TE Bvwg Erkenntnis 2019/10/7 W174 2172666-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.10.2019
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Entscheidungsdatum

07.10.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W174 2172665-2/12E

W174 2172663-2/13E

W174 2172669-2/12E

W174 2172660-2/12E

W174 2172666-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 2.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 3.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, 4.) des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan und

5.) der XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, alle vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 22.5.2018, jeweils betreffend 1.) 15-1093224007/151658660, 2.) Zl. 15-1093224508-151658678, 3.) Zl. 15-1093224606-151658716, 4.) Zl. 1093224704-151658724/BMI-BFA_KNT_AST_01_TEAM_02 und 5.) Zl. 16-1110462508/ 160484652, nach einer mündlichen Verhandlung am 24.6.2019 zu Recht erkannt:

A)

Den Beschwerden wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des bzw. der Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer reisten nach Österreich ein und stellten am 30.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gaben die Beschwerdeführer im Wesentlichen an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, verheiratet und schiitischen Glaubens zu sein. Schule hätten sie keine besucht, der Erstbeschwerdeführer sei zuletzt sieben Jahre Bauarbeiter im Iran gewesen. Als Fluchtgrund nannten sie die Diskriminierung von Afghanen im Iran. In Afghanistan herrsche noch immer Krieg und sie könnten dort mit ihrer Familie kein Leben aufbauen.

3. Am 14.3.2016 wurde für die im Bundesgebiet nachgeborene Fünftbeschwerdeführerin durch ihre Mutter (die Zweitbeschwerdeführerin) als gesetzliche Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz gestellt und die Geburtsurkunde beigelegt.

4. Am 23.8.2017 wurden die Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen und erklärten, aus Bamyan (Panjaw) zu stammen und schiitische Hazara zu sein.

Der Erstbeschwerdeführer brachte zunächst vor, in Afghanistan gemeinsam mit seinem Vater Landwirt gewesen zu sein und mit Eltern und Geschwistern in einem großen gemieteten Haus gelebt zu haben. Die finanzielle Situation sei gut gewesen. 2004 hätte er die Zweitbeschwerdeführerin geheiratet, 2008 sei er in den Iran gegangen, seine Ehefrau sei ein Jahr später gefolgt. Aus dem Iran seien sie 2015 geflohen.

Zum Fluchtgrund erklärte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen allgemein, dass in Afghanistan die allgemeine Lage der Hazara schwierig sei. Zudem habe er sich mit seinem Vater zerstritten, weil dieser seine Schwester ohne deren Zustimmung hätte verheiraten wollen. Der Erstbeschwerdeführer sei in die Nähe seines Schwiegervaters (1 Stunde und 20 Minuten zu Fuß entfernt) gezogen, habe dort eine Landwirtschaft mit Wohnhaus gemietet und sei dort zwei Jahre geblieben. Sein Fluchtgrund sei das Problem mit seinem Vater gewesen. Zu seiner Frau (der Zweitbeschwerdeführerin) gab er an, dass sie ein anderer Mann hätte heiraten wollen. Während er selbst sich im Iran befunden habe und seine Gattin schwanger gewesen sei, sei jemand zu Ihnen nach Hause gekommen, sie habe vor Schreck ihr Kind verloren und sei zunächst im Herbst nach Kabul und dann in den Iran geflohen. Von ihrem Onkel mütterlicherseits habe der Erstbeschwerdeführer erfahren, dass diese Person vor dem Erstbeschwerdeführer mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet gewesen wäre.

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte vor, in der Heimat Hausfrau gewesen zu sein und nach der Heirat bei ihrem Schwiegervater gewohnt zu haben. Nach zwei Jahren sei sie mit ihrem Mann (dem Erstbeschwerdeführer) wegen dessen Streitigkeiten mit seinem Vater in die Nähe ihres Vaters (ca. 1 Stunde zu Fuß vom Schwiegervater entfernt) gezogen. Geheiratet hätten sie 2004, ihr Mann habe gut für die Familie sorgen können.

Zu ihrem Fluchtgrund gab sie die allgemeine Verfolgung der Hazara in Afghanistan, jedoch keine persönliche diesbezügliche Bedrohung an. Weiters erklärte sie, nachdem ihr Mann in den Iran gezogen sei, wäre sie durch einen Mann namens XXXX , der sie hätte heiraten wollen, bedroht worden. Sie sei im vierten Monat schwanger gewesen, als er um 11:00 oder 12:00 Uhr nachts, während sie und ihre Großmutter wach gewesen wären, gewaltsam die Tür geöffnet und versucht habe, die Zweitbeschwerdeführerin zu berühren. Diese hätte durch ihr Schreien die Nachbarn alarmiert, woraufhin er geflüchtet sei. Am nächsten Tag habe die Zweitbeschwerdeführerin das Kind verloren und ihre Großmutter sei an einem Schlaganfall gestorben. Ihr Onkel mütterlicherseits habe mit dem Erstbeschwerdeführer telefoniert, Pässe besorgt und sie sei via Kabul in den Iran ausgereist. Zwei Tage zuvor hätte XXXX sie beim Einkauf bedroht, vor dem Einbruch hätte es insgesamt zwei Bedrohungen gegeben. Persönlich gesehen habe sie XXXX bei dem Einbruch nicht und könne auch nicht angeben, ob er allein gewesen sei. Er wäre auch nach Kabul gekommen und hätte im Hotel nach ihr gefragt, sie wären jedoch nicht aufeinandergetroffen. Noch vor ihrer Ehe habe sie XXXX Heiratsantrag abgelehnt und ihr Großvater habe sie deswegen geschlagen.

Vorgelegt wurden Deutschkurs-Teilnahmebestätigungen der Beschwerdeführer sowie der Reisepass der Zweitbeschwerdeführerin, in dem die beiden älteren Kinder eingetragen sind.

5. Mit Bescheiden des Bundesamtes vom 19.7.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, wobei gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

6. In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde behob das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 26.2.2018 die angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG und verwies die Angelegenheit zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt zurück (GZ W142 2172665-1/5E, GZ W142 2172663-1/5E, GZ W142 2172669-1/5E, GZ W142 2172660-1/5E, GZ W142 2172666-1/5E).

7. Im Rahmen der neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt am 29.3.2018 gab der Erstbeschwerdeführer an, XXXX gekannt, persönlich jedoch nie gesehen zu haben. Er wisse nicht, wie dieser nach so vielen Jahren noch eine Ehe fordern könne. Weiters erklärte er, nicht in die Rechte seiner Frau einzugreifen. Kleine Entscheidungen treffe sie, große beide gemeinsam. Wenn die Zweitbeschwerdeführerin beim Deutschkurs sei, sei er für die Kinder da. Alltägliche Dinge würde seine Gattin erledigen. Sie sei Schneiderin gewesen und habe sich zu Hause selbst die Kleider genäht. Der Erstbeschwerdeführer wünsche sich, dass seine Kinder frei erzogen würden. In der Heimat habe die Frau Kontakt zu den Nachbarn gehabt, ebenso in Österreich. In Afghanistan würden Frauen eingeschränkt, in Österreich gebe es keine Bedrohung. Freiheiten wie hier hätten Frauen in Afghanistan nicht. Er selbst habe in der Heimat für die Familie sorgen können.

Bezüglich seiner Kinder gebe es keine eigenen Fluchtgründe. Vorgelegt wurde eine Arztbestätigung bezüglich einer Zahnoperation und Zahnspange des Drittbeschwerdeführers.

Die Zweitbeschwerdeführerin erklärte, grundsätzlich gesund zu sein, jedoch wenig Blut im Körper zu haben und ein Medikament einzunehmen.

Von XXXX sei sie seit ihrer Verlobung mit dem Erstbeschwerdeführer bedroht worden, die ersten beiden Jahre habe sie mit ihrem Mann weit entfernt von ihm gewohnt, nach der Geburt ihres ersten Kindes sei ihr von XXXX damit gedroht worden, dass er ihren Mann töten würde. Sie habe dem Erstbeschwerdeführer davon jedoch vier Jahre lang nichts erzählt. Vorfälle habe es in dieser Zeit keine gegeben, erst nachdem ihr Mann im Iran gewesen sei.

Der Erstbeschwerdeführer habe sie vom Iran aus finanziell unterstützt, sie selbst habe zu dieser Zeit bei ihrem Vater gelebt. Als ihr Mann noch in Afghanistan gewesen sei, habe sie sich frei bewegen können und soziale Kontakte gepflegt, später habe sie Angst vor XXXX gehabt. In der Heimat habe sie die Kinder erzogen und sei Hausfrau gewesen. Eingekauft habe der Erstbeschwerdeführer. Nachdem dieser nicht mehr da gewesen sei, habe die Zweitbeschwerdeführerin ein oder zweimal selbst eingekauft. Danach sei sie nicht mehr rausgegangen, weil sie von anderen Leuten belästigt worden sei. In Österreich fahre sie mit den Kindern Fahrrad, kümmere sich um den Haushalt, lerne Deutsch, gehe spazieren und Einkaufen und besuche afghanische Freundinnen. Sie wünsche sich, dass ihre Töchter hier frei leben können.

Vorgelegt wurden diverse Kurs -Teilnahmebestätigungen der Beschwerdeführer.

8. Mit den gegenständlichen, im Spruch genannten, Bescheiden wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

9. Dagegen wurde fristgerecht eine gemeinsame Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin vor ihrer Ehe mit dem Erstbeschwerdeführer mit einem anderen Mann hätte verheiratet werden sollen. Als dessen Familie zu ihrer Familie gekommen sei, um ihre Hand anzuhalten, sei ihr Vater im Iran gewesen und ihr Großvater habe sich für die Heirat ausgesprochen. Nach der Rückkehr habe ihr Vater die Zweitbeschwerdeführerin dazu gefragt und sie sei gegen die Heirat gewesen, woraufhin ihr Vater das Heiratsangebot abgelehnt habe. Der Großvater sei daraufhin sehr wütend gewesen und habe sie sogar geschlagen. Auch XXXX und seine Familie wären wütend gewesen, weil sie das als Ehrverletzung angesehen hätten. Nach ihrer Heirat habe die Zweitbeschwerdeführerin bei ihren Schwiegereltern gelebt. Nachdem sich der Erstbeschwerdeführer mit seinem Vater zerstritten habe, seien sie wieder in die Nähe der Eltern der Zweitbeschwerdeführerin gezogen und sie hätte sich wieder im Nahebereich XXXX befunden. Zudem sei ihr Mann im Jahr 2008 in den Iran ausgereist.

Bei Verlassen des Hauses sei die Zweitbeschwerdeführerin von XXXX mit dem Tode, der Vergewaltigung und der Schändung ihrer Leiche bedroht worden. Eines nachts sei er mit anderen Männern zum Haus ihrer Großmutter gekommen, wo die Zweitbeschwerdeführerin gerade gewohnt habe. Als die Männer die erste von drei Türen gewaltsam geöffnet hätten, sei die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin aufs Dach gelaufen und habe dort um Hilfe geschrien, woraufhin die Männer geflohen seien. Die Zweitbeschwerdeführerin habe XXXX zwar nicht gesehen, jedoch sonst mit niemandem Probleme gehabt und sei zuvor mehrmals von ihm bedroht worden. Vor Aufregung habe ihre Großmutter am nächsten Tag einen Schlaganfall erlitten und sei verstorben. Die Zweitbeschwerdeführerin sei im vierten Monat schwanger gewesen und habe ihr Kind verloren. Da XXXX Familie einflussreich und vermögend sei, hätten sie sich nicht an die Polizei gewandt. Unmittelbar nach dem Vorfall sei die Beschwerdeführerin zur ihren Eltern, welche inzwischen in ein anderes Dorf übersiedelt seien, gezogen, später zu ihrem Onkel, der ihr geholfen habe, in den Iran zu flüchten. Nachdem sie Afghanistan verlassen habe, sei ihr Onkel bedroht worden, weil er ihr bei der Flucht geholfen hätte.

Weiters wurde angeführt, dass die Behörde wegen der emotionalen Reaktion (Weinen) der Zweitbeschwerdeführerin in den Einvernahmen hätte ermitteln müssen, ob sie nicht an einer schweren psychischen Störung leide. Zudem gehörten die Beschwerdeführer der Minderheit der Hazara an und seien mittlerweile verwestlicht.

10. Am 24.6.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Das Bundesamt hatte auf die Teilnahme verzichtet.

Zunächst wurden medizinische Unterlagen der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt. Die Beschwerdeführer erklärten wie bisher, der Volksgruppe der Hazara anzugehören, schiitische Moslems zu sein und aus dem Bezirk Punjab in der Provinz Bamyan zu stammen.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Wesentlichen an, in der Heimat keine Schule besucht zu haben. In der Zeit, in der sie dort gelebt habe, hätten Mädchen in ihrem Dorf dies nicht dürfen. Besonders ihr Großvater sei strikt dagegen gewesen. Sie selbst wäre gerne in die Schule gegangen. Freundinnen von ihr, die ebenfalls offiziell keine Ausbildung hätten machen dürfen, hätten in der Moschee oder Madrassa den Koran gelernt, der Zweitbeschwerdeführerin wäre dies aber auch nicht erlaubt worden und sie hätte sehr darunter gelitten. In Afghanistan sei sie als Schneiderin tätig gewesen, was sie jedoch vor ihrem Großvater geheim gehalten habe. Dieser hätte ihr nur erlaubt, auf den Feldern zu arbeiten. Im Iran habe sie als Weberin und Stickerin zu Hause gearbeitet.

Vor dem Vorfall habe sie für kurze Zeit zu einer Freundin gehen können, nach dem Vorfall sei es ihr nicht möglich gewesen, das Haus zu verlassen. Wenn sie in die Stadt gegangen sei, habe sie einen Tschador tragen müssen.

Afghanistan hätte sie wegen XXXX verlassen. Er habe sie immer aufs Gröbste beschimpft und gemobbt, richtig bedroht jedoch nur zweimal:

Einmal, als ihr zweiter Sohn ein Jahr alt und sie mit ihm unterwegs zum Arzt gewesen sei, habe XXXX zu ihr gesagt, weil sie ihn nicht geheiratet hätte, würde er sie und ihren Mann töten. Die Zweitbeschwerdeführerin habe große Angst gehabt und einen anderen Weg nach Hause genommen, der mindestens eineinhalb Stunden länger gedauert habe.

Bei dem Einbruch habe sie XXXX nicht gesehen, aber sie sei sich 100-prozentig sicher, dass er es gewesen sei. Wieviele Personen damals versucht hätten, in ihr Haus einzudringen, wisse sie nicht, es sei Nacht gewesen. Mit ihr im Haus seien noch zwei Schwestern, ihre beiden Söhne und ihre Großmutter gewesen. Letztere sei aus diesem Grund krank und gelähmt geworden und verstorben. Die im vierten Monat schwangere Zweitbeschwerdeführerin habe das Kind verloren. Ihrem Mann habe sie damals davon nichts erzählt, weil dieser mit Sicherheit zu XXXX gegangen und ihm in der Folge etwas passiert wäre. Jetzt wisse er jedoch alles darüber.

Auf der Flucht sei sie nur für eine Stunde in Kabul gewesen. Sie wären dort zu einem Hotel gegangen, wo ihr Onkel erfahren habe, dass XXXX auch dort sei. Alle Leute, die mit dem Auto aus ihrem Distrikt nach Kabul fahren würden, würden zu diesem Hotel kommen.

Das genaue Datum ihrer Ausreise wisse sie nicht, aber sie glaube, Afghanistan vor zehn Jahren verlassen zu haben.

Ihr Mann sei deswegen bereits im Iran gewesen, weil er mit seinem Vater wegen seiner Schwester ein Problem gehabt habe. Damit sich die familiäre Situation wieder beruhigte, sei er dorthin gereist, hätte jedoch vorgehabt, nach Afghanistan zurückzukehren.

In Afghanistan habe ihr Ehemann seine Freizeit nur zu Hause verbracht. Hier in Österreich gehe er mit den Kindern hinaus und unternehme etwas mit ihnen. Manchmal grille die Familie zusammen am Fluss. Ein Sohn von ihr spiele öfters am Samstag Fußball, in diesem Fall würden die Eltern gemeinsam mit den beiden anderen Kindern einen Ausflug machen.

Bezüglich ihrer Kleidung sei die Zweitbeschwerdeführerin liberal. Sie trage zu Hause normale Kleidung, in der sie auch das Haus verlasse, öfter T-Shirts ohne Ärmel, zu Hause fast immer kurze Hosen, draußen etwas längere Hosen. Einkaufen gehe sie so, wie sie in der Verhandlung gekleidet sei (eine Hose und eine Bluse mit kurzen Ärmeln, eine Jacke mit langen Ärmeln und in der Farbe passend einen Schal um den Kopf geschlungen, lackierte Fingernägel und Schmuck). Wie sie sich kleide, entscheide sie selbst, sie berate sich jedoch manchmal mit ihrem Mann darüber, welche Farbe ihr stehe. Dieser habe sich nicht geändert, jedoch würden sie in Afghanistan in einer Gesellschaft leben, in der man nicht alles tragen könne, was man wolle. Man müsse sich anpassen. Sie selbst habe dort immer bodenlange Röcke tragen müssen, einen Tschador oder eine bis zu drei Meter breite Pluderhose, die mit einem Gürtel zusammengehalten worden sei.

In Österreich sei sie um sechs um morgens wach und wenn es ihr gut gehe, bereite sie das Frühstück für die Kinder zu. Die beiden Söhne wurden zwischen 6:00 und 7:00 Uhr zur Schule aufbrechen. Sie selbst gehe dann gerne eine Stunde spazieren und frühstücke, wenn sie zurückkomme, mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Umgekehrt sei das auch so. Sie mache immer den Großeinkauf, wenn sie nur Kleinigkeiten brauchen würden, besorge dies auch ihr Mann. Sie selbst gehe alleine einkaufen, spazieren und zum Deutschkurs, schwimme auch im See und fahre mit dem Rad. Sie würden auch schon einige Leute kennen und hätten Kontakt zu Österreichern. Die Familie lebe von der Grundversorgung, die Zweitbeschwerdeführerin verwalte das Geld.

Die Zweitbeschwerdeführerin wolle zuerst die deutsche Sprache beherrschen, gerne als Köchin arbeiten und die entsprechende Ausbildung machen. Für ihre Tochter wünsche sie sich, dass sie in einem so freien Land wie hier aufwachsen könne und nicht so ein Leben wie sie selbst habe. Ihre Kinder sollten eines Tages auf eigenen Beinen stehen können.

Der Erstbeschwerdeführer erklärte im Wesentlichen, in Afghanistan nie die Schule besucht und keine Ausbildung genossen zu haben, dort in der Landwirtschaft und im Iran in der Baubranche als Maurer tätig gewesen zu sein. Die ersten beiden Jahre nach der Heirat hätten sie gemeinsam bei seinen Eltern gelebt, im Jahr 2008, vier Jahre nach der Heirat, sei der Erstbeschwerdeführer in den Iran gezogen, weil er ein Problem mit seinem Vater gehabt habe, der seine Schwester ohne ihre Zustimmung mit jemanden habe verheiraten wollen. Persönlich sei der Erstbeschwerdeführer in Afghanistan nicht bedroht worden. Von der Bedrohung seiner Ehefrau habe er im Iran von ihrem Onkel mütterlicherseits telefonisch erfahren, wisse jedoch nichts Konkretes darüber. Er selbst würde XXXX nicht gut kennen, sei ihm jedoch begegnet. Bei der Einvernahme vor der Behörde hätte er nicht gesagt, dass er diese Person nicht kenne.

Das Leben für Frauen sei in Afghanistan schwerer als in Österreich. Seine Frau sei nicht zur Schule gegangen. Da er selbst immer in der Landwirtschaft tätig gewesen sei, sei er meistens nur zum Essen nach Hause gekommen und dann wieder gegangen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe es vermieden, das Haus zu verlassen. Als sie noch bei ihrem Vater gelebt habe, habe sie als Schneiderin gearbeitet. Nach der Heirat habe sie Kleidung für ihn und die Kinder gemacht. In der Heimat habe der Erstbeschwerdeführer alle Einkäufe erledigt. Für die Frauen sei in Afghanistan die Kleidung normalerweise sehr lang und sie würden auch den Tschador tragen, besonders in ihrer Gegend, den Gebirgen.

In Österreich entscheide seine Frau selbst, was sie anziehen wolle. Manchmal trage sie kurze Kleidung, zum Beispiel eine Bluse ohne Ärmel und eine Hose. Ihre Eltern oder die Nachbarn hätten in der Heimat niemals akzeptiert, dass seine Gattin mit einer Kleidung wie heute das Haus verlasse. In Afghanistan hätten Frauen überhaupt keine Freiheit, in Österreich könne eine Frau selbst frei leben, selbst entscheiden, selbst arbeiten gehen. Dass sei in Afghanistan nicht möglich. Hier treffe die kleinen Entscheidungen immer seine Frau, bei größeren Entscheidungen würden sie sich beraten und sie dann gemeinsam treffen. In Österreich besuche seine Frau einen Kurs und versuche auch zu Lernen. Sie gehe sehr gerne zu Fuß zum Einkaufen oder zum Deutschkurs, hin und wieder gehe sie schwimmen. Sie würden auch beide mit dem Fahrrad fahren es gebe eine österreichische Familie, die sie hin und wieder besuchen und auch öfters am See treffen würden. Die Zweitbeschwerdeführerin sei dabei auch alleine unterwegs. Die Familie würde von der Grundversorgung leben, das Geld verwalte seine Frau. Sie mache die großen Einkäufe, manchmal besorge auch er selbst etwas. Die Entscheidung über die Einkäufe liege bei der Zweitbeschwerdeführerin. Wenn Geld übrigbleibe, entscheide sie darüber was damit passiere. Die Zweitbeschwerdeführerin würde gerne als Köchin arbeiten, aber noch wichtiger sei es, die Sprache zu beherrschen.

Vorgelegt wurden diverse Integrationsunterlagen der Familie.

Im Rahmen der Verhandlung wurde den Beschwerdeführern das Länderinformationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat übergeben.

11. Am 15.7.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Stellungnahme zu den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen ein. Darin wurde im Wesentlichen vorgebracht, die Zweitbeschwerdeführerin habe in der Verhandlung glaubhaft zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei ihr um eine westlich orientierte Frau handle. Zudem würden sich die Beschwerdeführer seit mehr als zehn Jahren außerhalb ihres Herkunftsstaates aufhalten, die Fünftbeschwerdeführerin sei sogar in Österreich geboren. Angefügt waren medizinische Befunde der Zweitbeschwerdeführerin.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten und die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Es liegt im gegenständlichen Fall ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor.

Die Beschwerdeführer stammen ursprünglich aus dem Distrikt Punjab in der Provinz Bamyan, gehören der Volksgruppe der Hazara an und sind schiitischen Glaubens.

Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer reisten nach Österreich ein und stellten am 30.10.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Für die nachgeborene Fünftbeschwerdeführerin wurde am 14.3.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Die Zweitbeschwerdeführerin gehört zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen. Sie führt mittlerweile einen westlichen, selbstständigen und selbstbestimmten Lebensstil. Diese Lebensführung ist zu solch einem Bestandteil ihrer Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation,

Stand: 4.6.2019:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF

3.6.2019) . US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA

21.5.2019) . Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte: (Quelle: BFA 13.2.2019)

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Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

"Länderspezifische Anmerkungen

Im Kapitel 3. "Sicherheitslage" wurde nicht auf den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 verwiesen, da dieser zum Großteil auf den Informationen dieses LIBs beruht. Die Informationen des EASO-Berichts stammen somit aus zahlreichen Quellen, die ebenso von der Staatendokumentation des BFA zur Erstellung des Kapitels über die Sicherheitslage dieses LIBs verwendet wurden. Des Weiteren wurden Eingaben aus dem "peer review" von unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in dieser Ausarbeitung berücksichtigt. Damit ergibt sich ein breiter und vor allem gemeinsamer Wissensstand bezüglich der Ereignisse und der aktuellen Lage in Afghanistan innerhalb der europäischen Asylbehörden.

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO

INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine

Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster:

Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem S

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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