TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/4 W187 2188071-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.11.2019
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Entscheidungsdatum

04.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W187 2188071-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Hubert REISNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG iVm §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1, 10 Abs 1 Z 3 und 57 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG, §§ 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste unter Umgehung der Einreisebestimmungen schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung am XXXX wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seiner Identität, seiner Reiseroute und seinen Fluchtgründen einvernommen. Hier gab er an, am XXXX in der Provinz Faryab in Afghanistan geboren zu sein, der Volksgruppe der Tadschiken anzugehören sowie Moslem zu sen. Zu seinem Fluchtgrund führte er aus, sein Dorf sei von den Taliban regiert worden und es habe keine Möglichkeit für einen Schulbesuch oder Arbeit gegeben. Er habe keine Zukunft gehabt. Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er, von den Taliban getötet zu werden.

3. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA, belangte Behörde) im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Dabei gab er an, er sei sunnitischer Moslem und in der Provinz Faryab im Distrikt

XXXX im Dorf XXXX geboren. Zu seinem Fluchtgrund führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zusammengefasst aus, er sei wie sein Vater und sein älterer Bruder Mitglied der XXXX -Partei gewesen. Sein Vater sei deswegen getötet worden, sein älterer Bruder habe fliehen müssen. Seine Familie sei dadurch bekannt gewesen. Sein jüngerer Bruder habe ebenfalls ein Problem gehabt, weil er sich in ein Mädchen verliebt habe und deren Familie dagegen gewesen sei. Als sein jüngerer Bruder in den Iran geflüchtet sei, sei der Druck auf den Beschwerdeführer stärker geworden und er sei für zwei Jahre nach Pakistan ausgereist. Er könne nicht sagen, wann das gewesen sei. Nach seiner Rückkehr nach Afghanistan habe er nicht in sein Heimatdorf zurückkehren können, da er vor seiner Ausreise nach Pakistan wegen des Problems seines Bruders bedroht worden sei. Er habe sich nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat nur ungefähr zwei Monate in Afghanistan aufgehalten. In dieser Zeit habe er in verschiedenen Städten und Dörfern gelebt. Die Brüder des Mädchens, mit dem der jüngere Bruder habe zusammenleben wollen, hätten ihn verfolgt, obwohl er regelmäßig seinen Aufenthaltsort verändert habe. Er habe sich daher entschlossen, Afghanistan erneut zu verlassen.

4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sodann sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Für ein allfälliges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem Beschwerdeführer amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

5. Mit Schreiben vom XXXX , bei der belangten Behörde eingelangt am

XXXX , erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung fristgerecht vollumfängliche Beschwerde gegen den spruchgegenständlichen Bescheid.

6. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht durch das BFA zur Entscheidung vorgelegt.

7. Mit Schreiben vom XXXX legte der Beschwerdeführer durch seinen Rechtvertreter Integrationsunterlagen, darunter diverse Einstellungszusagen und Deutschkursbesuchsbestätigungen, vor.

8. Am XXXX langte beim Bundesverwaltungsgericht eine weitere Einstellungszusage für den Beschwerdeführer ein.

9. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurden den Parteien einschlägige Länderinformationen zu Afghanistan übermittelt.

10. Die belangte Behörde teilte mit Schreiben vom XXXX schriftlich mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei, und beantragte die Abweisung der Beschwerde sowie die Übersendung des Verhandlungsprotokolls.

11. Mit Schriftsatz vom XXXX nahm der Beschwerdeführer vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich zu den durch das Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingebrachten Länderberichten Stellung.

12. Am XXXX langten eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Deutschtraining und eine weitere Einstellungszusage für den Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.

13. Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer im Beisein seines Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari vom erkennenden Richter zu seinem Antrag auf internationalen Schutz und seinen Beschwerdegründen einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung fern.

Die Verhandlungsschrift lautet auszugsweise:

"[...]

Richter: Verstehen Sie die Dolmetscherin gut?

Beschwerdeführer: Ja.

Richter: Sind Sie psychisch und physisch in der Lage, der heute stattfindenden mündlichen Verhandlung zu folgen? Liegen Gründe vor, die Sie daran hindern?

Beschwerdeführer: Ja, ich kann der Verhandlung folgen.

Richter: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, befinden Sie sich in medizinischer Behandlung?

Beschwerdeführer: Nein.

[...]

Richter: Können Sie sich an Ihre Aussage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erinnern? Waren diese richtig, vollständig und wahrheitsgetreu?

Beschwerdeführer: Ja, ich kann mich an meine Angaben erinnern, ich habe die Wahrheit gesagt.

Richter: Geben Sie Ihr Geburtsdatum an. Wo sind Sie auf die Welt gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX (phonetisch), in der Provinz Faryab geboren.

Richter: Welche Sprachen sprechen Sie? Können Sie diese lesen und schreiben?

Beschwerdeführer: Ich spreche Dari, Usbekisch, ein wenig Türkisch und ein wenig Paschtu. Davon kann ich Dari lesen und schreiben. Ich spreche auch Deutsch auf dem Niveau A2, diese Sprache kann ich auch lesen und schreiben.

Richter: Geben Sie Ihre Volksgruppe, Religion und Ihren Familienstand an.

Beschwerdeführer: Ich gehöre der usbekischen Minderheit in Afghanistan an, bin sunnitischer Moslem und verheiratet.

Richter: Haben Sie Kinder?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Können Sie bitte soweit wie möglich chronologisch angeben, wann und wo Sie sich in Afghanistan aufgehalten haben.

Beschwerdeführer: Ich habe seit meiner Geburt bis zu meiner Ausreise in meinem Geburtsort gewohnt. Nur für kurze Zeiten, ein oder zwei Monate, habe ich mich in Pakistan, XXXX oder auch Mazar-e Sharif aufgehalten.

Richter: Wie haben Sie in Afghanistan gewohnt?

Beschwerdeführer: Ich habe in meinem Elternhaus gewohnt, das war ein "normales Haus" mit Hof.

Richter: Was haben Sie in Afghanistan gemacht, gearbeitet, gelernt oder etwas Anderes?

Beschwerdeführer: Ich habe in der Landwirtschaft meines Vaters gearbeitet.

Richter: Welche Schulbildung haben Sie erhalten?

Beschwerdeführer: Ich bin in der 11. Schulklasse gewesen, aber ich bin insgesamt 5 Jahre in die Schule gegangen. Weil es immer zu Kämpfen gekommen ist, konnten wir drei Monate nicht in die Schule gehen, weil die Sicherheitslage schlecht war. Ich habe die Schule nicht abgeschlossen. Ich war in der Landwirtschaft beschäftigt.

Richter: Wo und wie leben Ihre Verwandten?

Beschwerdeführer: Ich habe zwei Onkel, die leben auch im Dorf. Sie haben auch ein normales Haus, so wie wir.

Richter: Haben Sie Kontakt zu Ihrer Familie (Vater, Mutter, Bruder, Schwester, Onkel)?

Beschwerdeführer: Ich bin manchmal mit meiner Frau in Kontakt, aber nicht so oft.

Richter: Haben Sie in Afghanistan andere Verwandte oder sonstige wichtige Kontaktpersonen und wie heißen sie? Wo leben sie? Haben Sie zu ihnen Kontakt?

Beschwerdeführer: Ich habe keine weiteren Verwandten, Freunde habe ich gehabt, aber seit meiner Flucht, habe ich keinen Kontakt mehr.

Richter: Wollen Ihre Frau oder Verwandte auch nach Österreich kommen?

Beschwerdeführer: Meine Familie nicht, aber wenn es mir möglich wird, werde ich meine Frau nach Österreich holen.

Richter: Wie ist Ihr Leben derzeit in Österreich? Was machen Sie in Österreich?

Beschwerdeführer: Ich lebe derzeit ‚privat'. Zweimal in der Woche besuche ich einen Deutschsprachkurs. Ich wollte eine Lehre machen. Ich habe aber diese Möglichkeit nicht. Ich habe mich auch an das AMS gewandt, mir wurde aber gesagt, dass ich das nicht darf, weil ich keinen Aufenthaltsstatus habe.

Richter: Haben Sie Freunde in Österreich?

Beschwerdeführer: Ja, ich bin mit meiner Deutschlehrerin befreundet und in Kontakt. Außer ihr bin ich auch mit anderen Kursteilnehmern und Teilnehmerinnen befreundet.

Richter: Sind Sie Mitglied in einem Verein?

Beschwerdeführer: Ich bin früher zu einem Fitnessstudio gegangen. Mittlerweile kann ich mir das finanziell nicht mehr leisten.

Richter: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder einem Gericht?

Beschwerdeführer: Nein.

Richter: Schildern Sie den Vorfall, der zu Ihrer Flucht geführt hat!

Beschwerdeführer: Ich bin Mitglied der XXXX -Partei. Mein Vater ist aufgrund der Feindschaften zwischen der XXXX -Partei und der XXXX getötet worden. Die Angehörigen der XXXX -Partei wollten dann auch meinen älteren Bruder umbringen, er ist geflüchtet. Mein Bruder ist vor ca. 7,5 Jahren nach Österreich geflüchtet, seitdem lebt er in Österreich. Mein Bruder XXXX hat sich in Afghanistan in ein Mädchen verliebt. Die Eltern des Mädchens waren aber nicht damit einverstanden, dass mein Bruder dieses Mädchen heiratet. Die gesamte Familie des Mädchens war nicht damit einverstanden. Da ist eine Frage der Ehre für die Familie des Mädchens entstanden. Die Familie des Mädchens hat meinem Bruder vorgeworfen, dass er dieses Mädchen vergewaltigt hätte und somit die Ehre der Familie verletzt hätte. Ich weiß nicht, ob mein Bruder eine Beziehung mit diesem Mädchen hatte, weil man bei uns nicht darüber spricht. Er war mit ihr gut befreundet und er wollte sie heiraten. Sie war mit der Hochzeit einverstanden. Das ist ein sehr sensibles Thema in Afghanistan, dass ein Mann ein junges Mädchen anspricht, oder sogar mit ihr telefoniert, das wird als Angriff auf die Ehre der Familie erachtet. Nachdem mein Bruder geflüchtet ist, haben sie mich verfolgt. Wäre ich in ihre Hände gekommen, hätten sie mich umgebracht. Nach der Flucht meines Bruders sind sie zu uns gekommen und wollten sie mich haben. Ich habe mich dann versteckt. Ca. ein bis zwei Wochen habe ich mich versteckt gehalten. Ich konnte das Haus nicht verlassen. Ich habe gesehen, dass ich so nicht weiterleben kann. Ich bin dann nach Pakistan geflüchtet. Ich glaube, sicher bin ich mir nicht, dass ich mich in Pakistan ca. 1,5 Monate aufgehalten habe. Ich habe mir gedacht, dass sich in dieser Zeit vielleicht alles wieder beruhigt hat. Ich bin nach Mazar gereist und wollte wieder zu unserem Dorf fahren. Ich habe dort mit meiner Frau und meinen beiden Onkeln Kontakt aufgenommen. Sie haben mir gesagt, dass es für mich unmöglich ist dorthin zurückzukehren. Ich kann dort nicht leben. Ich habe mich ca. ein bis 1,5 Monate in Mazar-e Sharif aufgehalten. Die Familie des Mädchens hat davon erfahren, dass ich mich in Mazar aufhalte. Diese Familie ist eine sehr große Familie. Ich habe mich auch in Mazar-e Sharif nicht in einer bestimmten Ortschaft oder Hotel aufhalten können, sondern eine Nacht habe ich in einem Hotel und die nächste Nacht in einem anderen Hotel verbracht. Sie haben mich auch in Mazar verfolgt, daher bin ich gezwungen worden, meine Heimat zu verlassen.

Richter: Sind Sie jemals persönlich bedroht oder angegriffen worden?

Beschwerdeführer: Ich habe ihnen bereits gesagt, dass sie nach der Flucht meines Bruders zwei bis dreimal zu uns nach Hause gekommen sind. Ich habe mich aber versteckt gehalten.

Richter: Wodurch sind Sie in Afghanistan bedroht?

Beschwerdeführer: Mein Problem ist die ‚Ehrverletzung'. Dadurch ist eine Feindschaft entstanden. Das Mädchen hat zwei Brüder und auch einen Vater. Sie sind sehr ernst. Man weiß wie man mit der Verletzung der Ehre umgeht.

Richter: Wie sind Sie nach Österreich gekommen?

Beschwerdeführer: Ich bin am XXXX nach Österreich gekommen. Ich bin von Afghanistan in den Iran gereist, dann weiter in die Türkei. Ich bin mit diesem Flüchtlingsstrom nach Österreich gekommen.

Richter: Wie haben Sie die Reise bezahlt?

Beschwerdeführer: Ich habe etwas Geld gespart gehabt. Ich habe ein Stück eines Grundstückes meines Vaters verkauft.

Richter: Schildern Sie bitte nochmals die Gründe Ihrer Beschwerde!

Beschwerdeführer: Nachdem ich meinen negativen (Bescheid) erhalten habe, bin ich zum Verein Menschenrechte gegangen, dort wurde eine Beschwerde für mich verfasst. In meinem Bescheid steht, dass ich gesagt hätte, dass ich mich in Kabul nicht auskenne, mir wurde dabei nicht geglaubt. Ich möchte aber erwähnen, dass ich bei meiner Rückreise aus Pakistan nur eine Nacht in Kabul verbracht habe. Das war nur eine Nacht, ich kenne mich in Kabul überhaupt nicht aus. Der Verein Menschenrechte hat mir gesagt, dass ich aus zwei Gründen einen negativen Bescheid erhalten habe, einen Grund habe ich Ihnen bereits dargestellt. Der zweite Grund war, dass ich den Namen des Mädchens, mit der mein Bruder befreundet war, nicht kannte. Aber das ist auf dem Land nicht üblich, dass man die Namen von Mädchen kennt.

Richter: Was würde passieren, wenn Sie jetzt nach Afghanistan zurückkehren müssten?

Beschwerdeführer: Ich werde sterben. Es gibt keine andere Wahl.

[...]

Rechtsvertreter: Sie haben vorhin berichtet, dass es Probleme aufgrund Ihrer Parteizugehörigkeit gab. In welchem Zusammenhang stehen diese Probleme mit Ihrem Fluchtgrund?

Beschwerdeführer: Das ist nicht so wichtig. Wichtig ist die Feindschaft wegen des Mädchens.

Rechtsvertreter: Welcher Volksgruppe gehörte die Familie des Mädchens an?

Beschwerdeführer: Sie gehört der Minderheit der Sayed an. Die Familie des Mädchens gehört der XXXX -Partei an. Ein weiterer Grund für die Feindschaft zwischen den Familien ist die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen verfeindeten Parteien.

Rechtsvertreter: Wieso sind diese Parteien verfeindet?

Beschwerdeführer: Die Feindschaft ist zwischen den beiden Parteien auch unter anderem aus diesem Grund entstanden, wenn in der Gegend jemand einen getötet hat, hat sich die Familie des Opfers einer Partei und die Familie des Täters der anderen Partei angeschlossen. Das sind zwei politische Parteien, die unterschiedliche Gesinnungen haben.

Rechtsvertreter: Sie haben die Familie des Mädchens als ‚große Familie' bezeichnet, was meinen Sie damit?

Beschwerdeführer: Damit meine ich, das ist ein großer Stamm. Sie haben auch viel Macht in der XXXX -Partei.

Rechtsvertreter: Wo ist dieser Bruder, der um die Hand angehalten hat, jetzt?

Beschwerdeführer: Er ist in Österreich. Wir leben gemeinsam in XXXX in XXXX . XXXX ist der Bruder, der mit dem Mädchen befreundet war.

Rechtsvertreter: Was ist der Status von XXXX in Österreich?

Beschwerdeführer: In erster Instanz ist sein Verfahren negativ entschieden worden. Er hat Beschwerde erhoben.

[...]

Richter: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?

Beschwerdeführer: Ja."

Die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung eine Bestätigung der XXXX vom Dezember XXXX über ein Intensivtraining Deutsch, eine undatierte Arbeitsgarantie der XXXX , eine Einstellungszusage des indischen Restaurants XXXX vom XXXX und eine Einstellungszusage seines Bruders XXXX vom XXXX vor. Diese Unterlagen wurden in Kopie zum Akt genommen.

14. Am XXXX langte ein aktueller ZMR-Auszug des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.

15. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelte dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX eine Anzeige der Finanzpolizei, wonach der Beschwerdeführer am XXXX in der XXXX ohne arbeitsmarktrechtliche Bewilligung gearbeitet habe.

16. Am 10.10.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde einen Auszug des aktuellen Länderinformationsblatts der Staatendokumentation Afghanistan zu Stellungnahme.

17. Der Beschwerdeführer äußerte sich dazu mit Schriftsatz vom XXXX

.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl und den Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts betreffend den Beschwerdeführer, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Dokumente und Integrationsunterlagen, sowie durch Durchführung einer mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die ins Verfahren eingeführten Länderberichte.

1. Feststellungen

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angeführten Namen, ist volljährig und afghanischer Staatsangehöriger. Seine Identität steht nicht fest. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er kann diese Sprache lesen und schreiben. Weiter spricht er Usbekisch, ein wenig Türkisch, ein wenig Paschtu und ein wenig Deutsch. Der Beschwerdeführer ist traditionell verheiratet und kinderlos.

Der Beschwerdeführer wurde in der afghanischen Provinz Faryab im Distrikt XXXX im Dorf XXXX geboren und wuchs dort im afghanischen Familienverband mit seinen Eltern und seinen zwei Brüdern im familieneigenen Haus auf. Der Beschwerdeführer hielt sich auch für einen nicht feststellbaren Zeitraum in Pakistan auf, ehe er nach Afghanistan zurückkehrte. Wo genau in Afghanistan der Beschwerdeführer nach seiner Rückkehr lebte, kann nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsstaat bis zur elften Klasse die Schule und arbeitete nebenbei in der familieneigenen Landwirtschaft.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben, seine beiden Brüder halten sich derzeit in Österreich auf. In Afghanistan leben noch seine Ehefrau, sein Schwiegervater sowie zwei Onkel väterlicherseits im Heimatdorf. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Ehefrau und seinem Schwiegervater regelmäßigen telefonischen Kontakt.

1.2 Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehr nach Afghanistan

Der Beschwerdeführer stellte am XXXX gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen in weiterer Folge mit Verfolgung durch die Taliban und Mitgliedern der XXXX -Partei aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der XXXX -Partei sowie mit Verfolgung durch die Familie eines Mädchens, welches sein jüngerer Bruder heiraten wollte, wegen Verletzung der Familienehre und Sippenhaftung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.

Insbesondere kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Mitglied bei der XXXX -Partei war. Ebenso wenig ist glaubhaft, dass sein Vater und sein älterer Bruder Mitglied dieser Partei waren und der Vater aufgrund dessen getötet sowie der Bruder bedroht wurde. Dass dem Beschwerdeführer als Mitglied dieser Partei Verfolgung bzw. Übergriffe durch die Taliban bzw Mitglieder der XXXX -Partei bis hin zu seiner Tötung drohen, ist daher nicht anzunehmen.

Dass der Beschwerdeführer von der Familie eines Mädchens verfolgt wurde, weil sein Bruder diesem einen Heiratsantrag machte, ist nicht anzunehmen. Dass dem Bruder des Beschwerdeführers von der Familie des Mädchens vorgeworfen wurde, er habe dieses vergewaltigt, konnte nicht festgestellt werden. Dass dem Beschwerdeführer infolge Verletzung der Familienehre und Sippenhaftung Verfolgung bzw Übergriffe durch die Familie des Mädchens bis hin zur Tötung drohen, ist nicht zu erwarten.

Afghanistan ist von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und Aufständischen betroffen. Die Betroffenheit von Kampfhandlungen sowie deren Auswirkungen für die Zivilbevölkerung sind regional unterschiedlich.

Die Heimatprovinz des Beschwerdeführers (Faryab) ist von bewaffneten Konflikten besonders betroffen. Kämpfe zwischen den Taliban und Regierungsstreitkräften finden statt. Aufständische sind in gewissen Distrikten aktiv. Es werden regelmäßig militärische Operationen, darunter Luftangriffe, durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien. Faryab zählt zu jenen Provinzen, in denen eine hohe Anzahl an Zivilisten aufgrund explosiver Kampfmittelrückstände und indirekter Waffeneinwirkung ums Leben kam.

Im Fall einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Faryab droht ihm die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen zwischen regierungsfeindlichen Gruppierungen und Streitkräften der Regierung oder durch Übergriffe von regierungsfeindlichen Gruppierungen gegen die Zivilbevölkerung zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Hauptstadt Kabul ist von innerstaatlichen Konflikten und insbesondere stark von öffentlichkeitswirksamen Angriffen der Taliban, des Haqqani-Netzwerkes und des IS betroffen. Kabul verzeichnet die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans. Die afghanische Regierung führt regelmäßig Sicherheitsoperationen in der Hauptstadt durch. Im Fall einer Niederlassung in Kabul droht dem Beschwerdeführer die Gefahr, im Zuge von Kampfhandlungen oder durch Angriffe Aufständischer zu Tode zu kommen oder misshandelt oder verletzt zu werden.

Die Provinz Balkh gehört zu den friedlichsten Provinzen Afghanistans und ist vom Konflikt relativ wenig betroffen. Sie verzeichnet im Vergleich zu anderen Provinzen geringe Aktivitäten von Aufständischen. Die Stadt Mazar-e Sharif in Balkh steht unter Regierungskontrolle und verfügt über einen internationalen Flughafen, über den die Stadt sicher erreicht werden kann.

Die Provinz Balkh ist von einer Dürre betroffen.

Ernährungssicherheit, Zugang zu Wohnmöglichkeiten, Wasser und medizinische Versorgung sind in Mazar-e Sharif grundsätzlich gegeben. Die Arbeitslosigkeit im Herkunftsstaat ist hoch und Armut verbreitet.

Dass dem Beschwerdeführer im Fall einer Niederlassung in der Stadt Mazar-e-Sharif die Gefahr droht, aufgrund der angespannten Sicherheitslage verletzt, misshandelt oder getötet zu werden, kann nicht festgestellt werden. Auch kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückführung in die genannte Stadt keine Lebensgrundlage vorfinden würde bzw. nicht in der Lage wäre, die Grundbedürfnisse seiner menschlichen Existenz zu decken.

Es gibt in Afghanistan unterschiedliche Unterstützungsprogramme für Rückkehrer von Seiten der Regierung, von NGOs und durch internationalen Organisationen. IOM bietet in Afghanistan Unterstützung bei der Reintegration an.

1.3 Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich

Der Beschwerdeführer hält sich seit XXXX durchgehend in Österreich auf. Er reiste illegal schlepperunterstützt in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich.

Der Beschwerdeführer besuchte seit seiner Einreise mehrere Deutschkurse, zuletzt auf dem Niveau A2 und nahm an dem Basisbildungskurs Grundbildung Gruppenunterricht XXXX der XXXX teil. Der Beschwerdeführer möchte in Österreich seinen Pflichtschulabschluss machen und wurde mit Schreiben der XXXX vom XXXX zum Aufnahmetest für den Pflichtschulabschluss am XXXX eingeladen. Mit neuerlichem Schreiben vom XXXX bestätigte die XXXX die Anmeldung des Beschwerdeführers zum Aufnahmetest für den Pflichtschulabschluss am XXXX . Ob der Beschwerdeführer den Aufnahmetest bestanden hat, kann mangels Vorlage entsprechender Unterlagen nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer spricht etwas Deutsch, hat jedoch noch keine Deutschprüfungen abgelegt. Es kann daher nicht festgestellt werden, auf welchem Niveau der Beschwerdeführer Deutsch spricht.

Er bemühte sich während seines bisherigen Aufenthalts um eine Arbeit und erhielt mehrere Einstellungszusagen, unter anderem von seinem Bruder XXXX , einem XXXX Restaurant in XXXX und der XXXX in XXXX . Mangels Beschäftigungsbewilligung konnte der Beschwerdeführer keinen der ihm angebotenen Jobs annehmen. Der Beschwerdeführer war etwas über ein Jahr im Geschäft seines Bruders in XXXX geringfügig beschäftigt.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich soziale Kontakte - auch zu österreichischen Staatsbürgern - geknüpft. Er ist kein Mitglied in einem Verein und nicht ehrenamtlich tätig.

Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig.

Die beiden Brüder des Beschwerdeführers leben in Österreich. Der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , verließ Afghanistan im Jahr XXXX und hält sich seit XXXX im Bundesstaat auf. Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX verließ Afghanistan ungefähr zeitgleich mit der Ausreise des Beschwerdeführers nach Pakistan und reiste in den Iran, ehe er nach Europa aufbrach. Sein Antrag auf internationalen Schutz in Österreich wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in erster Instanz abgewiesen. Der jüngere Bruder des Beschwerdeführers erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, über die bislang nicht entschieden wurde. Beide in Österreich aufhältigen Brüder des Beschwerdeführers sind volljährig.

Der Beschwerdeführer lebt gemeinsam mit seinen volljährigen Brüdern in einer Wohnung in XXXX . Der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX , unterstützt den Beschwerdeführer ab und an finanziell und lässt ihn bei sich wohnen. Dass eine besonders intensive Bindung bzw eine gegenseitige Abhängigkeit des Beschwerdeführers zu seinen Brüdern besteht, kann nicht festgestellt werden. Es sind im Verfahren keine besonderen Umstände hervorgekommen, wonach der Beschwerdeführer auf die Unterstützung bzw Hilfe seiner Familienangehörigen in Österreich angewiesen wäre.

Abgesehen von seinen beiden Brüdern leben in Österreich keine weiteren Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Er ist im Wesentlichen gesund und arbeitsfähig.

1.4 Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:

1.4.1 Staatendokumentation (Stand 29.6.2018, außer wenn anders angegeben)

1.4.1.1 Neueste Ereignisse

1.4.1.1.1 Kurzinformation vom 4.6.2019

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabeium Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

1.4.1.1.2 Kurzinformation vom 26.3.2019

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).

Verschiebung der Präsidentschaftswahl Die Präsidentschaftswahl, welche bereits von April auf Juni 2019 verschoben worden war, soll Quellen zufolge nun am 28.9.2019 stattfinden. Grund dafür seien "zahlreiche Probleme und Herausforderungen" welche vor dem Wahltermin gelöst werden müssten, um eine sichere und transparente Wahl sowie eine vollständige Wählerregistrierung sicherzustellen - so die unabhängige Wahlkommission (IEC) (VoA 20.3.2019; vgl. BAMF 25.3.2019).

1.4.1.1.3 Kurzinformation vom 1.3.2019

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018). Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden verme

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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