TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/6 W279 2207552-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2019
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Entscheidungsdatum

06.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W279 2207552-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX 1997, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .09.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX .02.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.

2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass in Afghanistan Krieg vorherrsche und für die Bevölkerung keine Sicherheit mehr bestehe, weswegen er aus seinem Land geflüchtet sei. Bei einer Rückkehr wäre der BF einer enormen Gefährdung aufgrund der schlechten Lage ausgesetzt.

3. Am XXXX .05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend zunächst zu seinem Gesundheitszustand befragt aus, dass er gesund sei. Die Frage, ob er in Besitz identitätsbezeugender Dokumente sei, wurde vom BF verneint.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF aus, dass er schiitischer Hazara sei und in der Stadt Kabul geboren worden sei. Im Herkunftsstaat würden nach wie vor seine Mutter, sein Bruder sowie seine Schwester wohnen und der BF stehe mit diesen über Facebook in Kontakt. Zudem habe er in Afghanistan acht Jahre lang die Grundschule besucht und eine Ausbildung zum Schneider absolviert. Sein Vater und sein Bruder seien 2017 bei einem Anschlag auf eine Moschee verstorben. Die finanzielle Situation seiner Familie sei gut gewesen, da sein Vater ein Grundstück sowie ein Haus besessen habe. Er selbst habe ein Geschäft betrieben. Bei einer Rückkehr könnte er aufgrund der Geschehnissen nicht bei Verwandten unterkommen.

Zum Fluchtweg befragt, brachte der BF vor, dass er für die Reise insgesamt 3.500,- Euro aufgewendet habe und sie bis Österreich weitergeschickt worden seien.

Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er in seinem Land nicht vorbestraft sei und nicht von der Polizei, der Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder sonstigen Behörden gesucht werde. Die Fragen, ob er in seiner Heimat jemals von den Behörden angehalten, festgenommen oder verhaftet worden sei oder Probleme mit den Behörden gehabt habe, wurden vom BF verneint. Er sei in seiner Heimat kein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen und sei niemals wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse oder Religion verfolgt worden.

Auf Aufforderung, den genauen Grund für seine Flucht zu benennen, erklärte der BF, dass er neben seiner Tätigkeit als Schneider in der Jugendauswahl der afghanischen Nationalmannschaft gespielt habe. Da sich die Moscheebesuche, zu denen er von seinem Vater gezwungen worden sei und seine Fußballspiele oftmals überschnitten hätten, habe der BF die religiöse Stätte aufgrund eines wichtigen Turniers vorzeitig verlassen wollen, woraufhin er von den Anwesenden geächtet worden sei. Die folgenden zwei Tage habe sich der BF bei einem Freund aufgehalten, da er Angst gehabt habe, dass er aufgrund seiner Respektlosigkeit gegenüber der islamischen Religion getötet werde. Zur Frage, wann er begonnen habe, für die Nationalmannschaft zu arbeiten, entgegnete der BF, dass er von seinem 13. bis zum 17. Lebensjahr für die Mannschaft gespielt habe. Sein Vater habe ihm diese Aktivität zwar grundsätzlich erlaubt, es sei jedoch oftmalig zu Kollisionen mit bestimmten Gebetszeiten gekommen. Befragt, wie oft er beten müsse, erklärte der BF, dass Schiiten dreimal am Tag beten würden und er zweimal am Tag in die Moschee gehen habe müssen. Das genaue Datum des geschilderten Vorfalls könne der BF jedenfalls nicht wiedergeben. Er könne nur sagen, dass er sich zwischen Oktober und Dezember 2015 ereignet habe. Zur Aufforderung, den konkreten Vorfall in der Moschee so detailliert wie möglich zu beschreiben, erklärte der BF, dass er mit seinem Vater und Bruder in der Moschee gewesen sei, er jedoch die Teilnahme an einem Fußballspiel bevorzugt habe. Nach einer Zusammenkunft zum Beten habe der BF den Koran aus Wut in die Luft geworfen und anschließend die Moschee verlassen, weshalb die anderen Anwesenden geschimpft hätten. Zur Frage, wie sein Vater und Bruder darauf reagiert hätten, entgegnete der BF, dass er die weiteren Handlungen seines Vaters und seines Bruders nicht kenne. In der Moschee seien etwa 30 bis 40 Personen anwesend gewesen, was genau gesprochen worden sei, könne der BF nicht angeben. Die Frage, ob er mit seinen Eltern nach dem geschilderten Vorfall noch gesprochen habe, wurde vom BF verneint. Befragt, woher er vom Tod seines Vaters und seines Bruders erfahren habe, erklärte der BF, dass er über Facebook Nachrichten sowie Bilder vernommen habe und im Zuge dessen seinen toten Vater erkannt habe. Seine Schwester habe ihm die Befürchtungen bestätigt. Zur Frage, weshalb er nie versucht habe, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen, erwiderte der BF, dass er Angst gehabt habe, mit seinen Eltern zu sprechen, da seine Mutter nach dem Tod des Vaters unter psychischen Problemen gelitten habe. Auf Vorhalt, dass er im Rahmen der Erstbefragung keinen der geschilderten Vorfällen erwähnt und nur vorgebracht habe, den Herkunftsstaat aufgrund der allgemein schlechten Lage verlassen zu haben, erwiderte der BF, dass er im Zuge der Erstbefragung Angst vor einer drohenden Abschiebung und Furcht vor einer möglichen Weiterverbreitung seiner Angaben gehabt habe. Befragt, wie er die Ersparnisse für die Ausreise erhalten habe, entgegnete der BF, dass er Geld und Kontokarte bei sich gehabt habe. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat würde er von den Bewohnern seines Stadtteiles getötet werden. Zum weiteren Vorhalt, dass er nicht einmal wisse, ob diese Personen noch leben würden, erwiderte der BF, dass sich Gerüchte bereits verbreitet hätten. Zur Frage, wieso es zu diesem Vorfall gekommen sei, obwohl er sich der Gefahren bewusst gewesen sei, erwiderte der BF, dass er in Rage gewesen sei und am Fußballspiel hätte teilnehmen wollen. Er verstehe jedoch nicht, weshalb ihm aufgrund dieses Fehlers der Tod drohe. Auf Vorhalt, dass er nicht wisse, welche Konsequenzen sein Handeln gehabt habe, da ihm die Ermordung nicht explizit angedroht worden sei, entgegnete der BF, dass er gewusst habe, was sie mit einem Mädchen gemacht hätten und er die Engstirnigkeit der Afghanen in religiösen Belangen kenne. Zum weiteren Vorhalt, dass er jung, gesund und arbeitsfähig sei und sich deshalb in Städten wie Herat, Mazar-e Sharif aufhalten könnte, entgegnete der BF, dass er auch in diesen Gebieten in Gefahr wäre, da im islamischen Glauben ein Vergehen wie seines überall bestraft werden würde. Die Frage, ob er im Falle einer Rückkehr mit der Polizei oder den Behörden Probleme hätte, wurde vom BF verneint.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er seit Februar 2016 in Österreich aufhältig sei und in Österreich oder in der EU niemals einen gültigen Aufenthaltstitel oder ein Visum gehabt habe. Ansonsten habe er regelmäßig einen Deutschkurs auf A2 Niveau besucht und trainiere drei Mal in der Woche in einem Fußballteam, eine Deutschprüfung habe er jedoch nicht bestanden. Der BF lebe in einem Flüchtlingsheim und beziehe Leistungen aus der Grundversorgung. Die Fragen, ob er über einen Schulabschluss verfüge und österreichische Freunde oder Familienangehörige in Österreich habe, wurden vom BF verneint. Er sei auch nicht Zeuge oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel gewesen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF mehrere Fotos zur Vorlage gebracht, eine Bestätigung, wonach der BF einen Deutschkurs belegt habe, zwei persönliche Unterstützungserklärungen, eine Vereinsbestätigung über die Teilnahme am Fußballtraining seit dem 09.02.2016, ein Vertrag über eine ehrenamtliche Tätigkeit bei studentischen Produktionen vom 11.08.2016, eine Teilnahmebestätigung über die Ausbildung zum Workshop-Leiter vom XXXX .01.2017, eine Teilnahmebestätigung über die Teilnahme an einem Vortrag über Rechtsvermittlung vom XXXX .12.2017, eine Kursbesuchsbestätigung über die Teilnahme am Deutschtraining vom 03.04.2017, eine Bestätigung über gemeinnützige Arbeiten vom 09.05.2017, eine Teilnahmebestätigung über die Teilnahme am Deutschkurs auf dem Niveau A2 vom 13.06.2017, eine negative Absolvierung des A2 Zertifikates sowie ein Tiroler Integrationskompass zur Vorlage gebracht.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI.)

Zusammenfassend führte das BFA aus, dass der BF eine Verfolgungsgefahr in der Heimat mit den von ihm behaupteten Angaben zu den Gründen seiner Ausreise nicht glaubwürdig darzulegen vermocht habe. Die Angaben innerhalb der Erstbefragung, warum er sein Land verlassen habe, seien äußerst vage und pauschal gehalten worden. Der BF habe keinerlei persönlichen, asylrelevanten Fluchtgrund vorgebracht, obwohl dies für ihn als Asylantragsteller von immenser Bedeutung sei. Im nunmehrigen Vorbringen in der Einvernahme am XXXX .05.2018 sei jedoch der Versuch einer unzulässigen Steigerung des bisherigen Vorbringens zu sehen, um über das bisherige Vorbringen hinaus einen allenfalls asylrelevanten Sachverhalt zu konstruieren. Konkrete Anhaltspunkte dahingehend, dass es dem BF nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, diese Umstände zu einem viel früheren Zeitpunkt des Verfahrens - insbesondere in der Erstbefragung vorzubringen - seien nicht hervorgekommen. Die Behauptung des BF, sofort nach dem Moscheebesuch den Kontakt mit seinen Eltern abgebrochen zu haben, zu einem Freund gegangen und im Anschluss das Land verlassen zu haben, könne nur als eine in den Raum gestellte Behauptung gewertet werden, der aufgrund mangelnder Plausibilität und Nachvollziehbarkeit keine Glaubwürdigkeit geschenkt werden könne. Vor allem der Umstand, dass der BF im Zuge der Einvernahme aufgefordert worden sei, die besagten Umstände unter Nennung sämtlicher Details anzugeben, seine Erzählung jedoch nur vage geblieben sei, lasse den eindeutigen Schluss zu, dass seinem Vorbringen keine Glaubwürdigkeit zugebilligt werden könne. Auch im Falle der Annahme, dass er in den Augen der anderen Moscheebesucher tatsächlich eine Respektlosigkeit durch das achtlose Beiseitewerfen des Korans begangen habe, sei nicht davon auszugehen, dass er dadurch asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ausgerechnet jemand wie der BF, der aus einer traditionell verwurzelten religiösen Familie stamme, Opfer eines religiös motivierten Mobs werden sollte. Zudem sei anzuführen, dass der Bruder und Vater des BF jeweils besagte Moschee weiter besucht hätten, ohne irgendwelche Konsequenzen bzw. Sanktionen fürchten zu müssen. Nachdem der BF behauptet habe, mit seiner Schwester Kontakt zu haben, hätte seine Schwester sicher vor einer etwaigen Gefahr, welche ihm drohen würde, berichten können.

6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die Behörde ihrer Pflicht zur materiellen Wahrheitsforschung in der angefochtenen Entscheidung nicht im gesetzlich vorgesehenen Ausmaß nachgekommen sei. Eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt, insbesondere mit den aktuellen Ereignissen sowie der Situation im Falle einer Rückkehr sei nicht erfolgt. Das von der Erstbehörde geführte Verfahren sei daher mit erheblicher Mangelhaftigkeit belastet. Festzuhalten sei, dass sich auch aus dem Länderinformationsblatt ergebe, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiterhin volatil sei und es zu keiner signifikanten Verbesserung gekommen sei. Aufgrund der derzeitigen prekären Sicherheitslage in der Hauptstadt Kabul könne bei einer Rückkehr des BF Art. 3 EMRK eine Verletzung nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden. Bezüglich der Feststellungen der Situation im Falle einer Rückkehr wurde auf ein Gutachten von Friederike Stahlmann verwiesen. Die belangte Behörde habe den Antrag des BF abgewiesen, weil dem BF nach Einschätzung der Erstbehörde keine asylrelevante Bedrohung im Herkunftsstaat drohe. Diese Feststellung basiere auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung und einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung und verletze § 60 AVG. Die lediglich verspätete Vorbringung des fluchtauslösenden Sachverhaltes im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA sei nicht geeignet, um Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit des BF zu ziehen. Insbesondere habe der BF ein überaus detailliertes Vorbringen erstattet und auch im Rahmen der Einvernahme alle an ihn gerichteten Fragen nachvollziehbar und widerspruchsfrei beantwortet. Die Beweiswürdigung der Erstbehörde sei daher jedenfalls im Ausmaß der Berücksichtigung der Abweichungen zwischen den Angaben in der Erstbefragungen und jenen vor dem BFA mit wesentlicher Mangelhaftigkeit belastet. Aus der Beweiswürdigung werde ersichtlich, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, den fluchtkausalen Sachverhalt mit den zur Verfügung stehenden Berichten zu diesen Themenkomplexen abzugleichen. Aus den angeführten Gründen ergebe sich, dass die Beweiswürdigung der bekämpften Entscheidung wesentlich mangelhaft sei und die Entscheidung mit materieller und formeller Rechtswidrigkeit behaftet sei. Die belangte Behörde verkenne zudem die tatsächliche Sicherheitslage in Kabul massiv und gehe von der Möglichkeit der Wiederansiedelung des BF in seiner Herkunftsstadt aus. Die Behörde habe den gegenständlich bekämpften Bescheid überdies durch eine fehlerhaft durchgeführte Interessensabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK mit weiterer Rechtswidrigkeit belastet.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX .10.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat an der Verhandlung nicht teilgenommen; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Mit dem Beschwerdeführer wurden die Situation aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen besprochen und ihm ausführlich Gelegenheit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.

Zur Frage, weshalb er Afghanistan verlassen habe, erklärte der BF, dass er einige Probleme gehabt habe. Auf Nachfrage, welches Problem er konkret gehabt habe, brachte der BF vor, dass er in einer Moschee gewesen sei, dort gebetet habe und gezwungen worden sei, aus dem Koran laut vorzulesen. Da er jedoch an einem Fußballspiel teilnehmen habe wollen und wenig Zeit gehabt habe, habe er den Koran aus der Hand geschmissen und sei weggegangen. Befragt, ob er bereits begonnen habe, aus dem Koran vorzulesen, entgegnete der BF, dass er lediglich einige Seiten davon gelesen und die Moschee dann aufgrund des Fußballspiels verlassen habe. Auf Vorhalt, zu demonstrieren, wie er den Koran weggeworfen habe, gab der BF an, dass er den offenen Koran mit beiden Händen hinaufgeschmissen habe. Auf Nachfrage, wie es weitergegangen sei, nachdem er die Moschee verlassen habe, entgegnete der BF, dass ihn die Anwesenden schlagen hätten wollen, weshalb er aus der Moschee geflohen sei. Zur Frage, ob man Versuche unternommen habe, ihn in der Moschee festzuhalten, erwiderte der BF, dass ihn zwei oder drei Personen festhalten hätten wollen, weshalb er schnell zu einem Freund geflohen sei. Befragt, ob er konkrete Bedrohungen erhalten habe, replizierte der BF, dass er sich ein oder zwei Tage versteckt habe, sein Vater in diesem Zeitraum jedoch versucht habe, ihn zu erreichen. Auf die Frage, vor welchen Personen er sich nunmehr konkret fürchte, erklärte der BF, dass er sich vor den Dorfleuten fürchte, da er nicht wisse, was sie bei einer Rückkehr gegen ihn veranlassen würden. Zum Vorhalt, dass aus den Unterlagen der Tod seines Vaters hervorgehe, erwiderte der BF, dass sein Bruder und er im Zuge einer Explosion in der Moschee getötet worden seien. Befragt, wie er von diesem Anschlag erfahren habe, entgegnete der BF, dass er zuerst darüber auf einer Facebook-Seite gelesen habe und er in weiterer Folge über ein Telefonat mit seiner Mutter in Erfahrung gebracht habe, dass sein Bruder sowie sein Vater getötet worden seien. Neben seiner Mutter, die in Kabul wohnhaft sei, stehe der BF mit keinen weiteren Familienangehörigen in Kontakt. Zur Frage, wie seine Mutter ihren Lebensunterhalt verdiene, entgegnete der BF, dass sie in einem zweistöckigen Haus mit der Familie seiner Schwester wohnhaft sei. Auf Vorhalt der Lebensumstände im Herkunftsstaat brachte der BF vor, dass der derzeit Christ sei und sich in den letzten beiden Monaten intensiv mit dieser Religion beschäftigt habe. Er besuche jeden Sonntag die Kirche XXXX und fühle sich durch diese Gottesdienste befreiter. Befragt, ob ihn jemand in die Kirche eingeladen habe, brachte der BF vor, dass sich zuvor bereits seine afghanischen, iranischen und persischen Mitbewohner zu Gottesdiensten gegangen seien, weshalb er begonnen habe, sich über diese Religion zu informieren. Auf die Frage, wieso er gerade die genannte Kirche besuche, erklärte der BF, dass er die Höflichkeit der anderen Kirchengänger schätze und nur über die erwähnte Kirche Informationen erhalten habe. Befragt, was die Unterschiede zwischen dem katholischen und dem islamischen Glauben sein würden, erwiderte der BF, dass die katholische Glaubensrichtung einen gewaltfreien Lebensweg aufzeige, währenddessen der islamische Glauben von Gewalt und Vergewaltigung gekennzeichnet sei. Auf Vorhalt, dass auch im Namen des katholischen Glaubens Untaten passiert seien wie beispielweise die Kreuzzüge, gab der BF an, dass im Islam Frauen und Kinder vergewaltigt worden seien und es zudem heftige Auseinandersetzungen gebe. Auf Aufforderung, die zehn Gebote zu nennen, führte der BF aus, dass die Menschen die Wahrheit sprechen sollen, Menschen nicht lügen sowie die Ehe brechen sollen und man Nächstenliebe praktizieren soll. Die weiteren Gebote habe der BF nicht in Erinnerung. Zur Frage, ob er christliche Gebete nennen könne, entgegnete der BF, dass er selbst kein bestimmtes Gebet aufsagen könne, aber zumindest bereits die respektvolle Haltung, die man beim Beten einnehme, gelernt habe.

Befragt, wie er sich sein Leben vorstellen würde, falls er in Österreich bleiben könne, erklärte der BF, dass er die Gesetze respektieren und einer Erwerbstätigkeit nachgehen würde. Zurzeit helfe er bei einem Recyclinghof bei der Mülltrennung. Auf Aufforderung, seinen Tagesablauf zu schildern, führte der BF aus, dass er montags immer früh aufstehen müsse und nach XXXX fahre, wo er entweder den ganzen Tag oder nur bis zu Mittag arbeite. Nach der Arbeit gehe er Fußball spielen oder ins Fitnessstudio. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan wüsste er nicht, wie die Dorfbewohner aufgrund seines damaligen Verhaltens in der Moschee reagieren würden. Überdies würde er die Todesstrafe erhalten, wenn man erfahre, dass er Christ sei. Zur Frage, wie man davon erfahren könnte, dass er Christ geworden sei, erklärte der BF, dass er seiner Mutter von seinem Religionswechsel berichtet habe und diese Information vielleicht weitererzählt habe. Auf die Frage, wieso er vor seiner endgültigen Ausreise nicht nach Herat oder Mazar e-Sharif geflohen sei, entgegnete der BF, dass man in Afghanistan jemanden, der eine Untat begangen habe, nicht verschone. Befragt, vor welcher Person er sich im Konkreten fürchte, entgegnete der BF, dass er keine bestimmte Person nennen könne, die Dorfleute jedoch von seiner Tat Bescheid wüssten. Zur Frage, ob er in Österreich auch muslimische Freunde habe, erwiderte der BF, dass er muslimische Freunde habe, die hinterfragen würden, dass er Christ geworden sei. Er habe mit diesen bereits über die Religion gestritten. Auf Vorhalt, dass er bereits angegeben habe, dass ihm Religion in Afghanistan nicht so wichtig gewesen sei, erklärte der BF, dass er nunmehr die "wahre" Religion gefunden habe, welche die Menschen zu Gott führe. Die Fragen, ob er ein Taufzeugnis, eine Tazkira oder einen afghanischen Reisepass vorlegen könne, wurden vom BF verneint. Er habe auch nicht versucht, eine Tazkira oder einen Reisepass bei der afghanischen Botschaft zu erwirken.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Bestätigung des Leiters der Seelsorge des Stift XXXX vom XXXX .10.2019 über die regelmäßige Teilnahme am Sonntagsgottesdienst sowie den Besuch eines Glaubenskurses als Vorbereitung auf die Aufnahme ins Katechumenat, eine Bestätigung des Diözesanverantwortlichen der Diözese XXXX vom XXXX .10.2019 über die regelmäßige Teilnahme des BF am katholischen Glaubenskurs seit dem XXXX .10.2019, eine Teilnahmebestätigung vom XXXX .12.2017 über die Teilnahme an einem Vortrag, eine Teilnahmebestätigung vom 03.07.2018 über die Teilnahme an einem Werte-und Orientierungskurs, eine Teilnahmebestätigung des österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX .01.2017 über die erfolgreiche Absolvierung einer Ausbildung zum Workshop-Leiter im Rahmen eines Projekts, eine Bestätigung des Stadtamtes XXXX vom XXXX .06.2018 über die Absolvierung freiwilliger Dienstleistungen sowie eine persönliche Unterstützungserklärung der Gemeinde XXXX vom XXXX .10.2019 und ein Spielerpass in Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters vom XXXX .10.2019 wurde auf eine Anfragebeantwortung von Amnesty International sowie ein Gutachten von Friederike Stahlmann verwiesen und ausgeführt, dass in Afghanistan eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines landesweiten innerstaatlichen Konflikt anzunehmen sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Farsi als Muttersprache.

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Kabul geboren und ist dort auch aufgewachsen. Er hat dort acht Jahre die Schule besucht und anschließend eine Ausbildung als Schneider absolviert. Der Beschwerdeführer hat im Elternhaus gewohnt und mit einem Partner ein Geschäft betrieben. Sein Vater und sein Bruder sind 2017 bei einem Anschlag ums Leben gekommen. Seine Mutter und seine Schwester mitsamt deren Familie leben nach wie vor im Herkunftsstaat und der BF befindet sich mit diesen in telefonischen Kontakt. Die gesamte Familie des Beschwerdeführers wird vom Ehemann seiner Schwester finanziell unterstützt.

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest XXXX .01.2016 durchgehend in Österreich auf (AS 10 ff).

Der Beschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballverein, war Komparse im Zuge eines Projekts, eine Ausbildung zum Workshop-Leiter beim Roten Kreuz absolviert, gemeinnützige Reinigungsarbeiten verrichtet und hat bereits Deutschkurse besucht, eine Prüfung auf dem Niveau A2 jedoch nicht bestanden. Der Beschwerdeführer hat an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen und ist zudem für einen Recyclinghof tätig, bezieht jedoch Leistungen aus der Grundversorgung. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen zu sich in Österreich aufhältigen Personen, bzw. ist das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet nicht dargelegt worden.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend der zu Protokoll gegebenen Fluchtgründe ist als nicht asylrelevant zu qualifizieren.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund eines Vorfalls in einer Moschee vor vielen Jahren, bzw. aufgrund seines Desinteresses an der islamischen Religion oder aufgrund der Nichtwahrnehmung aus dem Islam resultierender religiöser Pflichten psychischer und/oder physischer Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in allen Landesteilen Afghanistans ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion sunnitischer Ausrichtung auf. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom religionsfeindlich oder gar spezifisch gegen den Islam auftritt. Der Beschwerdeführer interessiert sich zwar seit Oktober 2019 für den christlichen Glauben und besucht sonntags regelmäßig den Gottesdienst sowie einen Glaubenskurs. Er ist bisher jedoch nicht zum Christentum konvertiert. Der Beschwerdeführer ist nicht getauft.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde, noch, dass er sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden von seinem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in einer der größeren Städte von Afghanistan wie Kabul, Masar -e Sharif und Herat besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der

Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

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Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-

elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019

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AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in

Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-

military-training-centre-kabul-190530082719388.html. Zugriff 3.6.2019

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019):

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-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019):

Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

-

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019):

Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

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Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,

https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-

4422023.html, Zugriff 3.6.2019

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https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,

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IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results,

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TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed, https://

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killed.html, Zugriff 3.6.2019

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UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar

med_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf. Zugriff 3.4.2019

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VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growingbigger-more-dangerous/4927406.html. Zugriff 4.6.2019

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).

Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).

Friedensgespräche

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern de

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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