TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/4 G310 2224832-1

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Veröffentlicht am 04.11.2019
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Entscheidungsdatum

04.11.2019

Norm

BFA-VG §18 Abs5
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G310 2224832-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geboren am XXXX, StA. Rumänien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 04.10.2019, Zl. XXXX, zu Recht erkannt:

A) Der Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung

zuzuerkennen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid

ersatzlos behoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde am XXXX04.2019 festgenommen und in weiterer Folge am XXXX04.2019 in Untersuchungshaft genommen.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX06.2019, XXXX, folgte die vierte strafgerichtliche Verurteilung und wurde über den BF eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verhängt, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Mit Schreiben vom 16.08.2019 wurde der BF zwecks Prüfung der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aufgefordert, dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Der BF erstattete eine entsprechende Stellungnahme.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs. 3 FPG kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde dagegen gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit den strafgerichtlichen Verurteilungen begründet sowie dem Umstand, dass der BF trotz schriftlicher Ermahnung durch das BFA wiederum straffällig geworden ist.

Gegen den oben angeführten Bescheid des BFA richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, den Bescheid ersatzlos zu beheben, auf Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, in eventu die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen bzw. den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung an das BFA zurückzuverweisen sowie auf Gewährung eines Durchsetzungsaufschubs. Die Beschwerde wird zusammengefasst damit begründet, dass eine unzureichende Begründung erfolgt sei, so habe man das Privat- und Familienleben des BF nicht ausreichend berücksichtigt.

Das BFA legte die Beschwerde samt den Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 29.10.2019 einlangten.

Feststellungen:

Der BF wurde in Rumänien geboren und hält sich seit August 2007 im Bundesgebiet auf. Am XXXX06.2008wurde ihm eine unbefristete Anmeldebescheinigung als Familienangehöriger ausgestellt. In Österreich lebt der BF zusammen mit seiner Mutter und seinem Adoptivvater in einer Wohnung. Er ist ledig und frei von Sorgepflichten. Weiters leben noch Tanten und Onkel des BF im Bundesgebiet. Bezugspersonen oder eine Wohnmöglichkeit in Rumänien bestehen nicht.

Der BF besuchte in Österreich die Volksschule, die Hauptschule und ein Jahr die Fachmittelschule. Er spricht einwandfrei Deutsch, die rumänische Sprache hingegen nur noch sehr gebrochen. Es folgte von Oktober 2016 bis zur Inhaftierung eine Lehre zum Spengler. Dieser Zeitraum wird unterbrochen von einem Arbeitslosengeldbezug in der Dauer von zweieinhalb Monaten. Sein letzter Arbeitgeber, bei welchem der BF seit Mai 2018 beschäftigt war, ist grundsätzlich bereit, den BF nach Entlassung aus der Strafhaft wieder zu beschäftigen. Er bescheinigt dem BF auch ein absolut sozial verträgliches Verhalten während der gesamten Arbeitszeit und war mit der Arbeitsleistung des BF sehr zufrieden. Zusätzlich absolvierte der BF im September 2018 die Ausbildung zum Höhenarbeiter. Derzeit besteht eine aufrechte Krankenversicherung.

Der BF wurde im Bundesgebiet viermal Mal strafgerichtlich verurteilt, wobei davon einmal eine Zusatzstrafe verhängt wurde.

Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX11.2017, XXXX, wurde der BF wegen der Vergehen der Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 3 StGB und der dauernden Sachenentziehung nach § 135 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei neun Monate unter Setzung einer Probezeit in der Dauer von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Die Probezeit wurde mit dem unten angeführten Urteil vom 17.10.2018 auf insgesamt fünf Jahre verlängert. Zusätzlich wurde Bewährungshilfe angeordnet und die Weisung erteilt, ein Anti-Gewalt-Training zu absolvieren. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im Juli 2017 zusammen mit mindestens zwei weiteren Personen auf eine weitere Person einschlug, der BF diese Person über die Schulter zu Boden warf, so dass diese Person mit dem Kopf am Asphalt aufschlug, und sie der Person anschließen zweimal mit den Beinen in den Bauch traten, wodurch diese Person zumindest eine Rissquetschwunde am Kopf erlitt. Weiters hat der BF im Dezember 2016 mit Fäusten auf eine Person eingeschlagen, wodurch diese Blutergüsse und Schwellungen im Gesicht erlitt. Im Jänner 2017 versetzte er einer Person mehrere Faustschläge ins Gesicht und den Oberkörper, so dass diese Person eine Schädelprellung, einen Kratzer und einer Beule am Kopf erlitt. Ebenso versetzte er im Juli 2017 einer Person einen Faustschlag ins Gesicht, wobei es beim Versuch geblieben ist, da diese Person keine Verletzungen erlitt. Im Oktober 2016 riss der BF einer Person Cannabiskraut aus der Hand nahm und wegschmiss. Bei der Strafzumessung wurde das teilweise Geständnis mildernd, das Zusammentreffen von mehreren Vergehen hingegen als erschwerend gewertet.

Der Verein XXXX berichtete im Schreiben vom XXXX03.2018, dass der BF seit XXXX02.2018 im Rahmen der Bewährungshilfe betreut wird und dieser positiv gegenübersteht.

Mit Schreiben vom 17.09.2018 bestätigte das Institut XXXX, dass der BF seit dem XXXX02.2018 aufgrund der gerichtlichen Weisung wöchentlich in Betreuung ist.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX10.2018, XXXX, erfolgte eine Verurteilung wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagesssätzen á EUR 4,00 (gesamt EUR 320,00), im Nichteinbringungsfall zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe. Demnach hat der BF im Jänner 2018 einer Person eine Armbanduhr im Wert von EUR 650,00 in einem unbeobachteten Moment mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern. Das Geständnis und die Schadensgutmachung durch Zustandebringung der Beute wurden bei der Strafbemessung mildernd gewertet, eine einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall innerhalb der Probezeit als erschwerende Umstände.

Mit Schreiben des BFA vom 10.12.2018 wurde der BF ermahnt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er im Falle eines weiteren Fehlverhaltens mit einem gegen ihn geführten Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung zu rechnen hat.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX03.2019, XXXX, wurde der BF des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB für schuldig befunden. Er hat im Dezember 2017 als Mittäter mit einer Bankomatkarte, dessen Code seinem Mittäter bekannt gegeben wurde, zwei Behebungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.100,-- vorgenommen. Es wurde unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX10.2018, XXXX, eine Zusatzstrafe von 40 Tagessätzen á EUR 4,00 (gesamt EUR 160,00), im Nichteinbringungsfall 20 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Bei der Strafbemessung wurden die geständige Verantwortung und die Schadenswiedergutmachung mildernd, die einschlägige Vorstrafe und der rasche Rückfall innerhalb der Probezeit erschwerend gewertet.

Zuletzt wurde der BF mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom XXXX, XXXX, wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF im April 2019 mit Gewalt versucht hat, einem anderen das Suchtgift MDMA, zu einem nicht feststellbaren Wert, mit dem Vorsatz sich oder einen Dritten durch dessen Zueignung unrechtmäßig zu bereichern wegzunehmen, indem er ihn aufforderte "alles zu geben, was er habe" und ihn dann einen Schlag in das Gesicht versetzte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil der Andere auf den Balkon flüchten und dort um Hilfe rufen konnte, woraufhin der BF die Flucht ergriff. Mildernd wirkten sich das umfassende, reumütige Geständnis, die Tatbegehung vor Vollendung des 21. Lebensjahres sowie der Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist aus. Hingegen wurden die zwei einschlägigen Vorstrafen, der unverzügliche Rückfall und die Tatbegehung während offener Probezeit als erschwerend gewertet.

Den unbedingten Teil der Freiheitsstrafe verbüßt der BF derzeit in der Justizanstalt XXXX.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG im Zusammenhang mit dem Vorbringen des BF anlässlich seiner Einvernahme am 18.09.2018, seiner Stellungnahme vom 21.08.2019 und in der Beschwerde.

Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf seinen entsprechenden Angaben. Die Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben ergeben sich aus seiner Stellungnahme, seinen Angaben anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme und den Ausführungen in der Beschwerde sowie den von ihm vorgelegten Unterlagen wie beispielsweise dem Bericht seines letzten Arbeitgebers vom 03.05.2019, dem Schreiben des Instituts XXXX vom 17.09.2018, dem Schulungszertifikat von XXXX vom 12.09.2018 und dem Bericht des Verein XXXX vom 27.03.2018.

Der durchgehende Aufenthalt des BF und seine beruflichen Tätigkeiten im Bundesgebiet sind auf seine Angaben, die Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister, die vom BF vorgelegten Unterlagen und den Versicherungsdatenauszug zurückzuführen.

Die Ausstellung der Anmeldebescheinigung ist im Fremdenregister ersichtlich.

Seine hervorragenden Deutschkenntnisse wurden seitens des BFA anlässlich seiner Einvernahme am 18.09.2018 festgestellt und ist dies in Anbetracht des langjährigen Aufenthalts, seiner Schulausbildung und der Erwerbstätigkeit im Inland plausibel. Auch konnten die Strafverhandlungen ohne Beziehung eines Dolmetschers durchgeführt werden.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des BF, die zugrundeliegenden Taten und die Erschwerungs- und Milderungsgründe ergeben sich aus den im Akt aufliegenden Strafurteilen, der Vollzugsinformation und dem Strafregister.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Aufgrund der in § 18 Abs. 5 BFA-VG nunmehr auch ausdrücklich angeordneten amtswegigen Prüfung der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch das BVwG ist der Antrag des BF, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, weder notwendig noch zulässig und daher zurückzuweisen.

Zu Spruchteil B):

Der BF ist als Staatsangehöriger von Rumänien EWR-Bürger iSd § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (so etwa, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren verurteilt wurde), kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs. 3 FPG auch unbefristet erlassen werden.

Bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots ist eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose zu erstellen, bei der das Gesamtverhalten des Betroffenen in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung oder Bestrafung, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Gemäß Art 28 Abs. 3 lit a Freizügigkeitsrichtlinie (§ 2 Abs. 4 Z 18 FPG) darf gegen Unionsbürger, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat hatten, eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden. Nach dem Erwägungsgrund 24 dieser Richtlinie sollte gegen Unionsbürger, die sich viele Jahre im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufgehalten haben, nur unter außergewöhnlichen Umständen aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit eine Ausweisung verfügt werden.

Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie umgesetzt werden. Hierzu judizierte der EuGH bereits, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollten; es sei vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweise, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein könne (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/02148 mit Verweis auf EuGH (Große Kammer) 23.11.2010, Tsakouridis, C-145/09, insbesondere Rn. 40, 41 und 49 ff; daran anknüpfend auch EuGH (Große Kammer) 22.5.2012, P.I., C-348/09, Rn. 19 und 20 sowie Rn. 28, wo überdies - im Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, der zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe geführt hatte - darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Da sich der BF schon mehr als zehn Jahre kontinuierlich in Österreich aufhält, ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 5. Satz FPG (Art 28 Abs. 3 lit. a Freizügigkeitsrichtlinie) heranzuziehen. Auch der Vollzug des unbedingten Strafteils im Ausmaß von acht Monaten lässt die hier geknüpften Integrationsbande nicht abreißen, sodass der durchgehende Aufenthalt dadurch nicht unterbrochen wird (vgl. EuGH 17.04.2018, C-316/16, C-424/16).

Die Art und Schwere der begangenen strafbaren Handlungen zeigen zwar, dass es dem BF jedenfalls zu den Tatzeitpunkten an einer Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten fehlte. Dabei fällt insbesondere ins Gewicht, dass er sein strafbares Verhalten steigerte, indem er letztlich einen versuchten Raub beging, und er sich durch die Verhängung von bedingten Freiheitsstrafen und unbedingten Geldstrafen nicht von weiterer Delinquenz abhalten hat lassen.

Dennoch darf nicht übersehen werden, dass sich der BF erstmals in Haft befand und dem Erstvollzug im Allgemeinen eine erhöhte spezialpräventive Wirkung zuzubilligen ist. Auch kann bei den vom BF begangenen Straftaten nicht von außergewöhnlichen Umständen mit besonders hohem Schwergerad bzw. von besonders schwerwiegenden Merkmalen gesprochen werden. Weiters ist zu berücksichtigen, dass noch keine bedingte Strafnachsicht widerrufen werden musste.

Ebenso ist zu beachten, dass der BF sich bereits 2007 in Bundesgebiet aufhält, in einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter und seinem Adoptivvater lebt, hier seine Schul- und Berufsausbildung absolviert hat und bis zu seiner Inhaftierung erwerbstätig war. Der BF zeigte sich im Rahmen der Bewährungshilfe engagiert und nahm auch am auferlegten Anti-Gewalt-Training teil. Die den ersten drei Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten ereigneten sich zudem vor Abschluss seines letzten Lehrvertrages. Dies alles lässt darauf schließen, dass er grundsätzlich um einen ordentlichen Lebenswandel bemüht ist, was ihm auch sein letzter Arbeitsgeber attestiert hat, welcher auch dazu geneigt ist, den BF nach Verbüßung der Strafhaft wiedereinzustellen. Deswegen ist insgesamt betrachtet von einem stabilen sozialen und familiären Umfeld auszugehen.

Der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 fünfter Satz FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich") ist daher trotz der Schwere der letzten Straftat, die noch nicht lange zurückliegt, und dem Umstand, dass der BF bereits insgesamt viermal strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht erfüllt, auch wenn er einen Gesinnungswandel hin zu einem rechtstreuen Verhalten noch nicht in Freiheit unter Beweis gestellt hat (vgl. VwGH 25.01.2018, Ra 2018/21/0004).

Angesichts dessen kann daher im gegenständlichen Fall nicht von einer nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Republik Österreich gemäß § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG gesprochen werden.

Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden. Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den BF im Ergebnis nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgebung der Beschwerde aufzuheben.

Sollte der BF in Zukunft wieder straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein.

Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

Zu Spruchteil B):

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs. 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall, Behebung der Entscheidung,
Voraussetzungen, Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G310.2224832.1.00

Zuletzt aktualisiert am

09.03.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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