Entscheidungsdatum
08.03.2019Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
G303 2202424-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Simone KALBITZER als Vorsitzende sowie die Richterin Dr. Eva WENDLER und den fachkundigen Laienrichter Herbert WINTERLEITNER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, vom 02.07.2018, OB:XXXX, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß §§ 1 Abs. 2, 42 Abs. 1 und 45 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) idgF sowie § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.
II. Es wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass vorliegen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) brachte am 15.02.2018 über die Zentrale Poststelle beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Steiermark, (im Folgenden: belangte Behörde), einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis) ein. Dieser Antrag gilt entsprechend dem Antragsformular der belangten Behörde auch als Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses bzw. auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" in den Behindertenpass. Dem Antrag war ein Konvolut an medizinischen Beweismitteln, eine Kopie eines Parkausweises, sowie ein Schreiben betreffend eine Erwerbsunfähigkeitsrente des "Ausführungsinstitutes Arbeitnehmerversicherungen Rotterdam" vom 06.11.2012, angeschlossen.
2. Im Rahmen des seitens der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt.
2.1. In dem eingeholten Gutachten von Dr. XXXX, Ärztin für Allgemeinmedizin, vom 04.05.2018, wurde nach erfolgter persönlicher Untersuchung des BF am 16.04.2018, zusammengefasst im Wesentlichen folgendes festgehalten:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Lendenwirbelsäulenabnützungssyndrom mit belastungsabhängigen Schmerzen ausstrahlend bis in die Oberschenkel, insbesondere bei längerem Gehen
2
Arthrosen beider Kniegelenke, links mehr als rechts mit belastungsabhängigen Schmerzen und Gangbehinderung bei längeren Strecken
3
Bluthochdruck
4
Nächtliche Atempausen im Rahmen eines Schlafapnoesyndroms mit Indikation zur CPAP-Beatmung (nicht verwendet)
5
Depression
Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde festgehalten, dass es im Vergleich zum Vorgutachten zu einer Verschlechterung der LWS-Problematik gekommen sei, zudem Probleme insbesondere des linken Knies aufgetreten seien, beides in Kombination habe objektivierbarerweise zu einer Verschlechterung der Gesamtmobilität geführt. Hinsichtlich der Knie seien beginnende Gonarthrosen beschrieben. In Bezug auf die Wirbelsäule seien keine Claudicatio spinalis, keine Bandscheibenvorfälle mit korrelierenden motorischen Ausfällen oder Indikation für neurochirurgische Eingriffe gegeben. Es bestehe - analog zu den Vorgutachten - weiterhin eine große therapeutische Reserve. Gemäß aktuellen ministeriellen Richtlinien würden jedoch keine Einschränkungen, welche die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel" bedingen, bestehen. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme von Gehbehelfen sei zumutbar. Das Überwinden von Niveauunterschieden, welche in öffentliche Verkehrsmittel üblich seien, und somit das Ein- und Aussteigen sei möglich. Das Gangbild und der Zweibeinstand seien ausreichend sicher, die Hantierfunktion sei nicht eingeschränkt, somit sei das Festhalten und gegebenenfalls Zurücklegen einiger Schritte im fahrenden Verkehrsmittel und dadurch der sichere Transport möglich (gegebenenfalls mit Gehbehelf). Es bestünden weiters keine kardiopulmonalen oder psychiatrischen Einschränkungen, die eine Kontraindikation hinsichtlich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel darstellen würden.
3. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11.05.2018 wurde dem BF zum oben angeführten Ergebnis der Beweisaufnahme ein schriftliches Parteiengehör gemäß § 45 AVG gewährt und die Möglichkeit eingeräumt, dazu binnen drei Wochen ab Zustellung eine schriftliche Stellungnahme einzubringen.
3.1. Mit Schreiben vom 10.06.2018 brachte der BF in seiner schriftlichen Stellungnahme zusammengefasst vor, dass er seit seinem 56. Lebensjahr im Besitz einer "Invaliditätskarte", ausgestellt in Holland, gewesen sei. In Österreich habe er keine neue Invaliditätskarte erhalten. Sein Zustand habe sich verschlechtert, und trotzdem habe er keine neue Karte ausgestellt bekommen. Das Knie des BF sei abgenutzt, er könne sein Bein nicht gut heben und das Gehen und das Treppensteigen sei sehr schwierig. Das Ein- und Aussteigen sei ebenso sehr schwierig. Der BF könne sich im Bus auch nicht an den Halterungen festhalten, weil sein linker Arm/Schulter nicht mehr zu 100 % funktioniere, denn er habe dort keine Kraft mehr. Die Gehstrecke betrage nicht mehr als 50 Meter ohne Krücken und mit Krücken bis 150 Meter.
Die ärztlichen Begutachtungen würden in Österreich zu kurz dauern um den Gesundheitszustand zu erheben. Der BF leide seit ein paar Jahren auch an Depressionen, da er nicht mehr in der Lage sei, überall hinzufahren, sogar einkaufen könne er nur, wenn am Parkplatz nicht viel los sei. In Holland habe der BF bei der Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln zweimal von Krankenwagen geholt werden müssen. Auch in Graz musste der BF vorzeitig aufgrund der Vibration und der Angst vom Bus aussteigen. Der BF brachte weitere medizinische Beweismittel in Vorlage.
4. Aufgrund der gemachten Einwendungen beauftragte die belangte Behörde erneut die Sachverständige Dr. XXXX mit der Erstellung eines Aktengutachtens.
In dem am 29.06.2018 erstatteten Gutachten von Dr. XXXX wird im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
1
Abnützungsbedingte Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule
2
Arthrosen beider Kniegelenke, links mehr als rechts mit belastungsabhängigen Schmerzen und Gangbehinderung bei längeren Strecken
3
Bluthochdruck
4
Nächtliche Atempausen im Rahmen eines Schlafapnoesyndroms mit Indikation zur CPAP-Beatmung (nicht verwendet)
4
Depression
6
Abnützungen/verletzungsbedingte Schäden in beiden Schultergelenken
Zur Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde festgehalten, dass keine der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen, das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zulassen würde. Es bestünden Einschränkungen der Mobilität seitens des Bewegungsapparates (Knie, Wirbelsäule), jedoch in keinem Ausmaß, welches das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke und das Überwinden der für öffentliche Verkehrsmittel üblichen Niveauunterschiede (somit das Ein- und Aussteigen) nicht zuließen - gegebenenfalls unter Verwendung von Gehbehelfen. Gang und Zweibeinstand seien ausreichend sicher, die Hantierfunktion - trotz Omarthrose rechts und berichteten Einschränkungen der linken Schulter - sei als ausreichend zu erachten, somit sei der sichere Transport möglich. Weiters würden keine kardiopulmonalen oder psychiatrischen Limitationen, die eine Kontraindikation hinsichtlich der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel darstellen, bestehen. Es liege auch keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 02.07.2018 wurde der Antrag vom 15.02.2018 auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen.
Gestützt wurde die Entscheidung der belangten Behörde auf das oben angeführte ärztliche Sachverständigengutachten von Dr. XXXX, das aufgrund der Aktenlage erstellt wurde. Dieses sei als schlüssig erkannt und der Entscheidung in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt worden. Danach würden die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen.
In der rechtlichen Beurteilung zitierte die belangte Behörde die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes und der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Des Weiteren wurden die maßgeblichen Kriterien, welche entsprechend der VwGH-Judikatur für die gegenständliche Zusatzeintragung relevant sind, angeführt.
6. Gegen den oben genannten Bescheid brachte der BF mit E-Mail vom 13.07.2018, ergänzt durch E-Mail vom 24.07.2018, binnen offener Frist Beschwerde ein. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass der BF in den Niederlanden einen unbefristeten Parkausweis ("Karte") gehabt habe, der seitens der belangten Behörde validiert worden sei. Trotz Verschlimmerung seines Gesundheitszustandes habe der BF nunmehr in Österreich keinen Parkausweis mehr erhalten. Im Rahmen der Untersuchung habe die Ärztin den BF auf den Tisch gestellt und sein Bein gehoben. Daraus habe sie geschlossen, dass der BF alleine 300 bis 400 Meter gehen könne, obwohl diese den BF nie gehen gesehen habe. Der BF glaube, dass er keinen Parkausweis bekomme, weil er aus den Niederlanden komme. Er könne jedoch keine 150 Meter aus eigener Kraft gehen und fühle sich diskriminiert.
7. Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden von der belangten Behörde dem Bundesverwaltungsgericht am 01.08.2018 vorgelegt.
8. Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes wurde seitens des erkennenden Gerichts ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt.
8.1. Im medizinischen Sachverständigengutachten von MR Dr. XXXX, Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, vom 21.01.2019 wird, basierend auf der persönlichen Untersuchung des BF am selben Tag, im Wesentlichen folgendes festgehalten:
Diagnosen:
-
Höhergradige Abnützung im Bereich der Wirbelsäule, Schwerpunkt Lendenwirbelsäule, mit deutlichen Ausstrahlungsschmerzen und dadurch bedingte Funktionseinschränkung im Bereich des linken Beines
-
Arthrosen beider Kniegelenke, links mehr als rechts mit deutlicher Gangbehinderung
-
Nächtliche Atempausen im Rahmen eines Schlafapnoesyndroms mit Indikation zur CPAP-Beatmung (nicht verwendet)
-
Reaktive Depression, aktuell ohne Medikation
-
Impingement rechte Schulter mit Bewegungseinschränkung über Kopf
-
Bluthochdruck
Zum Gangbild und zur Mobilität wurde festgehalten, dass auffallend sei, dass beim Stand und Gang das gesamte Gewicht auf die rechte Seite verlagert werde. Dies aufgrund der offenbar bestehenden Ischias- und Kniegelenksschmerzen linksseitig, dadurch sei der Gang eingeschränkt und gemindert. Zehen- und Fersenstand seien trotz Anhalten rechts nicht möglich. Der Finger-Boden-Abstand sei auf Grund der Wirbelsäulenschmerzen nicht prüfbar. Das Aufstehen sei nur mit Anhalten möglich. Der Gang sei unter Anhalten an Einrichtungsgegenständen möglich. Zusätzlich werde eine Stützkrücke verwendet. Der Gang sei deutlich linksseitig humpelnd.
Zur Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde ausgeführt, dass sich aktuell ein komplexes orthopädisches Problem in der Funktionskette von Seiten der Lendenwirbelsäule als auch des linken Kniegelenkes mit deutlicher Bewegungseinschränkung im Kniegelenk (nicht konkordant mit dem Röntgenbefund, in welchem eine beginnende Abnützung beschrieben sei), als auch eine Funktionseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule zeige, wonach auf Grund der Schmerzen eine Wegstrecke als limitiert anzusehen sei. Es werde auch eine Schmerzmedikation der Stufe zwei nach WHO Kriterien eingenommen. Das Überwinden von Niveauunterschieden und der sichere Transport erscheine aufgrund der heutigen Untersuchung, trotz Unterarmstützkrückenversorgung, nicht gewährleistet. Es scheine im Gegensatz zum Vorgutachten eine deutliche Verschlechterung eingetreten zu sein. Beim BF würden direkte erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vorliegen.
9. Das Ergebnis der Beweisaufnahme wurde den Verfahrensparteien im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG seitens des erkennenden Gerichtes mit Schreiben vom 28.01.2019 zur Kenntnis gebracht und die Möglichkeit eingeräumt, sich dazu binnen zwei Wochen ab Zustellung zu äußern.
10. Mit Schreiben vom 08.02.2019 erstattete der BF eine Stellungnahme zum Parteiengehör. Darin wurde zusammengefasst vorgebracht, dass diese Untersuchung besser verlaufen sei. Daraus ergebe sich, dass es dem BF nicht möglich sei, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Auch leide der BF an einer Klaustrophobie und sei deprimiert. Er hoffe, dass er einen Parkausweis erhalten werde.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist am XXXX geboren und im Besitz eines Behindertenpasses.
Der BF leidet an folgenden behinderungsrelevanten Gesundheitsschädigungen:
-
Höhergradige Abnützung im Bereich der Wirbelsäule, Schwerpunkt Lendenwirbelsäule, mit deutlichen Ausstrahlungsschmerzen und dadurch bedingte Funktionseinschränkung im Bereich des linken Beines
-
Arthrosen bei beiden Kniegelenke, links mehr als rechts, mit deutlicher Gangbehinderung
-
Nächtliche Atempausen im Rahmen eines Schlafapnoesyndroms mit Indikation zur CPAP-Beatmung (nicht verwendet)
-
Reaktive Depression, aktuell ohne Medikation
-
Impingement im Bereich der rechten Schulter mit Bewegungseinschränkung über Kopf
-
Bluthochdruck
Die Mobilität des BF ist insbesondere aufgrund der höhergradigen Lendenwirbelsäulenabnützung und der deutlichen Bewegungseinschränkung im Bereich des linken Kniegelenkes und der daraus ergebenen Schmerzen erheblich eingeschränkt.
Beim BF liegen dadurch erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten vor.
Der BF ist nicht in der Lage eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300-400 Metern selbständig zurückzulegen. Auch das Überwinden von Niveauunterschieden ist trotz Verwendung von Unterarmstützkrücken nicht sicher möglich. Insgesamt ist der sichere Transport des BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter den üblichen Transportbedingungen nicht gewährleistet.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang, die Feststellungen zum Geburtsdatum und zum Besitz des Behindertenpasses ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, der Beschwerde und dem vorliegenden Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes.
Im seitens des erkennenden Gerichts eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten von MR Dr. XXXX, Arzt für Allgemein- und Sportmedizin, vom 21.01.2019, welches auf einer persönlichen Untersuchung des BF basiert, wurde auf die Art der Leiden des BF und deren Auswirkungen auf die Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln ausführlich, schlüssig und widerspruchsfrei eingegangen. Die getroffenen Feststellungen diesbezüglich gründen sich darauf.
Insbesondere wurde ausgeführt, dass beim BF ein komplexes orthopädisches Problem in der Funktionskette im Bereich der Lendenwirbelsäule und des linken Kniegelenkes besteht.
Aus dem Untersuchungsbefund, der vom Amtssachverständigen MR Dr. XXXX erhoben wurde, konnte festgestellt werden, dass die Mobilität aufgrund der Wirbelsäulen- und Kniegelenksleiden und der dadurch bedingten Schmerzen erheblich eingeschränkt ist und der BF nicht in der Lage ist, eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300-400 Metern selbständig zurückzulegen.
Auch das sichere Überwinden von Niveauunterschieden trotz Verwendung von Unterarmstützkrücken scheint aus gutachterlicher Sicht als nicht gewährleistet. Im Gutachten wurden auch erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten festgehalten.
Aus Sicht des erkennenden Senates ist aufgrund der vorliegenden Gesamtfunktionseinschränkung der sichere Transport des BF in einem öffentlichen Verkehrsmittel insgesamt nicht gewährleistet.
Der Inhalt dieses ärztlichen Sachverständigengutachtens wurde den Verfahrensparteien seitens des erkennenden Gerichts im Rahmen eines schriftlichen Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht und zur Möglichkeit einer Stellungnahme übermittelt. In der Stellungnahme des BF wurden dagegen keine Einwände erhoben. Die belangte Behörde erstattete keinerlei Stellungnahme dazu. Es blieb somit im gegenständlichen Verfahren unbestritten und wird der Entscheidung des erkennenden Gerichtes in freier Beweiswürdigung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung [idgF]) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG (Bundesbehindertengesetz, BGBl. Nr. 283/1990 idgF) hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter gemäß § 45 Abs. 4 BBG mitzuwirken.
Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichts-verfahrensgesetz - VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF) geregelt (§ 1 leg.cit.).
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG, BGBl. Nr. 1/1930 idgF) die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Das Verwaltungsgericht kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteienantrags, von einer Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) noch Art 47 GRC (Charta der Grundrechte der Europäischen Union) entgegenstehen.
Der im gegenständlichen Fall entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde größtenteils auf gutachterlicher Basis ermittelt. Die ärztliche Begutachtung von MR Dr. XXXX basierte auch auf einer persönlichen Untersuchung des BF. Der Inhalt des vorliegenden Sachverständigengutachtens wurde zudem von den Verfahrensparteien im Rahmen ihres schriftlichen Parteiengehörs nicht beeinsprucht.
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit den Beschwerdegründen und dem Begehren des BF geklärt erscheint und auch unstrittig ist, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 VwGVG entfallen, da auch von den Verfahrensparteien keine mündliche Verhandlung beantragt wurde.
Dem Absehen von der Verhandlung stehen hier auch Art 6 Abs. 1 EMRK und Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht entgegen.
3.2. Zu Spruchteil A):
Unter Behinderung im Sinne des Bundesbehindertengesetzes ist gemäß § 1 Abs. 2 BBG die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Der Behindertenpass hat gemäß § 42 Abs. 1 BBG den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
Gemäß § 45 Abs. 1 BBG sind Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
Ein Bescheid ist gemäß § 45 Abs. 2 BBG nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3 BBG) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der am 01. Jänner 2014 in Kraft getretenen Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013, ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls einzutragen, die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
-
erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
-
erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
-
erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
-
eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
-
eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach
§ 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind entsprechend der Erläuterungen der oben angeführten Verordnung ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.
Entscheidend für die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist, wie sich eine bestehende Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH vom 20.10.2011, Zl. 2009/11/0032).
Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden (vgl. etwa VwGH 18.12.2006, Zl. 2006/11/0211; VwGH 20.04.2004, Zl. 2003/11/0078).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt.
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche sowie bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, Zl. 2007/11/0080).
Es war aus folgenden Gründen spruchgemäß zu entscheiden:
Der BF leidet an erheblichen Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten im Sinne des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen.
Die Mobilität des BF ist erheblich eingeschränkt. Der BF ist nicht in der Lage eine kurze Wegstrecke im Ausmaß von 300 - 400 Metern selbständig zurückzulegen und Niveauunterschiede beim Ein- und Austeigen in beziehungsweise aus einem öffentlichen Verkehrsmittel sicher zu überwinden. Auch der sichere Transport des BF im öffentlichen Verkehrsmittel ist unter den üblichen Transportbedingungen trotz Verwendung von Unterarmstützkrücken nicht gewährleistet.
Da der BF zudem Inhaber eines Behindertenpasses ist, liegen die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" in den Behindertenpass jedenfalls vor.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Vollständigkeitshalber wird angemerkt, dass nunmehr die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Parkausweises nach § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) mit der gegenständlichen Entscheidung vorliegen. Die belangte Behörde wird daher in weiterer Folge auch über den noch offenen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO zu entscheiden haben.
3.3. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlicher Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung.
Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:G303.2202424.1.00Zuletzt aktualisiert am
09.03.2020