TE Bvwg Erkenntnis 2019/8/22 W271 2200371-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.08.2019
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Entscheidungsdatum

22.08.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W271 2200372-1/7E

W271 2200370-1/7E

W271 2200371-1/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , alias

XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i.V.m. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde der XXXX alias XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Julian

A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX alias XXXX gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i.V.m.

§ 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX alias XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Anna WALBERT-SATEK über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gesetzlicher Vertreter: XXXX , geb. XXXX , alias XXXX , dieser vertreten durch RA Mag. Julian A. MOTAMEDI, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

1. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids wird als unbegründet abgewiesen.

2. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und XXXX gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG i.V.m. § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Erstbeschwerdeführer XXXX (in der Folge: "BF1") und die Zweitbeschwerdeführerin XXXX alias XXXX (in der Folge: "BF2"), beide afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara, stellten am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am XXXX fand die Erstbefragung des BF1 und der BF2 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Beide BF gaben an, verheiratet zu sein und als Muttersprache Dari zu sprechen. Sie gaben jeweils am Anfang ihrer Befragungen an, die Dolmetscherin zu verstehen; am Ende der Befragungen gaben sie an, alles verstanden zu haben und nichts ergänzen zu wollen.

2. a. Der BF1 gab im Wesentlichen Folgendes an:

Er sei am XXXX im Iran, XXXX , geboren worden, habe acht Jahre lang eine Schule besucht und sei zuletzt als Hilfsarbeiter tätig gewesen.

Der BF1 gab weiters an, über eine Familie zu verfügen: Diese bestehe aus seiner Mutter und seinen Geschwistern (zwei Brüder und drei Schwestern), die im Iran leben würden. In Österreich halte sich seine Ehefrau und eine Schwester der BF2 auf. Der Vater des BF1 sei verschollen.

Als Fluchtgrund führte der BF1 an, dass er mit seiner Frau geflüchtet sei, weil deren Familie aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche des BF1 gegen eine Heirat gewesen sei. Außerdem würden generell im Iran Afghanen schlecht behandelt und benachteiligt werden. Er habe Angst, weil er Hazara und Schiite sei.

2. b. Die BF2 führte im Wesentlichen Folgendes an:

Sie sei am XXXX im Iran, XXXX , geboren worden und habe dort zwölf Jahre lang eine Schule und danach ein Jahr lang eine Universität (Islamwissenschaften) besucht. Im Iran würden ihre Eltern und vier Brüder wohnen.

Als Fluchtgrund gab die BF2 zu Protokoll, dass ihr Mann und sie verlobt gewesen seien, aber die Eltern die BF2 nicht zur Heirat freigegeben hätten, weil der BF1 kein Geld gehabt habe; diese hätten das Paar trennen wollen. In Afghanistan gebe es keine Sicherheit, besonders nicht für Hazara.

3. Die Einvernahme des BF1 und der BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: "BFA") erfolgte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi.

Zu Beginn der Vernehmungen wies der BF1 darauf hin, dass es in der Erstbefragung Protokollierungsfehler gegeben habe: So sei das Interview sehr kurz gehalten worden und der Dolmetscher habe diesen nicht richtig betreffend den Fluchtgrund verstanden. Die protokollierten Angaben seien jedoch richtig. Die BF2 gab an, problemlos Dari und Farsi zu verstehen.

3. a. Der BF1 schilderte, dass er zusammen mit seiner Familie, die aus Daikundi stamme, in XXXX , im Iran, gelebt habe. Er habe zudem Tanten väter- und mütterlicherseits in Daikundi und eine Schwester (und deren Familie, u.a. fünf Schwager) in Kabul. Der BF1 habe acht Jahre lang eine Schule besucht und sei später beruflich als Erntehelfer tätig gewesen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt schilderte der BF1 zusammengefasst, dass er seit seiner Kindheit islamische Länder gehasst habe, weil diese ihr Versprechen nicht einhalten würden: So habe seine Mutter eine Frau für ihn gefunden. Gemeinsam sei um die Hand dieser Frau, und zwar der BF2, angehalten worden, woraufhin der BF1 mit der BF2 ein Jahr lang verlobt gewesen sei. Am Tag der Verlobung habe auch die traditionelle Verheiratung stattgefunden. Als der BF1 nach einem Jahr seine Frau habe heiraten wollen, sei die Familie der BF2 nicht damit einverstanden gewesen. Begründet sei dies damit worden, dass der BF1 nicht beten sowie in die Moschee gehen und an religiösen Festen teilnehmen würde - er sei ein "Nichtgläubiger" und passe nicht in die Familie. Die finanzielle Situation des BF1 habe hingegen keine Rolle gespielt. Etwa einen Monat vor der Ausreise sei der BF1 dann aufgefordert worden, sich scheiden zu lassen. Seine Frau habe aber keinen anderen heiraten können, weil sie bereits mit ihm geschlafen habe.

3. b. Die BF2 berichtete, mit ihrer Familie in XXXX , Iran, gelebt zu haben; ihr Vater würde ursprünglich aus Daikundi, ihre Mutter aus Bamyan stammen. Die BF2 habe nach dem Pflichtschulabschluss als Obsterntearbeiterin gearbeitet, um die Schule, die sie später mit der "Matura" abgeschlossen habe, finanzieren zu können. Danach habe diese ein Vorbereitungsjahr für die Universität besucht, sei dann aber von ihren Eltern auf eine Religionsschule geschickt worden.

Im Rahmen der Befragung führte die BF2 zum Fluchtgrund an, dass der BF1 zusammen mit seiner Mutter um ihre Hand angehalten habe und ihre Familie in eine Heirat eingewilligt hätte. Die Familie sei gegen eine Heirat gewesen und habe sie mit einem Cousin mütterlicherseits verheiraten wollen. Es sei vereinbart worden, dass sie den BF1 ein Jahr lang kennenlernen dürfe und dann die Hochzeitszeremonie stattfinden solle. Als der BF1 nach einem Jahr einen Zeitpunkt für den Hochzeitstermin habe festlegen wollen, habe der Vater der BF2 gemeint, dass er nicht der Richtige für die Tochter sei, weil er "ungläubig" sei. Beide sollten sich scheiden lassen oder der Vater würde diese scheiden lassen. Die BF2 fürchte nun in Afghanistan ihren Bruder, weil sie keine Hochzeitszeremonie mit dem BF1 gehabt habe und daher "mit einem fremden Mann geflüchtet" sei. Auch ihre nunmehr in Österreich befindliche Schwester sei, damals 15-jährig, wegen eines Mannes von zuhause "geflüchtet".

4. Am XXXX wurde der Drittbeschwerdeführer XXXX (in der Folge: "BF3") als Sohn des BF1 und der BF2 in Österreich geboren. Sein Vater stellte für diesen als gesetzlicher Vertreter am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Beigelegt wurden dem Ansuchen eine Meldebestätigung und eine Geburtsurkunde. BF1 und BF2 gaben an, dass für ihren Sohn keine eigenen Fluchtgründe bestehen würden.

5. Mit Bescheiden vom jeweils XXXX wies das BFA die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß §§ 3 und 8 AsylG 2005 ab, erließ Rückkehrentscheidungen und stellte fest, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

6. Die BF erhoben jeweils am XXXX gegen sämtliche Spruchpunkte Beschwerde. Insbesondere wurde dort vorgebracht, dass die BF bei einer Rückkehr sowohl vom Bruder der BF2, als auch den Feinden des Vaters des BF1 in Afghanistan getötet werden würden und ihnen darüber hinaus wegen ihrer westlichen Lebensstile eine Gefahr drohe. Im Herkunftsland herrsche überdies eine schlechte Sicherheitslage und es stehe keine innerstaatliche Fluchtalternative für die Familie zur Verfügung.

7. Die Beschwerdevorlage erfolgte mit Schreiben vom XXXX . Am XXXX langten die Akten der BF beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: "BVwG") ein.

8. Das BVwG führte am XXXX in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Farsi und im Beisein einer Rechtsvertreterin eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Zu den BF

1.1.1. Der BF1 trägt den Namen XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX , alias XXXX .

Die BF2 trägt den Namen XXXX alias XXXX und führt das Geburtsdatum XXXX , alias XXXX .

Der BF1 und die BF2 sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen BF3 ( XXXX , geb. XXXX ). Alle sind afghanische Staatsbürger, Volksgruppenangehörige der Hazara und schiitische Moslems.

Die BF sprechen Dari als Muttersprache und Farsi. Dari ist eine der beiden Landessprachen Afghanistans. Der BF1 und die BF2 können lesen und schreiben.

1.1.2. Der BF1 wurde in XXXX , Iran, geboren und lebte dort beinahe durchgehend bis zu seiner Ausreise (zwischenzeitlich hielt er sich mit seinen Eltern auch in XXXX , Iran, auf).

Die BF2 wurde in XXXX , Iran, geboren und lebte später ebenfalls bis zur Ausreise in XXXX , Iran.

Der BF3 kam am XXXX in Österreich auf die Welt.

Die BF waren selbst noch nie in Afghanistan. Sie sind im Kreis ihrer afghanischen Familien aufgewachsen und mit den dort gelebten Gepflogenheiten vertraut.

1.1.3. Im Iran hat der BF1 eine achtjährige Schulausbildung absolviert und war danach als Hilfsarbeiter, zuletzt als Erntehelfer, tätig. Der BF1 ernährte in seiner Zeit im Iran seine Familie, bestehend aus der Mutter und dem jüngeren Bruder.

Die BF2 besuchte zwölf Jahre lang eine Schule, wobei sie sich ab dem Pflichtschulabschluss die Schule durch ihre Arbeit als Obsterntehelferin selbst finanzierte. Nach der "Matura" legte diese eine Prüfung zur Aufnahme an der Universität für das Studium "Bau-Engineering" ab und besuchte etwa ein Semester lang eine Religionsschule.

1.1.4. Die Eltern des BF1 stammen aus der afghanischen Provinz Daikundi; dort gibt es noch Tanten väter- und mütterlicherseits, zu denen kein Kontakt besteht. BF1 weiß nicht, wo diese Verwandten leben und woher genau er kommt. Die Familie des BF1 ist seit über 30 Jahren im Iran. Die Kernfamilie des BF1 (Mutter, zwei Brüder und zwei Schwestern) hält sich nach wie vor im Iran auf. Die Mutter arbeitet in einem Blumengeschäft, ein Bruder ist als Schweißer und eine Schwester als Schneiderin tätig. Eine Schwester des BF, die früher mit ihrer Familie in Kabul gelebt hat, ist in den Iran gezogen. Der Vater des BF1 ist seit einer Reise nach Afghanistan vor etwa 15 Jahren verschollen.

Die Eltern der BF2 stammen aus Bamyan bzw. Daikundi. Die Eltern der BF2 flohen während des UDSSR-Kriegs aus Afghanistan in den Iran, heirateten dort und bekamen die BF2. Die Verwandtschaft der BF2 (Eltern und vier Brüder) befindet sich im Iran. In Afghanistan leben keine Angehörigen der BF2.

1.1.5. Der BF1 und die BF2 haben den Iran spätestens im XXXX verlassen und stellten am XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Für die Schleppung, die der BF1 organisiert und finanziert hat, wurden etwa EUR XXXX gezahlt.

Für den in Österreich nachgeborenen BF3 wurde am XXXX ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

1.1.6. In ihrem Herkunftsstaat sind die BF ist nicht vorbestraft, sie waren politisch nicht tätig und hatten keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat.

1.1.7. Die BF sind gesund.

1.1.8. Im Bundesgebiet verfügt die BF2 über eine Schwester. Es besteht regelmäßiger Kontakt. Der Schwager der BF2 geht in Österreich einer Arbeit nach.

1.1.9. Derzeit wohnen die BF in einer Unterkunft in XXXX . Diese leben von der Grundversorgung und gehen keiner geregelten beruflichen Tätigkeit nach. Der BF1 hilft seit XXXX freiwillig in einem Seniorenwohnhaus aus; auch die BF2 engagiert sich seit XXXX ehrenamtlich in derselben Einrichtung.

Der BF1 hat mehrere Deutschkurse besucht (Niveau B1) und eine A1- sowie eine A2-Sprachprüfung abgelegt; für Juni war ein Antritt für die B1-Prüfung geplant. Er hat einen Werte- und Orientierungskurs belegt und möchte künftig eine Lehre als Automechaniker (ein Mangelberuf in Österreich) beginnen.

Die BF2 hat bisher ebenfalls Deutschkurse absolviert (Niveau B1), eine A1- sowie A2-Sprachprüfung abgelegt und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert. Diese hat zudem an mehreren ÖIF-Informationsveranstaltungen und an einem Computerkurs teilgenommen. Die BF2 plant, Krankenpflegerin zu werden und ist für einen Kurs zur " XXXX " beginnend mit XXXX angemeldet. Seit XXXX nimmt die BF2 an der Gruppenaktivität "Entspannungsübungen" teil (Yoga). In ihrer Freizeit geht sie außerdem gerne Rad fahren und schwimmen.

Der BF3 ist ein Kleinkind.

Im Bundesgebiet haben die BF österreichische Freunde, mit denen sie in ihrer Freizeit Verschiedenes unternehmen und sich treffen. BF1 ist mit seinem Deutschlehrer und seinem Betreuer im Asylheim befreundet. Beim Deutschlehrer war er zweimal im Schwimmbad; der Betreuer bringt ihm viel bei, damit er irgendwann als Hausmeister dort tätig sein kann. Der BF1 hat ihn auch zu Hause besucht. Der BF1 hat auch zwei oder drei afghanische Freunde, die er in einer Asylunterkunft in der Nähe kennengelernt hat; mit diesen geht er spazieren, tratschen und rauchen. BF2 hat ebenfalls Freunde und geht mit ihnen schwimmen und Fahrrad fahren. Zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem BFA ( XXXX ) verfügte die Familie lediglich über Kontakte mit dem Unterkunftgeber und Betreuer.

1.1.10. Der BF1 ist schiitischer Moslem und bezeichnete sich als solcher in sämtlichen Einvernahmen. Er mag seine Religion nicht besonders und praktiziert den Glauben nicht aktiv (er besucht keine Moscheen, betet sowie fastet nicht und nimmt an keinen religiösen Festen teil). Im Iran wussten die Menschen in der Umgebung des BF1 von dessen mangelnden Interesse an seinem Glauben, weshalb dieser kein wohl aufgenommener Mensch in der Gesellschaft war; andere Probleme hat es deswegen nicht gegeben. Wegen seiner Skepsis gegenüber dem Islam hat der BF1 in Griechenland auch einmal eine Diskussion mit anderen afghanischen Flüchtlingen gehabt.

Der BF1 äußerte zu keinem Zeitpunkt, sich vom Islam abwenden zu wollen oder eine Gefahr aufgrund seiner Distanzierung zu seiner Religion in Afghanistan zu befürchten, sondern brachte vielmehr vor, bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seines schiitischen Glaubens Angst zu haben. Eine "Apostasie" ist beim BF nicht feststellbar. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall seiner Rückkehr in Afghanistan aufgrund seines geringen Interesses am Praktizieren des islamischen Glaubens, eine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung von maßgeblicher Intensität zu befürchten hätte. Afghanen, die ihren Glauben nicht regelmäßig praktizieren, werden nicht zwingend als "Nichtgläubige" angesehen. Solche Verhaltensweisen werden im städtischen Raum eher toleriert als im ländlichen Raum.

1.1.11. Die BF sind in Österreich nicht vorbestraft, sie waren nicht von einer gerichtlichen Untersuchung in Österreich betroffen und haben keine Verwaltungsstrafe begangen.

1.2. Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates/Nachfluchtgründe

1.2.1. Der BF1 und die BF2 haben sich am XXXX verlobt und wurden an diesem Tag auch von einem Mullah im Iran getraut.

BF1 und BF2 wurden mit Zustimmung ihrer Familien verheiratet. Es war keine Liebesheirat, doch mögen sie einander und wollen die Ehe aufrecht halten. Der Vater der BF2 hat nicht die Scheidung des Ehepaares verlangt. Ihnen wird nicht unterstellt, weggelaufen zu sein und eine Ehrverletzung begangen zu haben. Sie haben diesen Vorwurf auch in Afghanistan nicht zu befürchten. Es kam (insbesondere wegen ihrer Eheschließung oder ihrer gemeinsamen Ausreise) nicht zu einem Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit durch ihre Familien und insbesondere nicht durch den Bruder der BF2 und die BF haben dies für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan auch nicht zu befürchten.

Die BF haben im Herkunftsstaat auch sonst keine Probleme, etwa mit regierungsfeindlichen Gruppierungen, dem Staat oder anderen Personen zu erwarten. Insbesondere haben diese keine integritätsbedrohenden Probleme wegen ihrer Nationalität, Religion, Ethnie, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung im Fall ihrer Rückkehr zu erwarten.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht den BF keine Gefahr seitens angeblich "alter Feinde" des Vaters des BF1.

1.2.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF wegen ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit eine gegen sie gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung erlitten haben, eine solche unmittelbar bevorstand oder sie eine solche Bedrohung im Falle ihrer Ausweisung nach Afghanistan speziell zu befürchten hätten.

1.2.4. Im Iran kümmerte sich die BF2 vormittags um ihre Ausbildung (zuletzt besuchte sie eine Islamschule) und nachmittags um den familiären Haushalt. Diese konnte bei Bedarf das Haus für die Schule oder Einkäufe alleine verlassen; mit dem BF1 machte sie oft zusammen Ausflüge. Die BF2 beendete - ohne Unterstützung und entgegen dem Willen der konservativen Eltern, die ein Hausfrauen-Dasein für die BF2 vorsahen - die Schule mit der "Matura" und absolvierte eine Universitätsaufnahmeprüfung. Um die Schule nach dem Pflichtschulabschluss selbstständig finanzieren zu können, arbeitete diese auswärts auf einer Obstplantage. Wahrgenommene Restriktionen wurden der BF2 bislang ausschließlich von ihrer Familie auferlegt, die sich nach wie vor im Iran aufhält. Der BF1 würde seine Frau nach Möglichkeit bei Bestrebungen, in Afghanistan einen Beruf zu ergreifen und eine Ausbildung zu machen, unterstützen. Dieser würde der BF2 auch keine Kleidervorschriften machen.

In Österreich besucht die BF2 Deutschkurse, erledigt selbstständig Einkäufe, verwaltet das Familiengeld und kümmert sich um die Kindererziehung. Sie hat soziale Kontakte geschlossen, mit denen sie in ihrer Freizeit schwimmen und Rad fahren geht. Haushalt, Behördenwege und Arztbesuche werden überwiegend zusammen mit dem BF1 erledigt.

Die BF2 spricht nur wenig Deutsch. Sie möchte später als Krankenpflegerin arbeiten, hat sich mit dem geäußerten Berufswunsch aber noch nicht konkret auseinandergesetzt, auch wenn sie demnächst einen Vorbereitungskurs für einen möglichen Arbeitseinstieg besuchen wird. Mit der Aufnahme einer Arbeit will sie jedoch solange zuwarten, bis sie die deutsche Sprache ausreichend beherrscht. Seit etwa drei Monaten ist die BF2 ehrenamtlich in einem Altenheim, in dem auch der BF1 aushilft, tätig.

Im Iran hat die BF2 einen islamisch-konservativen Kleidungsstil getragen. In Österreich trägt sie inzwischen kein Kopftuch mehr und schminkt sich dezent. Die BF2 schätzt in Österreich vor allem, Entscheidungen hinsichtlich ihres Stylings selbst treffen zu können.

Die Veränderung, welche die BF2 in Österreich durchlaufen hat, ist - weil sie auch im Iran schon verschiedene Freiheiten genossen hat - nicht groß. Ihr Verhalten, auch das gegenüber Männern, hat sich nicht verändert. Sie hat keine Lebensweise angenommen oder Werthaltung verinnerlicht, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung von Grundrechten in einer Weise zum Ausdruck kommt, wie sie in Afghanistan generell nicht möglich wäre. Der BF2 droht bei Beibehaltung ihres Lebensstils - soweit dies aufgrund der faktischen Gegebenheiten möglich ist - keine lebensbedrohliche Gefahr oder integritätsgefährdende Bedrohung, auch wenn Teile der Gesellschaft, selbstständigere und arbeitende Frauen diskriminieren oder auf sie herabblicken und nach wie vor - gerade außerhalb urbaner Zentren - strengere Bekleidungsvorschriften bestehen.

1.2.5. Der BF1 hat aufgrund seiner persönlichen Eigenschaften, insbesondere wegen seiner Eigenschaft als Rückkehrer aus Europa ("westlicher" Lebensstil), keine gegen ihn gerichtete integritätsgefährdende Bedrohung im Falle seiner Ausweisung nach Afghanistan zu befürchten.

1.2.6. Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der minderjährige BF3 aufgrund persönlicher Eigenschaften, insbesondere seiner Eigenschaft als Kind, in Afghanistan eine konkret gegen ihn gerichtete Bedrohung im Falle einer Rückkehr zu befürchten hätte.

Im Herkunftsland besteht Schulpflicht; in der Herkunftsregion Daikundi gibt es Schulen und es erfolgt dort keine systematische Verweigerung von Bildung.

Der BF1 und die BF2 haben nicht vor, ihr Kind durch Zwang zu verheiraten und lassen diesem die Entscheidungsfreiheit über sein Leben. Der BF1 sprach sich gegen eine Kinderarbeit des BF3 aus.

1.3. Situation im Herkunftsstaat

1.3.1. Integrierte Kurzinformationen

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft)

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019). Überflutungen und Dürre Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten.

Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019). Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen.

Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen, welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

KI vom 1.3.2019 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte.

In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

KI vom 31.1.2019, Friedensgespräche zwischen den USA und den Taliban (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.-Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.01.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

KI vom 22.1.2019, Anschlag auf Ausbildungszentrum des National Directorate of Security (NDS) in der Provinz Wardak und weitere (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Anschlag auf einen Stützpunk des afghanischen Sicherheitsdienstes (NDS, National Directorate of Security) in der zentralen Provinz Wardak (auch Maidan Wardak) kamen am 21.1.2019 zwischen zwölf und 126 NDS-Mitarbeiter ums Leben (TG 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019). Quellen zufolge begann der Angriff am Montagmorgen, als ein Humvee-Fahrzeug der U.S.- amerikanischen Streitkräfte in den Militärstützpunkt gefahren und in die Luft gesprengt wurde. Daraufhin eröffneten Angreifer das Feuer und wurden in der Folge von den Sicherheitskräften getötet (TG 21.1.2019; vgl. NYT 21.1.2019). Die Taliban bekannten sich zum Anschlag, der, Quellen zufolge, einer der tödlichsten Angriffe auf den afghanischen Geheimdienst der letzten 17 Jahre war (NYT 21.1.2019; IM 22.1.2019). Am selben Tag verkündeten die Taliban die Wiederaufnahme der Friedensgespräche mit den U.S.-amerikanischen Vertretern in Doha, Qatar (NYT 21.1.2019; vgl. IM 22.1.2019, Tolonews 21.1.2019).

Am Vortag, dem 20.1.2019, war der Konvoi des Provinzgouverneurs der Provinz Logar, Shahpoor Ahmadzai, auf dem Autobahnabschnitt zwischen Kabul und Logar durch eine Autobombe der Taliban angegriffen worden. Die Explosion verfehlte die hochrangigen Beamten, tötete jedoch acht afghanische Sicherheitskräfte und verletzte zehn weitere (AJ 20.1.2019; vgl. IM 22.1.2019).

Des Weiteren detonierte am 14.1.2019 vor dem gesicherten Green Village in Kabul, wo zahlreiche internationale Organisationen und NGOs angesiedelt sind, eine Autobombe (Reuters 15.1.2019). Quellen zufolge starben bei dem Anschlag fünf Menschen und über 100, darunter auch Zivilisten, wurden verletzt (TG 21.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019, RFE/RL 14.1.2019). Auch zu diesem Anschlag bekannten sich die Taliban (TN 15.1.2019; vgl. Reuters 15.1.2019).

KI vom 8.1.2019, Anschlag in Kabul und Verschiebung der Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage und Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Anschlag auf Regierungsgebäude in Kabul

Am 24.12.2018 detonierte vor dem Ministerium für öffentliches Bauwesen im Osten Kabuls (PD 16) eine Autobombe; daraufhin stürmten Angreifer das nahe gelegene Gebäude des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Märtyrer und Behinderte und beschossen weitere Regierungseinrichtungen in der Umgebung (ORF 24.12.2018; vgl. ZO 24.12.2018, Tolonews 25.12.2018). Nach einem mehrstündigen Gefecht zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Angreifern konnten diese besiegt werden. Quellen zufolge kamen ca. 43 Menschen ums Leben (AJ 25.12.2018; vgl. Tolonews 25.12.2018, NYT 24.12.2018). Bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 25.12.2018; vgl. AJ 25.12.2018).

Problematische Stimmenauszählung nach Parlamentswahlen und Verschiebung der Präsidentschaftswahl

Am 6.12.2018 erklärte die afghanische Wahlbeschwerdekommission (IECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Somit wurden die Stimmen von ungefähr einer Million Kabulis annulliert (Telepolis 15.12.2018; vgl. TAZ 6.12.2018). Die Gründe für die Entscheidung der IECC seien mehrere, darunter Korruption, Wahlfälschung und die mangelhafte Durchführung der Wahl durch die Unabhängige Wahlkommission (IEC) (Telepolis 15.12.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2018). Die Entscheidung wurde von der IEC als "politisch motiviert" und "illegal" bezeichnet (Tolonews 12.12.2018). Am 8.12.2018 erklärte die IECC dennoch, die Kommission würde ihre Entscheidung revidieren, wenn sich die IEC kooperationswillig zeige (Tolonews 8.12.2018). Einer Quelle zufolge einigten sich am 12.12.2018 die beiden Wahlkommissionen auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen, welche die Transparenz und Glaubhaftigkeit dieser wahren sollte; ca. 10% der Stimmen in Kabul sollen durch diese neue Methode nochmals gezählt werden (Tolonews 12.12.2018). Die Überprüfung der Wahlstimmen in der Provinz Kabul ist weiterhin im Gange (Tolonews 7.1.2019). Dem Gesetz zufolge müssen im Falle der Annullierung der Stimmen innerhalb von einer Woche Neuwahlen stattfinden, was jedoch unrealistisch zu sein scheint (Telepolis 15.12.2018). Bisher hat die IEC die vorläufigen Ergebnisse der Wahl für 32 Provinzen veröffentlicht (IEC o.D.).

Am 30.12.2018 wurde die Verschiebung der Präsidentschaftswahl vom 20.4.2019 auf den 20.7.2019 verkündet. Als Gründe dafür werden u.a. die zahlreichen Probleme während und nach den Parlamentswahlen im Oktober genannt (WP 30.12.2018; vgl. AJ 30.12.2018, Reuters 30.12.2018).

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.08.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das Ziel des Anschlags das Treffen der sufistischen Gemeinschaft oder das im Erdgeschoss stattfindende Treffen der Ulema und anderer Islamgelehrten war (LE 21.11.2018; vgl. TNAE 21.11.2018). Weder die Taliban, noch der Islamische Staat (IS) bekannten sich zum Angriff, der dennoch von den Taliban offiziell verurteilt wurde (LE 21.11.2018; vgl. AJ 21.11.2018, IFQ 20.11.2018).

Am 12.11.2018 kamen bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt ca. sechs Personen ums Leben und 20 weitere wurden verletzt (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, ANSA 12.11.2018). Anlass dafür war eine Demonstration in der Nähe des "Pashtunistan Square" im Stadtzentrum, an der hunderte von Besuchern, darunter hauptsächlich Mitglieder und Unterstützer der Hazara-Gemeinschaft, teilnahmen, um gegen die während des Berichtszeitraums anhaltenden Kämpfe in den Provinzen Ghazni und Uruzgan zu demonstrieren (Tolonews 12.11.2018; vgl. DZ 12.11.2018, KP 12.11.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (DZ 12.11.2018; vgl. AJ 12.11.2018). Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 31.10.2018 ca. sieben Personen ums Leben und weitere acht wurden verletzt (Dawn 1.11.20181; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Unter den Opfern befanden sich auch Zivilisten (Pajhwok 31.10.2018; vgl. 1TV 31.10.2018). Die Explosion fand in der Nähe des Kabuler Gefängnisses Pul-i-Charkhi statt und hatte dessen Mitarbeiter zum Ziel (Dawn 1.11.2018; vgl. 1TV 31.10.2018, Pajhwok 31.10.2018). Der IS bekannte sich zum Anschlag (Dawn 1.11.2018, vgl. 1TV 31.10.2018).

KI vom 29.10.2018, Parlamentswahlen und UNAMA-Update zu zivilen Opfern (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage und Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 20. und am 21.10.2018 fand in Afghanistan die Wahl für das Unterhaus (Wolesi Jirga, Anm.) in 32 der 34 Provinzen statt (AAN 21.10.2018b; vgl. LS 21.10.2018). In der Provinz Ghazni wurde die Parlamentswahl verschoben, voraussichtlich auf den 20.4.2019, wenn u. a. auch die Präsidentschafts- und Distriktwahlen stattfinden sollen (siehe hierzu KI der Staatendokumentation vom 19.10.2018). In der Provinz Kandahar fand die Wahl am 27.10.2018 mit Ausnahme der Distrikte Nesh und Maruf statt (AAN 26.10.2018; vgl. CNN 27.10.2018). Grund für die Verzögerung war die Ermordung u.a. des lokalen Polizeichefs General Abdul Raziq am 18.10.2018 (AJ 19.10.2018; vgl. LS 21.10.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle gemeldet (CNN 27.10.2018). Die Wahl, die für den 20.10.2018 geplant war, wurde um einen Tag verlängert, weil die Wähler aus sicherheits- und technischen Gründen in zahlreichen Provinzen nicht wählen konnten:

Lange Wartezeiten vor den Wahllokalen sowie verspätete Öffnungszeiten, Mangel an Wahlunterlagen, Probleme bei der biometrischen Verifizierung der Wähler, sicherheitsrelevante Vorfälle usw. waren die Hauptprobleme während der beiden Wahltage (AAN 20.10.2018; vgl. AAN 21.10.2018a). Von den ca. neun Millionen Afghanen und Afghaninnen, die sich für die Wahl registriert hatten, wählten laut Schätzungen der Independent Election Commission (IEC) zwischen drei und vier Millionen (CNN 27.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018b). In den Städten und Gebieten, die als sicherer gelten, war der Wahlandrang höher als in den ländlichen Gegenden, in denen die Taliban Einfluss ausüben (AAN 20.10.2018; vgl. RN 21.10.2018, AAN 21.10.2018a).

Während der beiden Wahltage fanden Quellen zufolge landesweit ca. 200 sicherheitsrelevante Vorfälle statt und ca. 170 Zivilsten kamen während des ersten Wahltages ums Leben bzw. wurden verwundet: In Kabul wurden 15 Tote, in Baghlan 12, in Nangarhar 11 und in Kunduz 3 Tote verzeichnet. Auch Mitglieder der afghanischen Sicherheitskräfte befanden sich unter den Opfern (vgl. AAN 21.10.2018a, RN 21.10.2018, AFP 20.10.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) (UNAMA 10.10.2018).

Zivile Opfer

Insgesamt wurden im selben Berichtszeitraum 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote und 5.252 Verletzte) verzeichnet. Die meisten zivilen Opfer wurden durch Selbstmord- und Nicht-Selbstmord-IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer (UNAMA 10.10.2018).

Zivilisten in den Provinzen Nangarhar, Kabul, Helmand, Ghazni und Faryab waren am stärksten betroffen. In Nangarhar wurde bis 30.9.2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern (1.494) registriert:

davon 554 Tote und 940 Verletzte (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfeindliche Gruppierungen verursachten 65% der zivilen Opfer (5.243): davon 1.743 Tote und 3.500 Verletze. 35% der Opfer wurden den Taliban, 25% dem Islamic State Khorasan Province (ISKP) und 5% unidentifizierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben (darunter 1% selbsternannten Mitgliedern des ISKP) (UNAMA 10.10.2018). Regierungsfreundliche Gruppierungen waren für

1.753 (761 Tote und 992 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich: 16% wurden durch die afghanischen, 5% durch die internationalen Sicherheitskräfte und 1% durch regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen verursacht (UNAMA 10.10.2018).

KI vom 19.10.2018, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q3.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil (UNGASC 10.9.2018). Am 19.8.2018 kündigte der afghanische Präsident Ashraf Ghani einen dreimonatigen Waffenstillstand mit den Taliban vom 20.8.2018 bis 19.11.2018 an, der von diesen jedoch nicht angenommen wurde (UNGASC 10.9.2018; vgl. Tolonews 19.8.2018, TG 19.8.2018, AJ 19.8.2018). Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum (15.5.2018 - 15.8.2018) 5.800 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 10% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 14% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (61%) aus. Selbstmordanschläge nahmen um 38% zu, Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Kräfte stiegen um 46%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten, wo insgesamt 67% der Vorfälle stattfanden. Es gibt weiterhin Bedenken bezüglich sich verschlechternder Sicherheitsbedingungen im Norden des Landes:

Eine große Zahl von Kampfhandlungen am Boden wurde in den Provinzen Balkh, Faryab und Jawzjan registriert, und Vorfälle entlang der Ring Road beeinträchtigten die Bewegungsfreiheit zwischen den Hauptstädten der drei Provinzen (UNGASC 10.9.2018).

Zum ersten Mal seit 2016 wurden wieder Provinzhauptädte von den Taliban angegriffen: Farah-Stadt im Mai, Ghazni-Stadt im August und Sar-e Pul im September (UNGASC 10.9.2018; vgl. Kapitel 1., KI 11.9.2018, SIGAR 30.7.2018, UNGASC 6.6.2018). Bei den Angriffen kam es zu heftigen Kämpfen, aber die afghanischen Sicherheitskräfte konnten u.a. durch Unterstützung der internationalen Kräfte die Oberhand gewinnen (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018, GT 12.9.2018). Auch verübten die Taliban Angriffe in den Provinzen Baghlan, Logar und Zabul (UNGASC 10.9.2018). Im Laufe verschiedener Kampfoperationen wurden sowohl Taliban- als auch ISKP-Kämpfer (ISKP, Islamic State Khorasan Province, Anm.) getötet (SIGAR 30.7.2018).

Sowohl die Aufständischen als auch die afghanischen Sicherheitskräfte verzeichneten hohe Verluste, wobei die Zahl der Opfer auf Seite der ANDSF im August und September 2018 deutlich gestiegen ist (Tolonews 23.9.2018; vgl. NYT 21.9.2018, ANSA 13.8.2018, CBS 14.8.2018). Trotzdem gab es bei der Kontrolle des Territoriums durch Regierung oder Taliban keine signifikante Veränderung (UNGASC 10.9.2018; vgl. UNGASC 6.6.2018). Die Regierung kontrollierte - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 15.5.2018 56,3% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 (57%) bedeutet. 30% der Distrikte waren umkämpft und 14% befanden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 67% der Bevölkerung lebten in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befanden, 12% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 23% lebten in umkämpften Gebieten (SIGAR 30.7.2018).

Der Islamische Staat - Provinz Khorasan (ISKP) ist weiterhin in den Provinzen Nangarhar, Kunar und Jawzjan aktiv (USGASC 6.6.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018). Auch war die terroristische Gruppierung im August und im September für öffentlichkeitswirksame Angriffe auf die schiitische Glaubensgemeinschaft in Kabul und Paktia verantwortlich (UNGASC 10.9.2018; vgl. KI vom 11.9.2018, KI vom 22.8.2018). Anfang August besiegten die Taliban den in den Distrikten Qush Tepa und Darzab (Provinz Jawzjan) aktiven "selbsternannten" ISKP (dessen Verbindung mit dem ISKP in Nangarhar nicht bewiesen sein soll) und wurden zur dominanten Macht in diesen beiden Distrikten (AAN 4.8.2018; vgl. UNGASC 10.9.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.5.2018 - 30.9.2018) 1.969 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) 5.122 zivile Opfer (1.692 Tote und 3.430 Verletzte), ein Rückgang von 3% gegenüber dem Vorjahreswert. 45% der zivilen Opfer wurden durch IED [Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen, aber auch Selbstmordanschläge, Anm.] regierungsfeindlicher Gruppierungen verursacht. Zusammenstöße am Boden, gezielte Tötungen, Luftangriffe und explosive Kampfmittelrückstände waren weitere Ursachen für zivile Opfer. Zivilisten in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Faryab, Helmand und Kandahar waren am stärksten betroffen. Wobei die Zahl der durch Zusammenstöße am Boden verursachten zivilen Opfer um 18% und die Zahl der gezielten Tötungen deutlich zurückging. Jedoch ist die Opferzahl bei komplexen und Selbstmordangriffen durch regierungsfeindliche Gruppierungen gestiegen (um 22% verglichen mit 2017), wobei 52% der Opfer dem ISKP, 40% den Taliban und der Rest anderen regierungsfeindlichen Gruppierungen zuzuschreiben ist (UNAMA 15.7.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 30.6.2018) für 3.413 (1.127 Tote und 2.286 Verletzte) zivile Opfer verantwortlich (67%): 42% der Opfer wurden den Taliban, 18% dem IS und 7% undefinierten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Vergleich mit dem ersten Halbjahr 2017 stieg die Anzahl ziviler Opfer von gezielten Angriffen auf Zivilisten um 28%, was hauptsächlich auf Angriffe auf die öffentliche Verwaltung und Vorfälle mit Bezug auf die Wahlen zurückzuführen ist (UNAMA 15.7.2018).

Ungefähr 1.047 (20%) der verzeichneten zivilen Opfer wurden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 17% wurden von den afghanischen Sicherheitskräften, 2% durch die internationalen Streitkräfte und 1% von regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppierungen verursacht. Gegenüber 2017 sank die den regierungstreuen Gruppen zugerechnete Zahl ziviler Opfer von Zusammenstößen am Boden um 21%. Gleichzeitig kam es jedoch zu einem Anstieg der Opfer von Luftangriffen um 52% (Kunduz, Kapisa und Maidan Wardak) (UNAMA 15.7.2018; vgl. UNAMA 25.9.2018a, UNAMA 25.9.2018b).

Auch wurden von UNAMA zivile Opfer durch Fahndungsaktionen, hauptsächlich durch die Spezialkräfte des National Directorate of Security (NDS) und regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen wie die Khost Protection Force (KPF) verzeichnet (UNAMA 15.7.2018). (UNAMA 15.7.2018)

Dennoch unternahm die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen zur Reduzierung der Zahl ziviler Opfer, was hauptsächlich während Bodenoperationen einen diesbezüglichen Rückgang zur Folge hatte. Die Regierung verfolgt eine "nationale Politik für zivile Schadensminimierung und -prävention" und das Protokoll V der "Konvention über bestimmte konventionelle Waffen in Bezug auf explosive Kriegsmunitionsrückstände", welche am 9.2.2018 in Kraft getreten ist. Bei Bodenoperationen regierungfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich Taliban) wurde ein Rückgang der zivilen Opfer um 23% im Vergleich zu 2017 verzeichnet. So sank etwa die Zahl der zivilen Opfer der hauptsächlich von den Taliban eingesetzten Druckplatten-IEDs um 43% (UNAMA 15.7.2018).

Wahlen

Zwischen 14.04.2018 und 27.7.2018 fand die Wählerregistrierung für die Parlaments- sowie Distriktwahlen statt. Offiziellen Angaben zufolge haben sich im genannten Zeitraum 9,5 Millionen Wähler registriert, davon 34% Frauen (UNGASC 10.9.2018). Die Registrierung der Kandid

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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