt für Allgemeinmedizin übermittelt wurde, wurde angeführt:

"Anamnese:

Hüft TEP li. 2002 (...)

bei längerem Gehen Schmerzen linkes Bein, Waden!

muss Stock nehmen, 100-200m, muss alle 30 m rasten, (...).

Diagnose:

(...) Zustand nach Hüfttotalendoprothese links."

Der BF gab in seiner Beschwerde an:

"Bereits bei meiner Begutachtung am 8.5.2018 habe ich darauf hingewiesen, dass ich Belastungsschmerzen in beiden Hüftgelenken habe, deshalb seit 2 Jahren einen Gehstock verwende und wegen der Schmerzen nach ca. 30 Meter Gehpausen einlegen muss.

Das vorliegende medizinische Gutachten geht auf dieses Vorbringen, wonach ich nach ca. 30 Metern schmerzbedingt Gehpausen einlegen muss, aber nicht weiter ein."

Im Sachverständigengutachten vom 21.11.2018 wurde festgehalten, dass unter Verwendung von Hilfsmitteln und Einlegen von Pausen die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke möglich und dies auch vom BF angegeben worden sei.

Der BF sprach bei seiner Begutachtung davon, "alle 20 bis 30 Meter" schmerzbedingt stehen bleiben zu müssen. Der Sachverständige hielt die vom BF angeführten Schmerzen im Bereich der linken Hüfte für glaubhaft, gab jedoch an, diese seien subjektiv zu bewerten. Im Gutachten wurden "Abnützungszeichen an der Lendenwirbelsäule" festgestellt. Das Vorliegen einer "claudicatio spinalis" wurde ausgeschlossen.

Es wird ergänzend darauf hingewiesen, dass laut einem Internetrechercheergebnis auf "wikipedia" die "claudicatio spinalis" bzw. "claudicatio intermittens spinalis" ein Schmerzsyndrom bei (oft anlagebedingt) zu engem Spielkanal im Bereich der Lendenwirbelsäule bezeichne. Die Schmerzen strahlen dabei oft in die Beine aus, treten typischerweise beim Gehen nach unten auf und lassen bei Gehpausen nach, was als "intermittierend (zeitweise aussetzend oder nachlassend) bezeichnet werde. Oftmals werde zudem eine Unsicherheit beim Gehen beobachtet.

Es wurde im Gutachten vom 21.11.2018 zwar eine "claudicatio spinalis" und damit beim Gehen von der Lendenwirbelsäule in die Beine ausstrahlende Schmerzen ausgeschlossen, dem BF jedoch "Schmerzen im Bereich der linken Hüfte" geglaubt und die Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke nur unter Benutzung von Hilfsmitteln und Pausen für möglich gehalten. Mit dieser Stellungnahme folgte der Sachverständige offensichtlich dem Vorbringen des BF, beim Gehen alle 20 bis 30 Meter wegen eines punktuellen Schmerzes im Bereich der linken Hüfte stehenbleiben zu müssen. Wie bereits im angefochtenen Bescheid vom 09.07.2018 begründend rechtlich ausgeführt, ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auch dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke (300 bis 400 Meter) nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, auch unter Verwendung der zweckmäßigsten Behelfe, "ohne Unterbrechung" zurückgelegt werden könne. Da der BF beim Zurücklegen einer relevanten Wegstrecke alle 20 bis 30 Meter schmerzbedingt Pausen einlegen müsse, kann nicht von einer möglichen Zurücklegung einer relevanten Wegstrecke ausgegangen werden. Auch die Tatsache, dass der BF zwar "Stufen überwinden", dabei jedoch nur sehr langsam und unter Anhalten vorgehen und sein linkes Bein laut Sachverständigengutachten nur "ungefähr 10 cm vom Boden" heben könne, spricht für die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.

In Gesamtbetrachtung wird daher aufgrund der schmerzbedingten linksseitigen Mobilitätseinschränkung des BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht für zumutbar gehalten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die im § 10 Abs. 1 Z 6 des Bundesbehindertengesetzes genannte Vereinigung entsendet die Vertreterin oder den Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung. Hinsichtlich der Aufteilung des Nominierungsrechtes auf gleichartige Vereinigungen ist § 10 Abs. 2 des Bundesbehindertengesetzes anzuwenden. Für die Vertreterin oder den Vertreter ist jeweils auch die erforderliche Anzahl von Ersatzmitgliedern zu entsenden.

Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

3.2. Zu Spruchteil A):

Gemäß § 1 Abs. 2 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-

erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-

erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-

erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-

eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-

eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach

§ 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

Das seitens des erkennenden Gerichtes eingeholte ärztliche Gutachten von Dr. XXXX vom 21.11.2018, erfüllt den Anspruch der Schlüssigkeit im vollen Umfang. Das Gutachten steht mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch.

Der BF hat keine Einwendung gegen dieses Gutachten erhoben.

Auf Grund der gesamten Aktenlage unter Berücksichtigung des eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 21.11.2018 und der aktenmäßigen Befunde ergibt sich, dass beim BF die Voraussetzungen für die Feststellung, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist, vorliegen, wird der BF doch beim Gehen aufgrund von Schmerzen im Bereich der linken Hüfte "alle 20 bis 30 Meter" zum Anhalten verhalten.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, dass angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren gebe, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung aufträten oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221).

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist aufgrund der Aktenlage unter Berücksichtigung des eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachtens vom 21.11.2018 und aktenmäßiger Befunde geklärt.

3.4. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.

Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Zulassung der Revision war gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zudem zu verneinen, weil die gegenständliche Entscheidung in Wesentlichen nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, sondern von Tatsachenfragen. Maßgebend ist das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G304.2203419.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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